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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 10.05.2006
Aktenzeichen: 1 ZB 06.30447
Rechtsgebiete: AsylVfG, AufenthG, VwVfG


Vorschriften:

AsylVfG § 71 Abs. 1
AsylVfG § 71 Abs. 4 Satz 4
AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 1
AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 3
AufenthG § 60 Abs. 1
VwVfG § 51 Abs. 1 Nr. 1
VwVfG § 51 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

1 ZB 06.30447

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Asylfolgeantrags;

hier: Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 23. März 2006,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 1. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof König, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Müller, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Langer

ohne mündliche Verhandlung am 10. Mai 2006

folgenden Beschluss:

Tenor:

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung wird abgelehnt.

III. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe:

Die Anträge haben keinen Erfolg.

1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht hinreichend dargelegt wurden bzw. nicht vorliegen.

a) Die behauptete grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) ist nicht in einer Weise dargetan, die den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG genügt.

Das Darlegungserfordernis des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG verlangt, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage klärungsbedürftig und entscheidungserheblich ist. Ferner muss ihre allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dargelegt werden (BVerwG vom 17.4.1998 InfAuslR 1998, 381; vom 31.7.1984 BVerwGE 70, 24).

Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen im Zulassungsantrag nicht. Die Klägerin hat die Entscheidungserheblichkeit der als grundsätzlich bezeichneten Frage, "inwieweit ein Folgeantrag gemäß § 51 Abs. 2 VwVfG als unzulässig anzusehen ist, weil der Asylsuchende sich nicht bereits im Asylerstverfahren auf einen asylerheblichen Umstand berufen hat, obwohl dieser nach einhelliger Rechtsprechung im Asylerstverfahren zum damaligen Zeitpunkt zu einer Klageabweisung geführt hätte, dieser Umstand aber infolge einer Änderung der Rechtsprechung nunmehr geeignet wäre, zu einer positiven Entscheidung zu führen", nicht aufgezeigt.

Diese Frage ist schon deswegen nicht entscheidungserheblich, weil sie sich in einem Berufungsverfahren so nicht stellen würde. Die Voraussetzung der Frage, dass der erstmals im Folgeverfahren geltend gemachte asylerhebliche Umstand - nämlich die türkische Staatsangehörigkeit der Klägerin - erst "infolge der Änderung der Rechtsprechung geeignet gewesen wäre, zu einer positiven Entscheidung zu führen", trifft auf das Verfahren der Klägerin nicht zu. Das Bundesverwaltungsgericht hat im angeführten Urteil vom 8. Februar 2005 (BVerwGE 122, 376 = NVwZ 2005, 1087) - in Abweichung von der überwiegenden Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte, auch des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. BayVGH vom 10.9.2001 19 ZB 00.32200) - entschieden, dass der asylrechtliche Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG (früher § 51 Abs. 1 AuslG) nicht isoliert bezogen auf einen einzelnen Abschiebezielstaat geprüft werden darf, sondern dass alle Staaten in die Prüfung einzubeziehen sind, deren Staatsangehörigkeit der Betroffene möglicherweise besitzt oder in denen er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, und dass deswegen ein Rechtsschutzinteresse für die Klage auf Gewährung von asylrechtlichem Abschiebungsschutz wegen Verfolgung im Staat der Staatsangehörigkeit auch dann besteht, wenn sich die (negativen) Feststellungen im ablehnenden Bescheid des Bundesamts nicht auf diesen Staat beziehen. Der Entscheidung lag der Sachverhalt zu Grunde, dass erstmals im gerichtlichen Verfahren (des Asylerstverfahrens) die türkische Staatsangehörigkeit geltend gemacht wurde. Bei der Klägerin geht es aber nicht darum, dass sie (nach der früheren Rechtsprechung mehrerer Oberverwaltungsgerichte) möglicherweise annehmen durfte, dass es als nicht entscheidungserheblich angesehen worden wäre, wenn sie sich im gerichtlichen Verfahren zu ihrem ersten Asylantrag erstmals auf die türkische Staatsangehörigkeit und eine in der Türkei drohende politische Verfolgung berufen hätte, sondern darum, ob sie, vertreten durch ihre Mutter, ohne grobes Verschulden außerstande war, ihre türkische Staatsangehörigkeit bereits im behördlichen Erstverfahren gegenüber dem Bundesamt anzugeben. Dass das Bundesamt ihre türkische Staatsangehörigkeit, hätte sich die Klägerin bereits im Erstverfahren ausdrücklich auf diese berufen, bei seiner Entscheidung über den Asylerstantrag nicht berücksichtigt hätte, wird im Zulassungsantrag weder geltend gemacht noch sind dafür sonst Anhaltspunkte ersichtlich. Im Übrigen hat sich die Klägerin auf die türkische Staatsangehörigkeit nicht erst im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Februar 2005 berufen, sondern bereits drei Jahre zuvor im Schriftsatz vom 8. Februar 2002. Auch aus diesem Grund ist bei der Klägerin die bei der als grundsätzlich bezeichneten Frage vorausgesetzte Kausalität zwischen dem Nicht-Offenbaren der türkischen Staatsangehörigkeit und der früheren Rechtsprechung mehrerer Oberverwaltungsgerichte zum asylrechtlichem Abschiebungsschutz nicht gegeben.

