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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 24.10.2007
Aktenzeichen: 11 B 03.30711
Rechtsgebiete: AufenthG, Richtlinie 2004/83/EG


Vorschriften:

AufenthG § 60 Abs. 1
Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 (Qualifikationsrichtlinie - QRL) Art. 4 Abs. 4
Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 (Qualifikationsrichtlinie - QRL) Art. 8
Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 (Qualifikationsrichtlinie - QRL) Art. 9
Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 (Qualifikationsrichtlinie - QRL) Art. 10
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

11 B 03.30711

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Asylrechts;

hier: Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 30. April 2003,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 11. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Festl, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Breit, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Ertl

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 22. Oktober 2007

am 24. Oktober 2007

folgendes Urteil:

Tenor:

I. Es werden aufgehoben:

1. Der Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 30. April 2003;

2. Der Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 8. April 2002 in der Nr. 2.

II. Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen tragen die Beigeladene und die Beklagte je zur Hälfte.

III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, falls nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die 1953 geborene Beigeladene ist Staatsangehörige der Russischen Föderation und tschetschenische Volkszugehörige. Sie reiste zusammen mit ihrer Mutter, der Beigeladenen in dem Verfahren Az. 11 B 03.30707, und ihrem Sohn, dem Beigeladenen in dem Verfahren Az. 11 B 03.30710, am 9. März 2002 auf dem Landweg in das Bundesgebiet ein und wurde am 11. März 2002 im Nachtzug von Berlin nach Paris vom Bundesgrenzschutz aufgegriffen. Nach ihren Angaben war eine Weiterreise nach Marseille/Frankreich geplant. Bei sich trug sie einen russischen Inlandspass, ausgestellt am 10. Oktober 2001, aus dem hervorgeht, dass sie in Grosny und ab 12. Oktober 2001 bis Dezember 2001 in Machatschkala, Dagestan, registriert war, sowie dass ihr am 25. Dezember 2001 ein Reisepass ausgestellt wurde (vgl. Bl. 15 f. der Bundesamtsakte).

Am 13. März 2002 stellte die Beigeladene einen Asylantrag und gab bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt an, vor ihrer Ausreise habe sie zuletzt, bis zum 20. Februar 2002, in Grosny gelebt. In Moskau hätten sie versucht, ein Visum für Deutschland zu erhalten. Das habe sich jedoch zu lange hinausgezögert. Es sei ihnen als Tschetschenen nicht möglich gewesen, längere Zeit in Moskau zu bleiben, da Leute mit kaukasischem Aussehen dort von der Polizei von der Straße weg festgenommen würden. Sie habe aus diesem Grund insbesondere um ihren 23jährigen Sohn Angst gehabt. Auf die Frage nach der Registrierung in der Stadt Machatschkala in der Republik Dagestan gab die Beigeladene an, sie hätten während der Unabhängigkeit Tschetscheniens neue tschetschenische Inlandspässe, sog. Wolfspässe, erhalten. Es sei nicht möglich gewesen, mit diesen Inlandspässen Reisepässe zu erlangen. Daraufhin hätten sie sich über Bekannte und unter Zahlung von Bestechungsgeld nach einer vorübergehenden Registrierung in Machatschkala die vorgelegten Inlandspässe beschafft. Tatsächlich hätten sie sich dort nie aufgehalten. Weiter gab die Beigeladene an, sie sei seit 1985 von ihrem Mann geschieden, dieser lebe in dem etwa 30 Minuten von Grosny entfernten Dorf Tscherejurt. Am 8. November 1999 habe sie ihren Sohn aus der Stadt herausgebracht und zu ihrem Mann geschickt, um ihn vor den Kämpfen um Grosny zu schützen. Erst kurz vor der Ausreise habe sie ihn wieder zurückgeholt. Er habe quasi versteckt bleiben müssen, da es immer wieder diese Säuberungsaktionen der föderalen Truppen gegeben habe. Auch in dem Dorf Tscherejurt habe es Versuche der russischen Truppen gegeben, ihren Sohn festzunehmen. Die dortige Bevölkerung habe das verhindern können. Ein Teil ihrer Verwandten lebe noch in Tschetschenien, es seien aber auch viele in den vergangenen zwei Kriegen ums Leben gekommen. Sie habe bis 1988 als Lehrerin für die russische und tschetschenische Sprache sowie für tschetschenische Literatur gearbeitet. Als Dudajew an die Macht gekommen sei, sei alles auseinander gebrochen. Es seien keine Gehälter mehr bezahlt worden. Sie habe sich dann als Händlerin betätigt und beispielsweise in Armenien Kleidung gekauft, die sie in Moskau auf dem Markt verkauft habe. Als sich die Situation in Russland und Tschetschenien zugespitzt habe, sei ihr das nicht mehr möglich gewesen. 1997 habe sie in Grosny einen Buchladen eröffnet. Diesen habe sie bis zum Beginn des zweiten Krieges betrieben. Die Zeit bis zur Ausreise habe sie dann durch Ersparnisse und durch den Verkauf von Wertgegenständen überbrückt. Zu ihren Asylgründen gab die Beigeladene bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt an, sie habe Dudajew unterstützt, als er an die Macht gekommen sei. Sie habe an Versammlungen und Meetings teilgenommen. Eine Partei im eigentlichen Sinne habe es damals nicht gegeben. Sie habe einem Frauenkomitee angehört und sei während der ganzen Zeit für die Unabhängigkeit Tschetscheniens eingetreten. Während des ersten Krieges hätten sie Grosny verlassen und sich in Wedeno versteckt gehalten. Sie sei damals mit ihrer Mutter und ihrem Sohn geflohen. Nach Beendigung des ersten Krieges seien sie nach Grosny zurückgekehrt. Während des zweiten Krieges habe sich alles wiederholt. Die Säuberungsaktionen des zweiten Krieges seien noch schlimmer gewesen als die des ersten. Ihren Sohn habe sie deshalb bei ihrem früheren Mann in Sicherheit gebracht, sie selbst sei in Grosny zurückgeblieben. Dort sei sie mehrmals von föderalen Truppen aus der Wohnung herausgeholt worden. Eine Festnahme sei jedoch immer durch die Nachbarn verhindert worden. Die Föderalen seien gekommen, weil sie gewusst hätten, dass sie einen Sohn Anfang 20 habe; den hätten sie gesucht. Auf die Frage, was sie veranlasst habe, Grosny jetzt zu verlassen, gab die Beigeladene an, der Druck der Sicherheitskräfte sei immer größer, die Säuberungsaktionen seien immer gründlicher geworden und sie habe Angst um die Sicherheit ihres Sohnes gehabt. Wenn man ihn festgenommen hätte, hätte sie Angst um sein Leben gehabt. Auf die Frage, was sie bei einer Rückkehr in die russische Föderation befürchte, erklärte die Beigeladene, sie hätte vor allem Angst um das Leben ihres Sohnes. Als sie ihn vor der Abreise aus dem Dorf Tscherejurt abgeholt habe, habe sie auf der Rückfahrt alle 200 m an russische Posten Bestechungsgeld bezahlen müssen, damit man ihren Sohn nicht aus dem Auto geholt und mitgenommen habe. Üblicherweise würden junge Männer bei diesen Kontrollen durchsucht, geschlagen und sehr häufig in Filtrationslager gebracht. Aus diesen Lagern komme ein Mann, wenn er überhaupt zurückkomme, nicht mehr gesund zurück. Auf Frage führte die Beigeladene schließlich aus, es gebe für sie nirgends auf dem Gebiet der Russischen Föderation Sicherheit.

Mit Bescheid vom 8. April 2002 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Asylantrag der Beigeladenen ab und stellte fest, dass bei ihr die Voraussetzungen von § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich der Russischen Föderation vorliegen.

Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten erhob gegen den ihm am 11. April 2002 zugestellten Bescheid am 22. April 2002 Klage zum Verwaltungsgericht Würzburg. Sinngemäß wurde geltend gemacht, individuelle Verfolgungsgründe seien seitens der Beigeladenen nicht geltend gemacht worden. Unabhängig von der Frage einer Gruppenverfolgung tschetschenischer Volkszugehöriger in der Russischen Föderation stehe der Beigeladenen jedenfalls eine inländische Fluchtalternative, etwa in Inguschetien, zur Verfügung.

Das Verwaltungsgericht Würzburg wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 30. April 2003, zugestellt am 13. Mai 2003, auf den Bezug genommen wird, ab.

Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten beantragte am 22. Mai 2003 die Zulassung der Berufung. Die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung. Das Verwaltungsgericht gehe zu Unrecht davon aus, tschetschenische Volkszugehörige seien landesweit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in der gesamten Russischen Föderation von Maßnahmen politischer Verfolgung bedroht, und eine zumutbare inländische Fluchtalternative gebe es nicht. Dies gelte auch trotz der Ereignisse im Moskauer Theater "Nord-Ost" im Oktober 2002.

Mit Schriftsatz vom 3. Juli 2004 wurde für die Beigeladene auf die Stellungnahme von amnesty international vom 16. April 2004 hingewiesen und ein ärztliches Attest der Internisten Dr. D. E. und Dr. B. G. vom 28. Juni 2004 vorgelegt. Die Beigeladene sei seit Mai 2002 deren Patientin. Es handle sich bei ihr um folgende Diagnosen: "1. Essentielle, arterielle Hypertonie, 2. Cholecystolithiasis 3. Rezidiv. Cholecystitis, 4. Axiale Hyatushernie, 5. Chron. Gastritis, 6. Chron. Sinusitis maxillaris, 7. Glaukom".

Die Beklagte nahm hierzu mit Schriftsatz vom 15. Juli 2004 Stellung. Da sie die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG festgestellt habe, sehe sie aufgrund des ärztlichen Attests keinen Handlungsbedarf. Fraglich könne allenfalls sein, ob wegen der vorgetragenen Erkrankungen nunmehr die Voraussetzungen von § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zu prüfen wären. Die Beklagte betrachte das anhängige Verfahren als vorgreiflich. Unabhängig davon sei das vorgelegte ärztliche Attest, in dem lediglich verschiedene Diagnosen aufgezählt würden, nicht geeignet, eine Sachprüfung zu Gunsten der Beigeladenen herbeizuführen.

Mit Schriftsatz vom 23. Juli 2004 äußerte sich der Kläger. Er folge der vorherrschenden Auffassung in der obergerichtlichen Rechtsprechung, wonach nicht direkt in den Fokus der föderalen Sicherheitsdienste gelangte Tschetschenen im Staatsgebiet der Russischen Föderation grundsätzlich eine inländische Fluchtalternative fänden. Das vorgelegte ärztliche Attest sei nicht geeignet, ein Abschiebungshindernis im Sinne von § 53 Abs. 6 AuslG zu begründen. Selbst wenn man davon ausginge, dass es in der Russischen Föderation keine leistungsfähige Gesundheitsversorgung gebe, wäre das Gesundheitsrisiko der Klägerin (gemeint wohl: der Beigeladenen) als allgemeine Gefahr im Sinne von § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG anzusehen. Solche allgemeinen Gefahren könnten aber auch dann keine Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG begründen, wenn sie den Ausländer konkret und in individualisierbarer Weise beträfen. Dafür, dass die Beigeladene bei ihrer Rückkehr einer derart extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre, dass sie im Falle ihrer Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert wäre, seien dem vorgelegten Attest keine Anhaltspunkte zu entnehmen.

Mit Beschluss des Gerichts vom 28. September 2005 wurde die Berufung zugelassen. Sie wurde von dem Bundesbeauftragten mit Schriftsatz, der am 20. Oktober 2005 bei Gericht einging, begründet. Die angefochtene Entscheidung stehe nicht mit der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (Urteil vom 31. Januar 2005 Az. 11 B 02.31597) in Einklang.

Mit Schriftsatz vom 2. Dezember 2005 verwies die Bevollmächtigte der Beigeladenen auf den Bericht der Menschenrechtsorganisation Memorial vom 16. Oktober 2005. Es wurde ausgeführt, die Beigeladene befinde sich in regelmäßiger ärztlicher Behandlung. Aufgrund ihrer Erkrankungen sei sie auf dauerhafte ärztliche Versorgung angewiesen. Ohne die erforderliche Registrierung und finanzielle Unterstützung könne nicht von einer inländischen Fluchtalternative für die Beigeladene ausgegangen werden. Es werde angeregt, ein schriftliches Gutachten zu der Frage einzuholen, ob die in dem beigelegten Attest genannten Krankheiten in der Russischen Föderation behandelbar seien und ob der Zugang zu ärztlicher Versorgung für die Beigeladene gewährleistet sei. Zu berücksichtigen sei auch, dass die Beigeladene aufgrund der Kontakte ihres Ehemannes mit Herrn ********** ebenfalls mit Verfolgung durch die russischen Sicherheitskräfte zu rechnen habe. In dem beigelegten ärztlichen Attest vom 10. Juni 2005 werden als Diagnosen "1.Essentielle, arterielle Hypertonie, 2. Chron. Gastritis, 3. Axiale Hyatushernie mit Refluxsymptomatik, 4. Cholecystolithiasis, 5. Rezidiv. Cholecystitis und 6. Glaukom" aufgezählt. Die chronische Sinusitis maxillaris wurde nicht mehr erwähnt. Dafür heißt es in dem Attest nunmehr, bei der Patientin sei eine regelmäßige, sorgfältige, medikamentöse Therapieeinstellung und Therapiekontrolle erforderlich. Die medikamentöse Therapie werde langjährig fortzuführen sein. Infolge der rezidivierenden Cholecystitis bestehe bei der Patientin die Indikation zur Cholezystektomie.

