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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 03.02.2006
Aktenzeichen: 1 BV 05.613
Rechtsgebiete: BauNVO


Vorschriften:

BauNVO § 1 Abs. 4
BauNVO § 6
Das grundsätzliche Wahlrecht des Bauherrn zwischen Wohnnutzung und gewerblicher Nutzung in einem Mischgebiet ist Folge der Ausgestaltung dieses Gebietstypus durch die Baunutzungsverordnung. Soweit ein Mischgebiet in zulässiger Weise nach den Hauptnutzungsarten gegliedert wird, ist - als notwendige Kehrseite - die Wahlmöglichkeit des Bauherrn zwischen diesen Nutzungsarten eingeschränkt oder ausgeschlossen.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

1 BV 05.613

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Erteilung eines Vorbescheids für ein Wohngebäude (Fl.Nr. ***** Gemarkung A*******);

hier: Berufungen des Beklagten und des Beigeladenen gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 13. Januar 2005,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 1. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof König, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Müller, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Langer

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 24. Januar 2006

am 3. Februar 2006

folgendes Urteil:

Tenor:

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 13. Januar 2005 wird geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kläger tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen in beiden Rechtszügen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden, sofern der Beklagte oder der Beigeladene nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leisten.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Erteilung eines baurechtlichen Vorbescheids zur Errichtung eines Mehrfamilienhauses oder Reihenhauses auf dem Grundstück Fl.Nr. ***** Gemarkung A*******.

Das Grundstück der Kläger liegt westlich der S*********** Straße im Geltungsbereich des Bebauungsplans A******* *** ** ************ ***********" des Beigeladenen. Das etwa 1,4 ha große Plangebiet schließt sich südlich an zusammenhängende Bebauung an. Der Bebauungsplan setzt als Art der baulichen Nutzung "Mischgebiet" fest. Das Baugebiet ist einen (nördlichen) Teil, in dem Wohnungen nicht zulässig sind (MI 1 und MI 2), und in einen (südlichen) Teil, in dem allgemein nur Wohngebäude, "Geschäfts- und Bürogebäude" hingegen "nur ausnahmsweise" zulässig sind (MI 3), gegliedert. Der Bereich, in dem Wohnungen ausgeschlossen sind, ist in sich hinsichtlich des "Emissionsverhaltens" der Betriebe durch die Festsetzung von immissionswirksamen flächenbezogenen Schallleistungspegeln gegliedert. Das Baugebiet soll durch eine von der S*********** Straße abzweigende, entlang der nördlichen Geltungsbereichsgrenze verlaufende Stichstraße, die in einem "Wendehammer" endet, erschlossen werden.

Der am 19. Januar 1993 als Satzung beschlossene Bebauungsplan wurde nach Durchführung des Anzeigeverfahrens am 2. März 1993 in Kraft gesetzt. Die Ausfertigung erfolgte am 3. März 1993. Nach einem entsprechenden Gemeinderatsbeschluss vom 2. März 2004 wurde der Bebauungsplan am 3. März 2004 vom ersten Bürgermeister des Beigeladenen neu ausgefertigt und am 8. März 2004 rückwirkend zum 2. März 1993 in Kraft gesetzt. Die Ausfertigung und die Bekanntmachung wurden am 21. bzw. 23. Juni 2004 noch einmal wiederholt.

Für die überplanten Grundstücke wurde ein Umlegungsverfahren durchgeführt. Drei größere Parzellen im Plangebiet liegen jeweils in den Bereichen MI 1 (bzw. MI 2) und MI 3; zwei kleinere Parzellen liegen nur im Bereich MI 3. Die Kläger waren Eigentümer einer der drei größeren Parzellen. Sie haben ihr Grundstück geteilt und den südlichen, inzwischen mit zwei Doppelhäusern bebauten Teil veräußert (Fl.Nrn. ******, ******* ****** und ******). Bei dem nördlichen Teil handelt es sich um das streitgegenständliche Grundstück.

