Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 14.07.2006
Aktenzeichen: 1 BV 03.2181
Rechtsgebiete: VwGO, BayBO, BauGB, BImSchG, 12. BImSchV, Richtlinie 96/82/EG


Vorschriften:

VwGO § 93 Satz 1
BayBO Art. 75 Abs. 1 Satz 2
BayBO Art. 75 Abs. 2 Halbsatz 1
BayBO Art. 77 Abs. 1 Halbsatz 2
BauGB § 34 Abs. 1 Satz 1
BauGB § 34 Abs. 2 i. V. m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO
BImSchG § 50 Satz 1
12. BImSchV § 3 Abs. 1
12. BImSchV § 3 Abs. 3
Richtlinie 96/82/EG Art. 12 Abs. 1 Satz 3 geändert durch die Richtlinie 2003/105/EG
1. Ein Gebietsbewahrungsanspruch in dem von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Sinn kann einem Eigentümer, dessen Grundstück sich außerhalb des Baugebiets befindet, nicht zustehen (wie VGH BW vom 23.8.1996 BRS 58 Nr. 160; a. A. VGH BW vom 4.5.2001 VBlBW 2001, 487; OVG NW vom 25.2.2003 NVwZ-RR 2003, 818 = BRS 66 Nr. 82).

2. Die Gemeinde kann mit einer Baugebietsfestsetzung den Zweck verfolgen, auch "Gebietsnachbarn" einen Anspruch auf Gebietserhaltung zu geben.

3. Zu der Frage, ob die Pflicht des Betreibers eines unter die Störfall-Verordnung (12. BImSchV) fallenden Betriebsbereichs, die Auswirkungen eines "Dennoch-Störfalls" zu begrenzen (§ 3 Abs. 3 der 12. BImSchV), die Verpflichtung zur Einhaltung eines Sicherheitsabstandes umfasst.

4. Zu den Fragen, ob und unter welchen Voraussetzungen die Errichtung eines Wohnbauvorhabens in dem "Abstandsbereich" eines unter die Störfall-Verordnung (12. BImSchV) fallenden Betriebsbereichs das Gebot der Rücksichtnahme verletzen kann.


Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

1 BV 03.2179 1 BV 03.2180 1 BV 03.2181 1 B 04.1232

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Anfechtung

- eines Vorbescheids für vier Doppelhäuser auf Fl.Nrn. ****, ****/1, ****/6, ****/7 und ****/8 Gemarkung B******* (1 BV 03.2179),

- einer Baugenehmigung für ein Einfamilienhaus auf Fl.Nr. ****/6 Gemarkung B******* (1 BV 03.2180),

- eines Vorbescheids für ein Einfamilienhaus und ein Doppelhaus auf Fl.Nrn. ****/1 und ****/6 Gemarkung B******* (1 BV 03.2181),

- einer Baugenehmigung für eine Doppelhaushälfte auf Fl.Nr. ****/7 Gemarkung B******* (1 B 04.1232);

hier: Berufungen der Klägerin gegen die Urteile des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 17. Juni 2003 und vom 30. März 2004,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 1. Senat, durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof König, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Müller, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Langer

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 7. Juli 2006

am 14. Juli 2006

folgendes Urteil:

Tenor:

I. Die Verfahren 1 BV 03.2179, 1 BV 03.2180, 1 BV 03.2181 und 1 B 04.1232 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

II. Die Berufungen werden zurückgewiesen.

III. Die Klägerin trägt die Kosten der Berufungsverfahren einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1, zu 3 und zu 4. Die Beigeladenen zu 2 tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

IV. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Hohe leistet.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen zwei dem Beigeladenen zu 1 erteilte Vorbescheide sowie gegen zwei den Beigeladenen zu 2 und 3 erteilte Baugenehmigungen.

1. Die Klägerin betreibt im Gemeindegebiet des Beigeladenen zu 4 südlich der Bahnlinie *******-********* zwischen dem in Ost-West-Richtung verlaufenden Teil der W******* Straße und dem T******* auf den Grundstücken Fl.Nrn. **** und **** Gemarkung B******* ein Chemiewerk. In dem Werk werden Katalysatoren unter Verwendung von Kupfer, Zink, Chrom, Nickel und anderen Schwermetallen hergestellt. Es handelt sich um eine Anlage zur Herstellung von Stoffen oder Stoffgruppen durch chemische Umwandlung im Sinn von Nr. 4.1 der Anlage zur Vierten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (4. BImSchV). Außerdem fällt der Betrieb unter die Zwölfte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Störfall-Verordnung - 12. BImSchV). Der Betrieb wurde durch bestandskräftigen Bescheid des Landratsamts ********* vom 10. Januar 1978 immissionsschutzrechtlich genehmigt und auf der Grundlage mehrerer immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsbescheide erweitert. Zuletzt erteilte das Landratsamt der Klägerin mit Bescheid vom 23. August 2001 eine Genehmigung für die wesentliche Änderung der bestehenden Anlage. Diese Genehmigung wurde unter anderem vom Beigeladenen zu 1 angefochten. Nach Abweisung der Anfechtungsklage durch das Verwaltungsgericht ******* mit Urteil vom 24. Januar 2006 (M 1 K 3560) ist sie Gegenstand eines Antrags auf Zulassung der Berufung (22 ZB 06.720). Der Beigeladene zu 4 stellt für das Betriebsgrundstück den Bebauungsplan Nr. 58 ("Betriebsgelände der **********") auf. In dem zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bereits als Satzung beschlossenen, aber noch nicht bekannt gemachten Bebauungsplan wird das Gelände der Klägerin als ein durch die Festsetzung immissionswirksamer flächenbezogener Schallleistungspegel gegliedertes Industriegebiet ausgewiesen.

Die Beigeladenen zu 1 bis 3 sind Eigentümer von Grundstücken, die nördlich der Bahnlinie in einer Entfernung von etwa 270 m bis 400 m vom Betriebsgelände an dem in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Teil der W******* Straße und an der ******-**************-Straße liegen. Für dieses Gebiet hat der Beigeladene zu 4 im Jahr 1966 den Bebauungsplan Nr. 8 ("*******") erlassen, der als Art der baulichen Nutzung ein Mischgebiet festsetzt. Das Verwaltungsgericht ******* hat den Bebauungsplan und einen Änderungsbebauungsplan aus dem Jahr 1978 in einem rechtskräftigen Urteil vom 7. November 1999 (M 1 K 99.3732) wegen formeller Fehler (Bekanntmachung vor Ausfertigung) als unwirksam angesehen.

Das Landratsamt erteilte den Beigeladenen zu 1 bis 3 folgende vier Genehmigungen:

- dem Beigeladenen zu 1 einen Vorbescheid vom 22. November 2001 für die Errichtung von insgesamt vier Doppelhäusern mit Garagen und Stellplätzen auf den Grundstücken Fl.Nrn. **** (Teilfläche), ****/7 und ****/8 (vormals Teilfläche aus Fl.Nr. ****) sowie ****/1 und ****/6 (vormals Fl.Nr. ****/1 alt südliche Teilfläche),

- dem Beigeladenen zu 1 einen Vorbescheid vom 16. Januar 2003 für die Errichtung eines Doppelhauses mit Garage auf dem Grundstück Fl.Nr. ****/1 und die Errichtung eines Einfamilienhauses mit Garage auf dem Grundstück Fl.Nr. ****/6,

- den Beigeladenen zu 2 eine Baugenehmigung vom 29. Oktober 2002 für die Errichtung eines Einfamilienhauses auf Fl.Nr. ****/6 und

- dem Beigeladenen zu 3 eine Baugenehmigung vom 11. Juni 2002 für die Errichtung einer Doppelhaushälfte mit zwei Wohneinheiten, Garage und drei Stellplätzen auf Fl.Nr. ****/7 (vormals Teilfläche aus Fl.Nr. ****).

2. Die Klägerin erhob gegen die vier Bescheide jeweils erfolglos Widerspruch und Klage.

Die Widersprüche wies die Regierung *** ********** mit Widerspruchsbescheiden vom 27. März 2002 (Vorbescheid vom 22.11.2001), 30. April 2003 (Vorbescheid vom 16.1.2003), 11. März 2003 (Baugenehmigung vom 29.10.2002), und 3. Juli 2003 (Baugenehmigung vom 11.6.2002) zurück.

