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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 19.06.2006
Aktenzeichen: 11 B 02.31598
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 60 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

Im Namen des Volkes

11 B 02.31598

In der Verwaltungsstreitsache

wegen

Asylrechts;

hier: Berufung des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 27. August 2002,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 11. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Festl, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Ertl, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Breit,

ohne weitere mündliche Verhandlung am 19. Juni 2006 folgendes

Urteil:

Tenor:

I. Es werden aufgehoben

1. das Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 27. August 2002,

2. die Nummer 2 des Bescheids des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 12. Dezember 2001.

II. Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen fallen je zur Hälfte der Beklagten und der Beigeladenen zur Last.

III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die am 25. Juni 1982 geborene Beigeladene wurde am 9. April 2001 im Bundesgebiet als Asylsuchende behördlich erfasst. Bei der förmlichen Asylantragstellung am 12. April 2001 gab sie an, tschetschenische Volkszugehörige zu sein. In einem ihr am 15. Januar 2001 in Naltschik ausgestellten russischen Inlandspass ist Grosny als ihr Geburtsort eingetragen. Weiteren Eintragungen in diesem Inlandspass zufolge meldete sie sich am 15. Januar 2001 in Naltschik ab und am 20. Februar 2001 in Grosny an. Am 6. März 2001 wurde ihr nach Aktenlage ein Reisepass ausgehändigt.

Bei ihrer Anhörung durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 18. April 2001 erklärte sie, bis März 2001 in Grosny gewohnt zu haben. Sie habe die Grundschule im siebten Schuljahr abgebrochen und keinen Beruf erlernt. Anfang März 2001 habe die Familie Grosny verlassen und sich nach Inguschetien begeben; dort habe ihr Vater die Weiterreise organisiert. Ab dem 4. April 2001 seien sie über Moskau auf dem Landweg nach Deutschland gefahren. Außer ihr und ihren Eltern hätten auch ihre drei Geschwister Asyl im Bundesgebiet beantragt.

Ihr Asylbegehren begründete die Beigeladene damit, dass sie und ihre Angehörigen in Grosny keine Sicherheit gehabt hätten. Die Mitglieder der Familie seien sowohl auf der Straße als auch zu Hause immer wieder durch russische Soldaten belästigt worden. Man habe befürchtet, dass die Beigeladene - ebenso wie ihr Bruder, den man zweimal vorübergehend festgenommen und nur gegen Lösegeld freigelassen habe - durch die Soldaten entführt werden könnte; es habe Fälle gegeben, dass junge Mädchen von Soldaten mitgenommen worden und nicht mehr zurückgekehrt seien. Auch ihr hätte das jederzeit widerfahren können. Außerdem habe sie infolge des ersten Tschetschenienkrieges zu stottern begonnen; diese Sprachstörungen seien durch die damaligen Bombenangriffe ausgelöst worden. In der Vergangenheit habe es immer wieder Bombenanschläge und nächtliche Schusswechsel gegeben. Sollte sie in die Russische Föderation zurückkehren müssen, würde sie die gleichen Verhältnisse vorfinden, wie sie bestanden hätten, als sie Grosny verlassen habe.

Durch Bescheid vom 12. Dezember 2001 lehnte das Bundesamt eine Anerkennung der Beigeladenen als Asylberechtigte ab und sprach aus, dass in ihrer Person die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich der Russischen Föderation vorlägen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen auf die Situation in Tschetschenien verwiesen und ausgeführt, die Beigeladene besitze keine Möglichkeit, der in ihrer Heimatregion bestehenden Gefährdung durch Aufenthaltnahme in einem anderen Teil der Russischen Föderation zu entgehen.

Mit der am 28. Dezember 2001 zum Verwaltungsgericht Bayreuth erhobenen Klage erstrebte der Kläger die Aufhebung des Bescheids vom 12. Dezember 2001, der ihm am 18. Dezember 2001 zugestellt worden sei, hinsichtlich der darin getroffenen Feststellung nach § 51 Abs. 1 AuslG. Auf die Klagebegründung wird verwiesen.

In der am 20. August 2002 vor dem Verwaltungsgericht durchgeführten mündlichen Verhandlung erklärte die Beigeladene, keine Verwandten oder Bekannten in anderen Teilen der Russischen Föderation zu besitzen. In Inguschetien habe sie einen Monat lang gelebt.

Durch Urteil vom 27. August 2002, dem Kläger zugestellt am 11. Oktober 2002, wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. Auf die Urteilsgründe wird Bezug genommen.

Wegen der Gesichtspunkte, mit denen der Kläger seine vom Verwaltungsgerichtshof zugelassene Berufung gegen diese Entscheidung rechtfertigt, wird auf die Schriftsätze des Klägers vom 11. April 2003 und vom 20. Januar 2005 sowie auf die im erstgenannten Schreiben in Bezug genommene Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung vom 21. Oktober 2002 verwiesen. Der Kläger beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils der Klage im Umfang der Berufungszulassung stattzugeben.

Die Beklagte hat im Berufungsverfahren keinen Antrag gestellt und sich nicht zur Sache geäußert.

Die Beigeladene beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Während ihres Aufenthalts im Bundesgebiet heiratete die Beigeladene einen irakischen Staatsangehörigen. Durch bestandskräftig gewordenen Bescheid vom 5. Dezember 2000 hat das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge festgestellt, dass in seiner Person die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich des Irak vorliegen.

Am 22. Mai 2003 gebar die Beigeladene eine Tochter.

In der am 27. Januar 2005 vor dem Verwaltungsgerichtshof durchgeführten mündlichen Verhandlung erklärte die Beigeladene, sie habe Tschetschenien am 18. September 1999 verlassen. Bis zu ihrer Ausreise habe sie sich in dem Dorf Sagopschi bei Malgobek in Inguschetien aufgehalten; dort habe die Familie humanitäre Hilfe erhalten. Die in der Niederschrift über die Anhörung vor dem Bundesamt enthaltene Angabe, wonach sie sich bis März 2001 in Grosny aufgehalten habe, treffe nicht zu. Ob die Mitglieder der Familie in Sagopschi registriert gewesen seien und warum ihr eigener Inlandspass in Naltschik ausgestellt worden sei, wisse sie nicht. Gleiches gelte für ihre Abmeldung in Naltschik am 15. Januar 2001 und die Anmeldung in Grosny am 20. Februar 2001. Diese Angelegenheiten habe ihr Vater für sie erledigt, ohne sie einzuweihen. In Naltschik hätten entfernte Verwandte gelebt. In Sagopschi würden sich nach wie vor eine schwer kranke Großmutter, zwei Onkel und zwei Tanten aufhalten. Inguschetien habe sie aufgrund von Befürchtungen ihres Vaters verlassen; es habe Gerüchte gegeben, dass Mädchen entführt und Jungen von den Soldaten mitgenommen würden. Sie könne sich nicht vorstellen, nach einer Rückkehr bei ihren Verwandten in Inguschetien bleiben zu können, da diese nach Tschetschenien zurück müssten. Müsse sie nach Inguschetien zurückkehren, hätte auch sie damit zu rechnen, nach Tschetschenien geschickt zu werden. In Tschetschenien verfüge sie über kein Haus und nichts, wo sie sich aufhalten könnte. In Moskau zu leben, könne sie sich ebenfalls nicht vorstellen, da die Tschetschenen dort Diffamierungen und Verleumdungen ausgesetzt seien. Es komme zu nächtlichen Wohnungsdurchsuchungen, und Tschetschenen werde Munition in die Taschen gesteckt, um ihnen die Zugehörigkeit zu terroristischen Organisationen zu unterstellen. An ihrem Aussehen (z.B. am Tragen eines Kopftuches) sowie an ihrem Akzent könnten Russen erkennen, dass sie Tschetschenin sei. Die in der mündlichen Verhandlung tätige Dolmetscherin gab in diesem Zusammenhang an, sie höre bei der Beigeladenen einen leichten kaukasischen Akzent heraus.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Anschluss an die mündliche Verhandlung durch Einholung einer schriftlichen Auskunft von Frau ******* *******, Moskau, Beweis darüber erhoben, wie sich derzeit die Möglichkeit nicht aus Kabardino-Balkarien stammender tschetschenischer Volkszugehöriger darstellt, in dieser Teilrepublik die Registrierung eines Wohnsitzes oder eines dort begründeten längerfristigen Aufenthalts zu erlangen. Auf die daraufhin von Frau ******* erlangte, undatierte schriftliche Auskunft wird Bezug genommen.

Wegen der in der Folgezeit eingegangenen Ausführungen des Klägers zur Sach- und Rechtslage wird auf seine Schriftsätze vom 29. März 2005, vom 12. Mai 2005 und vom 13. April 2006 verwiesen.

Die Beigeladene vertritt die Auffassung, sie sei vorverfolgt ausgereist. Denn da der Verwaltungsgerichtshof im Verfahren ihres Bruders durch Urteil vom 31. Januar 2005 (Az. 11 B 02.31597) entschieden habe, dass eine Aufenthaltnahme in Tschetschenien unzumutbar sei, und sich die Situation während der vergangenen Jahre nur unwesentlich verändert habe, sei davon auszugehen, dass bereits im Zeitpunkt ihrer Ausreise aus Tschetschenien eine Gefahrenlage bestanden habe. Als Mutter eines Kleinkindes könne sie auch nicht auf eine Fluchtalternative in den Teilen Russlands verwiesen werden, die in der vorgenannten Entscheidung als hinreichend sicher eingestuft wurden. Denn da sie nicht selbst nach Arbeit suchen und nicht auf die Hilfe von Verwandten zurückgreifen könne, besäße sie dort keine Überlebensmöglichkeit. Zudem würden die russischen Behörden auf Vermieter Druck mit dem Ziel ausüben, den ohnehin knappen Wohnraum nicht an Tschetschenen oder andere Kaukasier zu vermieten. Diese Taktik führe zu einer Ausgrenzung tschetschenischer Flüchtlinge, deren Registrierung in Russland nahezu ausgeschlossen sei, aus der "russischen Friedensordnung".

Mit Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 27. Juli 2005 teilte die Beigeladene mit, dass sie sich von ihrem Ehemann getrennt habe, zu ihren in Bayreuth lebenden Eltern gezogen sei und ein Scheidungsverfahren betreibe. Einem Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 16. Mai 2006 zufolge ist das Scheidungsverfahren weiterhin anhängig. Die elterliche Sorge über die gemeinsame Tochter werde formell von beiden Ehegatten ausgeübt, wobei sich ihr Mann jedoch nicht mehr um das Kind kümmere.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und den beigezogenen Vorgang des Bundesamtes verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Über die Berufung konnte gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne weitere mündliche Verhandlung entschieden werden, da der Kläger zuletzt mit Schriftsatz vom 13. April 2006 und die Beigeladene mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 16. Mai 2006 einer solchen Verfahrensgestaltung ausdrücklich zugestimmt haben. Die Beklagte, die am 17. März 2005 und am 21. Juli 2005 inhaltsgleiche Erklärungen abgegeben hat, ist der zuletzt im gerichtlichen Schreiben vom 5. April 2006 enthaltenen Mitteilung, der Senat werde von einem fortbestehenden Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren ausgehen, falls nicht bis zum 30. April 2006 eine ausdrückliche gegenteilige Äußerung eines Beteiligten vorliege, nicht entgegengetreten.

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Auf der Grundlage der bei Erlass des vorliegenden Urteils bestehenden tatsächlichen Gegebenheiten (vgl. zur Maßgeblichkeit dieses Zeitpunkts § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylVfG) besitzt die Beigeladene keinen Anspruch auf Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG (bzw. ehedem § 51 Abs. 1 AuslG). Der anders lautende Ausspruch in der Nummer 2 des angefochtenen Bescheids und das ihn bestätigende Urteil des Verwaltungsgerichts waren daher aufzuheben.

1. Für die Beantwortung der Frage, ob ein in Deutschland Schutz suchender Ausländer Verfolgungen, die ihm im Herkunftsland ggf. drohen, abwenden kann, kommt es u. U. entscheidend darauf an, ob er mit oder ohne schutzfähige und -bereite Angehörige ausreisen wird (vgl. BVerwG vom 6.3.1990 BVerwGE 85, 12/15 f.). Ebenfalls von Bedeutung ist, ob von einer Rückkehr zusammen mit Personen ausgegangen werden muss, denen der Ausländer seinerseits zu Schutz und Unterhalt verpflichtet ist, da sich das auf seine Möglichkeiten, politisch motivierten Übergriffen auf die in § 60 Abs. 1 Satz 1 und 3 AufenthG bezeichneten Rechtsgüter wirksam vorzubeugen bzw. sich ihrer erfolgreich zu erwehren, nachteilig auswirken kann. Bei der deshalb anzustellenden Prognose, ob ein Schutzsuchender alleine oder gemeinsam mit Dritten in den potenziellen Verfolgerstaat zurückkehren wird, bedarf es einer möglichst realitätsnahen Beurteilung der Situation (BVerwG vom 21.9.1999 BVerwGE 109, 305/308; BVerwG vom 27.7.2000 DVBl 2001, 211/212). Grundsätzlich ist hierbei davon auszugehen, dass Familienmitglieder einander in Notsituationen nicht mutwillig im Stich lassen und sie einander nicht einem unsicheren Schicksal preisgeben, dessen erkennbare Folgen sie ohne eigene Gefährdung oder übermäßige Anstrengung abwenden können (BVerwG vom 6.3.1990, a.a.O., S. 16). Etwas anderes gilt z.B., wenn ein Angehöriger bestandskräftig als Asylberechtigter anerkannt oder ihm unanfechtbar Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG - bzw. nunmehr § 60 Abs. 1 AufenthG - zuerkannt wurde (BVerwG vom 6.3.1990, a.a.O., S. 17; BVerwG vom 21.9.1999, ebenda; BVerwG vom 27.7.2000, ebenda).

Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt, dass von einer Rückkehr der Beigeladenen mit ihrer Tochter, aber ohne ihren Mann und ohne ihre Eltern auszugehen ist.

Dass die Beigeladene nicht ohne ihr jetzt ca. drei Jahre altes Kind aus dem Bundesgebiet abgeschoben werden wird, folgt bereits aus der Verpflichtung der deutschen Staatsgewalt, Art. 6 Abs. 1 und 2 GG zu beachten. Auf die Frage, welchen ausländerrechtlichen Status die Tochter der Beigeladenen besitzt, kommt es deshalb nicht ausschlaggebend an.

Da das Bundesamt den Eltern der Beigeladenen bestandskräftig Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG zuerkannt hat und Anhaltspunkte dafür fehlen, dass sie bereit sind, diese Position aufzugeben, ist andererseits davon auszugehen, dass die Beigeladene für den Fall der Erfolglosigkeit ihres Asylbegehrens ohne ihre Eltern in die Russische Föderation zurückkehren muss.

Dem Gebot einer möglichst realitätsnahen Beurteilung der Rückkehrsituation entspricht es ferner, davon auszugehen, dass sie bei einer Ausreise in ihren Heimatstaat nicht von ihrem Ehemann begleitet werden wird. Denn sie hat selbst vorgetragen, dass sie sich von ihm getrennt hat, ein Scheidungsverfahren anhängig ist und sich ihr Ehemann auch nicht mehr um das gemeinsame Kind kümmert. Damit wäre die Annahme einer gemeinsamen freiwilligen Ausreise der Eheleute lebensfremd. Einer Abschiebung der Beigeladenen (und ihrer Tochter) ohne den Ehemann bzw. Vater steht andererseits Art. 6 Abs. 1 und 2 GG nicht entgegen. Denn die Anwendung dieser Verfassungsbestimmungen ist in aufenthaltsrechtlicher Hinsicht nur gerechtfertigt, wenn außer einer rechtlichen auch eine tatsächliche, regelmäßig in der Pflege einer häuslichen Gemeinschaft zum Ausdruck kommende Verbundenheit zwischen Ehegatten und Familienmitgliedern besteht oder sie in einem überschaubaren Zeitraum wieder hergestellt werden wird (BVerfG vom 12.5.1987 BVerfGE 76, 1/42 f.).

2. Nach § 60 Abs. 1 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen eines asylrelevanten Merkmals durch eine der in § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG genannten Kräfte bedroht sind. Einer Gefährdung des Lebens und der persönlichen Freiheit stehen allgemeiner Auffassung zufolge (vgl. z.B. BVerfG vom 4.2.1959 BVerfGE 9, 174/181; BVerfG vom 2.7.1980 BVerfGE 54, 341/357; BVerfG vom 10.7.1989 BVerfGE 80, 315/333) Bedrohungen der körperlichen Unversehrtheit gleich; in § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG hat diese Gegebenheit nunmehr auch positiv-rechtlichen Niederschlag gefunden. Beeinträchtigungen anderer Rechtsgüter als Leib, Leben oder persönliche Freiheit begründen einen Anspruch auf Schutz vor politischer Verfolgung dann, wenn sie nach ihrer Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was die Bewohner des Heimatstaates aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen haben (BVerfG vom 2.7.1980, ebenda).

Die Beantwortung der Frage, welche Wahrscheinlichkeit die in § 60 Abs. 1 AufenthG vorausgesetzte Gefahr aufweisen muss, hängt davon ab, ob der Schutz suchende Ausländer seinen Herkunftsstaat bereits auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat oder ob er unverfolgt ausgereist ist. War er noch keiner asylrechtlich beachtlichen Bedrohung ausgesetzt, kommt es bei der anzustellenden Prognose darauf an, ob ihm bei verständiger Würdigung aller Umstände seines Falles politische Verfolgung mit "beachtlicher" Wahrscheinlichkeit droht (BVerwG vom 29.11.1977 Buchholz 402.23 § 28 AuslG Nr. 11). Wurde ein Ausländer demgegenüber bereits im Herkunftsland politisch verfolgt, so greift zu seinen Gunsten ein herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab ein: Er muss vor erneuter Verfolgung "hinreichend sicher" sein (BVerfG vom 2.7.1980, a.a.O., S. 360). Das setzt eine mehr als nur überwiegende Wahrscheinlichkeit voraus, dass es im Heimatstaat zu keinen Verfolgungsmaßnahmen kommen wird (BVerwG vom 31.3.1981 Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 27). Der Bejahung hinreichender Sicherheit vor erneuter Verfolgung stehen andererseits nicht jede noch so geringe Möglichkeit abermaligen Verfolgungseintritts und jeder - auch entfernt liegende - Zweifel an der künftigen Sicherheit des Betroffenen entgegen; vielmehr müssen hieran mindestens "ernsthafte" Zweifel bestehen (BVerwG vom 1.10.1985 Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 37). Dass die Gefahr erneuter Übergriffe "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" ausgeschlossen werden kann, ist nicht erforderlich (BVerwG vom 1.10.1985, ebenda). Über die "theoretische" Möglichkeit, Opfer eines Übergriffs zu werden, hinaus ist erforderlich, dass objektive Anhaltspunkte einen Übergriff als nicht ganz entfernte und damit durchaus "reale" Möglichkeit erscheinen lassen (BVerwG vom 9.4.1991 Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 143; BVerwG vom 8.9.1992 NVwZ 1993, 191/192).

Dieser herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist auch bei solchen Ausländern anzuwenden, die persönlich unverfolgt ausgereist sind, jedoch einer Gruppe angehören, deren Mitglieder im Herkunftsstaat zumindest regional kollektiv verfolgt wurden (BVerwG vom 9.9.1997 BVerwGE 105, 204/208). Das gilt auch dann, wenn diese (regionale) Gefahr als objektiver Nachfluchttatbestand erst nach der Ausreise des Schutzsuchenden auftritt; denn für den Angehörigen einer solchen Gruppe hat sich das fragliche Land nachträglich als Verfolgerstaat erwiesen (BVerwG vom 9.9.1997, ebenda). Beschränkt sich die Gruppenverfolgung auf einen Teil des Herkunftslandes, so kommt für die gruppenzugehörigen Personen nur ein Gebiet in diesem Staat als inländische Fluchtalternative in Betracht, in dem sie vor Verfolgung "hinreichend sicher" sind (BVerwG vom 9.9.1997, ebenda).

3. Auch wenn alles dafür spricht, dass die Beigeladene die Russische Föderation unverfolgt verlassen hat, weil es bis zu ihrer Ausreise weder zu asylrechtlich relevanten Übergriffen auf ihre Person gekommen ist noch solche Maßnahmen konkret bevorstanden und sie vor einer Verfolgung, die Tschetschenen bzw. einem Teil dieser Volksgruppe seinerzeit ggf. kollektiv drohte (verneinend mit beachtlichen Gründen ThürOVG vom 16.12.2004 Az. 3 KO 1003/04, zit. nach Juris), an ihrem damaligen Aufenthaltsort in Inguschetien hinreichend sicher war, kann diese Frage vorliegend auf sich beruhen. Ebenfalls dahinstehen kann, ob sie heute politische Verfolgung aufgrund von Gegebenheiten zu befürchten hat, die erst nach ihrer Ausreise entstanden sind. Da sie selbst nichts dafür vorgetragen hat, dass die russische Staatsgewalt aufgrund von Umständen, die in ihrer Person liegen, gegen sie in asylerheblicher Weise vorgehen wird, könnten (objektive) Nachfluchtgründe nur bejaht werden, falls Tschetschenen oder Teile dieses Volkes heute in der Russischen Föderation als Gruppe verfolgt würden (verneinend auch insoweit mit gewichtigen Gründen ThürOVG vom 16.12.2004, a.a.O., Abschnitt B.IV.2 der Entscheidungsgründe). Doch selbst wenn das zu bejahen sein sollte und die Frage, ob die Beigeladene heute einen Schutzanspruch nach § 60 Abs. 1 AufenthG besitzt, deshalb anhand des herabgestuften Prognosemaßstabs zu beantworten wäre (hiervon geht der Verwaltungsgerichtshof nachfolgend zu ihren Gunsten aus), wäre sie jedenfalls in den weitaus meisten Teilen der Russischen Föderation vor politischer Verfolgung hinreichend sicher.

Verhält es sich aber so, kann auch dahinstehen, ob an der im Urteil des Senats vom 31. Januar 2005 (Az. 11 B 02.31597) vertretenen Auffassung, Tschetschenen sei eine Aufenthaltnahme - zu verstehen als eine Niederlassung von gewisser Dauer - in Tschetschenien, Inguschetien, Kabardino-Balkarien sowie den Regionen Krasnodar und Stawropol "unzumutbar", festzuhalten ist. Denn die Beigeladene muss sich nur ganz kurzfristig (nämlich um einen neuen Inlandspass zu erlangen) in eines dieser "Problemgebiete" begeben; es lässt sich zeigen, dass sie bei einem auf wenige Tage begrenzten Aufenthalt sogar dort vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist.

a) Bei ihrer (freiwilligen oder erzwungenen) Rückkehr nach Russland hätte die Beigeladene asylrechtlich relevante Übergriffe nicht bereits im Zusammenhang mit der Einreise zu befürchten.

Wegen der bis zur Jahreswende 2004/2005 bekannt gewordenen tatsächlichen Gegebenheiten, die diese Prognose rechtfertigen, wird auf Abschnitt 1 (S. 13 Mitte bis S. 17 Mitte) des im Verfahren des Bruders der Beigeladenen ergangenen, allen Beteiligten bekannten Urteils des Verwaltungsgerichtshofs vom 31. Januar 2005 (Az. 11 B 02.31597) Bezug genommen. Auch die Beigeladene des vorliegenden Verfahrens hat - ebenso wie ihr Bruder - zu keiner Zeit geltend gemacht, dass sie den tschetschenischen Separatismus unterstützt oder befürwortet oder sie sich sonst in einer Art und Weise betätigt bzw. geäußert hat, die das Missfallen der russischen Staatsgewalt hervorgerufen haben könnte; desgleichen hat sie nichts dafür vorgetragen, dass ihr die russischen Behörden ohne eigenes Zutun ein antirussisches Engagement unterstellen. Bei ihr handelt es sich auch nach dem Eindruck, den der Verwaltungsgerichtshof in der mündlichen Verhandlung von ihr gewinnen konnte, vielmehr um einen unpolitischen Menschen; schon von ihrem äußeren Erscheinungsbild her kann sie schwerlich die Besorgnis hervorrufen, man habe es bei ihr mit einer gewaltgeneigten Widerstandskämpferin zu tun. Die Erwägungen, im Hinblick auf die der Verwaltungsgerichtshof im Urteil vom 31. Januar 2005 (a.a.O.) zu dem Ergebnis gelangt ist, ihr Bruder habe bei der Einreise keine Übergriffe auf asylrechtlich geschützte Rechtsgüter zu befürchten, obwohl man ihn u. U. sorgfältig überprüfen werde, gelten in ihrem Fall deshalb in gleicher Weise.

Die seither hinzugekommenen Erkenntnisse rechtfertigen keine andere Prognose.

Wenn auf Seite 13 der Ausarbeitung der Gesellschaft für bedrohte Völker "Schleichender Völkermord in Tschetschenien" vom November 2005 beiläufig ausgeführt wird, der Vorsitzende einer (in den sonstigen Quellen nicht erwähnten) "Organisation für die Filtrationshäftlinge" habe die Namen von 248 Männern zusammengestellt, die im Anschluss an ihre Abschiebung nach Russland (z.B. aus Polen, Tschechien oder der Slowakei) verhaftet und in Filtrationslagern interniert worden seien, so reicht das nicht aus, um hierauf die Befürchtung zu stützen, die Beigeladene sei bei der Einreise vor asylrechtlich relevanten Maßnahmen nicht hinreichend sicher. Die vorerwähnte Behauptung ist schon deshalb unzuverlässig, weil nicht erkennbar wird, ob die Gesellschaft für bedrohte Völker deren Richtigkeit inhaltlich überprüft hat; dazu hätte umso mehr Veranlassung bestanden, als angenommen werden muss, dass der Vorsitzende der "Organisation für die Filtrationshäftlinge" Tschetschene ist (auch sein Vor- und sein Familienname deuten darauf hin) und seine Darstellungen deshalb interessengeleitet sein könnten. Erheblichen Vorbehalten müssen seine Angaben auch deshalb begegnen, weil nicht erkennbar wird, wann sich die behaupteten Vorfälle zutrugen. Da auch sonst kein einziges der angeblichen Vorkommnisse - z.B. durch Mitteilung der Namen von Betroffenen - näher individualisiert wird und sich diese Einlassung deshalb einer Nachprüfung entzieht, reicht sie nicht aus, um die Aussage zu erschüttern, die Beigeladene werde vor etwaigen Repressalien bei der Einreise insbesondere dann hinreichend sicher sein, wenn sie Vorkehrungen dafür trifft, dass sie bei der Ankunft in der Russischen Föderation durch Beauftragte von Menschenrechtsorganisationen erwartet wird.