Auf einen früheren Vorbescheidsantrag hin hatte das Landratsamt D****** mit Bescheid vom 26. Februar 2002 dem Kläger zu 2 die Erteilung einer Baugenehmigung zur Errichtung eines Hotels mit Pension auf dem streitgegenständlichen Grundstück grundsätzlich in Aussicht gestellt. Hiergegen erhob ein Nachbar Anfechtungsklage zum Verwaltungsgericht (Az. M 11 K 02.5812). In dem Termin zum Augenschein und zur mündlichen Verhandlung wies das Gericht die Beteiligten dieses Verfahrens darauf hin, dass der Bebauungsplan nichtig sein dürfte, weil er erst nach seiner Bekanntmachung ausgefertigt worden sei. Ferner wies das Gericht darauf hin, dass es sich im Fall der Nichtigkeit um ein "faktisches" Mischgebiet handeln dürfte; demnach sei sowohl eine Bebauung mit Hotel und Pension als auch eine Wohnbebauung zulässig. Nachdem der (jetzige) Kläger zu 2 daraufhin erklärte, einen Vorbescheidsantrag für eine Wohnbebauung stellen zu wollen, wurde die Nachbarklage zurückgenommen und das Verfahren eingestellt.

Unter dem 25. Februar 2004 beantragten die Kläger die Erteilung eines Vorbescheids zur Errichtung eines Mehrfamilienhauses oder Reihenhauses auf dem Grundstück Fl.Nr. *****.

Mit Bescheid vom 5. April 2004 lehnte das Landratsamt den Vorbescheidsantrag ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass das Bauvorhaben der Festsetzung Nr. 3.2 des Bebauungsplans widerspreche. Für den Bereich MI 2, in dem sich das Baugrundstück befinde, sei eine Wohnbebauung ausdrücklich ausgeschlossen. Der Beigeladene habe eine Befreiung für eine Wohnbebauung abgelehnt, weil sich diese für die restliche zukünftige Bebauung im Bebauungsplangebiet bezüglich der Immissionsschutzwerte nachteilig auswirken könne und der Erhalt des Mischgebietscharakters im Bebauungsplangebiet gewünscht sei.

Den von den Klägern eingelegten Widerspruch wies die Regierung von ********** mit Widerspruchsbescheid vom 28. Mai 2004 zurück. Ergänzend zur Begründung des Ausgangsbescheids führte die Regierung aus, dass Verfahrensfehler bei der Bekanntmachung des Bebauungsplans gemäß § 215 a Abs. 2 BauGB geheilt seien. Auf Vertrauensschutz im Hinblick auf die Aussagen des Gerichts im Verfahren Az. M 11 K 02.5812 könnten sich die Kläger nicht mit Erfolg berufen.

Die von den Klägern erhobene Klage hatte Erfolg. Das Verwaltungsgericht München hob mit Urteil vom 13. Januar 2005 die Bescheide auf und verpflichtete den Beklagten, den Klägern den beantragten Vorbescheid zu erteilen. Der Bebauungsplan sei nicht anzuwenden, weil er nichtig sei. Die Gliederung in die Bereiche MI 1 und MI 2 einerseits sowie MI 3 andererseits verstoße gegen die allgemeine Zweckbestimmung eines Mischgebiets. Für diese seien ein gleichberechtigtes Nebeneinander von Wohnen und nichtstörenden Gewerbebetrieben sowie ein Wahlrecht des Bauherrn zwischen Wohnnutzung und gewerblicher Nutzung kennzeichnend. Großräumige Gliederungen, wie die hier getroffene, verstießen grundsätzlich gegen die Eigenart des Mischgebiets und führten mit diesem "Etikettenschwindel" zur Gesamtnichtigkeit der Bebauungsplanfestsetzungen. Es könne daher offen bleiben, ob darüber hinaus auch ein Verstoß gegen das Abwägungsgebot des § 1 Abs. 6 BauGB 1998 vorliege, weil mehrere Festsetzungen, auch soweit sie das Grundstück der Kläger beträfen, städtebaulich nicht nachvollziehbar seien. Das Vorhaben der Kläger sei bauplanungsrechtlich zulässig, weil die Eigenart der näheren Umgebung des Baugrundstücks einem Mischgebiet entspreche, in welchem die geplante Wohnbebauung erlaubt sei (§ 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 BauNVO). Für den Fall, dass man von einer Außenbereichslage ausgehen wollte, wären keine öffentlichen Belange im Sinne des § 35 Abs. 3 BauGB beeinträchtigt.

Der Beklagte und der Beigeladene haben die vom Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene Berufung eingelegt.

