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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 11.10.2007
Aktenzeichen: 1 CS 07.1658
Rechtsgebiete: VwGO, BauGB, BauNVO, TA Lärm


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 5
VwGO § 80 a Abs. 3
VwGO § 146 Abs. 4
BauGB § 34 Abs. 1
BauGB § 34 Abs. 2
BauNVO § 5 Abs. 1
BauNVO § 6 Abs. 1
TA Lärm Nr. 3.2.1
TA Lärm Nr. 4.2
TA Lärm Nr. 6.1 Satz 1 Buchst. c
TA Lärm Nr. 6.1 Satz 2
TA Lärm Nr. 6.7
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

1 CS 07.1658

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Anfechtung einer Baugenehmigung für den Anbau einer Zimmereiwerkstatt auf Fl.Nr. ***** Gemarkung ************* (Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs);

hier: Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 18. Juni 2007,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 1. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof König, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Müller, der Richter am Verwaltungsgerichtshof Priegl

ohne mündliche Verhandlung am 11. Oktober 2007

folgenden Beschluss:

Tenor:

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.

III. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 3.750 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für den Anbau einer Zimmereiwerkstatt an ein landwirtschaftliches (Wohn- und Wirtschafts-)Gebäude.

1. Die Antragstellerin ist Eigentümerin des unbebauten Grundstücks Fl.Nr. ***/10 Gemarkung O************. Nordwestlich grenzt das Grundstück Fl.Nr. ***/2 des Beigeladenen an, das in seiner südlichen Hälfte mit einem Wohngebäude und einem landwirtschaftlichen (Wohn- und Wirtschafts-)Gebäude bebaut ist. Der Beigeladene betreibt auf dem Grundstück eine Landwirtschaft im Nebenerwerb und eine (bauaufsichtlich nicht genehmigte) Zimmerei. Nördlich der beiden Grundstücke befinden sich ein Betrieb für die Herstellung von Drahtwaren (Fl.Nr. ***/7), eine Schlosserei (Fl.Nrn. ***/8 und ***/9) und ein Busunternehmen (Fl.Nr. ***/5). Südwestlich des Grundstücks des Beigeladenen befindet sich ein landwirtschaftlicher Betrieb (Fl.Nr. ***). Die Grundstücke westlich und nordwestlich des Grundstücks des Beigeladenen (Fl.Nrn. ***/2, ***/14) sowie östlich des Grundstücks der Antragstellerin (Fl.Nrn. ***/4, ***) sind mit Wohnhäusern bebaut. Südlich befinden sich ein landwirtschaftliches Nebengebäude (Fl.Nr. ***/21), ein Wohnhaus (Fl.Nr. ***/22) und eine Gaststätte (Fl.Nr. ***/5).

Sämtliche Grundstücke liegen im Gemeindeteil Heutau der Gemeinde Siegsdorf im Geltungsbereich einer Satzung nach § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB a. F..

Mit Bescheid vom 4. April 2007 erteilte das Landratsamt Traunstein dem Beigeladenen mit immissionsschutzrechtlichen Auflagen die Baugenehmigung für die "Erweiterung des bestehenden Gebäudes durch Anbau einer Zimmereiwerkstatt". Nach den genehmigten Bauvorlagen soll der Anbau eine 62,18 m² große Abbund- und Lagerhalle und eine 27,29 m² große Garage umfassen. In Nr. 2 b) des Bescheids ist bestimmt, dass "aufgrund der Summenwirkung mit den Lärmimmissionen der im Umfeld bereits bestehenden Betriebe auf dem Grundstück Fl.Nr. ***/10 ... in einem Mindestabstand von 3 m zur Grundstücksgrenze ... tagsüber der um 3 dB(A) reduzierte Immissionsrichtwert für ein Dorfgebiet einzuhalten" ist. In Nr. 2 c) ist festgelegt, dass kurzzeitige Geräuschspitzen am Tag nicht mehr als 90 dB(A) betragen dürfen; "zur Konkretisierung dieser Forderung" ist unter anderem bestimmt, dass "das Bauvorhaben antragsgemäß als Zimmereiwerkstatt zu errichten und zu betreiben" sei, dass "lärmintensive Arbeiten nur bei geschlossenen Hallentoren durchgeführt" werden dürfen und dass "lärmintensive Arbeiten im Freien mit Handmaschinen zu unterbleiben" haben.