Davon abgesehen stellt sich die von der Klägerin aufgeworfene, auf § 51 Abs. 2 VwVfG bezogene Frage nur, wenn ein Grund für ein Wiederaufgreifen nach § 51 Abs. 1 VwVfG vorliegt. Das ist nicht der Fall. Das Verwaltungsgericht hat die in dieser Streitsache maßgebende Frage verneint, ob eine nachträgliche Änderung der Rechtslage zugunsten der Klägerin darin gesehen werden kann, dass das Bundesverwaltungsgericht mit dem bereits genannten Urteil vom 8. Februar 2005 zum gerichtlichen Prüfungsumfang beim asylrechtlichen Abschiebungsschutz eine in der Rechtsprechung der Oberwaltungsgerichte nicht einheitlich beantwortete Frage im Sinne der Mindermeinung entschieden hat. Die Klägerin hält die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts zwar für unzutreffend. Sie hat hierzu aber keine Zulassungsgründe geltend gemacht. Im Übrigen lässt sich bereits im Zulassungsverfahren feststellen, dass das Verwaltungsgericht diese Frage richtig entschieden hat. Die Änderung der Rechtsprechung auch eines obersten Bundesgerichts stellt grundsätzlich keine Änderung der Rechtslage im Sinn des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG dar (BVerwG vom 24.5.1995 NVwZ 1995, 1097; BayVGH vom 10.1.2002 23 B 01.31238 - Juris; VGH BW vom 24.11.2000 VGHBW-Ls 2001, Beilage 3, B 3). Eine Ausnahme gilt wegen der Besonderheiten des Asyl- und Asylverfahrensrechts allenfalls dann, wenn durch die Änderung der Rechtsprechung ein Wandel des Bedeutungsinhalts des Grundrechts auf Asyl herbeigeführt wird (vgl. BVerwG vom 24.5.1995 a.a.O.; BVerfG vom 8.10.1990 NVwZ 1991, 258). Diese Voraussetzung ist schon deswegen nicht erfüllt, weil ein solcher Wandel nicht durch eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts hervorgerufen werden kann, die lediglich eine Änderung gegenüber der bisher überwiegenden Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte darstellt (vgl. BVerwG vom 14.2.1994 3 B 83/93 - Juris; a.A. wohl Marx, AsylVfG, 6. Aufl., § 71 RdNrn. 234 ff.; Funke-Kaiser in GK-AsylVfG, § 71 RdNrn. 125 f.).