Die Klagen gegen die Vorbescheide vom 22. November 2001 und 16. Januar 2003 sowie gegen die Baugenehmigung vom 29. Oktober 2002 wies das Verwaltungsgericht ******* mit Urteil vom 17. Juni 2003, die Klage gegen die Baugenehmigung vom 11. Juni 2002 mit Urteil vom 30. März 2004 ab.

Zur Begründung der Urteile führte das Gericht im Wesentlichen aus: Die Vorbescheide bzw. Baugenehmigungen verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der Bauvorhaben beurteile sich nach § 34 BauGB. Der Bebauungsplan für das Gebiet "*******" sei nichtig. Als Wohngebäude fügten sich die Vorhaben nach der Art der baulichen Nutzung in die Eigenart der näheren Umgebung, die einem allgemeinen Wohngebiet nach § 4 BauNVO entspreche, ein. Das Gebot der Rücksichtnahme sei nicht verletzt. Weder die Beigeladenen als Bauherren noch die Klägerin als Anlagenbetreiberin müssten immissionsschutzmindernde Vorkehrungen treffen. Die Bauvorhaben seien durch das Chemiewerk keinen unzumutbaren Lärmimmissionen ausgesetzt. Nach einer Stellungnahme des technischen Immissionsschutzes seien die zulässigen Werte auf den Baugrundstücken auch unter Zugrundelegung eines allgemeinen Wohngebietes eingehalten. Die von der Klägerin in Auftrag gegebenen Gutachten lieferten zur maßgeblichen Frage keine verwertbaren Aussagen. Das Gericht habe im Rahmen eines Augenscheins festgestellt, dass die Baugrundstücke nicht durch Lärmimmissionen beeinträchtigt würden. Zudem müssten sowohl die Beigeladenen im Hinblick auf die bereits seit vielen Jahren bestehende Situation als auch die Klägerin im Hinblick auf teilweise sogar näher liegende Wohngebäude (Doppelhaus auf Fl.Nr. ****/1, Wohngebäude auf Fl.Nr. ****/23 und ****/12, ****/14 [Ersatzbau], drei Neubauten westlich der W******* Straße, Wohngebäude am nordöstlichen Ende des Werksgeländes nördlich der Bahnlinie) faktische Vorbelastungen hinnehmen. Im Verfahren 1 B 04.1232 führte das Gericht weiterhin aus, das Gebot der Rücksichtnahme sei auch nicht im Hinblick darauf verletzt, dass der Betrieb der Klägerin der Störfall-Verordnung unterliege. Die Störfall-Verordnung sei Teil des technischen Sicherheitsrechts. Im Vordergrund stehe nicht die Gewährung eines angemessenen Interessenausgleichs. Ob die erforderlichen Abstände zum Störfallbetrieb eingehalten seien, sei deshalb unerheblich.

3. Die Klägerin hat jeweils Berufung eingelegt, die das Verwaltungsgericht im Urteil vom 17. Juni 2003 zugelassen hatte und beim Urteil vom 30. März 2004 vom Verwaltungsgerichtshof zugelassen wurde. Der Vorbescheid vom 22. November 2001 ist Gegenstand des Verfahrens 1 BV 03.2179, der Vorbescheid vom 16. Januar 2003 Gegenstand des Verfahrens 1 BV 03.2181, die Baugenehmigung vom 29. Oktober 2002 Gegenstand des Verfahrens 1 BV 03.2180 und die Baugenehmigung vom 11. Juni 2002 Gegenstand des Verfahrens 1 B 04.1232.

Zur Begründung der Berufungen führt die Klägerin aus: Die Bauvorhaben verletzten das nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme. Die nähere Umgebung der Baugrundstücke entspreche im Westen einem allgemeinen Wohngebiet, im Osten einem Mischgebiet. Die Bauvorhaben setzten sich unzumutbaren Lärmbelästigungen aus. Die für ein Allgemeines Wohngebiet nach der TA-Lärm maßgeblichen Lärmwerte von 55 d BA tagsüber und von 40 d BA nachts könnten nicht eingehalten werden. Das Verwaltungsgericht habe insoweit seine Aufklärungspflicht verletzt. Auf ein entsprechendes Beweisangebot sei es nicht eingegangen. Stattdessen habe es auf der Grundlage eigener Eindrücke, die es im Rahmen eines Ortstermins nur auf dem Betriebsgelände, nicht aber auf den Baugrundstücken gewonnen habe, entschieden. Ob auch die Nachtwerte eingehalten würden, sei nicht geprüft worden. Die Klägerin sei nicht durch die vorhandene Bebauung vorbelastet. Zwischen den Baugrundstücken und dem Betrieb befänden sich lediglich Betriebsleiterwohnungen, die eine höhere Lärmbelastung hinzunehmen hätten. Außerdem seien die Grundsätze zur Vorbelastung nicht anwendbar. Wegen der vom Betriebsgelände ausgehenden heterogenen Emissionslage sei für jedes betroffene Grundstück eine Einzelfallbetrachtung anzustellen. Mit der Verwirklichung der Vorhaben werde das bisher bestehende faktische Mischgebiet zu einem allgemeinen Wohngebiet. Infolge dessen habe die Klägerin strengere immissionsschutzrechtliche Schutzauflagen zu befürchten. Dies beeinträchtige ihr eigentumsrechtlich geschütztes Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Schließlich sei im Rahmen des Gebots der Rücksichtnahme das Störfallrisiko zu berücksichtigen. Die Bauvorhaben setzten sich schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinn von § 3 Abs. 1 BImSchG aus, weil der nach der Richtlinie 96/82/EG erforderliche Sicherheitsabstand zum Betriebsgelände nicht gewahrt sei. Die Richtlinie sei durch die Richtlinie 2003/105/EG noch verschärft worden. Ein entsprechendes Sachverständigengutachten werde die fachtechnische Stellungnahme des Landratsamts ********* vom 13. Januar 1994 bestätigen, wonach noch in 500 m Entfernung vom Betriebsgelände eine kritische Nickelstaubkonzentration festzustellen sei und ein Heranrücken der Wohnbebauung den Betrieb zu erheblichen zusätzlichen Sicherheitsvorkehrungen zwingen könne. Anhaltspunkte für die Bemessung eines angemessenen Abstandes ergäben sich aus dem Abstandserlass des Landes Nordrhein-Westfalen, der für vergleichbare Anlagen einen Abstand von 700 m vorsehe. Die für Lärm- und Luftimmissionen entwickelten Grundsätze zur Vorbelastung könnten nicht auf das Störfallrecht übertragen werden.

Die Klägerin beantragt (sinngemäß),

unter Änderung der Urteile des Verwaltungsgerichts ******* vom 17. Juni 2003 und vom 30. März 2004 die Bescheide des Landratsamts ********* vom 22. November 2001, 16. Januar 2003, 29. Oktober 2002 und 11. Juni 2002 sowie die Widerspruchsbescheide der Regierung *** ********** vom 27. März 2002, 11. März 2003, 30. April 2003 und 3. Juli 2003 aufzuheben.

Der Beklagte, die Beigeladenen zu 1 und 3 sowie der Beigeladene zu 4 beantragen jeweils,

die Berufungen zurückzuweisen.