Die Antragstellerin erhob gegen die Baugenehmigung Widerspruch und beantragte beim Verwaltungsgericht München vorläufigen Rechtsschutz. Mit Beschluss vom 18. Juni 2007 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus: Der Widerspruch habe voraussichtlich keinen Erfolg. Die Antragstellerin könne sich nicht auf einen Anspruch auf Wahrung der Gebietsart berufen, weil die nähere Umgebung des Baugrundstücks keinem Baugebiet nach der Baunutzungsverordnung entspreche. Es handle sich um eine Gemengelage. Ein faktisches allgemeines Wohngebiet scheide aus, weil sich im Umgriff des Grundstücks neben Wohngebäuden auch Gewerbebetriebe befänden. Außerdem prägten die Landwirtschaft auf dem Grundstück Fl.Nr. *** sowie die Nebenerwerbslandwirtschaft und die Zimmerei auf dem Grundstück des Beigeladenen die maßgebliche Umgebung. Dass die Zimmerei bauaufsichtlich nicht genehmigt worden sei, sei unerheblich. Die Genehmigung des streitgegenständlichen Erweiterungsbaus belege, dass sich die Behörde mit dem Vorhandensein der Zimmerei abgefunden habe. Die Umgebungsbebauung stelle sich auch nicht als faktisches Dorfgebiet dar. Es könne dahinstehen, ob die Schlosserei als ein der Versorgung der Bewohner dienender Handwerksbetrieb oder als störender Gewerbebetrieb einzustufen sei. Ein faktisches Dorfgebiet liege jedenfalls deswegen nicht vor, weil das Gebiet nicht ausreichend durch land- oder forstwirtschaftliche Betriebe geprägt sei. Ein faktisches Mischgebiet liege nicht vor, weil es sich bei der Schlosserei, dem Betrieb zur Herstellung von Drahtwaren und der Zimmerei nach der gebotenen typisierenden Betrachtungsweise um Gewerbebetriebe handle, die das Wohnen nicht nur unwesentlich störten und die deshalb im Mischgebiet nicht zulässig seien. Ein Abwehrrecht aufgrund des Gebots der Rücksichtnahme stehe der Antragstellerin ebenfalls nicht zu. Bei dem im Baugenehmigungsbescheid vorgegebenen Immissionsrichtwert von 57 dB(A) handle es sich um einen angemessenen Zwischenwert im Sinne einer nach der TA Lärm bei Gemengelagen vorzunehmenden Mittelwertbildung. Nach der Schutzwürdigkeit des Gebiets sei grundsätzlich von dem Richtwert für ein allgemeines Wohngebiet von 55 dB(A) auszugehen. Da das Gebiet aber auch durch Gewerbebetriebe geprägt sei, sei eine Erhöhung um 2 dB(A) geboten. Dass das Landratsamt bei der Bestimmung des Immissionsrichtwerts fehlerhaft ein faktisches Dorfgebiet zugrunde gelegt habe, sei unerheblich. Bedenken begegne allerdings der im Bescheid festgelegte Spitzenpegelwert. Da auch insoweit ein Zwischenwert hätte gebildet werden müssen, hätte dieser Wert auf höchstens 87 dB(A) festgesetzt werden dürfen. Dieser Mangel sei aber unschädlich, wenn der zulässige Spitzenwert tatsächlich eingehalten würde. Ob dies der Fall sei, könne anhand des vorliegenden schalltechnischen Gutachtens nicht überprüft werden. Da die Erfolgsaussichten des Widerspruchs insoweit offen seien, sei eine Interessenabwägung vorzunehmen. Diese falle infolge der § 212 a Abs. 1 BauGB zugrunde liegenden Wertung, dass das Vollzugsinteresse grundsätzlich Vorrang habe, zugunsten des Beigeladenen aus. Im Übrigen werde den Interessen der Antragstellerin durch die immissionsschutzrechtlichen Auflagen entsprochen. Hinsichtlich der Vollzugsfähigkeit der Auflagen bestünden keine Bedenken. Dass der maßgebliche Immissionsrichtwert am Grundstück der Antragstellerin nur knapp eingehalten und bei einer Erweiterung des Betriebes möglicherweise überschritten werde, mache das Vorhaben für die Antragstellerin nicht unzumutbar. Die Nichtberücksichtigung der Vorbelastung durch die umliegenden Gewerbebetriebe sei ebenfalls nicht fehlerhaft, weil die von dem Bauvorhaben ausgehenden Lärmimmissionen nach dem immissionstechnischen Gutachten den gebietstypischen Immissionsrichtwert um mehr als 6 dB(A) unterschritten und deshalb nicht ermittelt werden müssten.