An einer hinreichenden Darlegung der Entscheidungserheblichkeit der von der Klägerin aufgeworfenen Frage fehlt es außerdem deswegen, weil im Zulassungsantrag jegliche Ausführungen darüber fehlen, inwiefern der Klägerin - aufgrund der nunmehr geltend gemachten türkischen Staatsangehörigkeit - politische Verfolgung in der Türkei droht. Selbst wenn die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen nach § 71 AsylVfG in Verbindung mit § 51 VwVfG erfüllt wären, würde dies allein der auf Anerkennung der Klägerin als Asylberechtigte und auf Feststellung von Abschiebungshindernissen gerichteten Klage noch nicht zum Erfolg verhelfen. Da die Merkmale des § 51 Abs. 1 VwVfG Tatbestandsvoraussetzungen für den materiellen Anspruch eines Asylsuchenden sind, im Wege des Wiederaufgreifens seines bestandskräftig abgeschlossenen Verfahrens doch noch als Asyl- oder Abschiebungsschutzberechtigter anerkannt zu werden, kann das Gericht über die Frage des Wiederaufgreifens nicht gesondert, sondern nur zusammen mit dem materiellen Anspruch entscheiden (BVerwG vom 10.2.1998 BVerwGE 106, 171 = BayVBl 1998, 600). Dass die Voraussetzungen hierfür vorliegen, hat die Klägerin nicht aufgezeigt. Zwar müssen vom Verwaltungsgericht in der Entscheidungsbegründung nicht behandelte Fragen grundsätzlich auch im Zulassungsantrag zur Darlegung der Entscheidungserheblichkeit einer aufgeworfenen Grundsatzfrage nicht erörtert werden (vgl. BVerfG vom 15.8.1994 InfAuslR 1995, 15). Hier gilt aber deswegen etwas anderes, weil die Klägerin im Rahmen ihres Vorbringens im Asylfolgeverfahren angegeben hat, dass sie sich vor ihrer Wiedereinreise nach Deutschland etwa drei Jahre lang unbehelligt in der Türkei aufgehalten habe. Hierauf hat auch das Verwaltungsgericht - wenn auch im Rahmen seiner Ausführungen zu § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG (vgl. Urteilsabdruck S. 10) - hingewiesen.

b) Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG, § 138 Nr. 3 VwGO) liegt ebenfalls nicht vor.

Der Einwand der Klägerin, das Verwaltungsgericht habe eine diesen Anspruch verletzende "Überraschungsentscheidung" getroffen, indem es zum Beleg für die Annahme, dass eine Gruppenverfolgung von Yeziden aus der Türkei nicht (mehr) gegeben sei, auf die Entscheidung des OVG Schleswig vom 29. September 2005 (1 LB 41/04) verwiesen habe, ohne diese als Erkenntnismittel in das Verfahren eingeführt zu haben, greift nicht durch. Zwar verlangt das rechtliche Gehör, dass ein Gericht nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse verwertet, die von den Verfahrensbeteiligten oder vom Gericht zum Gegenstand des Verfahrens gemacht wurden und zu denen sich die Beteiligten äußern konnten (BVerfG vom 18.7.2001 AuAS 2001, 201). Dementsprechend dürfen Gerichte Entscheidungen anderer Gerichte nur dann als Grundlage für tatsächliche Feststellungen in Bezug nehmen, wenn diese Entscheidungen oder die ihnen zu Grunde liegenden Erkenntnisquellen zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht oder in anderer Weise in das Verfahren eingeführt wurden (BVerwG 3.5.2002 4 B 1/02 - Juris; OVG NRW vom 19.11.2001 8 A 2152/01.A - Juris; HessVGH vom 27.7.2000 AuAS 2000, 189). Hier waren die aus der Entscheidung des OVG Schleswig gewonnen Erkenntnisse zur Gruppenverfolgung der Yeziden in der Türkei aber für das Verwaltungsgericht - worauf das Gericht ausdrücklich hingewiesen hat (vgl. Urteilsabdruck S. 10) - nicht entscheidungserheblich, weil sich bereits mangels einer auf die Türkei bezogenen Abschiebungsandrohung "gegenwärtig die Frage einer Abschiebung in die Türkei für die Klägerin nicht stelle". Ergänzend hat das Gericht die Verneinung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG darauf gestützt, dass sich die Klägerin eigenen Angaben zufolge etwa drei Jahre unbehelligt in der Türkei aufgehalten habe. Hiergegen wurden Einwände im Zulassungsantrag nicht geltend gemacht.

2. Der Antrag vom 13. April 2006, der Klägerin Prozesskostenhilfe zu gewähren (§ 166 VwGO, § 114 Satz 1 ZPO) und ihr Rechtsanwalt Walliczek beizuordnen (§ 121 Abs. 5 ZPO), ist zwar zulässig (§ 166 VwGO, § 78 Abs. 4 Satz 2 AsylVfG, § 117 Abs. 1 Satz 1), aber nicht begründet. Die Absicht der Klägerin, die Zulassung der Berufung zu erreichen, hat aus den unter Nr. 1 genannten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 114 Satz 1 ZPO).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylVfG). Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Satz 1 Alternative 1 RVG.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG).

Ende der Entscheidung

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