Die Beklagte äußerte sich im Rahmen der zugelassenen Berufung nicht.

In der mündlichen Verhandlung am 22. Oktober 2007 wurde der Beigeladenen Gelegenheit zur Äußerung gegeben. Ihr Sohn, der Beigeladene in dem Verfahren Az. 11 B 03.30710, erwähnte bei seiner informatorischen Anhörung einen von ihm und seiner Mutter unterzeichneten Brief vom 12. Juli 2004, den seine Bevollmächtigte erst auf gezielte Nachfrage hin dem Gericht übergab. Auf die darin enthaltenen Schilderungen zum Verfolgungsschicksal der Beigeladenen wird Bezug genommen. In der mündlichen Verhandlung wurde ferner **** ********** als Zeuge vernommen. Wegen der Bekundungen des Beigeladenen in dem Verfahren Az. 11 B 07.30710 und des Zeugen sowie wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlung im Übrigen wird auf die Niederschrift Bezug genommen.

Der Kläger beantragte in seinem Schriftsatz vom 20. Oktober 2005,

unter Abänderung des angefochtenen Gerichtsbescheids den Bescheid des Bundesamtes vom 8. April 2002 aufzuheben, soweit für die Beigeladene die Feststellung gemäß § 51 Abs. 1 AuslG getroffen worden sei.

Die Beklagte und die Beigeladene beantragten jeweils,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten, sowie wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen, wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und auf die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte verhandeln und entscheiden, obwohl der ordnungsgemäß und rechtzeitig geladene Kläger zum Termin vom 22. Oktober 2007 nicht erschienen ist (§ 102 Abs. 2 VwGO). Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 30. April 2003 ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.

Gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylVfG kommt es auf die im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung bestehende tatsächliche und rechtliche Lage an. Das Vorliegen der Voraussetzungen des mit Wirkung vom 1. Januar 2005 an die Stelle von § 51 Abs. 1 AuslG getretenen § 60 Abs. 1 AufenthG in der Fassung, die er durch Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970) mit Wirkung vom 28. August 2007 erhalten hat, ist bei der Beigeladenen zu verneinen.

Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, der inhaltlich der Regelung des früheren § 51 Abs. 1 AuslG entspricht (vgl. Begründung des Entwurfs der Bundesregierung für das Zuwanderungsgesetz, BT-Drs. 15/420 S. 91), darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen eines asylrelevanten Merkmals durch eine der in § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG genannten Kräfte bedroht ist. Einer Gefährdung des Lebens und der persönlichen Freiheit stehen allgemeiner Auffassung zufolge (vgl. z.B. BVerfG vom 4.2.1959 BVerfGE 9, 174/181; BVerfG vom 2.7.1980 BVerfGE 54, 341/357; BVerfG vom 10.7.1989 BVerfGE 80, 315/333) Bedrohungen der körperlichen Unversehrtheit gleich; in § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG hat dies nunmehr auch positiv-rechtlichen Niederschlag gefunden. Beeinträchtigungen anderer Rechtsgüter als Leib, Leben oder persönliche Freiheit begründen einen Anspruch auf Schutz vor politischer Verfolgung dann, wenn sie nach ihrer Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was die Bewohner des Heimatstaates aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen haben (BVerfG vom 2.7.1980, ebenda). Für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG vorliegt, sind gemäß § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG Art. 4 Abs. 4 sowie Art. 7 bis 10 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. EU Nr. L 304/12; nachfolgend "Qualifikationsrichtlinie" - QRL - genannt) ergänzend anzuwenden.

1.

Die Beantwortung der Frage, welche Wahrscheinlichkeit die in § 60 Abs. 1 AufenthG vorausgesetzte Gefahr aufweisen muss, hängt davon ab, ob der Schutz suchende Ausländer seinen Herkunftsstaat bereits auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat oder ob er unverfolgt ausgereist ist (BVerfG vom 10.7.1989 a.a.O.; BVerwG vom 26.3.1985 BVerwGE 71, 175 ff.). War er noch keiner asylrechtlich beachtlichen Bedrohung ausgesetzt, kommt es bei der anzustellenden Prognose darauf an, ob ihm bei verständiger Würdigung aller Umstände seines Falles politische Verfolgung mit "beachtlicher" Wahrscheinlichkeit droht (BVerwG vom 29.11.1977 Buchholz 402.23 § 28 AuslG Nr. 11). Wurde ein Ausländer demgegenüber bereits im Herkunftsland politisch verfolgt, so greift zu seinen Gunsten ein herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab ein: Er muss vor erneuter Verfolgung "hinreichend sicher" sein (BVerfG vom 2.7.1980, a.a.O., S. 360). Das setzt eine mehr als nur überwiegende Wahrscheinlichkeit voraus, dass es im Heimatstaat zu keinen Verfolgungsmaßnahmen kommen wird (BVerwG vom 31.3.1981 Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 27). Der Bejahung hinreichender Sicherheit vor erneuter Verfolgung stehen andererseits nicht jede noch so geringe Möglichkeit abermaligen Verfolgungseintritts und jeder - auch entfernt liegende - Zweifel an der künftigen Sicherheit des Betroffenen entgegen; vielmehr müssen hieran mindestens "ernsthafte" Zweifel bestehen (BVerwG vom 1.10.1985 Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 37). Dass die Gefahr erneuter Übergriffe "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" ausgeschlossen werden kann, ist nicht erforderlich (BVerwG vom 1.10.1985, ebenda). Über die "theoretische" Möglichkeit, Opfer eines Übergriffs zu werden, hinaus ist erforderlich, dass objektive Anhaltspunkte einen Übergriff als nicht ganz entfernte und damit durchaus "reale" Möglichkeit erscheinen lassen (BVerwG vom 9.4.1991 Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 143; BVerwG vom 8.9.1992 NVwZ 1993, 191/192). Dieser herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist auch bei solchen Ausländern anzuwenden, die persönlich unverfolgt ausgereist sind, jedoch einer Gruppe angehören, deren Mitglieder im Herkunftsstaat zumindest regional kollektiv verfolgt wurden (BVerwG vom 9.9.1997 BVerwGE 105, 204/208). Das gilt auch dann, wenn diese (regionale) Gefahr als objektiver Nachfluchttatbestand erst nach der Ausreise des Schutzsuchenden auftritt; denn für den Angehörigen einer solchen Gruppe hat sich das fragliche Land nachträglich als Verfolgerstaat erwiesen (BVerwG vom 9.9.1997, ebenda). Beschränkt sich die Gruppenverfolgung auf einen Teil des Herkunftslandes, so kommt für die gruppenzugehörigen Personen nur ein Gebiet in diesem Staat als inländische Fluchtalternative in Betracht, in dem sie vor Verfolgung "hinreichend sicher" sind (BVerwG vom 9.9.1997, ebenda). Die Anwendung des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabs setzt außer einer Vorverfolgung voraus, dass der Betroffene auch in anderen Teilen seines Herkunftsstaates vor der Ausreise nicht hinreichend sicher war. Eine hinreichende Sicherheit in anderen Landesteilen ist nicht gegeben, wenn eine Verfolgungsgefahr dort nicht auszuschließen ist; Verfolgungssicherheit ist zu bejahen, wenn mehr als wahrscheinlich ist, dass im gesamten Staatsgebiet keine weitere Verfolgung droht (BVerfG vom 10.7.1989 a.a.O.).

Die Grundsätze zum Prognosemaßstab gelten - zumindest im Kern - auch nach der ausdrücklichen Übernahme zahlreicher Normen der Qualifikationsrichtlinie in das deutsche Recht fort. Denn nach Art. 4 Abs. 4 QRL, der gemäß § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG ergänzend anzuwenden ist, stellt der Umstand, dass der Schutz suchende Ausländer bereits verfolgt wurde oder er einen sonstigen ernsthaften Schaden (vgl. Art. 15 QRL) erlitten hat bzw. er von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, einen ernsthaften Hinweis darauf dar, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, es sprechen stichhaltige Gründe dagegen, dass der Ausländer erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Die in Deutschland richterrechtlich entwickelten Grundsätze über den anzuwendenden Prognosemaßstab entsprechen dem im Wesentlichen (Marx, AsylVfG, 6. Aufl. 2005, RdNr. 286 zu § 1; in diese Richtung auch BVerwG vom 20.3.2007 BayVBl 2007, 632 ff, wo darauf hingewiesen wird, dass die in Art. 4 Abs. 4 QRL vorgesehene Beweiserleichterung auf tatsächlicher Ebene nur im Falle einer Vorverfolgung eingreift).

2.

Es kann dahinstehen, ob die Beigeladene die Russische Föderation vorverfolgt verlassen hat, also zum Zeitpunkt ihrer Ausreise im Sinne von § 60 Abs. 1 Sätze 1 und 5 AufenthG in der am 28. August 2007 in Kraft getretenen Fassung i.V.m. Art. 9 f. QRL unmittelbar von individueller politischer Verfolgung bedroht war. Ebenso kann dahinstehen, ob sie einer Verfolgung, die tschetschenischen Volkszugehörigen seinerzeit ggf. kollektiv drohte, unterlag. Schließlich braucht auch nicht geklärt zu werden, ob der Beigeladenen zum Zeitpunkt ihrer Ausreise aus der Russischen Föderation im März 2002 eine inländische Fluchtalternative bzw. interner Schutz im Sinne von § 60 Abs. 1 Sätze 4 und 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 QRL etwa in Dagestan, dem Ort ihrer vorübergehenden Registrierung, in Inguschetien oder an anderen Orten der Russischen Föderation zur Verfügung stand. Offen bleiben kann auch, ob sie einer Gruppe angehört, deren Mitglieder in bestimmten Teilen der Russischen Föderation heute allein wegen ihrer Zugehörigkeit zu diesem Kollektiv im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG, Art. 9 f. QRL verfolgt werden. Auch bei Anwendung des herabgestuften Prognosemaßstabs ist nämlich davon auszugehen, dass die Beigeladene bei ihrer Rückkehr in den Herkunftsstaat heute jedenfalls in weiten Teilen der Russischen Föderation vor politischer Verfolgung und asylerheblichen Übergriffen hinreichend sicher ist, dort also heute eine inländische Fluchtalternative bzw. internen Schutz i.S.v. § 60 Abs. 1 Sätze 4 und 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 QRL findet.

a)

Nach der Auskunftslage zum Entscheidungszeitpunkt finden in Tschetschenien nach wie vor Menschenrechtsverletzungen statt. Zwar ist hiernach in jüngster Zeit eine gewisse Entspannung vor Ort festzustellen. Dafür hat sich der Konflikt auf weitere Teile des Nordkaukasus (insbesondere Dagestan, Inguschetien) ausgeweitet. Russische und tschetschenische Sicherheitskräfte sowie tschetschenische Rebellen begehen in dieser Region schwere Menschenrechtsverletzungen (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 17.3.2007). Nach der Auskunft der Gesellschaft für bedrohte Völker vom 14. Juni 2007 an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof, in der auf den Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom Januar 2007 zur Entwicklungen in Tschetschenien sowie in Dagestan, Kabardino-Balkarien, Inguschetien und Nordossetien Bezug genommen wird, weiten sich die Gefährdung tschetschenischer Flüchtlinge und bewaffnete Auseinandersetzungen über die Grenzen Tschetscheniens hinweg in die anderen genannten nordkaukasischen Regionen aus. Dies entspricht der Tendenz einer Ausweitung des Konflikts auf die Nachbarrepubliken Tschetscheniens, die bereits in den Briefing Notes des Informationszentrums Asyl und Migration des Bundesamtes vom 8. August 2005 referiert wird. Darauf ob sich hieraus auch eine konkrete Gefahr asylerheblicher Übergriffe auf die Beigeladene im Nordkaukasus ergibt, kommt es im vorliegenden Fall nicht an, denn jedenfalls in den übrigen Teilen der Russischen Föderation ist sie heute vor asylrechtlich relevanten Maßnahmen der russischen und tschetschenischen Sicherheitskräfte sowie solcher nichtstaatlicher Akteure, deren Verhalten sich die Russische Föderation nach § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. b) und c) AufenthG ggf. zurechnen lassen muss, hinreichend sicher.