2. Mit der Beschwerde wendet sich die Antragstellerin gegen diese Entscheidung. Sie macht geltend: Das Bauvorhaben verletze ihren Anspruch auf Wahrung der Gebietsart. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei die Umgebungsbebauung nicht als Gemengelage, sondern als faktisches Dorfgebiet, jedenfalls aber als Mischgebiet einzustufen. Das Gericht sei von falschen Tatsachen ausgegangen. Die Zimmerei des Beigeladenen sei für die Einstufung unmaßgeblich, weil sie nicht genehmigt sei. Fehlerhaft sei auch die Annahme des Gerichts, dass die nähere Umgebung des Baugrundstücks nicht ausreichend durch land- und forstwirtschaftliche Betriebe geprägt sei. Es werde eine Vollerwerbslandwirtschaft auf dem Grundstück Fl.Nr. *** und eine Nebenerwerbslandwirtschaft auf dem Grundstück des Beigeladenen betrieben. Jedenfalls liege ein faktisches Mischgebiet vor. Die Schlosserei, die im Übrigen nicht mehr zur näheren Umgebung des Baugrundstücks gehöre, sei kein das Wohnen wesentlich störender Gewerbebetrieb. Das Bauvorhaben verstoße auch gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Das Verwaltungsgericht hätte die Vorbelastung berücksichtigen müssen. Das Lärmschutzgutachten sei insoweit nicht maßgeblich, weil es von dem für ein Dorfgebiet maßgebenden Immissionsgrenzwert von 60 dB(A) und nicht von dem vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegten Mittelwert von 57 dB(A) ausgehe. Unter Berücksichtigung der Vorbelastung ergebe sich ein maximal zulässiger Wert von 54 dB(A). Dieser werde auf dem Grundstück der Antragstellerin nicht eingehalten. Auch seien mögliche Erweiterungen der Zimmerei nicht berücksichtigt worden. Dass es sich lediglich um einen Ein-Mann-Betrieb handeln dürfe, sei in der Baugenehmigung nicht festgelegt worden. Schließlich sei anzunehmen, dass Arbeiten auch außerhalb der Werkstatt durchgeführt würden. Aufgrund der geringen Größe der Werkstatt könnten Abbundarbeiten innerhalb der Werkstatt nicht ausgeführt werden. Dem ursprünglichen Bauantrag, der auf die Genehmigung einer Abbundhalle gerichtet gewesen sei, sei nicht entsprochen worden.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 18. Juni 2007 zu ändern und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 4. April 2007 anzuordnen.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Umgebungsbebauung sei als faktisches Dorfgebiet einzustufen. Der landwirtschaftliche Betrieb auf dem Grundstück Fl.Nr. *** habe deutlich ortsprägende Ausmaße. Auch die Nebenerwerbslandwirtschaft des Beigeladenen werde weiter betrieben. Selbst wenn man aber annehme, dass eine Gemengelage vorliege, halte das Bauvorhaben die erforderlichen Lärmgrenzwerte ein. Die bereits bestehende Zimmerei auf dem Baugrundstück sei für die Gebietseinstufung heranzuziehen, weil sie geduldet werde. Auf ein bauaufsichtliches Einschreiten sei wegen fehlender Nachbarbeschwerden verzichtet worden. Die Auflagen im Genehmigungsbescheid seien vollzugsfähig. Künftige Entwicklungen des Betriebes seien nicht Gegenstand der Baugenehmigung. Das Landratsamt habe sich bei der Erteilung der Baugenehmigung hinsichtlich des Umfangs des Betriebes zu Recht an der Betriebsbeschreibung orientiert.