Kein gegenteiliges Ergebnis folgt ferner aus dem Umstand, dass nach der Darstellung in Abschnitt IV.2 des Lageberichts vom 15. Februar 2006 ein im November 2005 rückgeführter Mann nach den Erkenntnissen von "Memorial" auf Grund eines Haftbefehls wegen Diebstahls in Grosny festgenommen wurde. Zum einen hält das Auswärtige Amt ausdrücklich fest, dass der Betreffende den Flughafen Moskau-Domodedovo nach dem Passieren der Grenzkontrollen verlassen konnte. Zum anderen hätte die Menschenrechtsorganisation "Memorial", die in Tschetschenien und Inguschetien mit insgesamt fünf Beratungsstellen vertreten ist (vgl. S. 2 der Ausarbeitung "Zur Situation der Bürger Tschetscheniens in der Russischen Föderation Juni 2004 - Juni 2005") und die dortigen Vorkommnisse eingehend beobachtet, die Mitteilung dieses Vorfalls an deutsche Stellen zweifelsfrei mit dem Hinweis versehen, die Festnahme des Betroffenen wegen Diebstahls sei nur vorgeschoben, um ihn aus anderen Gründen belangen zu können, würde es sich tatsächlich so verhalten.

b) Nach der Einreise wird die Beigeladene - allerdings nur wenige Tage lang - Grosny aufsuchen müssen, um sich dort einen neuen Inlandspass zu besorgen. Da sie bereits einen Inlandspass besitzt, der durch eine Behörde der Russischen Föderation auf einem "neuen", nicht mehr die Staatssymbole der ehemaligen Sowjetunion tragenden Vordruck ausgestellt wurde, ergibt sich diese Notwendigkeit für sie zwar nicht aus dem Umstand, dass die Gültigkeit der alten "sowjetischen" Inlandspässe am 30. Juni 2004 endete (vgl. u. a. Abschnitt IV.1 des Lageberichts vom 15.2.2006). Dem Erlass der Regierung der Russischen Föderation Nr. 828 vom 8. Juli 1997, zuletzt geändert durch Erlass vom 2. Juli 2003, zufolge ist jedoch jeder Staatsangehörige der Russischen Föderation verpflichtet, sich im Laufe seines Lebens, beginnend mit der Vollendung des 14. Lebensjahrs, drei Inlandspässe ausstellen zu lassen, wobei der erste Umtausch im Alter von 20 und der zweite im Alter von 45 Jahren vorgeschrieben ist (Nr. 2 des Schreibens des Auswärtigen Amtes an den Bayer. Verwaltungsgerichtshof vom 3.3.2006). Da die Beigeladene bei der Ausstellung des Inlandspasses, den sie am 15. Januar 2001 erhielt, 18 Jahre alt war, muss sie nach einer Rückkehr in die Russische Föderation mithin einen Passumtausch durchführen.

Einen neuen Inlandspass muss sie bei dem Meldeamt beantragen, bei dem sie bisher registriert ist (vgl. Nr. 4 des Schreibens des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Berlin vom 22.11.2005). Da es in der Russischen Föderation keine Abmeldung von Amts wegen gibt, beeinflusst selbst eine jahrelange Abwesenheit den Fortbestand einer einmal erfolgten Registrierung nicht (Nr. 8 des Schreibens des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Berlin vom 22.11.2005). Da die Beigeladene nach Aktenlage zuletzt in Grosny registriert war, die Geltungsdauer des Befehls Nr. 347, der einen Passumtausch auch an einem mit dem Ort der letzten Anmeldung nicht identischen Wohnort des Betroffenen vorsah, zwischenzeitlich ausgelaufen ist und es auch sonst keine Sonderregelungen für Tschetschenen mehr gibt (Nrn. 1 und 7 des Schreibens des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Berlin vom 22.11.2005), muss sie sich zu diesem Zweck persönlich nach Grosny begeben (vgl. Abschnitt IV.1 des Lageberichts vom 15.2.2006 und Nr. 6 des Schreibens des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Berlin vom 22.11.2005).

Die Notwendigkeit, zwecks Erlangung eines neuen Inlandspasses Tschetschenien aufzusuchen, besteht allerdings nur für wenige Tage. Denn der Erlass Nr. 828 sieht für dieses Verwaltungsgeschäft eine maximale Bearbeitungsdauer von zehn Tagen vor (Nr. 3 des Schreibens des Auswärtigen Amtes an den Bayer. Verwaltungsgerichtshof vom 3.3.2006). Auskünften der Pass- und Visaverwaltung der Tschetschenischen Republik in Grosny zufolge wird diese Frist auch in Tschetschenien in der Regel eingehalten (Nr. 3 des Schreibens des Auswärtigen Amtes an den Bayer. Verwaltungsgerichtshof vom 3.3.2006). Bei noch notwendigen Rückfragen kann die Ausstellung allerdings bis zu einem Monat dauern. In diesen Fällen kann dem Antragsteller jedoch ein vorübergehender Ausweis ausgestellt werden, so dass er Tschetschenien in Richtung auf seinen aktuellen Wohnort verlassen kann und er nur zur Passübergabe nochmals anreisen muss (vgl. auch dazu Nr. 3 des Schreibens des Auswärtigen Amtes an den Bayer. Verwaltungsgerichtshof vom 3.3.2006).

Es ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass die Beigeladene einen Inlandspass innerhalb der normativ vorgegebenen Zehn-Tages-Frist erhalten kann. Da sie nach Aktenlage derzeit weder über einen Reisepass noch über ein sonstiges Dokument verfügt, mit dem sie in die Russische Föderation einreisen könnte, ist ihre Abschiebung oder ihre freiwillige Rückkehr in den Heimatstaat nur möglich, wenn ihr eine russische Auslandsvertretung zuvor ein Rückreisedokument ausstellt (Nr. 8 des Schreibens des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Berlin vom 22.11.2005). Die Ausstellung eines solchen Dokuments setzt die vorherige Überprüfung der Identität der betreffenden Person durch die Innenbehörden der Russischen Föderation voraus (Nr. 4 des Schreibens des Auswärtigen Amtes an den Bayer. Verwaltungsgerichtshof vom 3.3.2006). Wurde ein Rückreisedokument erteilt, kann deshalb davon ausgegangen werden, dass die für die Ausstellung eines Inlandspasses benötigten Unterlagen vorliegen (Nr. 5 des Schreibens des Auswärtigen Amtes an den Bayer. Verwaltungsgerichtshof vom 3.3.2006).

Die Beigeladene muss sich aber auch nicht zwangsläufig zehn Tage lang in Tschetschenien aufhalten. Ebenso wie in den Fällen, in denen die Bearbeitungsfrist bis zu einem Monat beträgt, steht es ihr frei, sich nur aus Anlass der Beantragung sowie am Tag der Abholung des neuen Inlandspasses nach Grosny zu begeben und sich während der übrigen Tage in nahe gelegenen anderen Landesteilen (z.B. in der unmittelbar benachbarten Teilrepublik Dagestan, in Bezug auf die weder das Auswärtige Amt noch irgendeine Menschenrechtsorganisation behaupten, Tschetschenen würden dort politisch verfolgt) aufzuhalten. Zwischen der dagestanischen Grenzstadt Chassawjurt und Grosny verläuft, wie z.B. der Landkarte entnommen werden kann, die dem zu Tschetschenien ergangenen Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 30. August 2005 beigefügt ist, eine Hauptverkehrsstraße; die Entfernung beträgt ca. 70 km.

Das Risiko, dass die Beigeladene an den beiden Tagen, an denen sie sich notwendig nach Tschetschenien begeben muss, politischer Verfolgung ausgesetzt sein wird, ist derart gering, dass nicht von einer "realen" Gefahr für sie gesprochen werden kann, die nach dem eingangs Gesagten der Bejahung "hinreichender Sicherheit" entgegenstünde.

An rechtswidrigen Handlungen, die u. U. als "politische Verfolgung" von Bewohnern Tschetscheniens verstanden werden können, nennt das Auswärtige Amt im Lagebericht vom 15. Februar 2006 (S. 15) insbesondere willkürliche Festnahmen, Entführungen, das Verschwindenlassen und die Ermordung von Menschen, Misshandlungen, Vergewaltigungen, Sachbeschädigungen und Diebstähle. Die beiden letztgenannten Arten von Übergriffen müssen in vorliegendem Zusammenhang außer Betracht bleiben, da sich Sachbeschädigungen und Diebstähle weder gegen die asylrechtlich ausdrücklich geschützten Rechtsgüter Leib, Leben und persönliche Freiheit richten noch ersichtlich ist, dass sie nach ihrer Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was die Bewohner des Heimatstaates aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen haben; die jüngste Ausarbeitung von "Memorial" ("Zur Situation der Bürger Tschetscheniens in der Russischen Föderation Juni 2004 - Juni 2005") erwähnt derartige Delikte vielmehr nur sporadisch (vgl. die auf S. 18 dieser Ausarbeitung geschilderten Diebstahlshandlungen bei der am 16.11.2004 von Kadyrow-Leuten vorgenommenen Hausdurchsuchung sowie den auf S. 22 und in der Anlage 3 zu dieser Unterlage dokumentierten, das Dorf Zumsa [bzw. Zumsoj] betreffenden Vorfall).

Konkrete Fälle von Vergewaltigungen, die in jüngerer Zeit in Tschetschenien durch Angehörige staatlicher Organisationen verübt wurden, werden in den dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln nicht mehr geschildert. Die auf Seite 17 des Lageberichts vom 15. Februar 2006 erwähnten Vorkommnisse trugen sich 1999 zu. In der Ausarbeitung von Amnesty International "Russische Föderation: Tschetschenische Republik - 'Normalisierung' in wessen Augen?" vom 23. Juni 2004 wird ausgeführt, diese Menschenrechtsorganisation habe "während der ersten Zeit des jetzigen bewaffneten Konflikts" mehrere Fälle dokumentiert, bei denen tschetschenische Frauen gefoltert, vergewaltigt und misshandelt wurden oder Angehörige der Streitkräfte sie hätten "verschwinden lassen" (S. 11 der deutschen Übersetzung dieser Unterlage). Auch die auf Seite 16 oben des Lageberichts vom 15. Februar 2006 referierte Tat eines russischen Obersten, gegen den im Juli 2003 wegen Vergewaltigung und Ermordung einer Tschetschenin eine zehnjährige Freiheitsstrafe verhängt wurde, muss ausweislich des Zeitpunkts der Verurteilung bereits länger zurückliegen. Soweit der zu Tschetschenien ergangene Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 30. August 2005 auf Seite 9 oben ausführt, die tschetschenischen Kämpfer würden Frauen verschleppen und vergewaltigen, so können von dieser Seite begangene Taten der Russischen Föderation nicht nach § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. b) und c) AufenthG zugerechnet werden. Denn die Aufständischen beherrschen derzeit keinen wesentlichen Teil der Russischen Föderation mehr; bereits seit dem Frühjahr 2000 kontrollieren vielmehr die föderalen Kräfte - abgesehen von unwegsamen Wald- und Berggebieten - wieder das gesamte Territorium Tschetscheniens (vgl. S. 5 des zu Tschetschenien ergangenen Lageberichts vom 30.8.2005). Der russische Staat ist ferner willens und - abgesehen von vereinzelten Terroranschlägen - grundsätzlich auch in der Lage, seine Bewohner vor Übergriffen durch die Rebellen zu schützen: Ihre Zahl hat sich von einer Größenordnung, die ausreichte, um der russischen Armee im ersten Tschetschenienkrieg derart wirksam zu widerstehen, dass der russische Staat zum Abschluss des Waffenstillstandsabkommens von Chassawjurt und zur Hinnahme der de-facto-Unabhängigkeit Tschetscheniens gezwungen war, nach russischer Darstellung auf zuletzt ca. 700 bis 750 Personen reduziert (vgl. Abschnitt 1.2.2 der "Erkenntnisse des Bundesamtes" vom März 2006); die Zahl der Terroranschläge ging im Jahr 2005 gegenüber 2004 - ebenfalls nach russischer Darstellung - um 60 % zurück (vgl. auch dazu Abschnitt 1.2.2 der "Erkenntnisse des Bundesamtes" vom März 2006).