b)

Das Bestehen einer inländischen Fluchtalternative hat nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zur Voraussetzung, dass der Betroffene an deren Ort vor politischer Verfolgung hinreichend sicher sein muss und ihm dort auch keine anderen Gefahren und Nachteile drohen dürfen, die nach ihrer Intensität und Schwere einer asylrechtserheblichen Rechtsgutbeeinträchtigung aus politischen Gründen gleichkommen, sofern diese existenzielle Gefährdung am Herkunftsort so nicht bestünde (BVerfG vom 10.7.1989, a.a.O.; BVerwG vom 15.5.1990 BVerwGE 85, 139 ff.). "Hinreichende Sicherheit" kann nur dann bejaht werden, wenn es "mehr als nur überwiegend wahrscheinlich" ist, dass es zu keinen erneuten Verfolgungsmaßnahmen kommen wird (BVerwG vom 31.3.1981 Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 27). Zu fragen ist bezogen auf tschetschenische Volkszugehörige aus der Russischen Föderation, ob die Existenz am Ort der Fluchtalternative auch ohne förmliche Gewährung eines Aufenthaltsrechts und ohne Inanspruchnahme staatlicher Sozialleistungen in zumutbarer Weise gesichert werden kann (vgl. BVerwG vom 1.2.2007 InfAuslR 2007, 211 ff.). Ferner können Asylsuchende nur dann auf eine inländische Fluchtalternative verwiesen werden, wenn diese für sie auch in zumutbarer Weise erreichbar ist (BVerwG vom 16.1.2001 BVerwGE 112, 345 ff.). Lediglich dann ist es mit Rücksicht auf die Subsidiarität des Asylrechts gerechtfertigt, asylrechtlichen Schutz in Deutschland zu versagen. Ergibt die im Asylverfahren anzustellende Prognose hingegen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, dass der Asylbewerber das sichere Gebiet in seinem Heimatstaat nicht wenigstens freiwillig in zumutbarer Weise, insbesondere nicht ohne erhebliche Gefährdungen erreichen kann, steht ihm die festgestellte innerstaatliche Zufluchtsmöglichkeit nur theoretisch offen (vgl. BVerwG vom 15.4.1997 BVerwGE 104, 265 ff.). Dann gebietet der humanitäre Charakter des Asylrechts die Anerkennung als politischer Flüchtling.

c)

Die Voraussetzungen dafür, dass die Beigeladene im vorliegenden Fall auf eine inländische Fluchtalternative bzw. internen Schutz im Sinne von § 60 Abs. 1 Sätze 4 und 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 QRL innerhalb der Russischen Föderation verwiesen werden kann, sind erfüllt.

An den Orten der inländischen Fluchtalternative innerhalb der Russischen Föderation ist die Beigeladene vor politischer Verfolgung hinreichend sicher und es drohen ihr auch keine anderen Gefahren und Nachteile, die nach ihrer Intensität und Schwere einer asylrechtserheblichen Rechtsgutbeeinträchtigung aus politischen Gründen gleichkommen würden und nicht auch in Tschetschenien so bestünden. Es ist davon auszugehen, dass die Beigeladene ihre Existenz am Ort der Fluchtalternative vorübergehend auch ohne förmliche Gewährung eines Aufenthaltsrechts und ohne Inanspruchnahme staatlicher Sozialleistungen in zumutbarer Weise wird sichern können. Vor diesem Hintergrund kann von ihr eine Niederlassung an verfolgungsfreien Orten im Sinne von Art. 8 QRL vernünftigerweise erwartet werden; auf die Frage, wie sich die Lebensbedingungen in Tschetschenien darstellen, kommt es mithin nicht an.

aa)

Auch angesichts des von der Beigeladenen in ihrem dem Gericht übergebenen Brief vom 12. Juli 2004 geschilderten Engagements ist es mehr als nur überwiegend wahrscheinlich, dass es zu keinen asylerheblichen Nachteilen für die Beigeladene kommen wird. Die in diesem Brief enthaltene Erklärung dafür, warum die Beigeladene ihre wahren Asylgründe nicht bereits bei der Anhörung vor dem Bundesamt angegeben hat, erscheint unter den Umständen des Einzelfalles nachvollziehbar. Sie reiste zusammen mit ihrem Sohn, dem Beigeladenen in dem Verfahren Az. 11 B 03.30710, dem wegen seines pro-tschetschenischen Engagements und seiner Beteiligung am zweiten Tschetschenienkrieg mit Urteil des Senats vom 24. Oktober 2007 Schutz vor politischer Verfolgung nach § 60 Abs. 1 AufenthG zuerkannt wurde, im März 2002 in das Bundesgebiet ein. Zu dieser Zeit wurde infolge der Anschläge vom 11. September 2001 auf das World Trade Center der Erlass von Antiterrorgesetzen heftig diskutiert bzw. war schon erfolgt (z.B. Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9.1.2002 BGBl 2002 I S. 361, durch das auch der Terrorismusvorbehalt im damaligen § 51 Abs. 3 AuslG durch Einfügung von Satz 2 verschärft wurde; Einfügung von § 129 b in das Strafgesetzbuch mit Gesetz vom 22.8.2002 BGBl 2002 I S. 3390). In diesem Zusammenhang erscheint es nicht fern liegend, dass unter mutmaßlich betroffenen, dem Islam angehörenden Asylbewerbern die Anwendung des so genannten Terrorismusvorbehaltes (jetzt § 60 Abs. 8 AufenthG i.V.m. § 3 Abs. 2 AsylVfG) zumindest ernstlich befürchtet wurde. Unter diesen Bedingungen erscheint es nicht ausgeschlossen, dass der Beigeladenen und ihrem Sohn in der Asylbewerberunterkunft in Würzburg, in der sie zunächst untergebracht waren, von anderen Tschetschenen Gerüchte zugetragen wurden, wonach Angehörige des tschetschenischen Widerstands aus Deutschland abgeschoben würden. Die Ausführungen zum Verfolgungsschicksal der Beigeladenen in dem Brief vom 12. Juli 2004 sind somit nicht per se als gesteigertes, unglaubhaftes Vorbringen zu werten.

In ihrem Brief vom 12. Juli 2004 schildert die Beigeladene einen Vorfall, der sich Mitte Februar 1997 ereignet habe. Sie habe, um ihren Sohn zu schützen, auf Banditen geschossen, die in ihre Wohnung eingedrungen seien. Nach diesem Vorfall habe sie nicht mehr zuhause in Grosny bleiben können. Ihr Sohn habe sie nach Starye Atagi zu Verwandten geschickt. Dort sei im Frühjahr 1997, um die Zeit der Aussaat, ein Anschlag auf sie verübt worden, bei dem ein alter Mann aus der Verwandtschaft getötet worden sei. Danach habe sie sich zunächst in Dubajurt und ab September /Oktober 1999 wieder in Grosny aufgehalten. In dieser Zeit habe sie den Kämpfern geholfen, Verwundete aus der Stadt zu bringen. Sie habe Verletzte verbunden und Essen für die tschetschenischen Kämpfer gekocht. Eines nachts im Januar 2000 habe sie Verbandsmaterial und Medikamente mitgenommen und eine Abteilung Kämpfer begleitet. Dabei habe sie den Angriff der russischen Truppen auf das Dorf Tolstoj-Jurt miterlebt und geholfen, Getötete in ihre Dörfer zu bringen, Leichen zu bergen und zu beerdigen. Beim Einmarsch der Russen in Grosny sei ein OMON-Trupp in ihr Haus eingedrungen, habe sie und ihre Mutter bedroht und schließlich alle Wertgegenstände sowie den gesamten Familienschmuck und 6.000 $ mitgenommen. Bei einer der in der Folge durchgeführten täglichen Säuberungsaktionen seien im Keller ihres Hauses Bücher und Zeitschriften ihres Sohnes über Flugzeuge und Waffen gefunden worden, weshalb sie wegen des Verdachts, einen Kämpfer zu beherbergen, massiv bedroht worden seien. Zu ihren politischen Aktivitäten gab die Beigeladene an, sie sei bereits Anfang der 90er Jahre in einem Frauenkomitee aktiv gewesen, das für die Unabhängigkeit Tschetscheniens eingetreten sei, und habe an Kundgebungen teilgenommen. Nach dem Machtantritt Dudajews und der Unabhängigkeitserklärung Tschetscheniens sei sie zunächst nicht mehr politisch aktiv gewesen. Sie habe jedoch ohne Mitglied zu sein weiterhin mit dem Frauenkomitee in Verbindung gestanden und insbesondere in der letzten Zeit vor Beginn des zweiten Krieges bei der Formulierung von Appellen an den damaligen Präsidenten Maschadov geholfen. Im März 2000 sei sie Mitglied des Frauenkomitees geworden und habe an Kundgebungen und Demonstrationen teilgenommen, auf denen der Abzug der russischen Truppen und die Beendigung der Ausschreitungen und Säuberungen gefordert worden seien. An diesen Demonstrationen hätten vor allem Frauen mittleren Alters, aber auch alte Leute und Kinder teilgenommen, darunter viele Menschen, deren Angehörige nach Festnahmen verschwunden oder getötet worden seien. Die Demonstrationen seien regelmäßig mit Waffengewalt aufgelöst worden. Dabei seien häufig Menschen am Anfang und am Ende des Demonstrationszuges getötet worden. Insgesamt habe sie an sieben Demonstrationen teilgenommen. Bei der letzten im Spätherbst 2001 seien sie auf einem Straßenabschnitt eingeschlossen und von Hubschraubern und Panzerwagen beschossen worden. Sie seien gezwungen gewesen, fünf oder sechs Stunden im Straßengraben auszuharren, bevor sie in die Stadt hätten zurückkehren können. Im Rahmen Ihrer Mitarbeit in dem Frauenkomitee habe sie auch Informationen über die Insassen der Filtrationslager gesammelt. Jede von ihnen haben eine aktuelle Liste mit den Namen und persönlichen Daten der Gefangenen gehabt, an Hand derer sie die Angehörigen informiert hätten. Diese hätten dann aufgrund der Informationen bei den Militärkommandanturen vorgesprochen oder sich an Menschenrechtsorganisationen gewandt, um die Freilassung ihrer Angehörigen zu erreichen. Der russische Sicherheitsdienst habe von ihrer Teilnahme an den Demonstrationen gewusst. Bei Säuberungen in der Wohnung ihrer Bekannten, bei denen sie zu dieser Zeit mit ihrer Mutter gelebt habe, sei ihr dies mehrfach vorgeworfen worden und es sei auch mehrmals versucht worden, sie festzunehmen. Dies sei jedoch immer wieder durch das Eingreifen von Nachbarn verhindert worden, welche durch das Schreien ihrer Mutter alarmiert worden seien. Ihre größte Angst sei es gewesen, dass die russischen Sicherheitskräfte durch Informanten oder Festgenommene von ihrer Unterstützung für die Widerstandskämpfer am Anfang des Krieges erfahren könnten, denn dann hätte sie niemand vor der Festnahme retten können.

Unterstellt, diese Schilderungen entsprechen der Wahrheit, kann davon ausgegangen werden, dass die Beigeladene jedenfalls nicht wegen ihrer Unterstützungshandlungen für die tschetschenischen Rebellen in das Blickfeld der russischen Sicherheitskräfte geraten war. Sie selbst behauptet lediglich, ihre Teilnahme an den beschriebenen Demonstrationen im Rahmen ihrer Zugehörigkeit zu dem Frauenkomitee sei ihr von den russischen Sicherheitskräften vorgeworfen worden. Es ist nicht ohne weiteres nachvollziehbar, wie diese Aktivitäten den Russen bekannt geworden sein sollen. Die Beigeladene gibt an, der Straßenabschnitt, auf dem sie demonstriert hätten, sei von Panzerwagen und Hubschraubern aus beschossen worden und sie habe sich im Straßengraben in Sicherheit gebracht. Wie es hierbei zu einer Identitätsfeststellung gekommen sein soll, kann aber dahinstehen. Bei den Demonstrationen handelte es sich nämlich nach den Schilderungen der Beigeladenen nicht um ein Engagement für die Seite der tschetschenischen Rebellen, sondern vielmehr um eine Art friedenspolitische Kundgebungen, die mit der Forderung nach einem Abzug der russischen Truppen und der Beendigung der Ausschreitungen und Säuberungen primär auf eine Beendigung des kriegerischen Konflikts hinzielten. Unterstrichen wird diese Einschätzung durch den von der Beigeladenen beschriebenen Teilnehmerkreis (Frauen mittleren Alters, alte Menschen und Kinder). Auch der von der Beigeladenen berichtete Umstand der Führung aktueller Listen mit den Namen und persönlichen Daten der Gefangenen in Filtrationslagern zur Information Angehöriger spricht weniger für ein pro-tschetschenisches Engagement des Frauenkomitees im Sinne einer Unterstützung der Rebellen, sondern viel eher für humanitäre Bemühungen, zumal die Informationen den Angehörigen der Inhaftierten dazu dienen sollten, mit dem Ziel der Freilassung bei den Militärkommandanturen vorsprechen oder sich an Menschenrechtsorganisationen wenden zu können.