Der Beklagte macht geltend, dass der Bebauungsplan wirksam sei. Das Mischgebiet werde nicht unzulässig gegliedert. Bereits die geringe Größe lasse das Plangebiet nicht in zwei unterschiedliche Baugebiete (WA und GE) auseinander fallen. Es handele sich um eine kleinräumige Nutzungsdifferenzierung, die auch erforderlich sei, um das für ein Mischgebiet erforderliche Mischungsverhältnis zu gewährleisten. Bei einem Wahlrecht des Bauherrn zwischen Wohnnutzung und gewerblicher Nutzung sei im vorliegenden Fall nicht sichergestellt, dass ein beherrschendes Übergewicht einer Nutzungsart (Wohnen) vermieden und die gewollte Mischung der Nutzungsarten erreicht werde. Es liege auch kein "Etikettenschwindel" vor. Planerischer Wille der Gemeinde sei ein Mischgebiet. Wohn- und Gewerbebauten lägen - städtebaulich und immissionsschutzrechtlich richtig geordnet - in unmittelbarer Nachbarschaft und zudem größtenteils auf einem gemeinsamen Grundstück. Der Eindruck der Durchmischung werde durch die nördlich des Baugebiets vorhandene Mischbebauung noch verstärkt.

Auch der Beigeladene hält den Bebauungsplan für wirksam. Die allgemeine Zweckbestimmung des - vergleichsweise kleinen - Mischgebiets sei bei einer Gesamtbetrachtung gewahrt; dem Beigeladenen sei lediglich an einer klaren Strukturierung gelegen. Das grundsätzliche Wahlrecht zwischen Wohnnutzung und gewerblicher Nutzung sei kein konstituierendes Kennzeichen für ein Mischgebiet. Dies zeige sich gerade bei einer Umsetzung nicht gegliederter Mischgebiete nach dem "Windhundprinzip", bei dem die attraktivere Möglichkeit der Wohnnutzung in der Regel schnell erschöpft sei. Im übrigen habe der Beigeladene die Gliederung überwiegend so vorgenommen, dass jeder Grundstückseigentümer sowohl Baurecht für eine gewerbliche Nutzung als auch für eine Wohnnutzung erhalten habe; das Wahlrecht sei damit weit besser gesichert als bei einem "offenen" Mischgebiet. Städtebauliche Gründe für die Gliederung seien die Förderung des Mischungsverhältnisses sowie der Schutz des Ortsbilds (Blick auf Kloster und Kirche) dadurch, dass der Bebauungsplan im südlichen, einen Ortsrand bildenden Teil (MI 3) vor allem Wohnbebauung festsetzt. Der Bebauungsplan sei im Hinblick auf die Gliederung auch abwägungsfehlerfrei erlassen worden.

Der Beklagte und der Beigeladene beantragen,

das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 13. Januar 2005 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie treten den Argumenten des Beklagten und des Beigeladenen entgegen und verteidigen das angefochtene Urteil. Das Gebiet des Bebauungsplans sei bei einer Größe von knapp 1,5 ha nicht als klein-, sondern als großflächig einzustufen; es liege deshalb keine kleinräumige Nutzungsdifferenzierung, sondern eine unzulässige großräumige horizontale Gliederung vor. Die Gliederung könne auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Ausweisung einer "Pufferfläche" gerechtfertigt werden. Der strikte Ausschluss von Wohnbebauung in MI 1 und MI 2, der nicht einmal ein "Mindestmaß an Wahlrecht" belasse, werde nicht dadurch kompensiert, dass in MI 3 Geschäfts- und Bürogebäude ausnahmsweise zugelassen werden können. Die städtebaulichen Gründe zur Rechtfertigung der Gliederung griffen nicht durch. Eine "natürliche Mischung" werde durch die strikte Gliederung gerade nicht erreicht. Das Ortsbild sei nicht hinreichend schutzwürdig, weil der freie Blick auf den historischen Ort bereits durch ein vorhandenes Gewerbegebiet 150 m südlich des Plangebiets verbaut sei. Der Ausschluss von Wohnnutzung auf dem Grundstück der Kläger verletze das Abwägungsgebot.

Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten (einschließlich der vom Verwaltungsgericht beigezogenen Gerichtsakte des Verfahrens Az. M 11 K 02.5812) und auf die von dem Beklagten und dem Beigeladenen vorgelegten Behördenakten (einschließlich der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Bebauungsplanakten) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässigen Berufungen sind begründet.

Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten zu Unrecht zur Erteilung des Vorbescheids für die Errichtung eines Mehrfamilienhauses oder Reihenhauses auf dem Grundstück Fl.Nr. ***** verpflichtet. Die Kläger haben keinen Anspruch auf den Vorbescheid (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO), weil das Bauvorhaben bauplanungsrechtlichen Vorschriften widerspricht (Art. 75 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Halbsatz 1, Art. 72 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 BayBO). Das Vorhaben ist gemäß § 30 Abs. 1 BauGB nach den Festsetzungen des Bebauungsplans A******* Nr. ** zu beurteilen. Dieser ist entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts wirksam (1.). Das Vorhaben ist unzulässig, weil es den Festsetzungen widerspricht und eine Befreiung (§ 31 Abs. 2 BauGB) nicht erteilt werden kann (2.).

1. Der Bebauungsplan A******* Nr. ** "Mischgebiet Falteräcker" in der am 21. Juni 2004 ausgefertigten und am 23. Juni 2004 rückwirkend zum 2. März 1993 in Kraft gesetzten Fassung ist wirksam.

a) Ein rechtlich erheblicher Verstoß gegen Verfahrens- oder Formvorschriften liegt nicht vor. Die Ausfertigung (Art. 26 Abs. 2 Satz 1 GO) der ursprünglichen Fassung des Bebauungsplans war zwar nicht wirksam, weil sie erst nach der Bekanntmachung des Bebauungsplans erfolgt war (vgl. BVerwG vom 9.5.1996 NVwZ-RR 1996, 630). Diesen Mangel hat der Beigeladene aber in dem ergänzenden Verfahrens behoben (§ 215 a Abs. 2, § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB 1998). Die für die gerichtliche Entscheidung maßgebliche Fassung wurde vor der rückwirkenden Inkraftsetzung zum 2. März 1993 ausgefertigt. Ein erneutes Aufstellungsverfahren oder eine erneute Abwägungsentscheidung durch den Beigeladenen waren nicht erforderlich (vgl. BVerwG vom 10.8.2000 NVwZ 2001, 203).

b) Der Bebauungsplan verstößt auch nicht gegen materielles Recht. Die zwischen den Beteiligten besonders umstrittene horizontale Gliederung des Baugebiets in drei Teilbereiche ist mit den Vorschriften der Baunutzungsverordnung vereinbar; sie widerspricht insbesondere nicht der allgemeinen Zweckbestimmung des Mischgebiets (aa). Auch im Übrigen ist der Bebauungsplan materiell rechtmäßig (bb).

aa) Gemäß § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauNVO können im Bebauungsplan für die in den §§ 4 bis 9 BauNVO bezeichneten Baugebiete Festsetzungen getroffen werden, die das Baugebiet nach der Art der zulässigen Nutzung gliedern. Die Gliederung muss für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich sein (§ 1 Abs. 3 BauGB). Darüber hinaus muss die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebiets gewahrt bleiben. Diese Einschränkung ist auch bei den Ermächtigungen des § 1 Abs. 4 bis 10 BauNVO zu beachten, bei denen sie, wie bei der Gliederung des Baugebiets nach § 1 Abs. 4 Satz 1 BauNVO, nicht ausdrücklich geregelt ist. Nicht jeder Teilbereich des gegliederten Baugebiets muss - für sich allein betrachtet - alle Anforderungen der allgemeinen Zweckbestimmung des Baugebiets erfüllen. Erforderlich, aber auch ausreichend ist vielmehr, dass das gegliederte Baugebiet bei einer Gesamtbetrachtung noch seinen Gebietscharakter bewahrt (vgl. BVerwG vom 22.12.1989 NVwZ-RR 1990, 171; BayVGH vom 3.8.2000 NVwZ-RR 2001, 224 = BayVBl 2001, 400; BayVGH vom 12.9.2000 BayVBl 2001, 630).