Der Beigeladene hat sich nicht geäußert.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die Baugenehmigungsakte Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Sie ist zulässig, aber nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die im vereinfachten Verfahren erteilte Baugenehmigung vom 4. April 2007 anzuordnen, im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Dem nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO für die Beschwerdeentscheidung in erster Linie (zu dieser Einschränkung vgl. BayVGH vom 27.8.2002 BayVBl 2003, 304; vom 10.7.2006 - 1 CS 06.407) maßgebenden Beschwerdevorbringen ist nach summarischer Prüfung nicht zu entnehmen, dass die Baugenehmigung gegen Rechte der Antragstellerin schützende Vorschriften verstößt, die im vereinfachten Genehmigungsverfahren zu prüfen sind (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, Art. 72 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Art. 73 Abs. 1 BayBO). Der Antragstellerin steht mit großer Wahrscheinlichkeit ein Abwehrrecht gegen den Anbau der Zimmereiwerkstatt weder aufgrund eines Gebietsbewahrungsanspruchs (1.) noch aufgrund des nachbarschützenden bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots (2.) zu. Auch die weiteren Einwände der Antragstellerin gegen die Baugenehmigung greifen nicht durch (3.).

1. Die Antragstellerin hat gegen das Bauvorhaben wohl kein Abwehrrecht aufgrund eines Gebietsbewahrungsanspruchs.

Der Gebietsbewahrungsanspruch gibt den Eigentümern von Grundstücken in einem durch Bebauungsplan festgesetzten Baugebiet (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB, § 1 Abs. 3 BauNVO) oder in einem "faktischen" Baugebiet (§ 34 Abs. 2 BauGB) das Recht, sich gegen hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung nicht zulässige Vorhaben zur Wehr zu setzen. Der Anspruch beruht auf der Erwägung, dass die Grundstückseigentümer durch die Lage ihrer Anwesen in demselben Baugebiet zu einer Gemeinschaft verbunden sind, bei der jeder in derselben Weise berechtigt und verpflichtet ist. Im Hinblick auf diese wechselseitig wirkende Bestimmung von Inhalt und Schranken des Grundeigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) hat jeder Eigentümer - unabhängig davon, ob er tatsächlich beeinträchtigt ist - das Recht, sich gegen eine "schleichende Umwandlung" des Gebiets durch Zulassung einer gebietsfremden Nutzung zur Wehr zu setzen (BVerwG vom 16.9.1993 BVerwGE 94, 151 = NJW 1994, 1546; vom 23.8.1996 BVerwGE 101, 364 = NVwZ 1997, 384; vom 2.2.2000 NVwZ 2000, 679; BayVGH vom 14.7.2006 BayVBl 2007, 334 mit weiteren Nachweisen).