Der Beklagte führt aus: Das Gebot der Rücksichtnahme sei aufgrund der bestehenden Vorbelastung nicht verletzt. Die neu hinzukommenden Wohngebäude führten zu keinen höheren Anforderungen an den Betrieb der Klägerin als das näher gelegene Wohngebäude auf dem Grundstück Fl.Nr. ****/14. Dies gelte auch im Hinblick auf das von dem Betrieb ausgehende Störfallrisiko. Die Richtlinien 96/82/EG und 2003/105/EG seien durch § 50 BImSchG vollständig in nationales Recht umgesetzt worden. Die notwendigen Sicherheitsabstände seien eingehalten. Dies ergebe sich aus einer Stellungnahme des Bayerischen Landesamts für Umwelt vom 12. Dezember 2005. Nach dieser Stellungnahme lägen die Baugrundstücke zwar innerhalb der für die Katastrophenschutzplanung relevanten Gefährdungsreichweiten; jedoch seien die erforderlichen Achtungsabstände gemäß dem Leitfaden "Empfehlungen für Abstände zwischen Betriebsbereichen nach der Störfall-Verordnung und schutzbedürftigen Gebieten im Rahmen der Bauleitplanung - Umsetzung § 50 BImSchG" der Störfall-Kommission und des Technischen Ausschusses für Anlagensicherheit beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit vom 18. Oktober 2005 nicht überschritten. Eine Einzelfallprüfung sei daher nicht erforderlich. Der Abstandserlass des Landes Nordrhein-Westfalen könne zur Beurteilung nicht herangezogen werden, weil er auf Baugenehmigungsverfahren nicht anwendbar sei. Rechtlicher Ansatzpunkt für das störfallrechtliche Abstandsgebot sei § 15 Abs. 1 BauNVO als Ausprägung des Gebots der Rücksichtnahme.

Die Beigeladenen zu 1 und 3 machen geltend: Das Gebot der Rücksichtnahme sei nicht verletzt. Die Wohnbauvorhaben seien keinen unzumutbaren Lärmbelästigungen durch den Betrieb der Klägerin ausgesetzt, weil selbst die Immissionsrichtwerte für ein allgemeines Wohngebiet eingehalten seien. Wie das Verwaltungsgericht beim Augenschein festgestellt habe, lägen die Baugrundstücke fernab jeglicher Geräuscheinwirkung. Nichts anderes ergebe sich aus der fachtechnischen Stellungnahme des Landratsamts und den von der Klägerin vorgelegten Gutachten. Das Verwaltungsgericht habe seine Aufklärungspflicht nicht verletzt. Verschärfte Immissionsanforderungen habe die Klägerin auch deshalb nicht zu befürchten, weil ihr wegen einer bereits vorhandenen vergleichbaren Bebauung auf den Grundstücken Fl.Nrn. ****/14, ****/23 und ****/12 kein Mehr an Rücksichtnahme abverlangt werde. Nur eines der dort stehenden Wohngebäude werde als Betriebsleiterwohnung genutzt. Gegen ein "Umkippen" des Gebietscharakters könne sich die Klägerin schon deshalb nicht zur Wehr setzen, weil das Gebiet als faktisches Wohngebiet und nicht als Mischgebiet zu qualifizieren sei. Im Übrigen liege das Betriebsgelände nicht im Plangebiet. Ein Anspruch auf Gebietserhaltung scheide daher aus. Die EG-Richtlinie 96/82, die durch § 50 BImSchG umgesetzt worden sei, und die Richtlinie 2003/105 fänden keine unmittelbare Anwendung. Auch seien baurechtliche Genehmigungen hiervon nicht betroffen.

Der Beigeladene zu 4 führt aus: Aufgrund des vom TÜV und vom Landesamt für Umwelt geprüften Sicherheitsberichts der Klägerin ergäben sich keine Beeinträchtigungen des Betriebs. Die erforderlichen Sicherheitsabstände seien nach der Stellungnahme des Landesamts für Umwelt eingehalten. Daher habe der Betrieb auch keine Verschärfung der Auflagen zu erwarten. Das Rücksichtnahmegebot verlange eine gegenseitige Rücksichtnahme. Dementsprechend habe einerseits die hinzukommende Wohnbebauung die vorhandene betriebliche Situation des benachbarten Industriegebiets hinzunehmen, andererseits stünde der Klägerin kein Abwehranspruch gegen das Bauvorhaben zu.

Die Beigeladenen zu 2 stellen keinen Antrag.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten, die vom Beklagten und vom Beigeladenen zu 4 vorgelegten Behördenakten sowie die beigezogenen Gerichts- und Behördenakten des Verfahrens 22 ZB 06.720 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Verfahren 1 BV 03.2179, 1 BV 03.2180, 1 BV 03.2181 und 1 B 04.1232 werden gemäß § 93 Satz 1 VwGO zur gemeinsamen Entscheidung verbunden, weil sie in wesentlichen Teilen dieselben Fragen aufwerfen.

Die Berufungen sind zulässig, aber nicht begründet. Soweit die Berufungen nicht schon deswegen zurückzuweisen sind, weil die Anfechtungsklagen unzulässig geworden sind (I.), haben die Rechtsmittel keinen Erfolg, weil das Verwaltungsgericht die Klagen zu Recht als unbegründet abgewiesen hat (II.)

I.

Soweit sich die mit den Berufungen weiterverfolgten Anfechtungsklagen gegen die beiden Vorbescheide richten und diese Bescheide das Grundstück Fl.Nr. ****/1 betreffen, sind die Rechtsmittel schon deswegen unbegründet, weil die Klagen insoweit wegen Wegfalls des Rechtsschutzinteresses unzulässig geworden sind. Nach den Angaben der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung liegt für das Doppelhaus auf dem Grundstück Fl.Nr. ****/1, dessen bauplanungsrechtliche Zulässigkeit in den Vorbescheiden positiv beurteilt wurde, eine der Klägerin gegenüber bestandskräftige Baugenehmigung vor. Damit könnte die Klägerin ihre Rechtsstellung gegenüber diesem Vorhaben des Beigeladenen zu 1 durch einen Erfolg der Anfechtungsklagen gegen die Vorbescheide nicht mehr verbessern.

Der Senat lässt offen, ob das Rechtsschutzinteresse für die Klagen gegen die beiden Vorbescheide darüber hinaus auch deswegen entfallen ist, weil sich die Vorbescheide wegen Ablaufs ihrer dreijährigen Geltungsdauer (Art. 75 Abs. 1 Satz 2 BayBO) erledigt haben, soweit die Bindungswirkung der Bescheide nicht - im Hinblick auf noch nicht bestandskräftige Baugenehmigungen - noch von rechtlicher Bedeutung ist. Ob eine Erledigung durch Zeitablauf (Art. 43 Abs. 2 Alternative 4 BayVwVfG) eingetreten ist, hängt davon ab, ob die Vorschrift des Art. 77 Abs. 1 Halbsatz 2 BayBO, der zufolge die Einlegung eines Rechtsbehelfs den Lauf der Frist für die Geltungsdauer einer Baugenehmigung bis zur Unanfechtbarkeit der Genehmigung hemmt, auf den Vorbescheid entsprechend anzuwenden ist, obwohl Art. 75 Abs. 2 Halbsatz 1 BayBO zwar auf verschiedene die Baugenehmigung betreffende Vorschriften, nicht aber auf Art. 77 Abs. 1 Halbsatz 2 BayBO verweist. Diese nicht ohne Weiteres zu beantwortende und umstrittene Frage (vgl. einerseits - mit unterschiedlichen Begründungen - bejahend: Bauer in Simon/Busse, BayBO, Art. 75 RdNr. 5; Koch/Molodovsky/Famers, BayBO, Art. 75 Anm. 6.1; Dirnberger in Jäde/Dirnberger/Bauer/Weiß, Die neue Bayerische Bauordnung, Art. 75 RdNr. 48; andererseits - im Hinblick auf den klaren Wortlaut - verneinend: Schwarzer/König, BayBO, 2. Aufl., Art. 75 RdNr. 11; Jäde, Anmerkung zu BayVGH vom 29.11.1999 BayVBl 2000, 314) muss nicht entschieden werden, weil die Anfechtungsklagen jedenfalls unbegründet sind.

II.

Das Verwaltungsgericht hat die Anfechtungsklagen jedenfalls deswegen zu Recht abgewiesen, weil die Vorbescheide vom 22. November 2001 und 16. Januar 2003, die Baugenehmigungen vom 29. Oktober 2002 und 11. Juni 2002 sowie die Widerspruchsbescheide vom 27. März 2002, 11. März 2003, 30. April 2003 und 3. Juli 2003 die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verletzen. Der Klägerin steht weder ein Gebietsbewahrungsanspruch in dem von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Sinn (1.) noch ein "baugebietsübergreifender Gebietsbewahrungsanspruch" zu (2.). Die Bescheide verstoßen auch nicht gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme (3.).