Aus den in das Verfahren einbezogenen Erkenntnisquellen ist nicht ersichtlich, dass die russischen oder auch die tschetschenischen Sicherheitskräfte Listen über die Teilnehmer friedenspolitischer Demonstrationen dieser Art geführt hätten oder führen würden. Auch ist nicht ersichtlich, warum heute, Jahre nach dem Ende des zweiten Tschetschenienkrieges, noch ein Interesse an asylrelevanten Übergriffen auf Personen bestehen sollte, die 2001 die Beendigung der Ausschreitungen und Säuberungen angemahnt und sich für Angehörige von Gefangenen eingesetzt haben. Anklagende Äußerungen über Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien können heute im Übrigen sogar von Ausländern in Grosny vor versammelter Presse sanktionslos vorgebracht werden (vgl. Abschnitt 1.2.1 der "Erkenntnisse des Bundesamtes" vom Mai 2007). Die Einsetzung eines Ombudsmannes für Tschetschenien, der am 6. Februar 2007 über Menschenrechtsverletzungen berichtet hat, die auf Anordnung des früheren tschetschenischen Minister- und nunmehrigen Staatspräsidenten Ramsan Kadyrow im Untersuchungsgefängnis von Grosny und im Gefangenenlager Tschernokosovo festgestellt wurden (vgl. Abschnitt 1.2.1 der den Tschetschenienkonflikt betreffenden "Erkenntnisse des Bundesamtes" vom April 2007), zeigt, dass sich inzwischen sogar die tschetschenische Führung die Aufdeckung solcher Gegebenheiten angelegen sein lässt. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang, dass der tschetschenische Menschenrechtsbeauftragte auch sonst wiederholt mit einschlägiger Kritik hervorgetreten ist (vgl. die Abschnitte 1.1.3 und 1.2.1 der "Erkenntnisse des Bundesamtes" vom Mai 2007), und dass die vorerwähnte Untersuchung gemeinsam von Parlamentsabgeordneten, Vertretern von Nichtregierungsorganisationen und Menschenrechtsaktivisten durchgeführt wurde (Abschnitt 1.2.1 der den Tschetschenienkonflikt betreffenden "Erkenntnisse des Bundesamtes" vom April 2007). Das lässt - ebenso wie die Protesterklärungen der tschetschenischen Bürgerkammer, des Koordinierungsrates für Nichtregierungsorganisationen und von Studentenverbänden, über die in Abschnitt 1.1.3 der "Erkenntnisse des Bundesamtes" vom Mai 2007 berichtet wird - erkennen, dass sich sogar in Tschetschenien Ansätze einer Zivilgesellschaft bilden, in der Missstände in Staat und Gesellschaft offen thematisiert werden können. Es gibt vor diesem Hintergrund keine Anhaltspunkte dafür, dass die Teilnahme der Beigeladenen an den beschriebenen Demonstrationen im Jahr 2001 für sie bei einer Wiedereinreise in die Russische Föderation nachteilige Auswirkungen zeitigen könnte, auch wenn sie, wie vom Senat unterstellt, den russischen Sicherheitskräften bekannt geworden ist. Der Befund hinreichender Sicherheit der Beigeladenen außerhalb Tschetscheniens und des Nordkaukasus wird nach allem wegen ihres Engagements im Frauenkomitee nicht in Frage gestellt.

Trotz der Verwandtschaft mit ihrem Sohn ist die Beigeladene an den Orten der inländischen Fluchtalternative hinreichend sicher, auch wenn nach dem Urteil des Senats in seinem Verfahren (Az. 11 B 03.30710) davon auszugehen ist, dass der Sohn als ehemaliger Kämpfer auf Seiten der Tschetschenen in einer Liste des Föderalen Sicherheitsdiensts (FSB) registriert wurde (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Braunschweig vom 18. Februar 2003) und somit möglicherweise selbst noch heute als Rebell identifiziert werden könnte. Daraus lässt sich keine relevante Gefährdung seiner Mutter, der Beigeladenen, im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG, Art. 9 f. QRL außerhalb des Nordkaukasus ableiten. Für die Russische Föderation außerhalb Tschetscheniens werden Vorfälle, die unter dem Aspekt der "Sippenhaft" gesehen werden könnten, nicht berichtet. Lediglich für Tschetschenien gibt es Erkenntnisse, dass zum einen Familienangehörige mutmaßlicher Rebellen als Geiseln genommen werden, um diese zur Aufgabe zu zwingen (vgl. u. a. Seite 16 des Lageberichts vom 18.8.2006; auch Heinrich und Lobova in "Innerstaatliche Fluchtalternativen [IFA] in Tschetschenien" vom 7.3.2006). Zum anderen werden Verwandte von Personen mit Repressionen überzogen, die sich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gewandt haben (vgl. Seite 65 der Ausarbeitung von Memorial "Zur Situation der Bürger Tschetscheniens in der Russischen Föderation Juni 2004 - Juni 2005" und Seite 59 der Ausarbeitung "Menschen aus Tschetschenien in der Russischen Föderation Juli 2005 - Juli 2006" der gleichen Menschenrechtsorganisation). Die Beigeladene gehört keiner dieser beiden Fallgruppen an. Dafür dass auch Angehörige von längst zur Durchführung von Asylverfahren aus der Russischen Föderation ausgereisten Rebellen, bei denen, wie beim Sohn der Beigeladenen ein Abschiebungsverbot im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG festgestellt wurde, von Geiselnahmen betroffen wären, gibt es keinerlei Erkenntnisse. Dies wäre auch kaum nachvollziehbar, da nicht interessengerecht. Sowohl den russischen Sicherheitskräften wie auch den Truppen Ramsan Kadyrows kann nicht daran gelegen sein, die Rückkehr von dauerhaft nach Europa abgewanderten ehemaligen Kämpfern, wie dem Sohn der Beigeladenen, zu erzwingen. Habhaft werden wollen sie vielmehr nur solcher Rebellen, die sich noch im Land befinden und mit neuen Aktivitäten die mühsam erreichte Stabilisierung gefährden könnten. Dass der Sohn der Beigeladenen sich von Deutschland aus nach wie vor für die tschetschenischen Rebellen engagiert, wird nicht vorgetragen und es gibt hierfür auch keine Anhaltspunkte. Der Sohn hat nach seinem eigenen Sachvortrag Kontakt zu dem ehemaligen tschetschenischen Vizepremier und Dichter **** **********, der als anerkannter politisch Verfolgter in Berlin lebt. Aus diesem Kontakt allein lässt sich aber kein exilpolitisches Engagement ableiten. Zwar wurde in dem Verfahren des Sohnes der Beigeladenen festgestellt, dass es als gesichert gelten kann, dass die Nachrichtendienste der Russischen Föderation an der tschetschenischen Emigrantenszene und deren Interessenvertretungen in Deutschland interessiert sind und diese beobachten, dass der Zeuge **** ********** als Aktivist für die Sache der Tschetschenen gelten kann und dass nicht nur er selbst, sondern auch sein Umfeld das Interesse des russischen Auslandsgeheimdienstes genießen wird. Zu diesem Umfeld kann aber nicht auch die Beigeladene als Mutter eines Freundes gezählt werden; schließlich wird nicht vorgetragen, dass sie selbst auch nur ein einziges Mal **** ********** aufgesucht hätte oder mit ihm gesehen worden wäre, geschweige denn, dass sie sich selbst exilpolitisch betätigen würde.

Auch die Behauptung der Beigeladenen, sie habe wegen der Kontakte ihres früheren Ehemannes zu **** ********** mit Verfolgung durch die russischen Sicherheitskräfte zu rechnen, ist nicht geeignet, die Überzeugung zu erschüttern, dass sie an den Orten der inländischen Fluchtalternative in der Russischen Föderation hinreichend sicher ist. Zum einen ist die Beigeladene von ihrem Ex-Mann bereits über 20 Jahre geschieden, er wohnte an einem anderen Ort als sie und es wird nicht vorgetragen, dass über das kriegsbedingte Verstecken des gemeinsamen Sohnes hinaus engerer Kontakt mit ihm bestanden hätte. Selbst wenn er sich pro-tschetschenisch engagiert haben oder gar noch engagieren sollte, ist deshalb nicht ersichtlich, warum die Sicherheitskräfte dieses Engagement mit der Beigeladenen in Verbindung bringen und sie dafür zur Verantwortung ziehen sollten. Zum anderen wurde auch nicht vorgetragen, dass der frühere Ehemann der Beigeladenen sich aktiv am pro-tschetschenischen Kampf beteiligt hätte. Den Akten ist lediglich zu entnehmen, dass er sich an der Versorgung von Verwundeten beteiligt haben könnte, so dass davon auszugehen ist, dass er maximal von untergeordnetem Interesse für die russischen Sicherheitskräfte ist

bb)

Es ist nicht davon auszugehen, dass der Beigeladenen daraus, dass sie die Registrierung an dem Ort, an dem sie sich niederlassen will, möglicherweise erst nach einigen Wochen bis Monaten und vielleicht auch nur befristet erlangen kann, Nachteile erwachsen, die den nach § 60 Abs. 1 AufenthG bzw. nach Art. 9 Abs. 1 QRL erforderlichen Schweregrad erreichen.

Auf die Registrierung an einem selbst gewählten Ort des vorübergehenden oder dauernden Aufenthalts besteht ein Rechtsanspruch; Ablehnungsgründe sieht die russische Rechtsordnung nicht vor (vgl. Schreiben von Swetlana Gannuschkina an den Bayer. Verwaltungsgerichtshof vom 27.6.2005). Insbesondere wurde das "Propiska"-System, das eine Gestattung oder Verweigerung des Zuzugs durch die Behörden ermöglichte, bereits 1991 (so amnesty international im Schreiben an den Bayer. Verwaltungsgerichtshof vom 16.4.2004) bzw. 1993 (so der Lagebericht vom 17.3.2007, S. 29) abgeschafft. Dessen ungeachtet wenden viele Regionalbehörden restriktive örtliche Vorschriften an, oder es bestehen dahingehende Verwaltungsübungen (Lagebericht vom 17.3.2007). Tschetschenen wird aber in der Russischen Föderation außerhalb der Teilrepublik, in der sie die Titularnation darstellen, entweder wegen ihrer Volkszugehörigkeit oder wegen ihrer regionalen Herkunft mit signifikanter Häufigkeit die Registrierung, d.h. die amtliche Bestätigung darüber verweigert, dass sie sich am Ort ihres dauernden oder vorübergehenden Aufenthalts angemeldet haben. Sie haben erhebliche Schwierigkeiten, außerhalb Tschetscheniens eine offizielle Registrierung zu erhalten (so auch Auskunft von amnesty international an den HessVGH vom 27.4.2007), obwohl ihnen grundsätzlich wie allen russischen Staatsbürgern das Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthalts in der Russischen Föderation zusteht. In der Praxis wird nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes (Lagebericht vom 17.3.2007, S. 29) an vielen Orten (u.a. in den Großstädten wie Moskau und St. Petersburg) der legale Zuzug von Personen aus den südlichen Republiken der Russischen Föderation durch Verwaltungsvorschriften stark erschwert. Diese Zuzugsbeschränkungen gelten unabhängig von der Volkszugehörigkeit, wirken sich jedoch im Zusammenhang mit anti-kaukasischen Stimmungen stark auf die Möglichkeit rückgeführter Tschetschenen aus, sich legal an einem Ort ihrer Wahl niederzulassen.