Dass die Eigenart der näheren Umgebung des Baugrundstücks einem allgemeinen Wohngebiet entspricht (§ 34 Abs. 2 BauGB, § 4 BauNVO), in dem die Zimmerei als störender Gewerbebetrieb nicht zulässig wäre (vgl. § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO), ist wegen der in der Umgebung vorhandenen landwirtschaftlichen und gewerblichen Betriebe von vorneherein auszuschließen. Jedenfalls im Hinblick auf den Drahtherstellungsbetrieb auf dem Grundstück Fl.Nr. ***/7, bei dem es sich um einen das Wohnen wesentlich störenden Betrieb handeln dürfte, erscheint zweifelhaft, dass ein "faktisches" Dorfgebiet oder ein "faktisches" Mischgebiet (§ 34 Abs. 2 BauGB, § 5 bzw. § 6 BauNVO) vorliegt. Selbst wenn dies anzunehmen wäre, wäre ein hieraus resultierender Anspruch der Antragstellerin auf Wahrung der Gebietsart nicht verletzt, weil die Zimmereiwerkstatt als ein in einem Dorf- oder Mischgebiet allgemein zulässiger, das Wohnen nicht wesentlich störender sonstiger Gewerbebetrieb im Sinn von § 5 Abs. 2 Nr. 6 bzw. § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO einzustufen sein dürfte.

Zwar handelt es sich bei einem Zimmereibetrieb nach der grundsätzlich maßgebenden typisierenden Betrachtungsweise um einen das Wohnen wesentlich störenden Gewerbebetrieb. Holzverarbeitende Betriebe, die - wie der Betrieb des Beigeladenen (vgl. die Baubeschreibung, Seite 4 ff. der Bauakte Nr. 1269/2006 des Landratsamts) - mit einer Kreissäge, einer Fräsmaschine und einer Hobelmaschine ausgerüstet sind, stören wegen ihrer lärmintensiven Betriebsform regelmäßig das Wohnen wesentlich und sind daher grundsätzlich in allen Gebieten unzulässig, die zumindest gleichrangig auch dem Wohnen dienen. Eine andere Beurteilung kommt aber in Betracht, wenn ein Betrieb nicht das branchentypische Erscheinungsbild zeigt, sondern nach seiner (atypischen) Art und Betriebsweise von vorneherein keine für das Wohnen wesentlichen Störungen befürchten lässt und damit seine Gebietsverträglichkeit dauerhaft und zuverlässig sichergestellt ist (BVerwG vom 7.5.1971 BRS 24 Nr. 15; vom 24.9.1992 DVBl 93, 111; BayVGH vom 8.5.2000 - Az. 1 B 97.2860 - Juris). Diese Voraussetzungen dürften hier erfüllt sein, weil lediglich ein Ein-Mann-Betrieb genehmigt wurde und aufgrund der Auflagen in Nr. 2 des Genehmigungsbescheids sichergestellt ist, dass der - auf die von Zeit 7.00 bis 20.00 Uhr beschränkte - Betrieb den gemäß Nr. 6. 1 Satz 1 Buchstabe c TA Lärm in einem Dorf- oder Mischgebiet zulässigen Immissionsrichtwert von 60 dB(A) tags nicht überschreitet (zu diesen Voraussetzungen vgl. BayVGH vom 2.11.2004 BayVBl 2005, 602; vom 23.6.2004 - 14 CS 04.764 - Juris; a. A. BayVGH vom 22.7.2004 - 26 B 04.931 - Juris). Dass in der Baugenehmigung die Betriebsform des Ein-Mann-Betriebes nicht ausdrücklich festgelegt ist, ist unerheblich. Gegenstand der Baugenehmigung ist der Betrieb, wie er - entsprechend der dem Bauantrag beigefügten Betriebsbeschreibung - zur Genehmigung gestellt wurde. Danach soll die Zimmerei als "1 Mannfirma" betrieben werden (vgl. Blatt 6 der Bauakte des Landratsamts Nr. 1269/2006).