1. Die Klägerin hat gegen die Bauvorhaben kein Abwehrrecht aufgrund eines Gebietsbewahrungsanspruchs, weil sich ihr Betriebsgelände und die Baugrundstücke der Beigeladenen zu 1 bis 3 nicht in demselben Baugebiet befinden.

Der Gebietsbewahrungsanspruch gibt den Eigentümern von Grundstücken, die in einem durch Bebauungsplan festgesetzten Baugebiet (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB, § 1 Abs. 3, §§ 2 bis 14 BauNVO) oder in einem "faktischen" Baugebiet (§ 34 Abs. 2 BauGB, §§ 2 bis 14 BauNVO) liegen, das Recht, sich gegen Vorhaben zur Wehr zu setzen, die in dem Gebiet hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung nicht zulässig sind. Der Anspruch beruht auf der drittschützenden Wirkung, die eine Baugebietsfestsetzung in einem Bebauungsplan bzw. § 34 Abs. 2 BauGB in Verbindung mit den Baugebietsvorschriften der Baunutzungsverordnung gegenüber den Eigentümern aller Grundstücke im (faktischen) Baugebiet haben. Diese Schutzwirkung ist auch bei einem durch Bebauungsplan festgesetzten Baugebiet nicht vom Planungswillen der Gemeinde abhängig, sondern gesetzlich vorgegeben. § 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB ermächtigt nur zu einer im genannten Umfang drittschützenden Baugebietsfestsetzung. Diese Auslegung der Ermächtigungsgrundlage bzw. von § 34 Abs. 2 BauGB ist geboten, weil die Grundstückseigentümer durch die Lage ihrer Anwesen in demselben Baugebiet zu einer Gemeinschaft verbunden sind, bei der jeder in derselben Weise berechtigt und verpflichtet ist. Die dem Einzelnen auferlegten Beschränkungen bei der Nutzung seines Grundstücks erscheinen deswegen gerechtfertigt, weil die Nutzung der anderen Grundstücke im Gebiet in derselben Weise beschränkt ist. Im Hinblick auf diese wechselseitig wirkende Bestimmung von Inhalt und Schranken des Grundeigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) hat jeder Eigentümer - unabhängig davon, ob er tatsächlich beeinträchtigt ist - das Recht, sich gegen eine "schleichende Umwandlung" des Gebiets durch Zulassung einer gebietsfremden Nutzung zur Wehr zu setzen (zum Ganzen: BVerwG vom 16.9.1993 BVerwGE 94, 151 = NJW 1994, 1546; BVerwG vom 11.4.1996 NVwZ-RR 1997, 463; vom 23.8.1996 BVerwGE 101, 364 = NVwZ 1997, 384; vom 2.2.2000 NVwZ 2000, 679).

Da der "Gebietsbewahrungsanspruch" auf der durch eine Baugebietsfestsetzung bewirkten bzw. aus der Lage in einem faktischen Baugebiet folgenden wechselseitigen Eigentumsbindung beruht, kann der Anspruch einem Eigentümer, dessen Grundstück sich außerhalb des Baugebiets befindet, nicht zustehen (VGH BW vom 23.8.1996 BRS 58 Nr. 160; Mampel, BauR 2003, 1824/1827 ff.). Der obergerichtlichen Rechtsprechung, die den kraft Gesetzes bestehenden Gebietsbewahrungsanspruch in Einzelfällen auf Eigentümer erstreckt, deren Grundstücke zwar im Geltungsbereich desselben Bebauungsplans, aber in einem anderen Baugebiet liegen (VGH BW vom 4.5.2001 VBlBW 2001, 487 [ablehnend Schütz, VBlBW 2002, 371]; OVG NW vom 25.2.2003 NVwZ-RR 2003, 818 = BRS 66 Nr. 82) ist nicht zu folgen. Der Klägerin steht ein Gebietsbewahrungsanspruch in dem dargelegten Sinn somit schon deswegen nicht zu, weil sich ihr Betriebsgelände und die Baugrundstücke - jeweils unabhängig davon, wie der bauplanungsrechtliche Status dieser Flächen im Einzelnen einzustufen ist - nicht in demselben Baugebiet befinden.

Im Übrigen lägen auch die Voraussetzungen, unter denen die zitierten obergerichtlichen Entscheidungen einen von Planungswillen der Gemeinde unabhängigen Gebietsbewahrungsanspruch eines "Gebietsnachbarn" annehmen, nicht vor. Denn das Betriebsgelände der Klägerin und die Baugrundstücke der Beigeladenen zu 1 bis 3 liegen auch nicht in Geltungsbereich eines mehrere Baugebiete umfassenden Bebauungsplans.

2. Der Klägerin hat auch keinen "baugebietsübergreifenden Gebietsbewahrungsanspruch".

Die Tatsache, dass die - auf die Grundstücke im Baugebiet begrenzte - drittschützende Wirkung einer Baugebietsfestsetzung durch die Ermächtigungsgrundlage des § 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB vorgeben ist, schließt nicht aus, dass die Gemeinde mit einer Baugebietsfestsetzung den Zweck verfolgen kann, auch "Gebietsnachbarn" einen Anspruch auf Gebietserhaltung zu geben. Ob einer Baugebietsfestsetzung eine derartige über die Gebietsgrenze hinausreichende drittschützende Wirkung zukommt, hängt - wie der Nachbarschutz durch andere Bebauungsplanfestsetzungen - davon ab, ob sich der Begründung des Bebauungsplans oder anderen Unterlagen des Planaufstellungsverfahrens ein entsprechender Planungswille der Gemeinde entnehmen lässt (BayVGH vom 25.8.1997 BayVBl 1998, 532; OVG RhPf vom 14.1.2000 BauR 2000, 527; NdsOVG vom 26.4.2001 ZfBR 2002, 280). Hieraus folgt, dass ein "baugebietsübergreifender Gebietsbewahrungsanspruch" bei einem "faktischen" Baugebiet nicht in Betracht kommt. Denn nur eine Baugebietsfestsetzung kann von dem Willen getragen sein, Gebietsnachbarn einen von der tatsächlichen Beeinträchtigung unabhängigen Schutzanspruch zu geben (BayVGH vom 12.11.2002 1 B 95.4128 - Juris).

Nach diesen Maßstäben steht der Klägerin schon deswegen kein "baugebietsübergreifender Gebietsbewahrungsanspruch" zu, weil es sich bei dem Gebiet westlich der W******* Straße und beidseits der *********************-Straße, in dem die Grundstücke der Beigeladenen zu 1 bis 3 liegen, allenfalls um ein "faktisches" Baugebiet handelt.

Zwar hat der Beigeladene zu 4 für dieses Gebiet den Bebauungsplan Nr. 8 "*******" erlassen. Dieser Bebauungsplan ist aber unwirksam, weil anzunehmen ist, dass die Ausfertigung der Satzung erst nach der Bekanntmachung erfolgt ist. Nach den Verfahrensvermerken auf dem Bebauungsplanoriginal ist die Ausfertigung an demselben Tag erfolgt, an dem die Genehmigung des Bebauungsplans (Bescheid der Regierung *** ********** vom 11.5.1966) im "*************" bekannt gemacht wurde, nämlich am 2. Juni 1966. Dieser Verfahrensablauf ist "ein starkes Indiz" dafür, dass die Ausfertigung nicht - wie geboten - vor dem "Bekanntmachungsakt" erfolgt ist. Bei Bekanntmachung in einer Tageszeitung wird es nämlich in aller Regel nicht möglich sein, nach der Ausfertigung des Bebauungsplans noch am selben Tage dessen Bekanntmachung zu bewirken (BVerwG vom 9.5.1996 NVwZ-RR 1996, 630; vom 27.1.1999 NVwZ 1999, 878 = BayVBl 1999, 410; vgl. auch BayVGH vom 3.9.2002 BayVBl 2003, 273). Gesichtspunkte, die diese Regel widerlegen könnten, sind nicht ersichtlich.

Wegen der Unwirksamkeit der ursprünglichen Fassung des Bebauungsplans ist auch der am 16. März 1978 als Satzung beschlossene Änderungsbebauungsplan unwirksam. Die Festsetzungen des Änderungsbebauungsplans ergeben für sich alleine keine sinnvolle Regelung. Im Übrigen liegt auch bei dem Änderungsbebauungsplan ein Ausfertigungsmangel vor. Während die Genehmigung der Satzung bereits am 11. Juli 1978 bekannt gemacht wurde, ist die Ausfertigung erst am 26. Juli 1978 erfolgt.