Diese verbreitete rechtswidrige Praxis ist im Regelfall (d.h. vorbehaltlich besonderer, sich aus der Person eines Betroffenen ergebender Umstände) asylrechtlich jedoch irrelevant, da das Vorenthalten der Einstempelung in den Inlandspass, durch den die erfolgte Anmeldung einer Person beurkundet wird, als solches nicht mit einer Verletzung der in § 60 Abs. 1 AufenthG erwähnten Schutzgüter "Leben", "körperliche Unversehrtheit" und "Freiheit" einhergeht, und ein derartiges behördliches Verhalten - wiederum vorbehaltlich atypischer Sonderfälle - weder die Menschenwürde verletzt noch hierdurch im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a QRL grundlegende Menschenrechte schwerwiegend beeinträchtigt werden. Zwar legalisiert erst eine Registrierung den Aufenthalt des Betroffenen; zudem ist sie Voraussetzung für den Zugang zur Sozialhilfe, zu staatlich geförderten Wohnungen, zum (prinzipiell) kostenlosen Gesundheitssystem, zum offiziellen Arbeitsmarkt sowie für den Bezug von Kindergeld und Rente (vgl. Seite 29 des Lageberichts vom 17.3.2007 sowie Seite 6 des Manuskripts des von Frau Gannuschkina am 25.11.2006 gehaltenen Vortrags). Die Ausgrenzung aus der staatlichen Rechtsgemeinschaft, die der Nichtbesitz einer Registrierung in Bezug auf wichtige Lebensbereiche deshalb nach sich ziehen kann, wird jedoch, was die Legalität des Aufenthalts anbetrifft, dadurch spürbar gemildert, dass die Registrierungspflicht nunmehr erst nach 90 Tagen ab dem Beginn des Aufenthalts an einem Ort Platz greift (vgl. Seite 4 im Manuskript des von Frau Gannuschkina am 25.11.2006 gehaltenen Vortrags). Da diese Regelung nach anfänglichen Umsetzungsschwierigkeiten nunmehr auch tatsächlich angewendet wird (Seite 5 im Manuskript des gleichen Vortrags), sind innerhalb der ersten drei Monate auch Tschetschenen vor polizeilichen und administrativen Sanktionen wegen fehlender Registrierung sicher.

Die erwähnten (rechtswidrigen) Restriktionen werden zudem nicht in allen Landesteilen gleichermaßen praktiziert. Vor allem in Südrussland ist eine Registrierung leichter möglich als z.B. in Moskau (Lagebericht vom 17.3.2007, S. 30). Das ist nicht nur deswegen von Bedeutung, weil dort zahlreiche Tschetschenen leben, so dass die Beigeladene auf ein "Netzwerk" von Volkszugehörigen zurückgreifen kann. Zudem steht in Südrussland auch Wohnraum zu erheblich günstigeren Preisen als in Moskau zur Verfügung (Lagebericht vom 17.3.2007). Der Nachweis von Wohnraum durch den Zuzugswilligen ist aber neben dem Inlandspass Voraussetzung für eine Registrierung. Zwar weigern sich nach Darstellung von Swetlana Gannuschkina (Schreiben an den Bayer. Verwaltungsgerichtshof vom 27.6.2005) Vermieter häufig aus Angst vor Unannehmlichkeiten, Wohnungen an Tschetschenen zu vermieten; auch würden sie häufig seitens der Milizinspektoren mit dem Ziel bedroht, Mietverträge zu kündigen (S. 48 der Ausarbeitung "Zur Situation der Bürger Tschetscheniens in der Russischen Föderation Juni 2004 - Juni 2005"). Andererseits beruht die verbreitete Unwilligkeit von Vermietern, die Vordrucke auszufüllen, die ein Mieter benötigt, um sich registrieren zu lassen, wohl häufig auch darauf, dass sie Mieteinnahmen nicht versteuern wollen, was mit der ethnischen Zugehörigkeit des Mieters nichts zu tun hat (Lagebericht vom 17.3.2007, S. 17). Ungeachtet dieser Schwierigkeiten steht außer Zweifel, dass Tschetschenen auch außerhalb Tschetscheniens tatsächlich in der Russischen Föderation Wohnraum finden. Denn nach Darstellung im Lagebericht vom 17. März 2007 (S. 21 f.) leben allein in Moskau 200.000, im Gebiet Rostow 70.000 und in der Wolgaregion 30.000 Tschetschenen. Da nicht angenommen werden kann, dass auch nur der größte Teil dieser Personen über Wohnungseigentum verfügt, muss es vielen Tschetschenen gelingen, ein Mietverhältnis zu begründen. Hierfür spricht namentlich, dass Tschetschenen nicht nur in den drei vorgenannten Regionen, sondern auch in ländlich geprägten Gebieten in so großer Zahl präsent sind, dass sie sich - teilweise sogar auf mehreren Ebenen - korporativ organisieren und auf diese Weise ihre Belange wahren können. So besteht in Moskau seit 1999 unter der Bezeichnung "Daimoch" eine Gesellschaft für tschetschenisch-inguschetische Kultur, die erstmals 1990 und in der Folgezeit noch zweimal offiziell registriert wurde, mithin nicht nur im Verborgenen existiert (vgl. Abschnitt 1.2.7 der "Erkenntnisse des Bundesamtes" vom Dezember 2006). Diese Vereinigung bietet nach den Erkenntnissen des Bundesamtes Tschetschenen und Inguschen auch rechtlichen Schutz an. Der Beschaffung von Wohnraum stehen ferner keine unüberwindlichen finanziellen Hemmnisse entgegen, da es der Beigeladenen für die Zeit bis zur Erlangung einer Registrierung nicht an den erforderlichen Geldmitteln fehlen wird. Denn sofern sie bereit wären, die Bundesrepublik Deutschland freiwillig zu verlassen, könnten sie Rückkehrhilfen nach dem REAG-/GARP-Programm in Anspruch nehmen. Auf derartige Zuwendungen besteht nach dem Wortlaut der einschlägigen Verwaltungsrichtlinie zwar kein Rechtsanspruch; es ist jedoch nicht ersichtlich, warum der Beigeladenen derartige Mittel vorenthalten werden sollten, zumal sie Gleichbehandlung mit anderen diesem Programm unterfallenden Personen verlangen kann. Die hiernach zu gewährende Starthilfe beträgt nach den im Jahr 2007 geltenden Sätzen 250,-- €; daneben kann ggf. eine Reisebeihilfe von bis zu 100,-- € gewährt werden. Von diesem Betrag müssen nicht die Kosten der Rücktransports per Flugzeug, Bahn oder Omnibus bestritten werden, da diese bei freiwilliger Ausreise - Verfügbarkeit entsprechender Haushaltsmittel vorausgesetzt - nach dem REAG-/GARP-Programm von der deutschen öffentlichen Hand getragen werden.

Da die Hilfe, die die Beigeladene nach dem REAG-/GARP-Programm zu erwarten hat, der Höhe nach dem Mehrfachen eines durchschnittlichen Monatseinkommens in der Russischen Föderation entspricht (vgl. Erkenntnisse des Bundesamts vom April 2006, S. 8), reicht sie selbst dann aus, um die Zeit bis zur Registrierung zu überbrücken, wenn diese anfänglich verweigert werden sollte. Der Zeitraum bis zur Registrierung beträgt nämlich selbst in Moskau und in St. Petersburg, wo es nach den zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen rigide Zuzugsbeschränkungen gibt, längstens einige Monate.

Auch kann die Verweigerung einer Registrierung mit guten Erfolgsaussichten bekämpft werden. In den zum Gegenstand dieses Rechtsstreits gemachten, seit 2002 im Jahresrhythmus erschienenen Berichten von "Memorial" sind zahlreiche Fälle dokumentiert, in denen es durch die Einschaltung von Abgeordneten, Journalisten, Menschenrechtsorganisationen oder Rechtsanwälten sowie erforderlichenfalls durch das Beschreiten des Rechtswegs gelungen ist, Tschetschenen eine Registrierung zu verschaffen. In Gestalt der 58 Beratungsstellen, über die die Organisation "Migration und Recht" verfügt (Schreiben von "Memorial" an Rechtsanwalt Reisser vom 9.2.2007, Seite 1), steht Betroffenen ein russlandweites Netz zur Verfügung, in dem jährlich mehr als 20.000 Menschen beraten werden (Seite 1 im Manuskript des von Frau Gannuschkina am 25.11.2006 gehaltenen Vortrags). Soweit nicht bereits mit außerprozessualen Mitteln Abhilfe geschaffen werden kann (nach den Darstellungen in den Jahresberichten von "Memorial" genügt zu diesem Zweck bisweilen bereits die persönliche Vorsprache einer rechtskundigen Person bei einem Vorgesetzten des die Registrierung verweigernden Amtsträgers oder die Einschaltung der Staatsanwaltschaft, der in Russland die Funktion einer Aufsichtsbehörde über die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zukommt), darf zumindest in aller Regel davon ausgegangen werden, dass der Betroffene vor Gericht Recht erhalten wird. Denn die russischen Gerichte üben Verwaltungskontrolle nach US-Vorbild aus; behördliche Bescheide können vor dem örtlich zuständigen Bezirksgericht angefochten werden (Heinrich/Lobova, Die Situation von tschetschenischen Vertriebenen [IDPs] in Russland, Seite 17). Die Gerichte sind die einzigen staatlichen Institutionen in Russland, die Tschetschenen Rechtsschutz gewähren (Heinrich/Lobova, ebenda). Da stattgebende gerichtliche Entscheidungen im Durchschnitt nach einigen Monaten ab Verfahrenseinleitung ergehen, kann ungeachtet des Umstandes, dass die Verwaltung fallweise rechtswidrige Bescheide trotz ihrer Aufhebung mehrmals erlassen habe (Heinrich/Lobova, Die Situation von tschetschenischen Vertriebenen [IDPs] in Russland, Seite 3), nicht davon gesprochen werden, Verweigerungen der Registrierung würden sich auf das Gros der Tschetschenen mit einer Intensität und Schwere auswirken, dass im Sinne der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 2. Juli 1980 (a.a.O., S. 357) die Menschenwürde dieser Personen verletzt werde bzw. die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 1 Buchst. a QRL i.V.m. § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG erfüllt seien.

Aus der Auskunft von Frau Gannuschkina vom 27. Juni 2005 ergibt sich zwar, dass mehrere Monate vergehen können, ehe die Bemühungen um den Erhalt einer Registrierung ein positives Ergebnis zeitigen. So wandte sich die Familie ********* im September 2000 an eine Beratungsstelle von "Memorial"; die Registrierung erfolgte, nachdem sich zusätzlich ein Journalist der Sache angenommen hatte, im Januar 2001. Im Fall "*************" vergingen zwischen der Einschaltung von "Memorial" und dem Erhalt der Registrierung ca. sieben Monate. Bei dem Tschetschenen ********* ******* dauerte es, gerechnet ab der Intervention eines Abgeordneten, knapp drei Monate, bis eine auf ein halbes Jahr befristete Registrierung zugesagt wurde; ehe der Betroffene auf weitere Intervention eines Abgeordneten die beantragte Registrierung für ein volles Jahr erhielt, verstrichen nochmals reichlich zwei Monate. Im Fall der Gebrüder ********* lag zwischen der im Frühjahr 2004 an "Memorial" gerichteten Bitte, bei der Registrierung behilflich zu sein, und der Vornahme entsprechender Amtshandlungen Anfang März 2005 sogar etwa ein Jahr. Andererseits berichtet "Memorial", dass es selbst Tschetschenen, die unmittelbar aus dem Bürgerkriegsgebiet kamen, möglich war, Registrierungen zu erlangen, obwohl dieser Personenkreis unter dem Blickwinkel der Terrorgefahr bzw. des Imports der für die tschetschenische Gesellschaft charakteristischen, extrem hohen Kriminalität (vgl. dazu Thomas de Waal in: Der Krieg im Schatten - Russland und Tschetschenien, hrsg. von Florian Hassel, S. 20 f.) in andere Landesteile besonderen Besorgnissen begegnen muss. Es ist nicht ersichtlich, dass Tschetschenen, die - wie die Beigeladene - nachweislich jahrelang im westlichen Ausland gelebt haben, insoweit vor größeren Problemen stehen werden.

Anhaltspunkte dafür, dass der nicht registrierte Teil der tschetschenischen Binnenflüchtlinge eine Legalisierung seines Aufenthalts schlechthin nicht (d.h. auch nicht mit Zeitverzögerung und unter Einschaltung von Menschenrechtsorganisationen und Gerichten) zu erreichen vermochte, ergeben sich aus den dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln nicht. In den Fallschilderungen, die mit der Feststellung abbrechen, Tschetschenen sei die Registrierung verweigert worden, fehlt praktisch durchgängig eine Aussage darüber, ob der Betroffene gebührliche Anstrengungen unternommen hat, um den Status der Illegalität zu vermeiden bzw. zu beenden. Es muss vor diesem Hintergrund davon ausgegangen werden, dass für das Fehlen einer Registrierung in vielen Fällen auch die mangelnde Bereitschaft von Tschetschenen ursächlich ist, die hierfür erforderlichen Schritte in die Wege zu leiten und bei auftretenden Schwierigkeiten fachkundige Hilfe in Anspruch zu nehmen. In dieser Einschätzung bestätigt sieht sich das Gericht durch den von "Memorial" auf den S. 21 f. der Ausarbeitung "Russland: Binnenflüchtlinge aus Tschetschenien Juni 2002 - Mai 2003" geschilderten Fall einer Tschetschenin, die so lange ohne Registrierung im Gebiet von Moskau lebte, als sich für sie hieraus keine Schwierigkeiten ergaben, und die sich erst dann entschied, sich anzumelden, als die örtliche Miliz im Gefolge des Terroranschlags vom Oktober 2002 begann, sich in der Schule nach nicht angemeldeten Tschetschenen zu erkundigen. Zu verweisen ist ferner auf die auf S. 38 der Ausarbeitung "Bewohner Tschetscheniens in der Russischen Föderation Juni 2003 - Mai 2004" erwähnte Bereitschaft vieler Menschen, lieber Bestechungsgelder zu bezahlen als in Reaktion auf behördliches Unrecht den Rechtsweg zu beschreiten.