Von (einigen wenigen) Misshandlungen berichtet "Memorial" in der Ausarbeitung "Zur Situation der Bürger Tschetscheniens in der Russischen Föderation Juni 2004 - Juni 2005" (Seiten 17 - 22) in Zusammenhang mit Durchsuchungsaktionen, die in den Unterbringungszentren durchgeführt wurden, die der Aufnahme von aus Inguschetien nach Tschetschenien zurückgekehrten ehemaligen Bürgerkriegsflüchtlingen dienen. Da die Beigeladene nicht zu dem Personenkreis gehört, für den diese Einrichtungen bestimmt sind, ist sie von den insoweit punktuell zu verzeichnenden Vorkommnissen nicht betroffen.

Die wenigen im vergangenen Jahr in Tschetschenien noch durchgeführten Luftangriffe (vgl. die beiden von "Memorial" auf den Seiten 22 f. der letztgenannten Ausarbeitung erwähnten Vorfälle am 14.1.2005 und am 27.3.2005) betrafen nicht die Stadt Grosny, in die allein sich die Beigeladene begeben muss. Auch "Memorial" weist darauf hin, dass es Menschen "insbesondere in den Bergdörfern" (S. 22 der Ausarbeitung "Zur Situation der Bürger Tschetscheniens in der Russischen Föderation Juni 2004 - Juni 2005") sind, die ggf. noch derartige Maßnahmen zu befürchten haben. Das ist auch von der Sache her nachvollziehbar, da sich die Aufständischen nur noch in unwegsamen Wald- und Berggebieten halten können (vgl. S. 5 des zu Tschetschenien ergangenen Lageberichts des Auswärtigen Amtes vom 30.8.2005).

Die verbleibende Gefahr einer möglichen politischen Verfolgung besteht danach in der Möglichkeit willkürlicher Festnahmen, Entführungen, des Verschwindenlassens und der Ermordung von Personen. Insbesondere die Entführungen sind nach Einschätzung von "Memorial" das größte Problem in diesem Teil der Russischen Föderation (vgl. Abschnitt 1.2.5 der "Erkenntnisse des Bundesamtes" vom März 2006).

Nach Darstellung von "Memorial" wurden im Jahr 2005 192 Bewohner Tschetscheniens getötet, darunter 78 Zivilisten, 44 Rebellen, 44 Angehörige von Rechtsschutzorganen und Sicherheitskräften, acht Repräsentanten des öffentlichen Lebens sowie 18 nicht identifizierte Personen (Abschnitt 1.2.5 der "Erkenntnisse des Bundesamtes" vom März 2006). Ebenfalls nach den Angaben von "Memorial" wurden 2005 in Tschetschenien 316 Personen entführt, von denen 127 weiterhin vermisst würden; 151 seien freigelassen worden, 23 habe man tot aufgefunden, gegen die restlichen 15 seien Strafverfahren anhängig (vgl. auch dazu Abschnitt 1.2.5 der "Erkenntnisse des Bundesamtes" vom März 2006). Berücksichtigt man, dass "Memorial" für das Jahr 2003 noch 472 und für 2004 396 Entführungsfälle verzeichnete (vgl. die Angaben auf S. 6 des Tschetschenien betreffenden Ad-hoc-Berichts vom 13.12.2004 und auf S. 7 unten des zu Tschetschenien ergangenen Lageberichts vom 30.8.2005), so verdeutlicht das, dass sich die Verhältnisse in Tschetschenien kontinuierlich verbessern; auch "Memorial" sieht darin ein "positives Zeichen" (vgl. die in Abschnitt 1.2.5 der "Erkenntnisse des Bundesamtes" vom März 2006 wiedergegebene Äußerung eines Vertreters dieser Menschenrechtsorganisation). Der tschetschenische Präsident Alchanov bezifferte die Zahl der Entführungen für 2005 sogar nur auf 77 gegenüber 213 im Jahr 2004 (Abschnitt 1.2.5 der "Erkenntnisse des Bundesamtes" vom März 2006).

Bei der Beurteilung, im welchem Maß das Leben der Beigeladenen in Tschetschenien gefährdet ist, dürfen nur die 78 getöteten Zivilisten sowie ein Teil der 18 nicht identifizierten Personen berücksichtigt werden, da die Beigeladene weder im öffentlichen Leben steht noch den Sicherheits- oder Rechtspflegeorganen angehört. Zu verringern ist die Zahl der getöteten Zivilisten ferner um diejenigen, die von den Rebellen ermordet wurden oder die Opfer nicht politisch motivierter Tötungshandlungen (z. B. von Blutrache) oder fortwirkender Kriegsfolgen wurden (z.B. auf eine Mine getreten sind).

Was das Risiko der Beigeladenen anbetrifft, entführt zu werden, so sind von den 316 Personen, denen im Jahr 2005 dieses Schicksal widerfahren ist, zunächst jene 15 Menschen abzuziehen, gegen die ein Strafverfahren eingeleitet wurde. Denn es muss davon ausgegangen werden, dass gegenüber diesen Personen keine extralegalen Freiheitsberaubungen begangen wurden, sondern Maßnahmen der Strafrechtspflege bzw. der vorbeugenden Gefahrenabwehr (z.B. der Terrorismusbekämpfung) inmitten standen. Dass zusätzlich einige weitere Fälle von Freiheitsentzug als legitime, asylrechtlich unbeachtliche Handlungen der Staatsgewalt zu qualifizieren sein könnten, muss im Hinblick darauf angenommen werden, dass "Memorial" offenbar auch Maßnahmen der Sicherheitsorgane als "Entführung" qualifiziert, die eindeutig darauf abzielten, verdächtige Personen in vorübergehenden staatlichen Gewahrsam zu nehmen. So wird z.B. die auf den Seiten 59 f. der Ausarbeitung "Zur Situation der Bürger Tschetscheniens in der Russischen Föderation Juni 2004 - Juni 2005" geschilderte Festnahme von ******* ******* durch Milizionäre bzw. Angehörige des Patrouillierdienstes des tschetschenischen Innenministeriums ausdrücklich als "Entführung" bezeichnet, obwohl nach eigener Darstellung von "Memorial" gegen den Betroffenen der Verdacht der finanziellen Unterstützung der Aufständischen und der Zusammenarbeit mit ihnen im Raum stand und er bereits im Laufe des Tages, der sich an die nächtliche Festnahme anschloss, wieder freigelassen wurde, nachdem sich der Verdacht als unbegründet erwiesen hatte. Ob es sich bei dem auf den Seiten 60 bis 62 der gleichen Dokumentation referierten Fall der Verbringung zweier Bewohner Inguschetiens nach Tschetschenien - wie von "Memorial" behauptet - um eine (extralegale) "Entführung" oder nicht vielmehr ebenfalls um eine legitime sicherheitsbehördliche Maßnahme handelte, erscheint nach der von "Memorial" gegebenen Darstellung zumindest zweifelhaft. Denn die insoweit tätig gewordenen Personen wiesen sich gegenüber einem den Vorgang an Ort und Stelle eingehend nachprüfenden Staatsanwalt als Angehörige des FSB aus; sie legten ihm und den vom Staatsanwalt herbeigerufenen Vertretern des FSB Dokumente vor, die sie zur Festnahme der Betroffenen berechtigten. Bestätigt wird der Befund, dass "Memorial" auch Personen, die von staatlichen Organen aus Gründen der Strafrechtspflege oder der Gefahrenabwehr festgenommen wurden, als "entführt" ansieht, durch den Umstand, dass diese Menschenrechtsorganisation auf Seite 59 der Ausarbeitung "Zur Situation der Bürger Tschetscheniens in der Russischen Föderation Juni 2004 - Juni 2005" selbst einräumt, Personen, die zunächst "entführt" worden seien, würden in den "Strukturen des Innenministeriums" später als gesetzlich Verhaftete in Erscheinung treten.

Abzuziehen sind von der von "Memorial" genannten Zahl von Entführungsfällen ferner jene 5 %, die nach Darstellung einer russischen Journalistin (wiedergegeben auf S. 58 unten der letztgenannten Ausarbeitung) durch die Rebellen verübt wurden.

Gegen eine auch nur entfernt ins Gewicht fallende Gefahr, dass die Beigeladene einer Entführung zum Opfer fallen könnte, spricht schließlich, dass von den mehr als 2.500 Personen, die nach Darstellung des stellvertretenden Hauptstaatsanwalts für Tschetschenien seit September 1999 entführt wurden oder verschwunden sind, nur 109 Frauen waren (vgl. S. 8 f. der den Berichtszeitraum "April 2005" betreffenden "Erkenntnisse des Bundesamtes" vom Juni 2005). Das entspricht einem Anteil von 4,36 % aller Betroffenen. Dem auf den Seiten 19 f. der Ausarbeitung "Zur Situation der Bürger Tschetscheniens in der Russischen Föderation Juni 2004 - Juni 2005" erwähnten, nur wenige Stunden dauernden Fall der "Entführung" einer Frau fehlt im Übrigen jeder politische Einschlag; er stellt sich eher als eine skurrile Form der Kontaktaufnahme dar.

Für eine zutreffende Einschätzung der Gefährdung, der sich die Beigeladene während eines kurzfristigen Aufenthalts in Tschetschenien ausgesetzt sieht, muss zusätzlich berücksichtigt werden, dass nicht jede Frau in gleicher Weise damit rechnen muss, einer Entführung zum Opfer zu fallen. Vielmehr dienen die Freiheitsberaubungen, die von den unter dem Einfluss des stellvertretenden tschetschenischen Ministerpräsidenten Kadyrow stehenden Kräften begangen werden (auf ihr Konto gehen nach Darstellung der vorerwähnten russischen Journalistin ca. 85 % aller Entführungen in Tschetschenien), häufig dem Zweck, Führer der illegalen bewaffneten Gruppierungen zum Überlaufen zu zwingen (vgl. S. 59 oben der Ausarbeitung "Zur Situation der Bürger Tschetscheniens in der Russischen Föderation Juni 2004 - Juni 2005"). Unter diesem Blickwinkel hat die Beigeladene nichts zu befürchten, da sie nicht vorgetragen hat, einer ihrer Angehörigen kämpfe - noch dazu in hervorgehobener Position - bei den Rebellen. Gleiches gilt mit Blickrichtung auf den Umstand, dass Entführungen und Tötungshandlungen dazu dienen sollen, Personen, die sich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gewandt haben, einzuschüchtern bzw. sie wegen dieses Verhaltens mit einer Sanktion zu belegen (vgl. dazu die Seiten 64 bis 70 der Ausarbeitung "Zur Situation der Bürger Tschetscheniens in der Russischen Föderation Juni 2004 - Juni 2005").

Bei alledem wird nicht verkannt, dass die von "Memorial" mitgeteilten Zahlen über Entführungen und Tötungen nicht die Gesamtheit aller Betroffenen erfassen können, da diese Menschenrechtsorganisation nur ca. 30 % des Gebiets von Tschetschenien beobachten kann (vgl. S. 58 der vorgenannten Ausarbeitung). Da die Beigeladene sich indes ohnehin nur nach Grosny begeben muss, erweist es sich in ihrem Fall als entscheidungsunerheblich, in welchem Umfang es in Landesteilen, die keinem Monitoring durch "Memorial" unterliegen, zu einschlägigen Übergriffen kommt. Da allein in Grosny zwischen 250.000 und 300.000 Menschen leben (vgl. Abschnitt 1.1.1 der "Erkenntnisse des Bundesamtes" vom April 2006), wobei das knappe Drittel Tschetscheniens, auf das sich die von "Memorial" mitgeteilten Zahlen beziehen, weit größer als das Stadtgebiet Grosnys ist, wird bereits anhand dieser Relationen deutlich, wie gering für die Beigeladene das Risiko bei einem auf wenige Tage beschränkten Aufenthalt in Tschetschenien ist.

Hinzu kommt, dass nach eigener Darstellung der Beigeladenen zu Beginn des Jahres 2005 mindestens zwei Onkel und zwei Tanten in Inguschetien lebten. Unabhängig davon, ob sich diese Verwandten weiterhin dort aufhalten oder sie nach Tschetschenien zurückgekehrt sind, müsste sich die Beigeladene an den wenigen Tagen, während derer sie sich in den Nordkaukasus begeben muss, dort nicht alleine behaupten, sondern würde über Personen verfügen, an die sie sich entweder in Tschetschenien oder in Inguschetien, in dem sich die Sicherheitslage nach den vorhandenen Erkenntnismitteln jedenfalls nicht ungünstiger als in Tschetschenien darstellt, wenden könnte (vgl. zu den Verhältnissen in Inguschetien ausführlich Kapitel V der Ausarbeitung "Zur Situation der Bürger Tschetscheniens in der Russischen Föderation Juni 2004 - Juni 2005").