Absehen davon würde ein "baugebietsübergreifender Gebietsbewahrungsanspruch" auch daran scheitern, dass weder der Begründung der ursprünglichen Fassung des Bebauungsplans Nr. 8 noch der Begründung des Änderungsbebauungsplans ein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen ist, dass der Beigeladene zu 4 der Klägerin einen Anspruch auf Bewahrung des festgesetzten Mischgebiets geben wollte. Der Betrieb der Klägerin wird in beiden Begründungen nicht erwähnt.

3. Die Baugenehmigung verstößt auch nicht gegen das nachbarschützende bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot.

Das Rücksichtnahmegebot ist unabhängig davon zu beachten, nach welcher Vorschrift die Bauvorhaben der Beigeladenen zu 1 bis 3 bauplanungsrechtlich zu beurteilen sind. Findet § 34 Abs. 1 BauGB Anwendung, weil die Baugrundstücke innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils liegen und in der Umgebung Wohnen und Gewerbe ohne die ein Mischgebiet kennzeichnende, etwa gleichgewichtige Mischung dieser beiden Nutzungsarten vorhanden sind, ist das Gebot der Rücksichtnahme Teil des nach Satz 1 dieser Vorschrift maßgebenden Einfügungsgebots. Richtet sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach § 34 Abs. 2 BauGB, weil die vorhandenen Nutzungsarten einem allgemeinen Wohngebiet (§ 4 BauNVO) oder einem Mischgebiet (§ 6 BauNVO) entsprechen, ergibt sich die Verpflichtung zur Rücksichtnahme aus § 34 Abs. 2 BauGB in Verbindung mit § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO (BVerwG vom 12.12.1991 NJW 1992, 1779). Ist ein Teil der Vorhaben auf den südlich der *********************-Straße gelegenen Grundstücken nach § 35 Abs. 2 und 3 BauGB zu beurteilen, weil diese Flächen (noch) im Außenbereich liegen, ist das Rücksichtnahmegebot im Hinblick auf schädliche Umwelteinwirkungen als öffentlicher Belang nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB (BVerwG vom 5.9.2000 BauR 2001, 83; vom 25.2.1977 BVerwGE 52, 122) und für nicht von § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB erfasste unzumutbare Auswirkungen als weiterer, in dem nicht abschließenden Katalog des § 35 Abs. 3 BauGB nicht aufgeführter öffentlicher Belang zu beachten (BVerwG vom 28.10.1993 NVwZ 1994, 686).

Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme zugute kommt, um so mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, um so weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Für die sachgerechte Beurteilung des Einzelfalls kommt deshalb wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem an, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmepflichtigen nach Lage der Dinge zuzumuten ist (BVerwG vom 25.2.1977 und vom 28.10.1993 jeweils a.a.O.). In Bereichen, in denen Nutzungen unterschiedlicher Art mit unterschiedlicher Schutzwürdigkeit zusammentreffen, ist die Grundstücksnutzung mit einer spezifischen gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet (BVerwG vom 5.3.1984 NVwZ 1984, 646; vom 22.6.1990 NVwZ 1991, 64). Dies führt nicht nur zu einer Verpflichtung desjenigen, der Beeinträchtigungen verursacht, sondern auch zu einer Duldungspflicht desjenigen, der sich solchen Beeinträchtigungen aussetzt (vgl. BVerwG vom 18.5.1995 BVerwGE 98, 235). Nicht nur Vorhaben, von denen Beeinträchtigungen ausgehen (vgl. § 15 Abs. 1 Satz 2 Alternative 1 BauNVO), sondern auch solche, die an eine emittierende Anlage heranrücken und sich deren störenden Einwirkungen aussetzen (vgl. § 15 Abs. 1 Satz 2 Alternative 2 BauNVO), können gegen das Rücksichtnahmegebot verstoßen (BVerwG vom 14.1.1993 NVwZ 1993, 1184; vom 5.9.2000 BauR 2001, 83).

Zur Bestimmung der Grenze der Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen ist auf die Begriffsbestimmungen (Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen in § 3 Abs. 1 BImSchG) und die materiellrechtlichen Maßstäbe des Immissionsschutzrechts (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 22 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG) zurückzugreifen. Das Bundes-Immissionsschutzgesetz legt diese Grenze und damit das Maß der gebotenen Rücksichtnahme mit Wirkung auch für das Baurecht im Umfang seines Regelungsbereiches grundsätzlich allgemein fest (BVerwG vom 23.9.1999 NVwZ 2000, 1050). Die Zumutbarkeitsschwelle wird grundsätzlich überschritten, wenn die Störungen oder Belästigungen unter Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse erheblich im Sinne von § 3 Abs. 1, § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG sind. "Faktische Vorbelastungen" können sich dabei schutzmindernd auswirken. Soll ein Wohnbauvorhaben in unmittelbarer Nachbarschaft zu einer vorhandenen emissionsträchtigen Anlage errichtet werden, kann der Schutz des Wohnens infolge dieser "Situationsbelastung" einen geringeren Stellenwert haben. Beeinträchtigungen, die innerhalb eines Wohngebiets nicht hinzunehmen wären, können in einer solchen Lage noch zumutbar sein (BVerwG vom 23.9.1999 a.a.O.). Umgekehrt folgt aus dem im Rücksichtnahmegebot angelegten Prinzip der Gegenseitigkeit aber auch, dass der Betreiber einer dem Immissionsschutzrecht unterliegenden Anlage nicht darauf vertrauen darf, vor Auflagen zum Schutz vor heranrückender Wohnbebauung vor Immissionen verschont zu bleiben. Zieht allerdings eine beabsichtigte Wohnbebauung eine Verschärfung immissionsschutzrechtlicher Anforderungen für den Betreiber einer Anlage nach sich, wird das Vorhaben in der Regel rücksichtslos sein (BVerwG vom 25.11.1985 NVwZ 1986, 469; BayVGH vom 25.1.1991 BayVBl 1991, 694). Dagegen liegt bei einer Anlage, die die Grenzwerte nach den Vorgaben des Immissionsschutzrechts einhält, regelmäßig kein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot vor (BVerwG vom 28.7.1999 NVwZ 2000, 165). Bei einer an eine emissionsträchtige Anlage "heranrückenden" Wohnbebauung kommt es auch darauf an, ob die Anlage aufgrund einer schon vorhandenen schutzwürdigen Bebauung ohnehin schon Rücksicht nehmen muss.

Nach diesen Maßstäben werden schutzwürdige Belange der Klägerin nicht unzumutbar beeinträchtigt. Die Wohnbauvorhaben sind weder einer unzumutbaren, von dem Betrieb der Klägerin ausgehenden Lärmbelastung (a) noch unzumutbaren Gefahren durch die Folgen eines Störfalls im Betrieb der Klägerin (b) ausgesetzt.

a) Die Bauvorhaben der Beigeladenen zu 1 bis 3 setzen sich keinen unzumutbaren Lärmbelastungen aus.

Bei Gewerbelärm wird die Zumutbarkeitsgrenze durch die Richtwerte der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm - TA-Lärm - in der hier maßgeblichen Fassung vom 26. August 1998 (GMBl S. 503) konkretisiert (BVerwG vom 30.4.1992 BVerwGE 90, 163 = NJW 1992, 2779; vom 24.9.1992 BVerwGE 91, 92 = NJW 1993, 342). Die TA-Lärm sieht nach Nr. 6.1 Buchstabe c und d für ein Mischgebiet Richtwerte von 60 dB(A) tags und 45 dB(A) nachts und für allgemeine Wohngebiete von 55 dB(A) tags und von 40 dB(A) nachts vor. Für Wohngebäude auf Außenbereichsgrundstücken, für die in der TA-Lärm keine Richtwerte vorgegeben sind, liegt die Zumutbarkeitsgrenze höher als in einem Wohngebiet (vgl. VGH BW vom 25.6.1996 NVwZ 1997, 1014 = BRS 58 Nr. 176).