Dass es in Moskau Milizdienststellen gibt, die Tschetschenen - noch dazu gebührenfrei - Registrierungen ausstellen, hat "Memorial" auf S. 53 der Ausarbeitung "Bewohner Tschetscheniens in der Russischen Föderation Juni 2003 - Mai 2004" ausdrücklich festgehalten. Bestätigt wird dies durch die Ausführungen des tschetschenischen Duma-Abgeordneten **********, die auf S. 4 der Anlage 1 zum Schreiben der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte an das Auswärtige Amt vom 30. August 2001 wiedergegeben werden. Wenn dort angemerkt wurde, die Registrierung von Tschetschenen in Moskau und in anderen russischen Städten sei auf drei Monate begrenzt, so folgt daraus, dass diese Personen jedenfalls eine - wenngleich nur befristet gültige - Registrierung erhalten können. In einer zeitlichen Beschränkung läge von vornherein dann keine Diskriminierung im Sinne von Art. 9 Abs. 2 Buchst. b QRL, wenn der Betroffene in der fraglichen Kommune nur einen vorübergehenden Aufenthalt begründet hat. Denn die Anmeldung wird in solchen Fällen regelmäßig nur für sechs Monate bestätigt und muss danach erneuert werden (vgl. Abschnitt 1.1 des Schreibens von amnesty international an den Bayer. Verwaltungsgerichtshof vom 16.4.2004). Soweit Tschetschenen eine Registrierung nur für weniger als sechs Monate erhalten (vgl. zur behaupteten Existenz einer unveröffentlichten Vorschrift, die eine solche Sachbehandlung vorgeben soll, S. 37 unten der Ausarbeitung "Zur Situation der Bürger Tschetscheniens in der Russischen Föderation Juni 2004 - Juni 2005"), oder ihre Registrierung trotz eines geplanten Daueraufenthalts nur befristet erfolgt, mag darin eine - u. U. an das Merkmal der Volkszugehörigkeit anknüpfende - Ungleichbehandlung liegen. Lässt man dahinstehen, ob die vollständige Verweigerung einer Registrierung eine schwerwiegende Verletzung der nach § 60 Abs. 1 AufenthG bzw. nach Art. 9 Abs. 1 QRL geschützten Rechtsgüter nach sich ziehen kann, so kann jedenfalls die - sei es auch rechtswidrige - Zuerkennung einer nur befristeten Registrierung diese Folge nicht zeitigen, da auch sie den Aufenthalt für eine gewisse Zeit legalisiert.

Das Gericht teilt deshalb im Ergebnis die Einschätzung des Auswärtigen Amtes, dass es Tschetschenen bei allen Schwierigkeiten, ggfs. nach mehreren Versuchen und mit der Unterstützung von Duma-Abgeordneten, Vertretern von "Memorial" sowie einflussreicher Persönlichkeiten gelingen kann, einen legalen Aufenthalt zu begründen (vgl. Nr. 5 im Schreiben dieser Behörde an das Bundesamt vom 4.5.2004).

cc)

Besitzt ein Tschetschene, bei dem keine Umstände vorliegen, die Anlass zu Verfolgungsmaßnahmen im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG, Art. 9 f. QRL geben, sowohl gültige Ausweispapiere als auch eine Registrierung an dem Ort, an dem er angetroffen wird, so gibt er der russischen Staatsgewalt keine Handhabe, um ihn mit asylrechtlich ggf. relevanten Maßnahmen zu überziehen. Dem Verwaltungsgerichtshof liegen keine Erkenntnisse vor, dass Tschetschenen, die diese Anforderungen erfüllen und auch keinen sonstigen Anlass zu polizeilichem Einschreiten gegeben haben, in der Russischen Föderation außerhalb des Nordkaukasus in jüngerer Zeit von staatlicher Seite in asylrechtlich erheblicher Weise belangt wurden. Es wurde bereits festgestellt, dass die pro-tschetschenischen Unterstützungshandlungen der Beigeladenen in der Vergangenheit ihrem eigenen Sachvortrag zufolge den russischen Sicherheitskräften nicht bekannt geworden sind. Vielmehr ist davon auszugehen, dass diese lediglich von den Aktivitäten der Beigeladenen in Zusammenhang mit ihrer Mitgliedschaft in dem Frauenkomitee mit friedenspolitischem bzw. humanitärem Schwerpunkt wussten. Dies hindert nicht die Annahme hinreichender Sicherheit der Beigeladenen in der Russischen Föderation außerhalb des Nordkaukasus.

Dass Tschetschenen - ebenso wie andere kaukasisch aussehende Personen - öfter als andere Bewohner der Russischen Föderation kontrolliert werden (vgl. Schreiben von amnesty international an den BayVGH vom 16.4.2004; Lagebericht vom 17.3.2007, S. 28 f.), zwingt nicht zu dem Schluss auf eine asylrelevante Rückkehrgefährdung der Beigeladenen. Zwar mag darin eine diskriminierende polizeiliche oder administrative Praxis im Sinne von Art. 9 Abs. 2 Buchst. b QRL liegen, die an körperliche Merkmale wie Haut- und Haarfarbe, die ethnische Zugehörigkeit oder die regionale Herkunft (Art. 10 Abs. 1 Buchst. a, c und d QRL) anknüpft. Die Tatsache, dass Tschetschenen oder sonst aus dem Kaukasus stammende Personen öfter als andere Bewohner der Russischen Föderation ihre Ausweise vorzeigen und sie ggf. in höherem Maße damit rechnen müssen, dass es zu Durchsuchungen ihrer Person, mitgeführter Gegenstände sowie ihrer Wohnungen kommt, beeinträchtigt - für sich genommen - jedoch weder die in § 60 Abs. 1 AufenthG ausdrücklich erwähnten Rechtsgüter Leben, körperliche Unversehrtheit und persönliche Fortbewegungsfreiheit, noch verletzen solche Maßnahmen, so lange sie nicht mit weitergehenden Übergriffen einhergehen, die Menschenwürde in der nach Art. 9 Abs. 1 QRL erforderlichen schwerwiegenden Weise. Aus den gleichen Gründen ist es rechtlich unerheblich, dass Tschetschenen aus Anlass der Registrierung ggf. die Anfertigung von Lichtbildern und die Abnahme von Fingerabdrücken hinnehmen müssen (vgl. S. 34 der Ausarbeitung "Menschen aus Tschetschenien in der Russischen Föderation Juli 2005 - Juli 2006").

Soweit pauschal behauptet wird, in Zusammenhang mit Kontroll- und Durchsuchungsmaßnahmen komme es "nicht selten zu tätlichen Übergriffen und anderen Einschüchterungsversuchen durch die Polizei" (Schreiben von amnesty international an den BayVGH vom 16.4.2004), lassen die zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel nicht den Schluss zu, dass Tschetschenen, die über gültige Papiere und eine ordnungsgemäße Anmeldung verfügen und die auch sonst keinen Anlass für ein polizeiliches oder sicherheitsbehördliches Einschreiten geben, aus Anlass von Kontrollmaßnahmen in höherem Maße als andere Bewohner der Russischen Föderation gefährdet sind. Die häufigsten Gründe für Übergriffe seitens der Miliz stellen vielmehr das Fehlen einer Registrierung bzw. der Aufenthalt des Betroffenen an einem anderen Ort als dem dar, an dem er gemeldet ist (vgl. Memorial "Bewohner Tschetscheniens in der Russischen Föderation Juni 2003 - Mai 2004"). Wenn auf Seite 48 dieser Unterlage der Fall einer Tschetschenin referiert wird, die trotz ordnungsgemäßer Papiere zur Polizeiwache verbracht, dort befragt, erkennungsdienstlich behandelt und nach 25-stündigem Gewahrsam freigelassen wurde, so lag dem erkennbar zugrunde, dass in Bezug auf diese Frau, die unmittelbar aus Tschetschenien nach Moskau gekommen war, der Verdacht bestand, Kontakt zu terroristischen Kreisen zu unterhalten (vgl. die eingehende Befragung ihrer Arbeitskollegen und ihres Wohnumfeldes). Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass nicht behauptet wird, die Betroffene sei Misshandlungen, Einschüchterungen oder ähnlichen verbotenen Maßnahmen ausgesetzt gewesen; in einem rechtsstaatlichen System wäre die Überprüfung einer solchermaßen verdächtigen Person nicht wesentlich anders verlaufen als in dem von "Memorial" geschilderten Fall. Auch bei der ordnungsgemäß registrierten Tschetschenin ****** ******* (vgl. S. 53 der Ausarbeitung "Bewohner Tschetscheniens in der Russischen Föderation Juni 2003 - Mai 2004") beschränkten sich die polizeilichen Maßnahmen darauf, die Betroffene zur Wache zu verbringen, da gegen sie der Verdacht bestand, ihre Registrierung sei gefälscht; dass sie darüber hinausgehenden Eingriffen ausgesetzt gewesen sei, wird nicht behauptet. Die am 24. Juli 2003 in Sokol durchgeführte Durchsuchung (vgl. S. 46 der Ausarbeitung "Bewohner Tschetscheniens in der Russischen Föderation Juni 2003 - Mai 2004") erschöpfte sich ebenfalls in einem Eingriff in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung, der auch in einem Rechtsstaat ggf. ohne richterliche Anordnung stattfinden kann (vgl. Art. 13 Abs. 2 GG), sowie in der Verbringung mehrerer Familienmitglieder auf die Polizeiwache zu Verhörzwecken. Wenn die Dauer der Freiheitsentziehung hierbei zwischen drei und 14 Stunden schwankte, bewegte sie sich in einem Rahmen, in dem sich ein Verdächtiger in einer rechtsstaatlichen Ordnung einer Festnahme ausgesetzt sehen kann, die die Polizei ohne Einschaltung eines Richters vornimmt (vgl. Art. 104 Abs. 3 Satz 1 GG). Zu weitergehenden Rechtseingriffen (z.B. Misshandlungen) kam es nach der Darstellung von "Memorial" auch in diesem Fall nicht.

Auch angesichts der Behauptungen, in Zusammenhang mit Kontroll- und Durchsuchungsmaßnahmen komme es "nicht selten zu tätlichen Übergriffen und anderen Einschüchterungsversuchen durch die Polizei" (Abschnitt 1.1 des Schreibens von amnesty international an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vom 16.4.2004), und Tschetschenen müssten ständig befürchten, mittels gefälschter Beweismittel eines Verbrechens beschuldigt zu werden (so Seite 6 des Memorial-Jahresberichts 2006), kann nach den zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel an der Einschätzung festgehalten werden, dass die Beigeladene mit mehr als überwiegender Wahrscheinlichkeit an den Orten der inländischen Fluchtalternative von solchen Maßnahmen verschont bleiben wird. Dafür spricht z.B., dass der den Zeitraum von Juli 2005 bis Juli 2006 abdeckende Jahresbericht von "Memorial" nur einen einzigen Vorfall (nämlich die Art und Weise der Verhaftung dreier Tschetschenen in Twer am 17.6.2006) referiert, der die vorgenannte Behauptung ggf. stützen kann, obwohl diese Ausarbeitung ein eigenes, mit "Gesetzeswidrige Verhaftungen und Verfolgungen" überschriebenes Kapitel enthält. Die dort sonst erwähnten Vorkommnisse sind demgegenüber eher geeignet, die Behauptung zu widerlegen, Tschetschenen würden (heute noch) in großer Häufigkeit mit ungerechtfertigten strafrechtlichen Vorwürfen überzogen bzw. bei Kontakten mit der Miliz in menschenrechtswidriger oder asylrechtlich sonst relevanter Weise behandelt.