Der Beigeladenen wird es auch möglich sein, Tschetschenien oder eine nahe gelegene Region zum Zwecke der Ausstellung eines neuen Inlandspasses zu erreichen. Sofern sie bereit ist, die Bundesrepublik Deutschland nach bestandskräftigem Abschluss ihres asylrechtlichen Verfahrens freiwillig zu verlassen, kann sie Rückkehrhilfen nach dem REAG-/GARP-Programm in Anspruch nehmen. Auf derartige Zuwendungen besteht nach der Nummer 3.1 dieses Programms in der im Jahr 2006 geltenden Fassung zwar kein Rechtsanspruch; es ist jedoch nicht ersichtlich, warum der Beigeladenen derartige Mittel vorenthalten werden sollten, zumal sie Gleichbehandlung mit anderen abgelehnten Asylbewerbern verlangen kann. Nach der Nummer 1.1.1 dieses Programms übernimmt die deutsche öffentliche Gewalt die Hälfte der Beförderungskosten vom Flughafen oder Bahnhof bis zum Bestimmungsort (d.h. nach Tschetschenien oder in eine benachbarte Region). Nach der Nummer 1.1.2 des REAG-/GARP-Programms erhält die Beigeladene außerdem für sich eine Reisebeihilfe in Höhe von 100,- € und für ihre Tochter in Höhe von 50,- €. Nach der Nummer 1.2.1 (Gruppe 2) wird ihr und ihrer Tochter zusammen außerdem eine GARP-Starthilfe in Höhe von 375,- € gewährt. Die Beigeladene verfügt damit, selbst wenn sie von ihren im Bundesgebiet bleibeberechtigten Angehörigen nicht zusätzlich unterstützt werden sollte, bei einer freiwilligen Rückkehr in die Russische Föderation über Barmittel in Höhe von insgesamt 525,- €. Dass es sich hierbei um keinen geringen Betrag handelt, verdeutlicht die Überlegung, dass sich ein durchschnittliches Monatseinkommen in der russischen Provinz im Bereich von 35,- bis 44,- € bewegt und sich die Sozialhilfeleistungen in Russland auf etwa 29,- € pro Monat belaufen (vgl. S. 7 der Ausarbeitung der Schweizerischen Flüchtlingshilfe: "Russische Föderation: Behandlungsmöglichkeiten bei Tetraplegie"). Die 525,- €, die die Beigeladene zusätzlich zur hälftigen Übernahme der Fahrtkosten von Moskau in den Nordkaukasus erhält, entsprechen mithin selbst dann, wenn man einen am oberen Rand des Durchschnittseinkommens liegenden Betrag von 44,- € pro Monat zugrunde legt, praktisch dem vollen Jahreseinkommen einer außerhalb Moskaus lebenden, durchschnittlich gut situierten Person in Russland. Soweit Frau ******* in ihrem an die Gerichte und andere Adressaten in Deutschland gerichteten Schreiben vom 16. Oktober 2005 behauptet hat, man müsse, um einen Inlandspass zu erhalten, 50,- bis 100,- € an Bestechungsgeldern bezahlen, kann dieser Darstellung schon deshalb nicht uneingeschränkt gefolgt werden, weil nach den Angaben im Lagebericht vom 15. Februar 2006 (S. 26 oben) bis zum September 2004 bereits allen 770.000 Bewohnern Tschetscheniens neue russische Inlandspässe ausgestellt wurden; es kann nicht angenommen werden, dass auch nur ein größerer Teil dieses Personenkreises in der Lage war, Bestechungsgelder in derartiger Höhe zu entrichten. Unabhängig davon müsste die Beigeladene in der Lage sein, solche Forderungen dann abzuwehren, wenn sie rechtlichen Beistand durch eine der fünf Beratungsstellen erbittet, die "Memorial" in Tschetschenien und Inguschetien unterhält. Auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sie aus dem Betrag, den ihr die deutsche Staatsgewalt bei einer freiwilligen Ausreise zur Verfügung stellt, zusätzlich die Lebensbedürfnisse ihrer Tochter bestreiten muss, darf deshalb davon ausgegangen werden, dass beide Personen zusammen für die Dauer eines Jahres eher mehr Geldmittel als ein Sozialhilfeempfänger innehaben werden.

c) Sofern sich die Beigeladene nach dem Erhalt eines neuen Inlandspasses in einem anderen Teil der Russischen Föderation als im Nordkaukasus niederlassen will, muss ein solches Vorhaben nicht daran scheitern, dass es für Tschetschenen schwierig ist, außerhalb Tschetscheniens eine Wohnung anzumieten. Zwar weigern sich nach Darstellung von Frau ******* (vgl. S. 2 ihres Schreibens an den Bayer. Verwaltungsgerichtshof vom 27.6.2005) Vermieter häufig aus Angst vor Unannehmlichkeiten, Wohnungen an Tschetschenen zu vermieten; auch würden sie häufig seitens der Milizinspektoren mit dem Ziel bedroht, Mietverträge zu kündigen (S. 48 der Ausarbeitung "Zur Situation der Bürger Tschetscheniens in der Russischen Föderation Juni 2004 - Juni 2005"). Andererseits darf nicht verkannt werden, dass die verbreitete Unwilligkeit von Vermietern, diejenigen Vordrucke auszufüllen, die ein Mieter benötigt, um sich registrieren zu lassen, darauf beruht, dass Vermieter Mieteinnahmen nicht versteuern wollen; es handelt sich hierbei um ein generelles, unabhängig von der ethnischen Zugehörigkeit des Mieters auftretendes Problem (Abschnitt II.5 des Lageberichts vom 15.2.2006).

Ungeachtet dieser Schwierigkeiten steht außer Zweifel, dass Tschetschenen auch außerhalb Tschetscheniens in der Russischen Föderation Wohnraum finden können. Denn nach Darstellung im Lagebericht vom 15. Februar 2006 (S. 16) leben allein in Moskau 200.000 und in der Wolgaregion 50.000 Tschetschenen; die Gesellschaft für bedrohte Völker spricht in Abschnitt 4.5.2 ihrer Ausarbeitung "Schleichender Völkermord in Tschetschenien" von etwa 10.000 Tschetschenen, die sich in der Region Rostow "als Flüchtlinge" (d.h. nicht als Personen, die sich bereits vor langer Zeit dort niedergelassen haben) aufhalten. Da nicht angenommen werden kann, dass auch nur der größte Teil dieser Personen über Wohnungseigentum verfügt, muss es vielen Tschetschenen gelingen, ein Mietverhältnis zu begründen.

Hierfür spricht namentlich, dass sich Tschetschenen keineswegs in allen Teilen der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens in der Position einer unterdrückten Minderheit befinden. Die Vorgänge im Gebiet Astrachan im August 2005 (vgl. Abschnitt 2.7 der "Erkenntnisse des Bundesamtes" vom Oktober 2005) zeigen vielmehr, dass sich in der "Diaspora" lebende Tschetschenen teilweise sogar korporativ organisieren und sie vor Ort einen derart beachtlichen Machtfaktor darstellen können, dass sie in der Lage sind, andere Volksgruppen zu bedrücken und auf den Gang der öffentlichen Verwaltung Einfluss zu nehmen. In jener Region war es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Tschetschenen und Kalmyken gekommen, für die ursächlich gewesen sein soll, dass entweder eine Gruppe betrunkener tschetschenischer Jugendlicher einen christlichen Friedhof geschändet hat oder Tschetschenen durch Zahlung von Bestechungsgeldern Landzuteilungen seitens der lokalen Behörden auf Kosten von Kalmyken erreichen konnten. Am 14. August 2005 fanden sich in der Kleinstadt Jandyki alsdann zwischen 50 und 100 Tschetschenen zu einem Rachefeldzug zusammen, drangen in die Häuser von Kalmyken ein und schlugen und verjagten deren Bewohner; in der Nacht zum 16. August 2005 wurde ein Kalmyke von etwa zwei Dutzend Tschetschenen zu Tode geprügelt. Gleichwohl lehnte es die Polizei, die aus Anlass dieser Vorkommnisse 1.500 Mann nach Jandyki verlegte, ab, der Forderung der Stadtversammlung nachzukommen und die Tschetschenen aus der Gemeinde zu entfernen. Dass es im Gebiet Astrachan organisierte Vertretungen von Tschetschenen gibt, zeigt der Umstand, dass in Zusammenhang mit diesen Vorfällen eine regionale "tschetschenisch-inguschetische Kulturgesellschaft" in Erscheinung trat. Wenn die des Vandalismus angeklagten Jugendlichen gerichtlich freigesprochen wurden, so zeigt das im Übrigen, dass nicht davon gesprochen werden kann, Tschetschenen würden vor den russischen Gerichten durchgängig benachteiligt.

Sofern die Beigeladene ihre Niederlassung in einem Teil der Russischen Föderation wählt, in dem ihre Volksangehörigen in ähnlicher Dichte wie im Raum Astrachan präsent sind, erscheint es ausgeschlossen, dass sie nicht in der Lage sein sollte, eine Unterkunft zu finden. Das gilt umso mehr, als es ihr aus den dargestellten Gründen in der Zeit bis zur Erlangung einer Registrierung und dem damit für den Fall der Bedürftigkeit einhergehenden Anspruch auf staatliche geförderte Wohnungen (vgl. S. 27 oben des Lageberichts vom 15.2.2006) und auf Sozialhilfe nicht an den erforderlichen Geldmitteln fehlt.

d) Sobald die Beigeladene über einen Inlandspass und Wohnraum verfügt, hat sie die rechtlichen Voraussetzungen dafür geschaffen, um sich am Ort ihrer Niederlassung registrieren zu lassen (vgl. auch dazu S. 27 des Lageberichts vom 15.2.2006). Hierauf besteht ein Rechtsanspruch; Ablehnungsgründe sieht die russische Rechtsordnung nicht vor (vgl. S. 1 unten des Schreiben von Frau ******* an den Bayer. Verwaltungsgerichtshof vom 27.6.2005). Insbesondere wurde das "Propiska"-System, das eine Gestattung oder Verweigerung des Zuzugs durch die Behörden ermöglichte, bereits 1991 (so Amnesty International in Abschnitt 1.1 des Schreibens an den Bayer. Verwaltungsgerichtshof vom 16.4.2004) bzw. 1993 (so der Lagebericht vom 15.2.2006, S. 26 unten) abgeschafft.

Dessen ungeachtet wird die legale Niederlassung von Personen aus den südlichen Republiken der Russischen Föderation an vielen Orten durch Verwaltungsvorschriften oder -praktiken stark erschwert (Lagebericht vom 15.2.2006, S. 26). Diese Zuzugsbeschränkungen gelten unabhängig von der Volkszugehörigkeit, wirken sich jedoch im Zusammenhang mit anti-kaukasischen Stimmungen stark auf die Möglichkeit rückgeführter Tschetschenen aus, sich legal an einem Ort ihrer Wahl niederzulassen (Lagebericht vom 15.2.2006, ebenda).

Diese - rechtswidrigen - Restriktionen werden indes nicht in allen Landesteilen gleichermaßen angewandt. Vor allem in Südrussland ist eine Registrierung leichter möglich als z.B. in Moskau (Lagebericht vom 15.2.2006, S. 28). Das ist deswegen von Bedeutung, weil dort zahlreiche Tschetschenen leben - die Beigeladene mithin auf ein sie tragendes "Netzwerk" von Volkszugehörigen zurückgreifen kann - und dort auch Wohnraum zu erheblich günstigeren Preisen als in Moskau zur Verfügung steht (Lagebericht vom 15.2.2006, ebenda).

Dass der Erhalt einer Registrierung für Tschetschenen jedoch selbst in Moskau nicht zwangsläufig ein unüberwindliches Problem darstellt, folgt aus der Angabe von "Memorial", wonach es in der russischen Hauptstadt Milizdienststellen gibt, die den Angehörigen dieser Volksgruppe - noch dazu gebührenfrei - Registrierungen ausstellen (vgl. S. 53 der Ausarbeitung "Bewohner Tschetscheniens in der Russischen Föderation Juni 2003 - Mai 2004"). Bestätigt wird diese Gegebenheit durch die Ausführungen des tschetschenischen Duma-Abgeordneten *******, die auf Seite 4 der Anlage 1 zum Schreiben der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte an das Auswärtige Amt vom 30. August 2001 wiedergegeben werden. Wenn dort angemerkt wurde, die Registrierung der Tschetschenen in Moskau und in anderen russischen Städten sei auf drei Monate begrenzt, so folgt daraus, dass diese Personen jedenfalls eine - wenngleich nur befristet gültige - Registrierung erhalten können. Die zeitliche Beschränkung ist dem Grunde nach dann nicht zu beanstanden, wenn der Betroffene in der fraglichen Kommune nur einen vorübergehenden Aufenthalt begründet hat, da die Anmeldung in solchen Fällen regelmäßig nur für sechs Monate bestätigt wird und danach erneuert werden muss (vgl. Abschnitt 1.1 des Schreibens von Amnesty International an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vom 16.4.2004). Soweit Tschetschenen eine Registrierung nur für weniger als sechs Monate erhalten (vgl. zur behaupteten Existenz einer unveröffentlichten Vorschrift, die eine solche Sachbehandlung vorgeben soll, S. 37 unten der Ausarbeitung "Zur Situation der Bürger Tschetscheniens in der Russischen Föderation Juni 2004 - Juni 2005"), mag darin eine mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbare, ggf. auch an das Merkmal der Volkszugehörigkeit anknüpfende Ungleichbehandlung liegen. Da auch der Besitz einer dergestalt befristeten Registrierung den Aufenthalt für eine gewisse Zeit legalisiert, grenzt ein solcher Rechtsverstoß den Betroffenen indes noch nicht aus der Rechtsgemeinschaft des Staates, dem er angehört, aus, so dass derartigen Praktiken keine Asylrelevanz zuerkannt werden kann. Soweit eine Anmeldung für Zeiträume von unter sechs Monaten u. U. dazu führt, dass kein Kindergeld gewährt wird (vgl. S. 37 und S. 53 der Ausarbeitung "Bewohner Tschetscheniens in der Russischen Föderation Juni 2003 - Mai 2004"), ist gegen ungerechtfertigt kurz befristete Registrierungen durch die Einschaltung von Menschenrechtsorganisationen und das Einlegen von Rechtsbehelfen wirksame Abhilfe möglich. Sofern nicht besondere Hinderungsgründe wie z.B. fehlende Dokumente inmitten stehen, zeitigen diese Bemühungen auch bemerkenswert rasche Erfolge.