Nach diesem Maßstab hat die Klägerin infolge der an ihren Betrieb "heranrückenden" Wohnbauvorhaben schon deswegen keine Verschärfung der Lärmschutzauflagen zu befürchten, weil an den Grundstücken der Beigeladenen zu 1 bis 3 die Immissionsrichtwerte eines allgemeinen Wohngebiets eingehalten werden. Dies ergibt sich in erster Linie aus der "schalltechnischen Verträglichkeitsuntersuchung" des Ingenieurbüros ******* vom 20. März 2006, die im Rahmen der Aufstellung des Bebauungsplans Nr. 58 "Betriebsgelände **********" erstellt wurde. In diesem Gutachten wurden zur Festlegung flächenbezogener Schallleistungspegel für das Betriebsgelände die Schallimmissionen an verschiedenen Immissionsorten mit vorhandener Bebauung errechnet. Danach liegen die Beurteilungspegel auf dem Grundstück Fl.Nr. ****/8 (Immissionsort IO 6), für das dem Beigeladenen zu 1 der Vorbescheid vom 30. Januar 2001 erteilt wurde, bei 49 dB(A) tags und 36 dB(A) nachts. Für die übrigen Grundstücke, die Gegenstand der Vorbescheide und Baugenehmigungen sind, wird sich aufgrund ihrer unmittelbaren Nachbarschaft zu dem Grundstück Fl.Nr. ****/8 keine stärkere Belastung ergeben.

Die Beurteilung, dass die Immissionsrichtwerte für ein allgemeines Wohngebiet bei allen Vorhaben eingehalten werden, wurde von dem in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof anwesenden Umweltingenieur des Landratsamts schon im Hinblick auf die Entfernung der Baugrundstücke von dem Betriebsgelände als plausibel bezeichnet. Ferner entspricht diese Beurteilung im Ergebnis der Bewertung, die das Verwaltungsgericht auf der Grundlage an Ort und Stelle gewonnener Eindrücke vorgenommen hat. Da schließlich auch dem Vorbringen der Klägerin keine konkreten Anhaltspunkte dafür zu entnehmen sind, dass die Anwesen der Beigeladenen zu 1 bis 3 durch die Betriebsgeräusche unzumutbar belästigt werden könnten, sieht der Senat keine Veranlassung, die Frage der Lärmbelastung weiter aufzuklären. Im Übrigen dürfte die Zumutbarkeitsgrenze jedenfalls bei den Grundstücken südlich der *********************-Straße selbst dann nicht bei den "Wohngebietswerten" liegen, wenn die Umgebung einem allgemeinen Wohngebiet entsprechen sollte; denn diese Grundstücke müssten aufgrund ihrer Lage am Rande des im Zusammenhang bebauten Ortsteils eine höhere Belastung hinnehmen.

Die Frage, ob die Klägerin auch deswegen keine Einschränkungen ihres Betriebs zu befürchten hat, weil sie schon jetzt auf Wohnbebauung, die in derselben "Emissionsrichtung" näher zum Betriebsgelände liegt, Rücksicht nehmen muss, kann damit offen bleiben.

b) Die Bauvorhaben sind auch nicht in einem Bereich geplant, in dem aus Rücksicht auf die Verpflichtungen der Klägerin, die Auswirkungen eines "Dennoch-Störfalls" in ihrem Betriebsbereich zu begrenzen, keine Wohnbebauung (oder in derselben Weise schutzbedürftige Bebauung) zugelassen werden darf.

Auf den Betrieb der Klägerin ist die aufgrund von § 7 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 4 BImSchG erlassene Zwölfte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Störfall-Verordnung - 12. BImSchV) in der Fassung vom 26. April 2000 (BGBl. I S. 603) anzuwenden, weil in dem Betrieb nach den übereinstimmenden Angaben der Beteiligten gefährliche Stoffe in Mengen vorhanden sind, welche die in Anhang I Spalte 4 der 12. BImSchV genannten Mengenschwellen erreichen oder überschreiten (§ 1 Abs. 1 Satz 1 der 12. BImSchV). Die Klägerin hat somit die in der Störfall-Verordnung normierten Verpflichtungen zu erfüllen. Es spricht Vieles dafür, dass diese Verpflichtungen die Pflicht zur Einhaltung eines Sicherheitsabstandes (zumindest) von schutzwürdiger Bebauung umfassen und dass dementsprechend eine in der Umgebung des Betriebsbereichs geplante schutzwürdige Bebauung zur Einhaltung eines entsprechenden Abstandes verpflichtet sein kann (aa). Auch wenn man dies annimmt, liegt jedoch keine Rechtsverletzung vor, weil die Vorhaben außerhalb des in Betracht kommenden "Abstandsbereichs" geplant sind (bb).

aa) Der Senat unterstellt, dass die Klägerin als Betreiberin eines Betriebsbereichs, auf den die 12. BImSchV anzuwenden ist, im Rahmen der ihr durch § 3 der 12. BImSchV auferlegten allgemeinen Betreiberpflichten Sicherheitsabstände von benachbarter Wohnbebauung und anderer entsprechend schutzbedürftiger Bebauung einzuhalten hat (1), und dass die Eigentümer von Grundstücken in dem in Betracht kommenden "Abstandsbereich" aus Gründen der Rücksichtnahme verpflichtet sein können, bei der baulichen Nutzung ihrer Grundstücke auf eine Wohnbebauung und eine andere entsprechend schutzbedürftige Bebauung zu verzichten (2).

(1) § 3 der 12. BImSchV erlegt der Klägerin - in Konkretisierung der allgemeinen Schutz- bzw. Gefahrenabwehrpflicht des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG (HessVGH vom 23.1.2001 UPR 2001, 396; vom 21.2.2001 NVwZ 2002, 742; NdsOVG vom 6.4.1984 DVBl 1984, 890) - "allgemeine Betreiberpflichten" auf. Nach § 3 Abs. 1 der 12. BImSchV muss die Klägerin die Vorkehrungen treffen, die nach Art und Ausmaß der möglichen Gefahren erforderlich sind, um Störfälle zu verhindern. Dabei hat sie betriebliche und umgebungsbedingte Gefahrenquellen sowie Eingriffe Unbefugter zu berücksichtigen, die als Störfallursachen vernünftigerweise nicht ausgeschlossen werden können (§ 3 Abs. 2 der 12. BImSchV). Für den Fall, dass trotz dieser Vorkehrungen - etwa wegen menschlichen Versagens oder unerkannter Anlagenmängel und Funktionsstörungen - ein Störfall eintritt ("Dennoch-Störfall)", hat die Klägerin vorbeugend Maßnahmen zu treffen, um dessen Auswirkungen so gering wie möglich zu halten (§ 3 Abs. 3 der 12. BImSchV). Mit dieser Regelung der allgemeinen Betreiberpflichten berücksichtigt die Verordnung, dass Schadensereignisse auch dann nicht vollkommen auszuschließen sind, wenn der Betreiber seine Pflichten zur Verhinderung von Störfällen erfüllt.

Die Pflicht des § 3 Abs. 3 der 12. BImSchV zur Begrenzung der Auswirkungen von "Dennoch-Störfällen" erstreckt sich aber nicht auf vorbeugende Maßnahmen gegen Gefahren, deren Eintritt nach dem Stand von Wissenschaft und Technik praktisch ausgeschlossen ist und mit denen deshalb nach dem Maßstab der "praktischen Vernunft" (BVerfG vom 8.8.1978 BVerfGE 49, 89/143 = NJW 1979, 359 = BayVBl 1979, 174) nicht zu rechnen ist. Solche Risiken jenseits der Schwelle der "praktischen Vernunft" sind vielmehr von der Allgemeinheit als sozialadäquat hinzunehmen (BVerfG vom 8.8.1978 a. a. O; vgl. auch die amtliche Begründung zu § 3 der 12. BImSchV, BR-Drs. 108/80 Seite 29 ff.). Soweit es sich nicht um die Gefahren sogenannter exzeptioneller Störfälle handelt, die jenseits jeder Erfahrung liegen und die sich damit auch jeder Berechenbarkeit entziehen, sind solche "Restrisiken" zwar bei der externen Notfallplanung der Katastrophenschutzbehörde, aber nicht vom Betreiber des Betriebsbereichs bei den ihm obliegenden auswirkungsbegrenzenden Maßnahmen zu berücksichtigen.