Die allgemeine Zweckbestimmung eines Baugebiets ergibt sich im Grundsatz aus der jeweiligen Beschreibung des Baugebiets im Sinne des § 1 Abs. 2 BauNVO und der über § 1 Abs. 3 BauNVO in Bezug genommenen Regelung der §§ 2 ff. BauNVO (vgl. BVerwG vom 22.12.1989 a.a.O.). Mischgebiete dienen nach § 6 Abs. 1 BauNVO dem Wohnen und der Unterbringung von Gewerbebetrieben, die das Wohnen nicht wesentlich stören. Das Mischgebiet ist nach seiner typischen Eigenart also für Wohnen und nichtstörendes Gewerbe gleichermaßen offen; beide Nutzungsarten stehen als gleichwertige Funktionen nebeneinander (vgl. BVerwG vom 4.5.1988 BVerwGE 79, 309/311). Folge dieser allgemeinen Zweckbestimmung ist, dass dem Bauherrn grundsätzlich ein Wahlrecht zwischen Wohnnutzung und gewerblicher Nutzung zukommt (vgl. BayVGH vom 3.8.2000 und vom 12.9.2000, a.a.O.). Das gleichwertige Nebeneinander zweier Nutzungsarten bedeutet aber auch, dass keine der Nutzungsarten ein deutliches - quantitatives oder qualitatives - Übergewicht über die andere gewinnen soll; es setzt eine wechselseitige Rücksichtnahme der einen Nutzung auf die andere und deren Bedürfnisse voraus (vgl. BVerwG vom 4.5.1988, a.a.O.). Bereits hierdurch wird das grundsätzliche Wahlrecht des Bauherrn eingeschränkt.

Die allgemeine Zweckbestimmung des Mischgebiets schließt nicht aus, dass Mischgebiete auch nach ihren Hauptnutzungsarten gegliedert werden (vgl. BayVGH vom 3.8.2000 und vom 12.9.2000, a.a.O.). So kommt die Gliederung eines Mischgebiets durch einen teilweisen Ausschluss der Wohnnutzung in Betracht, wenn es nur um einen Randstreifen in Grundstückstiefe als "Pufferzone" zu einem angrenzenden Gewerbegebiet oder um eine kleinräumige Nutzungsdifferenzierung geht (vgl. Fickert/Fieseler, BauNVO, 10. Aufl., § 1 RdNr. 83.1; Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 6 BauNVO, RdNr. 13). Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht (vom 25.3.1994 NVwZ 1995, 714) hat es nicht für ausgeschlossen gehalten, dass für ein kleineres Mischgebiet auch bei Aufteilung in einen Gewerbe- und einen Wohnteil der einheitliche Gebietscharakter des Mischgebiets gewahrt sein könne. Der Verwaltungsgerichtshof hat eine solche Aufteilung in dem Fall eines sehr kleinen Mischgebiets (Fläche 0,3 ha) für zulässig erachtet (BayVGH vom 12.9.2000, a.a.O.). Für unzulässig gehalten wird dagegen, ein größeres Mischgebiet derart zu gliedern, dass in einem Teilbereich nur Wohnungen, in dem anderen nur Gewerbebetriebe zulässig sein sollen (vgl. Fickert/Fieseler a.a.O.). Gleiches soll gelten, wenn bei einem größeren Mischgebiet für den überwiegenden Bereich eine der Hauptnutzungsarten ausgeschlossen wird (vgl. Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 1 BauNVO, RdNr. 331; Boeddinghaus/Dickmann, BauNVO, 3. Aufl., § 1 RdNr. 64). Der Verwaltungsgerichtshof hat im Falle eines größeren Mischgebiets (Fläche 2,1 ha) entschieden, dass der Ausschluss einer der beiden Hauptnutzungsarten in mehr als die Hälfte des Gebiets gegen die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebiets verstößt (BayVGH vom 3.8.2000, a.a.O.).

Die in Rechtsprechung und Literatur genannten Kriterien und Gesichtspunkte dürfen allerdings nicht verabsolutiert werden. Sie geben Anhaltspunkte für die Beurteilung eines horizontal gegliederten Mischgebiets. Maßgebend ist jedoch letztlich, ob bei einer Gesamtbetrachtung im konkreten Einzelfall die allgemeine Zweckbestimmung des Mischgebiets, also das prinzipiell gleichwertige und gleichgewichtige Nebeneinander von Wohnen und nicht wesentlich störenden Gewerbebetrieben, gewahrt ist.

Nach diesen Maßstäben ist die im Bebauungsplan vorgenommene horizontale Gliederung des Baugebiets zulässig. Sie ist durch hinreichende städtebauliche Gründe getragen (§ 1 Abs. 3 BauGB) und wahrt die allgemeine Zweckbestimmung des Mischgebiets.