Instruktiv erscheint in diesem Zusammenhang der auf den Seiten 5 f. des Schreibens von Frau ******* an den Bayer. Verwaltungsgerichtshof vom 27. Juni 2005 erwähnte Fall der Tschetschenin **** S. *************, die am 4. Februar 2005 eine Registrierung für die Dauer eines Jahres beantragt hatte, während ihr die Behörde nur eine sechsmonatige Anmeldung zugestehen wollte. Bereits einige Telefonate von Mitarbeitern des Komitees "Bürgerbeteiligung" hatten zur Folge, dass die Betroffene am 18. Februar 2005 - mithin nach nur zwei Wochen - eine Registrierung für sogar zwei Jahre erhielt.

Auch im Fall der in Moskau wohnenden Tschetschenin ****** ********** (vgl. die Nummer 3 im Schreiben von Frau ******* an den Bayer. Verwaltungsgerichtshof vom 27.6.2005) ließen sich Probleme, die bei der Verlängerung der Registrierung entstanden, rasch und mit geringem Aufwand beseitigen: Bereits die Anfrage eines Abgeordneten nach den Gründen für die ablehnende Entscheidung genügte, um innerhalb von nur zwölf Tagen eine Verlängerung der Registrierung herbeizuführen. Die Schilderung dieses Falles im Schreiben vom 27. Juni 2005 zwingt im Übrigen zu dem Schluss, dass es Frau ********** zunächst gelungen war, sich in Moskau anzumelden.

Dass selbst Tschetschenen, die Tschetschenien aus Anlass der dortigen Kriege verlassen haben und in Bezug auf die aus behördlicher Sicht ein strafrechtliches oder sonstiges Besorgnispotenzial inmitten steht, eine Registrierung in Moskau bzw. im Einzugsbereich der russischen Hauptstadt erhalten und verlängern lassen können, zeigt zum einen der auf den Seiten 38 f. der Ausarbeitung "Bewohner Tschetscheniens in der Russischen Föderation Juni 2003 - Mai 2004" referierte Fall der Familie *********. Nach Darstellung von "Memorial" hat diese vor dem Krieg geflohene Familie im Gebiet Moskau ursprünglich eine - wenngleich zeitlich begrenzte - Registrierung erhalten. Obwohl männliche Angehörige dieser Familie zu einer Haftstraße verurteilt wurden, gelang es Mitarbeitern von "Memorial" aufgrund einer Vorsprache beim zuständigen Staatsanwalt, eine Verlängerung der Registrierung zu erreichen. Zwar wurde im Oktober 2005 erneut eine Verlängerung der Geltungsdauer dieser Amtshandlung verweigert, woraufhin "Memorial" wiederum mit dem Fall befasst wurde (vgl. S. 4 des Schreibens von Frau ******* vom 16.10.2005). Gegen die Annahme, die Beigeladene werde nach einer Rückkehr in die Russische Föderation vor ähnlichen Schwierigkeiten stehen, spricht, dass sie als Frau, die weder einer Straftat verdächtig ist noch unmittelbar aus Tschetschenien kommt, sondern jahrelang im westlichen Ausland gelebt hat, von vornherein geringeren Vorbehalten der russischen Behörden begegnen wird.

Auch der Tschetschene ********* ******* erhielt - wenngleich erst nach Einschaltung eines Abgeordneten - nach Darstellung von Frau ******* (vgl. die Nummer 4 ihres Schreibens an den Bayer. Verwaltungsgerichtshof vom 27.6.2005) eine Registrierung in Moskau, obwohl dieser 25 Jahre alte Mann durch die Miliz verdächtigt wurde, ein "islamischer Gotteskämpfer" zu sein (vgl. S. 49 der Ausarbeitung von Memorial "Bewohner Tschetscheniens in der Russischen Föderation Juni 2003 - Mai 2004", Moskau 2004). In diesem Fall erscheint im Übrigen zweifelhaft, ob die zeitaufwändige Sachbehandlung durch die Meldebehörde von rechtswidrigen bzw. antitschetschenischen Beweggründen oder nicht vielmehr von rechtskonformen Erwägungen getragen war, da die zuständige Dienststelle das Fehlen notwendiger Dokumente beanstandete.

Die ebenfalls aus Tschetschenien geflohene und im September 2000 nach Moskau verzogene Familie *********** erhielt, nachdem sie einen "kooperationsbereiten" Vermieter gefunden hatte, nach Darstellung von "Memorial" (S. 53 der letztgenannten Ausarbeitung) zunächst eine bis zum Februar 2004 gültige Registrierung. Nach dem Ablauf dieser Zeitspanne wurde ihr die weitere Anmeldung nicht etwa verweigert; die Behörde fand sich vielmehr lediglich zu einmonatigen Verlängerungen bereit (vgl. auch dazu S. 53 der Dokumentation "Bewohner Tschetscheniens in der Russischen Föderation Juni 2003 - Mai 2004"). Nach der Einschaltung des Komitees "Bürgerbeteiligung" wurde den Betroffenen zunächst eine drei- und sodann eine sechsmonatige Registrierung zugestanden. Der Darstellung von Frau ******* (Nummer 5 im Schreiben an den Bayer. Verwaltungsgerichtshof vom 27.6.2005) zufolge kam es auch 2005 - wenngleich erst nach einem Schreiben des Komitees "Bürgerbeteiligung" - zu einer Verlängerung der Registrierung.

Dass Bürgerkriegsflüchtlinge aus Tschetschenien auch in St. Petersburg eine Registrierung erlangen können, zeigt der unter der Nummer 2 des Schreibens von Frau ******* an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vom 27. Juni 2005 referierte Fall der Familie ************. Eine Registrierung dieser tschetschenischen Bürgerkriegsflüchtlinge (sie hatten ihre Heimatregion nach Darstellung von Frau ******* im November 1999 verlassen) wurde zunächst - u. U. rechtskonform - abgelehnt, da diese Tschetschenen sich bereits in ihrer Heimat nicht hatten registrieren lassen und ihre Kinder zudem nicht über die erforderlichen Dokumente verfügten. Trotzdem gelang es auch in diesem Fall, der Familie eine - sogar unbefristete - Anmeldung zu verschaffen, die nach Darstellung von Frau ******* so lange Bestand hatte, bis durch eine Gerichtsentscheidung festgestellt wurde, dass der der Anmeldung zugrunde gelegte Wohnraum-Nutzungsvertrag ungültig war. Die mitgeteilten Informationen (Überlassung einer Wohnung in St. Petersburg an die Familie ************ erst nach dem Tod des Wohnungsinhabers) lassen es dabei als nahe liegend erscheinen, dass eine Konstruktion gewählt worden war, die nicht als gültiger Nachweis über eine in der Verfügungsgewalt der zu registrierenden Personen stehende Wohnung angesehen werden konnte, die Gerichtsentscheidung mithin nicht von fremdenfeindlichen Motiven, sondern von rechtlich einwandfreien Erwägungen getragen war.

Beispiele für ein erfolgreiches Bemühen von Tschetschenen, durch Beschreiten des Rechtswegs eine behördlich bestätigte Anmeldung zu erhalten, sind in den Berichten Nr. 7 und Nr. 15 von Mitarbeitern der Organisation "Memorial" dokumentiert, die dem Schreiben der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte an das Auswärtige Amt vom 30. August 2001 beigefügt sind. Wenn dem Bericht Nr. 7 zufolge von 230 Flüchtlingen aus Tschetschenien, die am 19. Januar 2001 in einem Hotel in Tambow untergebracht waren, 59 % eine Registrierung besaßen, so zeigt auch das, dass von einer generellen Verweigerung dieser Rechtshandlung gegenüber Tschetschenen keine Rede sein kann.

Gelingt es aber Tschetschenen - wenn auch ggf. nur nach Inanspruchnahme der Hilfe von Menschenrechtsorganisationen, der Einschaltung von Abgeordneten und nach Anrufung von Gerichten - sogar in Moskau und in St. Petersburg (d.h. in den Städten, in denen nach übereinstimmender Darstellung aller Quellen die illegalen Zuzugsbeschränkungen am rigidesten angewandt werden) eine Anmeldung zu erhalten, so muss das für Regionen, in denen nur geringere Schwierigkeiten zu bewältigen sind, erst recht gelten.

Anhaltspunkte dafür, dass der nicht registrierte Teil der tschetschenischen Binnenflüchtlinge eine Legalisierung seines Aufenthalts schlechthin nicht zu erreichen vermochte, ergeben sich aus den dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln nicht. In den Fallschilderungen, die mit der Feststellung abbrechen, Tschetschenen sei die Registrierung verweigert worden, fehlt praktisch durchgängig eine Aussage darüber, ob der Betroffene gebührliche Anstrengungen unternommen hat, um den Status der Illegalität zu vermeiden bzw. zu beenden. Es muss vor diesem Hintergrund davon ausgegangen werden, dass für das Fehlen einer Registrierung in vielen Fällen auch die mangelnde Bereitschaft von Tschetschenen ursächlich ist, die hierfür erforderlichen Schritte in die Wege zu leiten und bei auftretenden Schwierigkeiten fachkundige Hilfe in Anspruch zu nehmen. In dieser Einschätzung bestätigt sieht sich das Gericht durch den von "Memorial" auf den Seiten 21 f. der Ausarbeitung "Russland: Binnenflüchtlinge aus Tschetschenien Juni 2002 - Mai 2003" geschilderten Fall einer Tschetschenin, die so lange ohne Registrierung im Gebiet von Moskau lebte, als sich für sie hieraus keine Schwierigkeiten ergaben, und die sich erst dann entschied, sich anzumelden, als die örtliche Miliz im Gefolge des Terroranschlags vom Oktober 2002 begann, sich in der Schule nach nicht angemeldeten Tschetschenen zu erkundigen. Zu verweisen ist ferner auf die auf Seite 38 der Ausarbeitung "Bewohner Tschetscheniens in der Russischen Föderation Juni 2003 - Mai 2004" erwähnte Bereitschaft vieler Menschen, lieber Bestechungsgelder zu bezahlen als in Reaktion auf behördliches Unrecht den Rechtsweg zu beschreiten.

Ist ein Tschetschene aber willens, seinen Aufenthalt zu legalisieren, so steht ihm z.B. in Gestalt der 59, mit ungefähr 100 Juristen besetzten Beratungsstellen, die allein das Netzwerk "Migration und Recht" innerhalb der Russischen Föderation unterhält (vgl. S. 4 des Schreibens von Frau ******* vom 16.10.2005), ein dichtes, landesweit präsentes Hilfsangebot zur Verfügung, mit dessen Unterstützung er seine Rechte mit guten Erfolgsaussichten durchsetzen und gegen staatliche Willkür Schutz finden kann. Der Auffassung des Auswärtigen Amtes, dass es Tschetschenen bei allen Schwierigkeiten, vor die sich die Angehörigen dieser Volksgruppe bei Registrierungen gestellt sehen, nach zahlreichen Versuchen und mit der Unterstützung von Duma-Abgeordneten, Vertretern von "Memorial" sowie einflussreicher Persönlichkeiten schaffen, einen legalen Aufenthalt zu begründen (vgl. Nr. 5 im Schreiben dieser Behörde an das Bundesamt vom 4.5.2004), ist seitens des Gerichts deshalb beizupflichten. Auf die Frage, ob es den Betroffenen zuzumuten ist, auch Bestechungsgelder zu bezahlen, wie das im letztgenannten Schreiben des Auswärtigen Amtes als weitere Möglichkeit dargestellt wird, um eine Registrierung zu erlangen, kommt es vor diesem Hintergrund nicht ausschlaggebend an.

e) Auch während der Zeit, die bis zum Erhalt einer Registrierung u. U. verstreichen kann (sie beläuft sich ausweislich der vorstehend dargestellten Fallbeispiele bei frühzeitiger Inanspruchnahme geeigneten Beistands im ungünstigsten Fall auf einige Monate), ist die Beigeladene vor politischer Verfolgung hinreichend sicher. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang namentlich, dass nach der Entscheidung der Regierung der Russischen Föderation Nr. 825 vom 22. Dezember 2004 Bürger dieses Landes (also auch die Beigeladene und ihre Tochter) bei Aufenthalten von bis zu 90 Tagen keine Registrierung benötigen (S. 1 des Schreibens von Frau ******* an den Bayer. Verwaltungsgerichtshof vom 27.6.2005). Sollte diese Regelung so zu verstehen sein, dass die Freistellung von der Verpflichtung, sich registrieren zu lassen, nur dann eingreift, wenn lediglich ein vorübergehender, höchstens 90 Tage umfassender Aufenthalt geplant ist, hätte es die Beigeladene in der Hand, zunächst nur einen auf 90 Tage befristeten Mietvertrag abzuschließen. Sollte die auf Seite 2 oben des Schreibens von Frau ******* enthaltene Angabe, von Tschetschenen werde eine sofortige Registrierung gefordert, bedeuten, dass die Entscheidung Nr. 825 vom 22. Dezember 2004 rechtswidrigerweise auf Tschetschenen nicht angewendet wird, könnte die Beigeladene aus den gleichen Gründen, derentwegen sie bei etwaiger Vorenthaltung einer Registrierung behördlicher Willkür nicht schutzlos ausgeliefert wäre, auch derartigen Praktiken durch Einschaltung einer Menschenrechtsorganisation oder von Abgeordneten, durch die Inanspruchnahme (sonstigen) rechtlichen Beistands oder durch Anrufung der Gerichte wirksam entgegentreten.