2. Das genehmigte Vorhaben verletzt nach summarischer Prüfung auch nicht das nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme. Dies gilt unabhängig davon, ob sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens nach § 34 Abs. 1 BauGB oder nach § 34 Abs. 2 BauGB in Verbindung mit § 5 bzw. § 6 BauNVO richtet. Das Gebot der Rücksichtnahme, das für nach § 34 Abs. 1 BauGB zu beurteilende Vorhaben im Begriff des "Einfügens" enthalten und für nach § 34 Abs. 2 BauGB zu beurteilende Vorhaben in § 15 Abs. 1 BauNVO geregelt ist, ist in beiden Fällen zu beachten. Für beide Alternativen gilt in diesem Fall auch dieselbe Zumutbarkeitsgrenze; diese wird nach summarischer Prüfung eingehalten.

Welche Anforderungen das Rücksichtnahmegebot begründet, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Bei der Beurteilung sind die Vorgaben des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu berücksichtigen. Eine nicht nach diesem Gesetz genehmigungspflichtige Anlage ist nach § 22 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG so zu errichten und zu betreiben, dass schädliche Umwelteinwirkungen verhindert werden, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind. Schädliche Umwelteinwirkungen sind Immissionen, die nach Art, Ausmaß und Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen (§ 3 Abs. 1 BImSchG). Für die Beurteilung von schädlichen Umwelteinwirkungen durch Geräusche ist grundsätzlich - und auch in diesem Fall - die Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) vom 26. August 1998 (GMBl. S. 503) heranzuziehen (vgl. Nr. 1 Satz 1 TA Lärm).

Bei einer nicht nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz genehmigungspflichtigen Anlage ist gemäß Nr. 4.2 Buchst. a TA Lärm grundsätzlich sicherzustellen, dass ihre Geräuschimmissionen an den maßgeblichen Immissionsorten die Immissionsrichtwerte nach Nr. 6 TA Lärm nicht überschreiten. Nach Nr. 4.2 Buchst. c TA Lärm muss dabei eine bestehende, von anderen Anlagen herrührende Vorbelastung (Nr. 2.4 Abs. 1 TA Lärm) nur berücksichtigt werden, wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte absehbar ist, dass die zu beurteilende Anlage relevant im Sinne von Nr. 3.2.1 TA Lärm zu einer Überscheitung der Immissionsrichtwerte beitragen wird, und wenn Anforderungen an die bestehenden Anlagen (Nr. 5 TA Lärm) offensichtlich nicht in Betracht kommen. Die zu beurteilende Anlage trägt nach Nr. 3.2.1 Abs. 2 TA Lärm dann nicht relevant zur Gesamtbelastung (Nr. 2.4 Abs. 3 TA Lärm) bei, wenn die von ihr ausgehende Zusatzbelastung die Immissionsrichtwerte um mindestens 6 dB(A) unterschreitet. Diese Werte sind gemäß Nr. 6.1 TA Lärm grundsätzlich nach der Nutzungsart des Gebiets zu bestimmen. Der Tagesrichtwert für ein Dorf- oder Mischgebiet beträgt nach Nr. 6.1 Satz 1 Buchst. c TA Lärm 60 dB(A). Einzelne kurzzeitige Geräuschspitzen dürfen die Immissionsrichtwerte gemäß Nr. 6.1 Satz 2 TA Lärm am Tag um nicht mehr als 30 dB(A) überschreiten. Grenzen gewerbliche, industriell oder hinsichtlich ihrer Geräuschauswirkungen vergleichbar genutzte Gebiete und zum Wohnen dienende Gebiete aneinander (Gemengelage), können nach Nr. 6.7 Abs. 1 Satz 1 TA Lärm die Immissionsrichtwerte für die zum Wohnen dienenden Gebiete auf einen geeigneten Zwischenwert der Werte für die aneinandergrenzenden Gebietskategorien erhöht werden, soweit dies nach der gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme erforderlich ist. Entsprechendes gilt, wenn in einem nach § 34 Abs. 1 BauGB zu beurteilenden Gebiet Wohngrundstücke und gewerblich genutzte Grundstücke aneinandergrenzen (VGH BW vom 26.2.2004 - 10 S 951/03 - Juris = DÖV 2005, 169 [nur Leitsatz]). Maßgeblich ist die Schutzbedürftigkeit des betroffenen Gebietes bzw. Grundstücks, die wesentlich von der Prägung des Einwirkungsgebietes bzw. "Einwirkungsgrundstücks" durch den Umfang der Wohnbebauung einerseits und durch Gewerbe- und Industriebetriebe andererseits, die Ortsüblichkeit eines Geräuschs und die Frage, welche der unverträglichen Nutzungen zuerst verwirklicht wurde, abhängt (Nr. 6.7 Abs. 2 TA Lärm). Der Zwischenwert soll die Immissionsrichtwerte für Kern-, Dorf- und Mischgebiete nicht überschreiten (Nr. 6.7 Abs. 1 Satz 2 TA Lärm). Ein Zwischenwert ist demnach vor allem unter Berücksichtigung der Immissionsrichtwerte für die aneinandergrenzenden Gebietskategorien bzw. Grundstücke zu bilden (vgl. VGH BW vom 26.2.2004 a.a.O.; OVG Nds vom 21.1.2004 BauR 2004, 1419). Eine rein rechnerische Ermittlung des Zwischenwerts wird den Anforderungen des Gebots der gegenseitigen Rücksichtnahme allerdings nicht gerecht (BVerwG vom 29.10.1984 NVwZ 1985, 186; NdsOVG vom 21.1.2004 a.a.O).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ergeben sich für die Antragstellerin voraussichtlich keine unzumutbaren Lärmbelastungen. Durch die immissionsschutzrechtlichen Auflagen in Nr. 2 des Genehmigungsbescheids ist sichergestellt, dass der für das Grundstück der Antragstellerin maßgebliche Immissionsrichtwert nicht überschritten wird. Der Einwand der Antragstellerin, dass der in Nr. 2 b des Bescheids festgesetzte (im Hinblick auf eine Vorbelastung reduzierte) Immissionsrichtwert von 57 dB(A) zu hoch sei, ist nicht begründet (a). Hinsichtlich des in Nr. 2 c des Bescheids festgesetzten (nicht reduzierten) Spitzenpegelwerts von 90 dB(A) hat die Antragstellerin keine Einwände erhoben (b).

a) Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist der in Nr. 2 b des Bescheids festgesetzte (reduzierte) Immissionsrichtwert von 57 dB(A) nicht zu hoch.

Zwar ist der Einwand, dass die Vorbelastung durch die Gewerbebetriebe in der Umgebung des Grundstücks der Antragstellerin zu Unrecht nicht berücksichtigt worden sei, bezogen auf den vom Verwaltungsgericht nach Nr. 6.7 TA Lärm angenommenen Zwischenwert von 57 dB(A) berechtigt. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts hätte die Vorbelastung für das Grundstück der Antragstellerin nach Nr. 3.2.1 Abs. 2 TA Lärm nicht unberücksichtigt bleiben dürfen, weil die Voraussetzung, dass die von der Anlage ausgehende Zusatzbelastung den Immissionsrichtwert am maßgeblichen Immissionsort um mindestens 6 dB(A) unterschreitet, nicht erfüllt ist. Nach dem Gutachten der H************** *** M****** *** O********* vom 21. Februar 2007, dessen Ergebnisse die Beteiligten nicht in Frage stellen, beträgt die von dem Bauvorhaben ausgehende Zusatzbelastung am Grundstück der Antragstellerin (Immissionsort IO 6) 56,9 dB(A) (vgl. Nr. 8.1 des Gutachtens); sie liegt damit lediglich 0,1 dB(A) unter dem vom Verwaltungsgericht als Richtwert angenommenen Zwischenwert von 57 dB(A). Eine Unterschreitung des Richtwerts um mehr als 6 dB(A) hat das Gutachten - ausgehend von dem Richtwert für ein Dorfgebiet von 60 dB(A) - nur "an den bestehenden schützenswerten Nutzungen" (Immissionsorte IO 1 bis 4), nicht dagegen "bei zukünftigen Planungen von schützenswerten Nutzungen" (Immissionsorte IO 5 und 6) festgestellt. Dementsprechend hat der Gutachter auch für das Grundstück der Antragstellerin die Festsetzung eines um 3 dB(A) reduzierten Immissionsrichtwerts empfohlen (vgl. Nr. 9 Absatz 3 des Gutachtens). Das Verwaltungsgericht hätte deshalb den von ihm zugrunde gelegten Zwischenwert entsprechend reduzieren müssen.