Je nachdem, welches Maß an Sicherheit mit "technischen" Vorkehrungen zu erreichen ist, dürften die Störfallverhinderungspflicht nach § 3 Abs. 1 und die Pflicht zur Begrenzung der Störfallauswirkungen nach § 3 Abs. 3 der 12. BImSchV im Einzelfall auch die Verpflichtung zur Einhaltung von Sicherheitsabständen umfassen (HessVGH vom 23.1.2001 und vom 21.2.2001 a.a.O.; NdsOVG vom 6.4.1984 a.a.O.; OVG NRW vom 18.7.1988 NVwZ 1989, 172; Nr. 1.2.1.2. Anhang zur Zweiten Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Störfall-Verordnung vom 27.4.1982 GMBl 1982 Seite 205; vgl. auch die Vollzugshilfe des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit vom März 2004, Anhang 1 Nr. 2.2.1 und den Abschlussbericht "Sicherheitsabstände als Schadensvorsorge" vom 2.5.1994 der Störfall-Kommission beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit - SFK-GS-04). Dabei ist zwischen der Einhaltung eines "technischen" Sicherheitsabstandes - beispielsweise zwischen einzelnen Teilen der Anlage - als Maßnahme im Sinn von § 3 Abs. 1 der 12. BImSchV zur Verhinderung von Störfällen und der Einhaltung eines Sicherheitsabstandes zur Begrenzung der Auswirkungen eines "Dennoch-Störfalls" als Maßnahme im Sinn von § 3 Abs. 3 der 12. BImSchV zu unterscheiden (vgl. Spindler, UPR 1997, 170).

Der Annahme, dass die Betreiberpflichten die Pflicht zur Einhaltung von Sicherheitsabständen umfassen können, steht nicht entgegen, dass Sicherheitsabstände weder in der die Anforderungen zur Verhinderung von Störfällen konkretisierenden Vorschrift des § 4 noch in der die Anforderungen zur Begrenzung von Störfallauswirkungen konkretisierenden Regelung des § 5 der 12. BImSchV aufgeführt sind. Beide Vorschriften treffen nämlich keine abschließende Regelung ("insbesondere"). Für die Annahme spricht hingegen der europarechtliche Hintergrund der Vorschriften. Die 12. BImSchV setzt die Richtlinie 96/82/EG des Rates vom 9. Dezember 1996 zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen (ABl. EG 1997 Nr. L 10 S. 13), geändert durch die Richtlinie 2003/105/EG des Rates vom 16. Dezember 2003 (ABl. EG 2003 Nr. L 345 S. 97), um. Artikel 1 der Richtlinie 96/82/EG verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Verhütung schwerer Unfälle mit gefährlichen Stoffen und zur Begrenzung der Unfallfolgen für Mensch und Umwelt, um auf abgestimmte und wirksame Weise in der Gemeinschaft ein hohes Schutzniveau zu gewährleisten. Artikel 5 normiert die allgemeine Betreiberpflicht, "alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um schwere Unfälle mit gefährlichen Stoffen zu verhüten und deren Folgen für Mensch und Umwelt zu begrenzen". Nach Art. 12 Abs. 1 Satz 3 der Richtlinie sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, unter anderem sicherzustellen, "dass zwischen den unter diese Richtlinie fallenden Betrieben einerseits und Wohngebieten ... andererseits ein angemessener Abstand gewahrt bleibt..."

(2) Nimmt man an, dass die Schutz- bzw. Gefahrverhinderungspflichten des Betreibers eines unter die 12. BImSchV fallenden Betriebsbereichs im Einzelfall auch die Pflicht zur Einhaltung eines auswirkungsbegrenzenden Sicherheitsabstandes jedenfalls von Wohnbebauung (und von entsprechend schutzbedürftiger Bebauung) umfassen, dann liegt es nahe, dass die Eigentümer von Grundstücken in dem in Betracht kommenden "Abstandsbereich" nach Maßgabe der Grundsätze des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots verpflichtet sein können, bei der baulichen Nutzung ihrer Grundstücke auf eine Wohnbebauung und eine andere entsprechend schutzbedürftige Bebauung zu verzichten, wenn der Betreiber den erforderlichen Abstand nicht auf den Betriebsgrundstücken einhalten kann. Denn Rücksicht muss nicht nur derjenige nehmen, von dessen Vorhaben Störungen oder Gefahren ausgehen können, sondern auch derjenige, der sich in einen Störungs- bzw. Gefahrenbereich begibt (vgl. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO).

bb) Auch unter diesen Prämissen wird die Klägerin durch die Vorbescheide und die Baugenehmigungen jedoch nicht ihren Rechten verletzt. Für die Bemessung eines auswirkungsbegrenzenden Sicherheitsabstandes kann ein Leitfaden der Störfall-Kommission herangezogen werden (1). Da der danach maßgebende, an sich für die Zwecke der Bauleitplanung bestimmte, aber entsprechend anwendbare "Achtungsabstand" eingehalten ist, sind die Beigeladenen zu 1 bis 3 nicht verpflichtet, auf die geplante Wohnbebauung aus Rücksicht auf die störfallrechtlichen Verpflichtungen der Klägerin zu verzichten (2). (1) Sicherheitsabstände zur Begrenzung der Auswirkungen von Störfällen sind nach dem Gefährdungspotenzial der Anlage, das heißt danach zu bemessen, mit welchen Auswirkungen nach der Beschaffenheit und der Lage der Anlage zu rechnen ist. Wie diese Abstände zu berechnen sind, ist gesetzlich nicht geregelt. Die Abstandsvorschriften des Bauordnungsrechts (Art. 6, Art. 7 BayBO), die im Wesentlichen nur eine ausreichende Belichtung und Lüftung des Baugrundstücks und der Nachbargrundstücke sicherstellen sollen (vgl. Art. 7 Abs. 1 Satz 2 BayBO), sind als Anhaltspunkt offensichtlich ungeeignet. Der Runderlass des Ministeriums für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft des Landes Nordrhein-Westfalen vom 2. April 1998 - Abstandserlass (MBl. NRW 1998 S. 744) für die Anwendung von § 50 BImSchG in Bauleitplanverfahren ist keine geeignete Grundlage für die Bestimmung störfallrechtlicher Sicherheitsabstände, weil dessen Empfehlungen nur zum Schutz vor Luftverunreinigungen und vor Lärm bestimmt sind (vgl. Nr. 2.1. und 2.2.1 des Abstandserlasses). Anhaltspunkte für die Bemessung des Sicherheitsabstandes lassen sich aber dem Leitfaden "Empfehlungen für Abstände zwischen Betriebsbereichen nach der Störfall-Verordnung und schutzbedürftigen Gebieten im Rahmen der Bauleitplanung - Umsetzung § 50 BImSchG" des Technischen Ausschusses für Anlagensicherheit der Störfall-Kommission beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (SFK/TAA) vom 18. Oktober 2005 entnehmen. Bei diesem Leitfaden handelt es sich um eine Arbeitshilfe für die Anwendung des Planungsgrundsatzes des § 50 Satz 1 BImSchG, dem zufolge bei raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen die für eine bestimmte Nutzung vorgesehenen Flächen (auch) so einander zuzuordnen sind, dass die Auswirkungen schwerer Unfälle im Sinne des Artikels 3 Nr. 5 der Richtlinie 96/82/EG soweit wie möglich vermieden werden (zu der Einschränkung "so weit wie möglich" vgl. BVerwG vom 22.3.1985 DVBl. 1985, 899).