Da die Geldmittel, die die deutsche Staatsgewalt der Beigeladenen - freiwillige Ausreise nach bestandskräftigem Verfahrensabschluss vorausgesetzt - zur Verfügung stellt, vor allem in der russischen Provinz mehrere Monate lang ausreichen, ist während der Phase, während derer sie wegen fehlender Registrierung noch keine staatlichen Sozialleistungen in Anspruch nehmen kann, eine menschenwürdige Existenz der Beigeladenen und ihrer Tochter gesichert. Ggf. benötigte medizinische Hilfe müsste sie auch während dieser Übergangsphase nicht zwangsläufig aus privaten Mitteln bestreiten; nach den Angaben auf Seite 39 der Ausarbeitung "Zur Situation der Bürger Tschetscheniens in der Russischen Föderation Juni 2004 - Juni 2005" erhalten auch "Zugereiste", denen wegen fehlender Registrierung noch kein Anspruch auf kostenfreie medizinische Versorgung zusteht, in Notfällen erste Hilfe.

f) Die Beigeladene muss nicht befürchten, vor oder nach der Begründung einer Niederlassung an einem selbst gewählten Ort in der Russischen Föderation gegen ihren Willen nach Tschetschenien verbracht zu werden. Da sich diesbezüglich keine neuen Erkenntnisse ergeben haben, kann insoweit auf die Ausführungen in Abschnitt 2.b (S. 20) des Urteils vom 31. Januar 2005 (a.a.O.) verwiesen werden. Die Sondersituation, der sich die noch in Inguschetien lebenden Bürgerkriegsflüchtlinge ausgesetzt sehen, hat vorliegend außer Betracht zu bleiben, da die Beigeladene nicht zu diesem Personenkreis gehört.

g) Besitzt ein Tschetschene sowohl gültige Ausweispapiere als auch eine Registrierung an dem Ort, an dem er angetroffen wird, so gibt er der russischen Staatsgewalt keine Handhabe, um ihn mit asylrechtlich ggf. relevanten Maßnahmen zu überziehen. Die Ausführungen in Abschnitt 4 (Seiten 24 Mitte bis 27 Mitte) des Urteils vom 31. Januar 2005 beanspruchen insoweit weiterhin uneingeschränkt Geltung, so dass auf sie verwiesen werden kann.

Soweit auf Seite 26 unten/Seite 27 oben jener Entscheidung aufgezeigt wurde, dass selbst Personen, die nicht über eine Registrierung verfügen oder an einem anderen Ort als dem angetroffen wurden, an dem sie gemeldet waren, keinen asylrechtlich relevanten Übergriffen ausgesetzt waren, ist ergänzend auf die auf den Seiten 49 f. der Ausarbeitung "Zur Situation der Bürger Tschetscheniens in der Russischen Föderation Juni 2004 - Juni 2005" geschilderten Fälle der Familien ******* und ******* zu verweisen. Obwohl auch diese Tschetschenen über keine Registrierungen verfügten (vgl. zu fehlenden Anmeldung der Familie ******* S. 39 der letztgenannten Ausarbeitung), kam es weder zu Misshandlungen noch zu Freiheitsbeschränkungen, die über die für die polizeiliche Aufklärung des Sachverhalts erforderliche Zeitspanne hinausgingen. An der im Urteil vom 31. Januar 2005 (a.a.O., S. 27) vertretenen Auffassung, ein Tschetschene sei deshalb insbesondere dann, wenn er sich des Beistands einer Menschenrechtsorganisation versichert, auch während der Zeit, die bis zum Erhalt einer Registrierung ggf. verstreicht, vor Maßnahmen hinreichend sicher, die nach § 60 Abs. 1 AufenthG rechtserheblich sein könnten, ist deshalb uneingeschränkt festzuhalten.

h) Fälle, in denen russische Sicherheitsbehörden missliebigen Personen Beweismittel unterschoben, um so gegen sie einen strafrechtlich relevanten Verdacht zu konstruieren, waren nach der - in sich nicht ganz widerspruchsfreien - Darstellung von "Memorial" bereits bei der Abfassung der Ausarbeitung "Bewohner Tschetscheniens in der Russischen Föderation Juni 2003 - Mai 2004" seltener geworden; sie würden nicht mehr in größerem Stil praktiziert (vgl. S. 48 und S. 60 dieser Ausarbeitung), auch wenn es nach wie vor "viele derartige Fälle" gebe (so die Darstellung auf S. 60 dieser Unterlage). Auf Seite 53 der Dokumentation "Zur Situation der Bürger Tschetscheniens in der Russischen Föderation Juni 2004 - Juni 2005" hält "Memorial" nunmehr fest, im vorangegangenen Jahr habe es etwas weniger Fälle von untergeschobenem Rauschgift als im Jahr zuvor gegeben, auch wenn diese Vorgehensweise weiterhin angewandt werde. Das Auswärtige Amt weist im Lagebericht vom 15. Februar 2006 (Abschnitt II.1) ebenfalls darauf hin, Maßnahmen wie das Fälschen von Beweismitteln oder die Verfolgung durch die Miliz seien im Vergleich zum ersten Tschetschenienkrieg seltener geworden. An konkreten Fällen, in denen Tschetschenen aufgrund untergeschobener Beweismittel strafrechtlich belangt worden seien, werden in der Ausarbeitung "Zur Situation der Bürger Tschetscheniens in der Russischen Föderation Juni 2004 - Juni 2005" bezeichnenderweise nur noch das Verfahren gegen ***** ****** und ********* ********* sowie die Strafsache "************" angeführt. Jedenfalls in der Angelegenheit "************" ergibt sich jedoch aus den Schilderungen von "Memorial" nicht eindeutig, dass diese Tschetschenin tatsächlich zu Unrecht verurteilt wurde; auch lässt sich anhand der gegebenen Darstellung nicht nachvollziehen, warum russische Sicherheitsorgane den in diesem Fall getriebenen Aufwand (Dauerüberwachung mit technischem Gerät; Einschleusen eines Milizionärs als verdeckter Ermittler, der eine persönliche Beziehung zu der Betroffenen aufgebaut hat) in Szene gesetzt haben sollen, um eine beliebige, unschuldige Tschetschenin einer Haftstrafe zuzuführen.

Was die Wahrscheinlichkeit anbetrifft, dass die Beigeladene das Opfer solcher Machenschaften werden könnte, muss zusätzlich berücksichtigt werden, dass sie (z.B. durch die ihr erteilten Aufenthaltsgestattungen) nachweisen kann, seit vielen Jahren in Deutschland gelebt zu haben. Es ist vor diesem Hintergrund wesentlich schwieriger, ihr erfolgreich eine Beteiligung z.B. am Rauschgift- oder Waffenhandel zu unterstellen, als das bei Tschetschenen der Fall sein mag, die unmittelbar aus Tschetschenien kommen (vgl. dazu den auf S. 61 der Ausarbeitung "Bewohner Tschetscheniens in der Russischen Föderation Juni 2003 - Mai 2004" referierten Fall "********" sowie die Fälle "******" und "*********") oder die zwischen Tschetschenien und anderen Teilen Russlands mit einem Lastkraftwagen unterwegs sind und deshalb in besonderer Weise dem Verdacht unterliegen, Kurier- oder Versorgungsaufgaben für die Separatisten auszuüben (vgl. dazu den auf S. 62 der letztgenannten Ausarbeitung dargestellten Fall "******"). Wenn sich in der vorerwähnten Sache "*******" ein hochrangiger Polizeioffizier veranlasst sah, gegenüber dem Komitee "Bürgerbeteiligung" zuzusichern, man werde jenem Tschetschenen "nichts unterschieben" (vgl. S. 50 der Ausarbeitung "Bewohner Tschetscheniens in der Russischen Föderation Juni 2003 - Mai 2004"), so bestätigt das im Übrigen erneut, dass auch insoweit die frühzeitige Inanspruchnahme des Beistands einer Menschenrechtsorganisation einem Fehlverhalten von staatlicher Seite erfolgreich vorzubeugen vermag.

i) Hinsichtlich des Befehls Nr. 541, den der damalige Innenminister der Russischen Föderation am 17. September 1999 angeblich erlassen hat (vgl. die Anlage 1 zum Schreiben der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte an das Auswärtige Amt vom 30.8.2001), haben sich seit dem Urteil vom 31. Januar 2005 (a.a.O.) keine neuen Erkenntnisse ergeben, so dass es genügt, auf die Ausführungen in Abschnitt 6 jener Entscheidung (S. 28 bis 29 Mitte) zu verweisen.

j) Die Beigeladene wäre jedenfalls bei einer Niederlassung außerhalb der vorerwähnten fünf "Problemregionen" ferner vor Übergriffen gesellschaftlicher Kräfte hinreichend sicher, die sich der russische Staat nach § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. c) AufenthG dann zurechnen lassen müsste, falls er nicht willens oder nicht in der Lage wäre, den Betroffenen vor solchen Angriffen Schutz zu bieten. Die im Urteil vom 31. Januar 2005 (a.a.O., S. 30 f.) getroffene Feststellung, dass rassistisch motivierte Vorfälle, gemessen an der Bevölkerungszahl der Russischen Föderation, nicht nur nicht mit signifikanter Häufigkeit zu verzeichnen sind, sondern dass es zum weitaus überwiegenden Teil Angehörige anderer Volksgruppen als Tschetschenen - namentlich Schwarzafrikaner, Asiaten mit mongolischem Erscheinungsbild, Menschen aus dem indischen Kulturkreis sowie andere Kaukasier als Tschetschenen - sind, die in der Russischen Föderation außerhalb des Nordkaukasus nichtstaatlicher Gewalt zum Opfer fallen, hat sich angesichts der seit jener Entscheidung neu hinzugekommenen Erkenntnisse uneingeschränkt bestätigt: - Die xenophoben Handlungen, die auf den Seiten 6 und 7 der Ausarbeitung "Zur Situation der Bürger Tschetscheniens in der Russischen Föderation Juni 2004 - Juni 2005" zusammengestellt wurden, richteten sich gegen drei Aserbaidschaner, einen Armenier, zwei Araber, eine Gruppe von Nordkoreanern, einen Tadschiken, drei Usbeken, drei Chinesen, einen aus Jordanien stammenden Bewohner der im Nordkaukasus liegenden Region Adygaj, zwei Schwarzafrikaner, einen Georgier sowie eine Person, deren Nationalität nicht mitgeteilt wird. Die auf den Seiten 8 und 9 der gleichen Unterlage referierten Übergriffe der Miliz betrafen zwei Tadschiken, einen Afghanen und einen Usbeken.

- Die im Jahr 2005 begangenen Straftaten von Skinheads, die auf Seite 21 der Ausarbeitung der Gesellschaft für bedrohte Völker "Schleichender Völkermord in Tschetschenien" aufgelistet werden, richteten sich gegen 15 in der Republik Mari-El tätige Aktivisten, mehrere Armenier, eine Familie aus Dagestan, je einen Peruaner, Schwarzafrikaner und Malaien sowie den bereits von "Memorial" erwähnten, aus Jordanien stammenden Bewohner der Region Adygaj.

- Von den in den Jahren 2004 und 2005 aus rassistischen Beweggründen begangenen Überfällen auf Ausländer, die auf den Seiten 18 f. der den Monat "Juni 2005" betreffenden Unterlage "Erkenntnisse des Bundesamtes (Stand: September 2005)" ohne Anspruch auf Vollständigkeit zusammengetragen wurden, waren 13 Asiaten mit "mongolischem" Aussehen, acht Schwarzafrikaner, sechs Männer aus dem arabisch-türkischen Kulturkreis, drei Albaner und zwei Kaukasier nicht näher bezeichneter Herkunft betroffen. Den in der gleichen Unterlage erwähnten Verurteilungen wegen fremdenfeindlicher Handlungen lagen Taten zugrunde, denen ein schwarzafrikanischer Student, ein tadschikisches Mädchen und ein männlicher Tadschike, weitere Personen aus Zentralasien, je ein Armenier und ein Aserbaidschaner sowie drei "nichtslawische" Bürger der Russischen Föderation zum Opfer gefallen waren.