Dieser Fehler wirkt sich aber nicht aus, weil der Ausgangswert (Immissionsrichtwert ohne Abschlag für eine Vorbelastung) für das Grundstück der Antragstellerin nicht nur bei Vorliegen eines "faktischen" Dorf- oder Mischgebiets, sondern auch dann, wenn es sich bei der näheren Umgebung des Baugrundstücks um eine Gemengelage von unterschiedlich genutzten Grundstücken handeln sollte, nicht bei 57 dB(A), sondern bei 60 dB(A) anzusetzen sein dürfte. Dieser Zwischenwert erscheint nach summarischer Prüfung vor allem deswegen angemessen, weil das unbebaute Grundstück nicht nur durch die östlich angrenzende Wohnbebauung und die westlich benachbarte landwirtschaftliche Nutzung geprägt wird, sondern auch durch den Drahtherstellungsbetrieb auf dem nördlich angrenzenden Grundstück Fl.Nr. ***/7, der als das Wohnen wesentlich störender Betrieb einzustufen sein dürfte (wenn es sich, wie das Verwaltungsgericht angenommen hat, nicht um ein "faktisches" Dorf- oder Mischgebiet handeln sollte, dann auch - und vor allem - wegen dieses Betriebes).

Nach Abzug eines Abschlags von 3 dB(A) für die Vorbelastung dürfte der maßgebende Immissionsrichtwert somit - in Übereinstimmung mit Nr. 2 b des Genehmigungsbescheids - bei 57 dB(A) anzusetzen sein. Dass der Abschlag mit 3 dB(A) unzutreffend bewertet worden sei, macht die Antragstellerin nicht geltend.

b) Ist aber der nicht reduzierte Zwischenwert für eine "Gemengelage" nach summarischer Prüfung nicht bei 57 dB(A), sondern bei 60 dB(A) anzusetzen, so bestehen gegen den in Nr. 2 c des Bescheids festgesetzten Spitzenpegelwert von 90 dB(A) jedenfalls nicht die vom Verwaltungsgericht erhobenen Bedenken. Dass auch bei diesem Wert eine Vorbelastung hätte berücksichtigt werden müssen, macht die Beschwerde nicht geltend. Damit muss der Frage, ob bei dem Spitzenpegelwert ein Abschlag wegen einer Vorbelastung (durch Geräuschspitzen anderer Emittenten) in Betracht kommt, nicht nachgegangen werden.

3. Nicht durchdringen kann die Antragstellerin auch mit dem Einwand, dass bei der Festlegung des zulässigen Immissionsgrenzwerts mögliche Erweiterungen der Zimmerei nicht berücksichtigt worden seien. Erweiterungen des Betriebes sind von der Baugenehmigung nicht umfasst und daher auch nicht Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung.

Ebenso wenig bestehen Bedenken hinsichtlich der Vollzugsfähigkeit der Auflagen. Dass die Zimmereiwerkstatt nach den genehmigten Bauzeichnungen als "Abbund- und Lagerhalle" mit einer Größe von 62,18 m² zugelassen wurde, besagt nicht, dass Abbundarbeiten an größeren Bauelementen entgegen den Auflagen in Nr. 2 des Genehmigungsbescheids auf dem Baugrundstück im Freien durchgeführt werden.

4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 GKG. Sie orientiert sich an Nr. 1.5 Satz 1 und Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs 2004 (NVwZ 2004, 1327).

Ende der Entscheidung

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