Die Vorkommnisse, die auf den Seiten 49 bis 52 der Ausarbeitung "Bewohner Tschetscheniens in der Russischen Föderation Juni 2003 - Mai 2004" als Beispiele für Diskriminierungen von Tschetschenen in Moskau aufgeführt werden, betrafen Personen, die entweder über keine Registrierung verfügten (vgl. den auf S. 49 dargestellten Fall "********* *******"), oder die - wie die auf S. 52 erwähnten Personen ****-*** und ****** ********* - unter einer anderen Adresse als derjenigen lebten, unter der sie gemeldet waren. Aber auch in diesen Fällen, in denen die Betroffenen gegen russisches Recht verstoßen haben, ist ihnen ausweislich der von "Memorial" gegebenen Darstellung nichts asylrechtlich Relevantes widerfahren. Gleiches gilt für die in Bezug auf die Familie ******* durchgeführte Kontrollmaßnahme und die vorübergehende Festnahme zweier Töchter der Familie ******** (S. 49 f. der Ausarbeitung "Zur Situation der Bürger Tschetscheniens in der Russischen Föderation Juni 2004 - Juni 2005"): Obwohl diese Tschetschenen über keine Registrierungen verfügten (vgl. zu fehlenden Anmeldung der Familie Minzajew S. 39 der letztgenannten Ausarbeitung), kam es nicht zu asylrechtlich relevanten Übergriffen auf sie. Daraus kann geschlossen werden, dass die Beigeladene auch während der Zeit, die bis zum Erhalt einer Registrierung ggf. verstreicht, vor Maßnahmen, Gefahren und Nachteilen hinreichend sicher ist, die politische Verfolgung nach § 60 Abs. 1 AufenthG, Art. 9 f. QRL darstellen bzw. nach ihrer Intensität und Schwere einer asylrechtserheblichen Rechtsgutbeeinträchtigung aus politischen Gründen gleichkommen würden, und nicht auch in Tschetschenien so bestünden.

Auf Seite 6 der Ausarbeitung "Menschen aus Tschetschenien in der Russischen Föderation Juli 2005 - Juli 2006" wird zwar weiterhin behauptet, Tschetschenen müssten ständig befürchten, mittels gefälschter Beweismittel eines Verbrechens beschuldigt zu werden. Es wird jedoch kein einziger konkreter Fall genannt, der diese Behauptung auch für die jüngere Zeit noch untermauern könnte. Denn den unter der Zwischenüberschrift "Gesetzeswidrige Verhaftungen und Verfolgungen" in dieser Ausarbeitung enthaltenen Fallschilderungen lässt sich weder entnehmen, dass eine der dort genannten Personen mit einer bewusst falschen strafrechtlichen Beschuldigung überzogen wurde, noch dass ihnen Beweismittel untergeschoben wurden. Vielmehr wird auf Seite 43 dieser Dokumentation lediglich auf frühere Berichte von Memorial verwiesen, in denen Fälle dargestellt worden seien, die "fabrizierte Anklagen" gegen Tschetschenen wegen des Erwerbs, des Besitzes und des Verkaufs von Rauschgift und Waffen, die man den Betroffenen untergeschoben habe, zum Gegenstand gehabt hätten. Die vier Tschetschenen bzw. Inguschen, über deren vorübergehende Festnahme "Memorial" auf S. 37 der letztgenannten Ausarbeitung berichtet, waren nach eigener Darstellung dieser Menschenrechtsorganisation zunächst deshalb in polizeilichen Gewahrsam genommen worden, weil sie auf einer Baustelle arbeiteten, auf der Personen unerlaubt beschäftigt wurden. Nach der eigenen Darstellung von "Memorial" wurden ihnen keine gefälschten Beweismittel untergeschoben und sie wurden nach 48 Stunden wieder freigelassen. Für eine manipulierte Anklage oder das Unterschieben von Beweismitteln gibt auch die im Anschluss daran geschilderte Festnahme von Tschetschenen und Dagestanis nichts her, zu der es am 15. Juli 2006 aus Anlass eines Schusswechsels verschiedener Banden in Moskau kam; vielmehr wurden diese Personen nach 24 Stunden freigelassen, nachdem sich herausgestellt hatte, dass sie nicht als Tatbeteiligte in Frage kamen. Warum die Festnahmen der Tschetschenen *******, *********, ********** und ************ (vgl. S. 38 - 40 der Ausarbeitung "Menschen aus Tschetschenien in der Russischen Föderation Juli 2005 - Juli 2006") in der Absicht erfolgt sein soll, sie wegen nicht begangener Straftaten zu belangen, geht aus den Darstellungen von "Memorial" nicht hervor. Der gegen die drei erstgenannten Personen erhobene Vorwurf der Mitgliedschaft in einer verbotenen bewaffneten Vereinigung ist jedenfalls nicht geeignet, die Behauptung zu stützen, gegen missliebige Tschetschenen werde in der Weise vorgegangen, dass man ihnen Waffen oder Rauschgift unterschiebe. Wenn gegen den Tschetschenen **** **********, der nach den Angaben von "Memorial" bereits in der Vergangenheit der Mitgliedschaft in einer solchen Gruppierung verdächtigt worden war, das diesbezügliche Ermittlungsverfahren im September 2005 wieder aufgenommen wurde, so kann der gegen ihn im Raum stehende Verdacht schon deshalb nicht als schlechthin haltlos angesehen werden, weil man in seinem Keller, wie auch "Memorial" einräumt, Soldatenuniformen vorgefunden hatte. Der Fall "*********" schließlich hat die Verschlechterung der Haftbedingungen einer Person zum Gegenstand, die wegen ihrer Involvierung in die Geiselnahme in einem Moskauer Theater im Jahr 2002 - ggf. zu Unrecht - zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde, da sich der Betroffene an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gewandt habe. Diese Vorkommnisse sind - ebenso wie die Körperverletzungen, die drei tschetschenische Studenten am 17. Juni 2006 bei einem Polizeieinsatz in einem Studentenheim erlitten haben - kein Beleg dafür, dass Tschetschenen auch in jüngerer Zeit noch mit fingierten Strafprozessen überzogen werden.

Die Beigeladene wäre jedenfalls bei einer Niederlassung außerhalb Tschetscheniens und des Nordkaukasus ferner vor Übergriffen gesellschaftlicher Kräfte hinreichend sicher, die sich der russische Staat nach § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. c AufenthG bzw. Art. 6 Buchst. c QRL dann zurechnen lassen müsste, falls er nicht willens oder nicht in der Lage wäre, vor solchen Angriffen Schutz zu bieten. Nach Darstellung der Nichtregierungsorganisation "Sowa" gab es im Jahr 2006 in der Russischen Föderation 460 Verletzte und 53 Tote bei fremdenfeindlichen Angriffen (vgl. S. 10 des Lageberichts vom 17.3.2007). Setzt man diese Zahlen in Relation zu den mehr als 145 Millionen Menschen, die in der Russischen Föderation leben und von denen viele den mehr als hundert anerkannten ethnischen Minoritäten angehören (vgl. Abschnitt II.1.b des Lageberichts des Auswärtigen Amtes vom 26.3.2004), kann nicht davon gesprochen werden, rassistisch motivierte Übergriffe seien in diesem Land in herausragender Häufigkeit zu verzeichnen.

Nach den Erkenntnissen des Bundesamtes (vgl. die detailgenauen Darstellungen in Abschnitt 2.7 der "Erkenntnisse des Bundesamtes" vom Oktober 2005 und in Abschnitt 1.2.1 der "Erkenntnisse des Bundesamtes" vom November 2006) kam es Mitte August 2005 im südrussischen Jandyki und Ende August 2006 im karelischen Kondopoga zu gewaltsamen Ausschreitungen zwischen Tschetschenen und Angehörigen anderer Volksgruppen. Diese Vorkommnisse, bei denen die Gewaltaktionen in wesentlicher Hinsicht auch von der tschetschenischen Seite ausgingen und bei denen die Tschetschenen keineswegs nur leidender Teil waren (es wurden in beiden Fällen Angehörige anderer Ethnien durch tschetschenische Schlägertrupps zu Tode geprügelt; vgl. die detailgenauen Darstellungen in Abschnitt 2.7 der "Erkenntnisse des Bundesamtes" vom Oktober 2005 und in Abschnitt 1.2.1 der "Erkenntnisse des Bundesamtes" vom November 2006), stehen vereinzelt dar. Den in der Russischen Föderation ansonsten zu verzeichnenden xenophoben Vorkommnissen, die insbesondere von rechtsradikalen russischen Kräften verübt wurden, fielen nahezu ausnahmslos nur Angehörige anderer Volksgruppen - namentlich Schwarzafrikaner, Asiaten mit mongolischem Erscheinungsbild, Menschen aus dem indischen Kulturkreis sowie andere Kaukasier als Tschetschenen - zum Opfer (vgl. zuletzt die Aufstellung in Abschnitt 2.8 der "Erkenntnisse des Bundesamtes vom Februar 2007; ferner Abschnitt 4.3 der "Erkenntnisse des Bundesamtes vom Dezember 2005, Seite 18 f. der "Erkenntnisse des Bundesamtes" vom Juni 2005 [Stand: September 2005], Seite 6 f. des Memorial-Jahresberichts 2005 und Seite 21 der Ausarbeitung der Gesellschaft für bedrohte Völker von November 2005 "Schleichender Völkermord in Tschetschenien").

Hierbei wird nicht verkannt, dass fremdenfeindliche Ressentiments in der russischen Gesellschaft während der letzten Jahre zugenommen haben und sie sich insbesondere gegen Tschetschenen und andere Kaukasier richten (Lagebericht vom 17.3.2007, S. 10). Rechtsextremistische Aktivitäten sind jedoch schwerpunktmäßig in bestimmten Städten wie z.B. in Moskau, St. Petersburg und Voronesch zu verzeichnen ("Erkenntnisse des Bundesamtes" vom August 2006, Abschnitt 2.2). So fielen allein zwölf der 2006 aus rassistischen Beweggründen getöteten Personen einem Bombenanschlag zum Opfer, den rechtsextremistisch motivierte Jugendliche am 21. August 2006 auf einem Markt in Moskau verübten, wobei auch diese Tat überwiegend Asiaten, aber keinen einzigen Tschetschenen traf ("Erkenntnisse des Bundesamtes" vom Oktober 2006, Abschnitt 2.5).

dd)

Der Beigeladenen drohen in der Russischen Föderation außerhalb des Nordkaukasus ferner keine existenziellen Nachteile und Gefahren, angesichts derer von ihr unter Berücksichtigung der allgemeinen Gegebenheiten in der Russischen Föderation und ihrer persönlichen Umstände nicht vernünftigerweise erwartet werden kann, dass sie sich dort aufhält (vgl. Art. 8 Abs. 1 und 2 QRL).

Wie bereits dargestellt, ist davon auszugehen, dass sie ihre Existenz am Ort der Fluchtalternative für den zu überbrückenden Zeitraum von längstens einigen Monaten bis zu einer Registrierung mit Hilfe der Mittel in zumutbarer Weise wird sichern können, die sie gemäß dem REAG-/GARP-Programm erhalten wird und die einem Mehrfachen des monatlichen russischen Durchschnittseinkommens entsprechen. Auch nach der Registrierung wird die Beigeladene in der Lage sein, ihren Lebensunterhalt durch eine Erwerbstätigkeit sowie erforderlichenfalls durch ergänzende Inanspruchnahme staatlicher Sozialleistungen zu bestreiten.

Die zum Entscheidungszeitpunkt 54-jährige Beigeladene ist laut ihren eigenen Angaben beim Bundesamt diplomierte Philologin, hat zehn Jahre lang als Lehrerin für die russische und tschetschenische Sprache und danach bis zur Machtübernahme Dudajews als Dozentin an der Universität gearbeitet. In der Folge habe sie sich als Händlerin betätigt und 1997 in Grosny einen Buchladen eröffnet. Zu ihrem von der Mutter geschiedenen Vater habe sie keinen Kontakt. Sohn und Mutter halten sich mit der Beigeladenen gemeinsam in der Bundesrepublik auf. In Anbetracht des Vortrags dazu dass die Russen beim Einmarsch in Grosny Geld und Wertgegenstände der Beigeladenen mitgenommen hätten, ist nicht davon auszugehen, dass sie über nennenswerte eigene finanzielle Mittel verfügt. Die Beigeladene hat ferner beim Bundesamt vorgetragen, vom Vater ihres Sohnes sei sie bereits seit 1985 geschieden. Er war allerdings immerhin bereit, in der Notsituation zu Beginn des zweiten Tschetschenienkrieges den gemeinsamen Sohn bei sich aufzunehmen. Möglicherweise könnte die Beigeladene sich auch nach ihrer Rückkehr vorübergehend um Unterstützung an ihn wenden. Aber auch wenn sie nicht auf einen eigenen Familienverband zurückgreifen kann, ist es der Beigeladenen doch zumutbar, ihre eigene Arbeitskraft auf dem russischen Arbeitsmarkt einzusetzen.