- Die fremdenfeindlichen Übergriffe, über die in Abschnitt 4.3 der den Monat Dezember 2005 betreffenden "Erkenntnisse des Bundesamtes" berichtet wird, richteten sich gegen zwei tadschikische Arbeitsmigrantinnen, fünf dunkelhäutige Studenten, ein von Gastarbeitern aus Usbekistan bewohntes Gebäude, einen Jordanier, zwei Armenier, vier Studenten aus Kolumbien, Peru bzw. Spanien, einen Vietnamesen und einen tschetschenischen Studenten. Die letztgenannte Straftat (es handelte sich um einen nicht tödlichen Messerangriff) stellt den einzigen dokumentierten, in den Erkenntnisquellen als "fremdenfeindlich" eingestuften Vorfall dar, der sich eindeutig gegen einen Tschetschenen richtete.

Auf die auf Seite 31 des Urteils vom 31. Januar 2005 aufgelisteten Vorkommnisse wird ergänzend Bezug genommen. Bei der Beantwortung der Frage, ob die Beigeladene vor derartigen Übergriffen hinreichend sicher ist, muss zusätzlich bedacht werden, dass sie im Straßenbild nicht als Tschetschenin auffällt, sondern ihrer äußeren Erscheinung nach ohne weiteres für eine Russin gehalten werden kann. Dass ihr "religiöses Existenzminimum" gefährdet wäre, wenn sie sich nicht durch das Tragen eines Kopftuches nach außen hin als Mohammedanerin zu erkennen geben könnte, hat sie zu keiner Zeit geltend gemacht. Dazu stünde im Übrigen in Widerspruch, dass sie in der mündlichen Verhandlung "westlich" gekleidet war und sie auch auf den bei den Akten befindlichen Lichtbildern kein Kopftuch trägt.

Auf die Frage, ob die in der Russischen Föderation zu verzeichnenden fremdenfeindlichen Vorkommnisse tatsächlich im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. c) AufenthG dem russischen Staat zuzurechnen sind oder ob der Einschätzung des Auswärtigen Amtes zu folgen ist, es seien außerhalb Tschetscheniens bisher keine Repressionen Dritter bekannt geworden, für die die Russische Föderation verantwortlich sei, weil sie ein solches Verhalten anrege, unterstütze, billige oder tatenlos hinnehme (vgl. Abschnitt II.2 des Lageberichts vom 15.2.2006), kommt es vor diesem Hintergrund nicht ausschlaggebend an.

k) Der Beigeladenen drohen in der Russischen Föderation außerhalb von Tschetschenien, Inguschetien, Kabardino-Balkarien sowie der Regionen Krasnodar und Stawropol ferner keine Nachteile und Gefahren, die nach ihrer Intensität und Schwere einer asylrelevanten Rechtsgutsbeeinträchtigung aus politischen Gründen gleichkommen; zumindest würden etwaige existentielle Gefährdungen an ihrem Herkunftsort Grosny in gleicher Weise bestehen. Erörterungsbedürftig ist insoweit allein, ob die Beigeladene nach dem Verbrauch der Mittel, die sie nach dem REAG-/GARP-Programm erhalten kann, in der Lage sein wird, ihren Lebensunterhalt und denjenigen ihrer Tochter durch eine Erwerbstätigkeit und/oder durch Inanspruchnahme staatlicher Sozialleistungen zu bestreiten. Diese Frage bedarf jedoch keiner abschließenden Beantwortung, da die Schwierigkeiten, vor die sich die Beigeladene insoweit u. U. auch außerhalb des Nordkaukasus gestellt sehen kann, in Grosny (und im übrigen Tschetschenien) in noch weitaus größerem Umfang bestehen.

In der Russischen Föderation waren im Dezember 2005 1,83 Millionen Menschen arbeitslos gemeldet. Das entspricht einer Quote von 7,7 %, die sich allerdings noch um eine unbekannt große Menge amtlich nicht erfasster Arbeitsloser erhöht (Abschnitt 2.6 der "Erkenntnisse des Bundesamtes" vom März 2006). Der Lagebericht vom 15. Februar 2006 spricht auf Seite 29 für den November 2005 sogar von einer landesweiten durchschnittlichen Arbeitslosenquote von nur 7,5 %. Seit dem Jahr 2000 hat sich die soziale und ökonomische Lage in der Russischen Föderation stabilisiert (2004 lag die Arbeitslosenquote noch bei 9,1 %); das Bruttoinlandsprodukt hat seither jährlich - in 2004 gegenüber 2003 um 6,9 % - zugenommen (vgl. Abschnitt 5 der "Erkenntnisse des Bundesamtes" vom April 2006). Ebenfalls gestiegen sind die Arbeitslöhne; sie erreichten bereits 2003 unter allen Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion den höchsten Stand ("Erkenntnisse des Bundesamtes" vom April 2006, ebenda). Da gleichzeitig die Zahl der verfügbaren Arbeitskräfte aus demografischen Gründen zurückgeht, besteht in einigen Wirtschaftszweigen und Berufen mit ständig steigender Tendenz ein Defizit an Arbeitskräften. Russland ist zwischenzeitlich deshalb ein begehrtes Ziel für Arbeitsmigranten vor allem aus den ehemaligen mittelasiatischen Republiken der Sowjetunion und den Kaukasusländern geworden ("Erkenntnisse des Bundesamtes" vom April 2006, ebenda). Auch für eine Frau, die - wie die Beigeladene - über keine Berufsausbildung verfügt, etwas sprachbehindert ist und die für ein kleines Kind zu sorgen hat, stellt sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt vor diesem Hintergrund nicht schlechthin aussichtslos dar. Die Vorbehalte, denen tschetschenische Arbeitssuchende nach Darstellung von "Memorial" begegnen (vgl. die Seiten 57 f. der Ausarbeitung "Bewohner Tschetscheniens in der Russischen Föderation Juni 2003 - Mai 2004"), kann die Beigeladene vermeiden, wenn sie sich um eine Beschäftigung bei einem tschetschenischen Volksangehörigen bemüht.

Ob diese Möglichkeit zusammen mit dem Rechtsanspruch auf staatliche Sozialleistungen, der ab dem Erhalt einer Registrierung besteht, ausreicht, um der Beigeladenen und ihrer Tochter eine menschenwürdige Existenz zu sichern, kann in vorliegendem Zusammenhang letztlich auf sich beruhen; hierüber wird die Beklagte vielmehr in dem Verwaltungsverfahren zu befinden haben, in dem die noch ausstehende Prüfung nachgeholt wird, ob die Beigeladene Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beanspruchen kann. Denn für die Bejahung einer inländischen Zufluchtsalternative vor politischer Verfolgung genügt es, dass sich ihre Überlebensmöglichkeiten an ihrem Herkunftsort Grosny noch weitaus ungünstiger darstellen. Die Arbeitslosigkeit in Tschetschenien beträgt nach der offiziellen Statistik 80 % (vgl. S. 29 des Lageberichts vom 15.2.2006); die Gesellschaft für bedrohte Völker spricht auf Seite 10 der Ausarbeitung "Schleichender Völkermord in Tschetschenien" von einem Arbeitslosenanteil von bis zu 90 %. Das reale Pro-Kopf-Einkommen ist in Tschetschenien sehr niedrig; es beläuft sich nach den offiziellen Statistiken auf etwa ein Zehntel des Einkommens in Moskau (Lagebericht vom 15.2.2006, ebenda). Während im übrigen Russland die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln vom Angebot her gewährleistet ist, stellt sich die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln in Tschetschenien - insbesondere in Grosny - als äußerst mangelhaft dar (Lagebericht vom 15.2.2006, S. 28). Die Gesundheitsversorgung kann dort namentlich für Risikogruppen nicht garantiert werden (Gesellschaft für bedrohte Völker, "Schleichender Völkermord in Tschetschenien", ebenda); auch das Auswärtige Amt bezeichnet sie im Lagebericht vom 15. Februar 2006 (S. 29) in Tschetschenien als unzureichend, während sie im übrigen Russland "theoretisch grundsätzlich ausreichend" sei (Lagebericht vom 15.2.2006, ebenda). Als Folge der verheerenden ökologischen Zustände in Tschetschenien sei dort die Zahl der an Tuberkulose und Krebs Erkrankten stark angestiegen ("Schleichender Völkermord in Tschetschenien", ebenda). Da in Tschetschenien durch die beiden Kriege ca. 50 % des Wohnraums zerstört wurden (Lagebericht vom 15.2.2006, ebenda), stellt die Wohnraumfrage eines der aktuellsten Probleme in diesem Landesteil dar ("Zur Situation der Bürger Tschetscheniens in der Russischen Föderation Juni 2004 - Juni 2005", S. 14). Eine zusätzliche, im übrigen Russland nicht zu gewärtigende Bedrohung stellen schließlich die zahlreichen in Tschetschenien vorhandenen Minen dar; nach Einschätzung der Gesellschaft für bedrohte Völker (S. 11 der Ausarbeitung "Schleichender Völkermord in Tschetschenien") ereignen sich in diesem Teil der Russischen Föderation weltweit die meisten tödlichen Minenunfälle. Sollte die Beigeladene an einem Niederlassungsort außerhalb der fünf "Problemregionen" existentiellen Bedrohungen ausgesetzt sein, wäre diese Gefährdung in Tschetschenien nach alledem noch weitaus größer.

An dem Befund, dass ihr - bei unterstelltem Vorhandensein objektiver Nachfluchtgründe in Teilen der Russischen Föderation - jedenfalls eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung steht, ändert der Umstand nichts, dass die Vorsitzende des Komitees "Bürgerbeteiligung", Frau *******, dieser Beurteilung in ihrem Schreiben vom 16. Oktober 2005 widersprochen hat. Denn die Beantwortung der Frage, ob ein Tschetschene nach den Maßstäben des in der Bundesrepublik Deutschland geltenden nationalen und internationalen Rechts dann vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist, wenn er sich in hierfür in Betracht kommenden Teilen der Russischen Föderation niederlässt, obliegt ausschließlich den zuständigen deutschen Amtsträgern. Soweit sich der Verwaltungsgerichtshof bei seiner Entscheidung auf tatsächliche Angaben stützt, die entweder Frau ******* selbst oder die Organisationen "Memorial", "Bürgerbeteiligung" sowie "Migration und Recht" gemacht haben, wurden diese im Schreiben vom 16. Oktober 2005 nicht widerrufen; auf Seite 1 dieser Unterlage wird im Gegenteil betont, dass diese Organisationen in einigen Fällen effektiv hätten Hilfe leisten können. Gesichtspunkte, derentwegen nicht auch die Beigeladene diese Unterstützung erfolgreich sollte in Anspruch nehmen können, wurden weder vorgetragen noch sind sie ersichtlich.

Nicht zu befinden hat der Verwaltungsgerichtshof derzeit darüber, ob in der Person der Beigeladenen Abschiebungshindernisse nach § 60 Absätze 2 bis 7 AufenthG bestehen, da Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens allein das Begehren des Klägers auf Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils sowie der Nummer 2 des Bescheids vom 12. Dezember 2001 ist. Über etwaige Ansprüche der Beigeladenen nach § 53 AuslG (nunmehr § 60 Absätze 2 bis 7 AufenthG) brauchte das Bundesamt auf der Grundlage seiner Beurteilung der Gefährdungslage gemäß § 31 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 AsylVfG nicht zu entscheiden; ein dahingehender Ausspruch wäre für den Fall der Rechtskraft des vorliegenden Urteils gemäß § 39 Abs. 2 AsylVfG nachzuholen.

Soweit die Kosten des Verfahrens der Beklagten überbürdet wurden, ergibt sich diese Rechtsfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO. Da die Beigeladene in beiden Rechtszügen Anträge gestellt hat (vgl. die diesbezüglich auf S. 7 der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof festgehaltene Klarstellung ihres Bevollmächtigten), mit denen sie der Sache nach unterlegen ist, konnten ihr gemäß § 154 Abs. 3 VwGO ebenfalls Kosten auferlegt werden. Die hälftige Verteilung der Kostenlast zwischen beiden Kostenschuldnern folgt aus § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da keine der in § 132 Abs. 2 VwGO bezeichneten Fallgestaltungen vorliegt.

Rechtsmittelbelehrung

Nach § 133 VwGO kann die Nichtzulassung der Revision durch Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig angefochten werden. Die Beschwerde ist beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (in München Hausanschrift: Ludwigstraße 23, 80539 München; Postfachanschrift: Postfach 34 01 48, 80098 München; in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach) innerhalb eines Monats nach Zustellung dieser Entscheidung schriftlich einzulegen und innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieser Entscheidung zu begründen. Die Beschwerde muss die angefochtene Entscheidung bezeichnen. In der Beschwerdebegründung muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, von der die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

Vor dem Bundesverwaltungsgericht muss sich jeder Beteiligte durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt als Bevollmächtigten vertreten lassen. Das gilt auch für die Einlegung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision. Abweichend davon können sich juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst, Gebietskörperschaften auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen Spitzenverbandes des Landes, dem sie als Mitglied zugehören, vertreten lassen.



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