Nach der planerischen Vorstellung des Beigeladenen soll sich die gewerbliche Nutzung im nördlichen Bereich des Baugebiets ansiedeln, der durch das angrenzende "faktische" Mischgebiet mit einem Gewerbebetrieb geprägt ist und der unmittelbar durch die Stichstraße erschlossen werden soll. Die Situierung der Wohnbebauung in dem südlichen Bereich und am westlichen Rand des Baugebiets zielt vor allem darauf, das Ortsbild mit der auf einer Anhöhe gelegenen Kloster- und Kirchenanlage von Süden her positiv zu gestalten und von Beeinträchtigungen durch Gewerbebetriebe nach Möglichkeit freizuhalten. Diese legitime Zielsetzung wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass sich weiter südlich noch ein Gewerbegebiet befindet. Denn dieses ist von dem Mischgebiet deutlich abgesetzt. Die dazwischen liegende Fläche ist im Flächennutzungsplan als landwirtschaftliche Fläche dargestellt und an ihrem Südrand inzwischen als Grünzug gestaltet. Dies belegt, dass der Beigeladene seine städtebauliche Konzeption der Ortsrandgestaltung auch umsetzt.

Trotz der schematisch wirkenden Gliederung bleibt bei einer Gesamtbetrachtung die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebiets als Mischgebiet gewahrt. Die als Mischgebiet festgesetzte Fläche ist mit 0,95 ha (vgl. Begründung zum Bebauungsplan, S. 11) vergleichsweise klein. Sie wird nur durch eine kurze Stichstraße mit Wendeschleife entlang der nördlichen Grenze des Plangebiets bis ungefähr zu dessen Mitte erschlossen. Wohnnutzung und gewerbliche Nutzung sind etwa gleichgewichtig vertreten. Außer auf dem südlich der Wendeschleife gelegenen Grundstück grenzt überall sonst die Wohnnutzung unmittelbar an eine gewerbliche Nutzung. Bei den drei größeren Grundstücken (Parzellen 1, 2 und 4 des Bebauungsplans) sind zudem Wohnnutzung und gewerbliche Nutzung einander auf demselben Grundstück zugeordnet, was den Mischgebietscharakter unterstreicht. Ein "Auseinanderfallen" des Mischgebiets in ein allgemeines Wohngebiet einerseits und in ein Gewerbegebiet andererseits ist angesichts dieser Verhältnisse nicht zu befürchten.

Die Wahrung der allgemeinen Zweckbestimmung des Mischgebiets wird schließlich nicht dadurch in Frage gestellt, dass infolge der Gliederung des Baugebiets ein Wahlrecht zwischen den Nutzungsarten - abgesehen von der ausnahmsweisen Zulässigkeit von Geschäfts- und Bürogebäuden im Bereich MI 3 - nicht mehr gegeben ist. Das grundsätzliche Wahlrecht des Bauherrn zwischen Wohnnutzung und gewerblicher Nutzung in einem Mischgebiet ist, wie dargelegt, Folge der Ausgestaltung dieses Gebietstypus durch die Baunutzungsverordnung. Damit wird der Umfang des Wahlrechts auch durch die Möglichkeiten der "Feinsteuerung" bestimmt, zu denen die Baunutzungsverordnung die Gemeinde in § 1 Abs. 4 bis 10 ermächtigt. Aus dem Wahlrecht des Bauherrn ergeben sich somit keine zusätzlichen rechtlichen Anforderungen an die Zulässigkeit einer Gliederung des Baugebiets. Soweit, wie hier, ein Mischgebiet in zulässiger Weise nach den Hauptnutzungsarten gegliedert wird, ist vielmehr - als notwendige Kehrseite - die Wahlmöglichkeit des Bauherrn zwischen den Nutzungsarten eingeschränkt oder ausgeschlossen.

bb) Auch im Übrigen verstößt der Bebauungsplan nicht gegen materielles Recht.