In der Russischen Föderation waren im Dezember 2005 1,83 Millionen Menschen arbeitslos gemeldet. Das entspricht einer Quote von 7,7 %, die sich allerdings noch um eine unbekannt große Menge amtlich nicht erfasster Arbeitsloser erhöht (Abschnitt 2.6 der "Erkenntnisse des Bundesamtes" vom März 2006). Seit dem Jahr 2000 hat sich die soziale und ökonomische Lage in der Russischen Föderation stabilisiert (2004 lag die Arbeitslosenquote noch bei 9,1%); das Bruttoinlandsprodukt hat seither jährlich - in 2004 gegenüber 2003 um 6,9 % - zugenommen (vgl. Abschnitt 5 der "Erkenntnisse des Bundesamtes" vom April 2006). Ebenfalls gestiegen sind die Arbeitslöhne; sie erreichten bereits 2003 unter allen Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion den höchsten Stand ("Erkenntnisse des Bundesamtes" vom April 2006, ebenda). Da gleichzeitig die Zahl der verfügbaren Arbeitskräfte aus demografischen Gründen zurückgeht, besteht in einigen Wirtschaftszweigen und Berufen mit ständig steigender Tendenz ein Defizit an Arbeitskräften. Russland ist zwischenzeitlich deshalb ein begehrtes Ziel für Arbeitsmigranten vor allem aus den ehemaligen mittelasiatischen Republiken der Sowjetunion und den Kaukasusländern geworden ("Erkenntnisse des Bundesamtes" vom April 2006, ebenda; vgl. auch die vorerwähnte Fahndung nach illegalen ausländischen Arbeitskräften auf Baustellen). Es muss vor diesen Hintergrund davon ausgegangen werden, dass es der Beigeladenen möglich sein wird, in der Russischen Föderation eine Beschäftigung zu finden. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen das wirtschaftliche Existenzminimum in aller Regel bereits dann bietet, wenn sie dort entweder durch Zuwendungen Dritter oder durch eigene - notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende - Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen können (BVerwG vom 21.5.2003 Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 270; BVerwG vom 1.2.2007, a.a.O., RdNr. 11 im Juris-Ausdruck). Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, und die nur zeitweise - etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs z.B. in der Landwirtschaft oder auf dem Bausektor - ausgeübt werden können (BVerwG vom 1.2.2007, ebenda).

Die von der Beigeladenen im Laufe des Verfahrens geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen haben zur Überzeugung des Gerichts weder ein grundsätzliches Unvermögen zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit zur Folge noch zwingen sie zu der Annahme einer asylrelevanten existentiellen Gefährdung der Beigeladenen in der Zeit, die, wie oben dargelegt, gegebenenfalls bis zu ihrer wegen der tschetschenischen Volkszugehörigkeit eventuell verzögerten Registrierung verstreicht, welche wiederum die Voraussetzung für den Zugang zu geregelter medizinischer Versorgung darstellt.

Das letzte ärztliche Attest, welches die Beigeladene vorgelegt hat, stammt vom 10. Juni 2005. Es handelt sich um eine schlichte Aufzählung von Befunden in lateinischer Sprache ohne jedwede Erläuterung. Die Übersetzung mit Hilfe allgemein zugänglicher medizinischer Wörterbücher ergibt, dass die Beigeladene an Bluthochdruck, Magenschleimhautentzündung, einem Sodbrennen verursachenden Rückfluss von Mageninhalt in die Speiseröhre, einem Gallensteinleiden mit wiederkehrender Entzündung der Gallenblase und an Grünem Star leidet. Hierbei handelt es sich sämtlich um Krankheitsbilder, die zwar im Einzelfall gravierende Ausmaße annehmen können, in ihrer durchschnittlichen Ausprägung aber nicht lebensbedrohlich sind und nicht über das hinaus gehen, was bei Menschen im Lebensalter der Beigeladenen als altersentsprechend, medikamentös behandelbar und hinnehmbar bezeichnet werden kann. In dem im Übrigen mehr als zwei Jahre alten und deshalb längst nicht mehr aktuellen Attest heißt es folgerichtig, bei der Patientin sei eine regelmäßige, sorgfältige, medikamentöse Therapieeinstellung und Therapiekontrolle erforderlich. Die medikamentöse Therapie werde langjährig fortzuführen sein. Infolge der rezidivierenden Cholecystitis bestehe bei der Patientin die Indikation zur Cholezystektomie, d.h. zur Entfernung der Gallenblase. Die Beigeladene hatte bis zur Entscheidung des Gerichts mehr als zwei Jahre Zeit, um sich einem solchen Eingriff zu unterziehen. Ferner ist es nicht ausgeschlossen, diesen Eingriff - so er noch indiziert sein sollte - vor einer Aufenthaltsbeendigung durchführen zu lassen. Im Übrigen kann davon ausgegangen werden, dass die aufgezählten Erkrankungen der medikamentösen Therapie bedürfen, die aber dem Grunde nach ebenso in der Russischen Föderation durchgeführt werden kann, denn die medizinische Grundversorgung in der Russischen Föderation ist grundsätzlich ausreichend, wenn auch in vielen Fällen eine Kostenfrage (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 17.3.2007). Insbesondere handelt es sich bei den aufgeführten Erkrankungen der Beigeladenen nicht um derart komplexe Befunde, dass mit der Notwendigkeit besonders aufwändiger Behandlungen oder besonders teurer Arzneimittel gerechnet werden müsste. Die Zeit bis zur Registrierung und damit bis zu einem Zugang zur Gesundheitsversorgung kann durch die Mitgabe entsprechender Medikamentenvorräte überbrückt werden. Im Übrigen ist nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 17. März 2007 die Versorgung mit Medikamenten zumindest in den Großstädten gut. Zwar können sich hiernach große Teile der Bevölkerung teure Medikamente nicht leisten. Blutdrucksenkende Medikamente, Magensäureblocker und Medikamente gegen Gallenbeschwerden zählen jedoch nicht hierzu. Im Übrigen steht auch der Beigeladenen bei einer akuten Verschlimmerung einer ihrer Krankheiten die Notfallversorgung der "Schnellen Hilfe" zur Verfügung (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 17.3.2007).

Soweit schriftsätzlich angeregt wurde, ein Gutachten zu der Frage einzuholen, ob die in dem beigelegten Attest genannten Krankheiten in der Russischen Föderation behandelbar seien und ob der Zugang zu ärztlicher Versorgung für die Beigeladene gewährleistet sei, musste der Verwaltungsgerichtshof dem nicht nachkommen. Ein entsprechender Beweisantrag wurde in der mündlichen Verhandlung am 22. Oktober 2007 nicht gestellt und die Beweiserhebung musste sich dem Gericht auch nicht aufdrängen. Die Beweiserhebung ist aus den bereits dargelegten Erwägungen (Allgemeinerkrankungen und grundsätzlich vorhandene Gesundheitsversorgung) nicht erforderlich. Den Anforderungen, die an die substantiierte Darlegung einer schwerwiegenden, ohne sofortigen Zugang zur Gesundheitsversorgung existenzbedrohenden Erkrankung zu stellen sind, genügt der Inhalt des ärztlichen Attests vom 10. Juni 2005 nicht. Angesichts des Umstands, dass das Attest der Beigeladenen prima facie nur häufige und nicht besonders schwer wiegende Krankheitsbilder bescheinigt, hätte es ihr oblegen, dies zumindest substantiiert vorzutragen, wenn sie hätte geltend machen wollen, die Erkrankungen hätten in ihrem speziellen Einzelfall einen Schweregrad erreicht, der existenzbedrohende Ausmaße annehmen könnte, wenn sie für einige Wochen oder Monate bis zur Registrierung auf ärztliche Begleitung außer in Notfällen verzichten müsste (vgl. BVerwG vom 11.9.2007 AuAS 2008, 16 ff.).

Im übrigen handelt es sich um einen Fragenkreis, der im vorliegenden Verfahren nicht weiter geklärt zu werden braucht, da das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erst noch darüber zu befinden hat, ob im Falle der Beigeladenen Abschiebungshindernisse im Sinne von § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG gegeben sind.

ee)

Die Beigeladene kann die Orte der inländischen Fluchtalternative auch auf zumutbare Weise erreichen. Bei ihrer Einreise in die Russische Föderation würde die Beigeladene zwar als Rückkehrerin wohlmöglich erhöhter Aufmerksamkeit der dortigen Sicherheitskräfte begegnen. Z.B. dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 17. März 2007 lässt sich entnehmen, dass dies insbesondere für Personen gilt, die sich in der Tschetschenienfrage engagiert haben, bzw. denen ein solches Engagement unterstellt wird. In dem Lagebericht wird unter Bezugnahme auf Memorial von einem Fall berichtet, in dem eine zurückgeführte Person zwar den Flughafen Domodjedowo nach der Grenzkontrolle verlassen konnte, jedoch später aufgrund eines Haftbefehls wegen Diebstahls festgenommen wurde. Ob es sich hierbei um eine gerechtfertigte Strafverfolgungsmaßnahme gehandelt hat, wird nicht berichtet. Es kann deshalb nicht sicher ausgeschlossen werden, dass die Beigeladene bereits bei ihrer Ankunft in der Russischen Föderation zumindest vorübergehend festgehalten und eingehend befragt würde. Anders als ihr Sohn, der Beigeladene in dem Verfahren Az. 11 B 03.30710, wäre sie dadurch aber keiner erhöhten Gefahr ausgesetzt, am Flughafen als pro-tschetschenische Aktivistin identifiziert zu werden, denn wie bereits dargelegt, ist zwar davon auszugehen, dass ihr schwerpunktmäßig friedenspolitisches Engagement im Jahr 2001 den russischen Sicherheitskräften bekannt geworden war. Jedoch darf nach der Erkenntnislage davon ausgegangen werden, dass - anders als bezüglich aktiver Kämpfer - keine Registrierung von humanitär und friedenspolitisch engagierten Mitgliedern von Frauenkomitees in Listen erfolgt ist, die heute den russischen Einreisebehörden vorliegen und die Beigeladene identifizierbar machen würden. Zudem kann die Beigeladene, gegebenenfalls mit der Hilfe und unter Beobachtung von Memorial oder einer anderen Menschenrechtsorganisation die Hürde der Einreise überwinden. Auch nach Beendigung der zwangsläufig begrenzten Betreuung durch eine Menschenrechtsorganisation (vgl. die Beschreibung in Nr. 4 des offenen Briefs von Svetlana Gannuschkina vom 16. Oktober 2005 an die deutschen Gerichte, Anwälte, Migrationsbehörden und sonstige Stellen) ergibt sich für sie keine relevante Gefährdung, denn aus den bereits dargelegten Gründen ist nicht davon auszugehen, dass die russischen Sicherheitskräfte ein über die routinemäßige Überprüfung rückkehrender Tschetschenen hinausgehendes Interesse an der Beigeladenen haben.

Da sie über einen Inlandspass verfügt, der am 10. Oktober 2001 bereits auf einem neuen Passformular der Russischen Föderation ausgestellt wurde und nicht mehr umgetauscht werden muss, muss die Beigeladene nicht einmal kurzfristig nach Tschetschenien zurückkehren, um die Voraussetzung für die Registrierung zu schaffen.

Gemäß dem Erlass der Russischen Regierung Nr. 828 vom 08. Juli 1997 (mit Ergänzungen vom 25.09.1999, 05.01.2001, 22.01.2001 und 02.07.2003) muss sich jeder russische Staatsangehörige im Laufe seines Lebens drei Inlandspässe ausstellen lassen, beginnend im Alter von 14 Jahren. Der erste Umtausch ist im Alter von 20 Jahren, der zweite im Alter von 45 Jahren vorgeschrieben. Der im Alter von 45 Jahren ausgestellte Inlandspass ist bis zum Lebensende gültig. Eine Umtauschpflicht gilt darüber hinaus sowohl für noch in der Sowjetzeit als auch nach dem Zerfall der UdSSR bereits von den Behörden der Russischen Föderation ausgestellte Inlandspässe, die noch die Aufschrift "UdSSR" und das Wappen der Sowjetunion tragen (Auskunft des Auswärtigen Amtes an den BayVGH vom 3.3.2006). Die Beigeladene besitzt jedoch bereits einen der seit der Umtauschaktion nur noch gültigen Inlandspässe, auf dem sich bereits das Staatswappen der Russischen Föderation befindet, und für den keine Umtauschpflicht besteht. Den im Oktober 2001 ausgestellten Inlandspass hat die Beigeladene im Alter von 48 Jahren erhalten, so dass er seine Gültigkeit nicht mehr verliert.

Der Berufung des Klägers war nach alldem mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Ende der Entscheidung

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