Die Empfehlungen des Leitfadens unterscheiden zwischen der "Bauleitplanung ohne Detailkenntnisse" (Nr. 3) und der "Bauleitplanung mit Detailkenntnissen" (Nr. 4). Für erstere wird ein nach vier "Abstandsklassen" (200 m, 500 m, 900 m und 1.500 m) abgestufter "Achtungsabstand" als Richtwert empfohlen, der für wichtige "Leitstoffe" in einer Abbildung dargestellt ist (Seite 8 des Leitfadens). Andere Stoffe des Anhangs I der 12. BImSchV sind entsprechend ihren physikalischen und toxischen Eigenschaften einem "Leitstoff" und damit einer bestimmten Abstandsempfehlung zuzuordnen (Seite 7 des Leitfadens). Bei einer "Bauleitplanung mit Detailkenntnissen" (Planung in der Nachbarschaft eines bestehenden Betriebsbereichs, dessen Stoffe etc. bekannt sind) empfiehlt der Leitfaden eine Einzelfallbetrachtung mit einer systematischen Gefahrenanalyse, wenn die Entfernung zu dem schutzbedürftigen Gebiet geringer ist als der "Achtungsabstand" (Seite 11 f.). Der Bemessung der Abstände liegen bestimmte "Szenarien" für "Brände und Gaswolkenexplosionen" sowie für die "Freisetzung von toxischen Stoffen" zugrunde (Nr. 3.3). Jedoch bleiben besonders gravierende "Dennoch-Störfälle", wie das "Spontanversagen von Behältern" oder der "Abriss von großen Rohrleitungen" außer Betracht, weil der Eintritt solcher - vom Vertreter des Landesamts für Umwelt als "Großszenarien" bezeichneter - "Dennoch-Störfälle" in Anbetracht des durch die Anforderungen der 12. BImSchV gewährleisteten hohen Sicherheitsniveaus so unwahrscheinlich ist, dass es unverhältnismäßig wäre, sie bei der Bauleitplanung zu berücksichtigen (vgl. Nr. 3.2 des Leitfadens). Bei der Freisetzung von toxischen Stoffen (Nr. 3.3.2) beruht die Abstandsempfehlung auf dem in den Vereinigten Staaten von Amerika entwickelten ERPG-2-Wert (ERPG = Emergency Response Planning Guideline) als sogenannten Konzentrationsleitwert. Der ERPG-2-Wert ist wie folgt definiert:

"Die maximale luftgetragene Konzentration, bei der davon ausgegangen wird, dass unterhalb dieses Wertes beinahe sämtliche Personen bis zu einer Stunde lang exponiert werden können, ohne dass sie unter irreversiblen oder sonstigen schwerwiegenden gesundheitlichen Auswirkungen oder Symptomen leiden bzw. solche entwickeln, die die Fähigkeit einer Person beeinträchtigen könnten, Schutzmaßnahmen zu ergreifen."

Diese Annahmen erscheinen sachgerecht. Störfallrechtliche Sicherheitsabstände beruhen auf einer Bewertung der Wahrscheinlichkeit des Eintritts einer ernsten Gefahr als Folge eines Störfalls. Im Hinblick hierauf ist es einleuchtend, dass die dem Bereich des erwähnten "Restrisikos" zuzuordnenden "Großszenarien" mit einer sehr geringen Eintrittswahrscheinlichkeit zwar im Rahmen der externen Katastrophenschutzplanung zu berücksichtigen sind, aber bei den Abstandsempfehlungen für die Zwecke der Bauleitplanung außer Betracht bleiben. Die Heranziehung des ERPG-2-Werts bei der Freisetzung von toxischen Stoffen erläutert der Leitfaden selbst - überzeugend - damit, dass bei einer Überschreitung dieses Werts eine ernste Gefahr im Sinn von § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b der 12. BImSchV (Beeinträchtigung der Gesundheit einer großen Zahl von Menschen) besteht.

Auch wenn sich diese Empfehlungen an dem Planungsgrundsatz des § 50 Satz 1 BImSchG orientieren und daher als Beurteilungsmaßstab für Einzelvorhaben nur bedingt geeignet sind (vgl. auch Nr. 2.3.2. des Leitfadens), können sie als Anhaltspunkt für die Prüfung des Rücksichtnahmegebots herangezogen werden. Denn die den Abstandsempfehlungen zugrunde liegende bewertende Abschätzung, mit welcher Wahrscheinlichkeit und mit welchen Folgen Störfälle zu erwarten sind, ist auch ein sachgerechtes Kriterium für die bei der Prüfung des Rücksichtnahmegebots maßgebende abwägende Bewertung der für und gegen ein "heranrückendes" Wohnbauvorhaben sprechenden Gründe. Wird der "Achtungsabstand" eingehalten, dann sind die Auswirkungen eines schweren Unfalls in einem Betriebsbereich in einem benachbarten Gebiet grundsätzlich nicht so gravierend, dass es - unter Berücksichtigung der geringen Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines "Dennoch-Störfalls" - gerechtfertigt wäre, von einem Bauherrn aus Rücksicht auf den Betrieb einen Verzicht auf die Ausführung eines Wohnbauvorhabens zu verlangen. (2) Nach diesem Maßstab liegt kein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot vor, weil die im Leitfaden empfohlenen Sicherheitsabstände zu den Baugrundstücken deutlich unterschritten werden. Dies ergibt sich aus der Stellungnahme des Bayerischen Landesamts für Umwelt vom 12. Dezember 2005. In dieser wird auf Grundlage des Sicherheitsberichts der Klägerin unter Berücksichtigung der in dem Leitfaden empfohlenen Methode zur Bestimmung der relevanten Abstände festgestellt, dass die Entfernung zwischen den Grundstücken der Beigeladenen zu 1 bis 3 und dem Betriebsbereich der Klägerin, die nach den Plänen mindestens rund 270 m und - gemessen von der Hauptgefahrenquelle - mehr als 400 m beträgt, deutlich größer ist als der sich nach dem "Leitfaden" ergebende "Achtungsabstand" von - aufgerundet auf den Wert der einschlägigen "Abstandsklasse I" - 200 m.

Nach den überzeugenden Erläuterungen des Vertreters des Landesamts in der mündlichen Verhandlung und der hierzu übergebenen Ausarbeitung betrachtet die Stellungnahme als Störfall eine Freisetzung von Stickstoffoxiden bei einem Leck in einem im Freien in der Ladestation abgestellten, mit konzentrierter Salpetersäure gefüllten vollen Kesselwagen, weil von einem derartigen Ereignis die größte Gefahr ausgeht. Bei der Druckwirkung einer Explosion und der thermischen Wirkung eines Brandes ergeben sich nach den Erläuterungen keine größeren Abstände. Der Beurteilungswert für Stickstoffoxide, bei dessen Unterschreitung schwerwiegende gesundheitliche Gefahren nicht zu besorgen sind, beträgt nach der Stellungnahme 28,5 mg/m³. Nach den "Abstandsempfehlungen" des Leitfadens ist der Betriebsbereich damit der "Abstandsklasse I" (200 m) zuzuordnen, weil der "Achtungsabstand" für einen in der Tabelle aufgeführten "Referenzstoff" mit einer vergleichbaren Toxizität (Chlorwasserstoff mit einem Beurteilungswert von 30 mg/m³) innerhalb dieser Abstandsklasse, nämlich bei etwa 130 m bis 140 m liegt. Nach den auf den Betrieb bezogenen Berechnungen des Landesamts liegt die Immissionskonzentration bei der als Störfall betrachteten Freisetzung von Stickstoffoxiden in einer Entfernung von 200 m nur noch bei 14,7 mg/m³ und damit deutlich unter dem Beurteilungswert. Diese Vergleichsbetrachtung bestätigt, dass man mit der Heranziehung der "Abstandsempfehlungen" in diesem Fall "auf der sicheren Seite liegt" und dass die Wohnbauvorhaben deutlich außerhalb des Bereichs geplant sind, in dem auswirkungsbegrenzende Sicherheitsabstände berührt sein könnten.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und 3, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1, zu 3 und zu 4 entspricht der Billigkeit, weil diese Beigeladenen einen Antrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt haben. Die Beigeladenen zu 2 tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst, weil sie dieses Kostenrisiko nicht eingegangen sind. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.

Beschluss:

Bis zur Verbindung wird der Streitwert in den Verfahren 1 B 04.1232, 1 BV 03.2179, 1 BV 03.2180 und 1 BV 03.2181 auf jeweils 5.000 Euro, ab dem Zeitpunkt der Verbindung einheitlich auf 20.000 Euro festgesetzt (§ 72 Nr. 1 Halbsatz 1 GKG n. F., § 14 Abs. 1 Satz 1, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG a. F., § 5 ZPO in entsprechender Anwendung).

Ende der Entscheidung

Zurück