Ob auch die auf § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauNVO gestützte Gliederung des nördlichen Teils des Baugebiets durch die Festsetzung von immissionswirksamen flächenbezogenen Schallleistungspegel wirksam ist, kann offen bleiben, weil die Unwirksamkeit dieser Festsetzungen nicht die Unwirksamkeit der Mischgebietsausweisung zur Folge hätte. Bedenken gegen die Wirksamkeit der Schallleistungspegelfestsetzungen bestehen, weil die Fläche, auf die sich die Festsetzung bezieht, und das Berechnungsverfahren nicht im Bebauungsplan geregelt sind (vgl. BayVGH vom 8.7.2004 Az. 1 N 01.590). Diese beiden für den Vollzug einer Festsetzung immissionswirksamer flächenbezogener Schallleistungspegel erforderlichen Parameter lassen sich auch nicht der Begründung zum Bebauungsplan entnehmen. Erst die dort in Bezug genommene schalltechnische Untersuchung ergibt, dass sich die Berechnung auf die in den Bereichen MI 1 und MI 2 innerhalb der Baugrenzen gelegenen Flächen bezieht und dass die VDI-Richtlinie 2714 zugrunde zu legen ist (vgl. den Lageplan mit den "gewerblich nutzbaren Teilflächen" sowie Blatt 11 der Untersuchung). Dies dürfte den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Bestimmtheit bauleitplanerischer Festsetzung widersprechen. Der Mangel würde aber nur zur Unwirksamkeit der Schallleistungspegelfestsetzungen führen. Die mit den Festsetzungen bezweckten Einschränkungen der gewerblichen Nutzung, die in der Begründung zum Bebauungsplan erläutert werden (Seite 7), ergeben sich im Wesentlichen bereits aus dem Zweck eines Mischgebiets, das nur für das Wohnen nicht wesentlich störende Gewerbebetriebe bestimmt ist. Ob eine darüber hinausgehende "Feinsteuerung" der in dem gewerblichen Teil zulässigen Vorhaben mit Rücksicht auf die benachbarte Wohnbebauung erforderlich ist, erscheint im Hinblick darauf, dass ein Nebeneinander von Wohngebiet und Mischgebiet grundsätzlich unproblematisch ist, fraglich. Jedenfalls aber ließe sich diese "Feinsteuerung" auch über § 15 Abs. 1 BauNVO erreichen. Dies rechtfertigt die Annahme, dass die Baugebietsfestsetzung in Bezug auf die Schallleistungspegelfestsetzungen nicht nur objektiv teilbar ist, sondern dass der Beigeladene das Mischgebiet im Zweifel auch ohne eine zusätzliche, auf die Schallleistung abstellende Gliederung ausgewiesen hätte (vgl. BVerwG vom 18.7.1989 BVerwGE 82, 225 = NVwZ 1990, 157).

Der Bebauungsplan verstößt schließlich nicht gegen das Gebot, die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen (§ 1 Abs. 6 BauGB 1998). Es mag sein, dass für das Grundstück der Kläger im Hinblick auf die sich nördlich entlang der S*********** Straße anschließende Wohnbebauung auch eine Zuordnung zu dem in erster Linie für Wohngebäude vorgesehenen Teil des Plangebiets in Betracht gekommen wäre und dass die Parzelle 5 auch in den Bereich MI 1 hätte einbezogen werden können. Das macht die Planung aber nicht fehlerhaft, weil es sich nicht um eindeutig vorzugswürdige Lösungen handelt. Vielmehr konnte die Gemeinde im Rahmen der Abwägung auch die beabsichtigte Umlegung berücksichtigen, durch die ihr Konzept, auf drei großen Parzellen jeweils eine Gewerbefläche im nördlichen Bereich und eine für das Wohnen vorgesehene Fläche im südlichen Bereich miteinander zu verbinden, umgesetzt wurde.

2. Die Zulässigkeit des Vorhabens, für das die Kläger einen Vorbescheid begehren, beurteilt sich gemäß § 30 Abs. 1 BauGB somit ausschließlich nach den Festsetzungen des Bebauungsplans. Die Errichtung eines Mehrfamilienhauses oder Reihenhauses auf dem Grundstück Fl.Nr. ***** widerspricht der Festsetzung Nr. 3.2 des Bebauungsplans, nach der im Abschnitt MI 2 Wohnungen nicht zulässig sind. Die Voraussetzungen für eine Befreiung von den Festsetzungen (§ 31 Abs. 2 BauGB) sind nicht erfüllt.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 159 Satz 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Erstattung der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen entspricht der Billigkeit, weil der Beigeladene in beiden Rechtszügen einen Antrag gestellt bzw. ein Rechtsmittel eingelegt und damit ein eigenes Kostenrisiko übernommen hat (§ 154 Abs. 3 VwGO).

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.

Beschluss:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 30.000 Euro festgesetzt (§ 72 Nr. 1 Halbsatz 2, § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 GKG).

Ende der Entscheidung

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