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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 18.07.2005
Aktenzeichen: 12 B 02.1197
Rechtsgebiete: SGB VIII, SGB I, SGB X


Vorschriften:

SGB VIII § 86 Abs. 1
SGB VIII § 86 Abs. 2
SGB VIII § 86 Abs. 3
SGB VIII § 86 c
SGB VIII § 89 c
SGB I § 30 Abs. 3 Satz 2
SGB X § 105
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

12 B 02.1197

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Jugendhilfe;

hier: Berufung des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 25. Februar 2002,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 12. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Werner, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dhom, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Traxler

ohne mündliche Verhandlung am 18. Juli 2005

folgendes Urteil:

Tenor:

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 25. Februar 2002 wird aufgehoben.

II. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die Kosten der für Lucie und Roland O. in dem Zeitraum 8. Mai 1999 bis 4. Mai 2000 erbrachten Jugendhilfeleistungen in Höhe von 14.262,73 Euro (entspricht 27.895,48 DM) nebst Zinsen hieraus mit einem Zinssatz von fünf Prozentpunkten über den jeweiligen Basiszinssatz seit 23. Oktober 2002 zu erstatten.

III. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die Kosten der für die Kinder Lucie und Roland O. in dem Zeitraum 5. Mai 2000 bis einschließlich 30. September 2001 erbrachten Jugendhilfeleistungen nebst Zinsen hieraus mit einem Zinssatz von fünf Prozentpunkten über den jeweiligen Basiszinssatz ab einem Monat nach der jeweiligen Fälligkeit, frühestens jedoch ab dem 23. Oktober 2000 zu erstatten.

IV. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

V. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

VI. Der Kläger trägt 1/7, die Beklagte 6/7 der Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

VII. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Verpflichtung der Beklagten, ihm die Kosten von in der Zeit vom 8. Mai 1999 bis 4. Mai 2000 erbrachter Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe für die Unterbringung der Kinder Lucie und Roland O. in einer Pflegefamilie zuzüglich eines Mehrkostenzuschlags wegen pflichtwidrigen Verhaltens zu erstatten und für die Zeit vom 5. Mai 2000 bis 30. September 2001 die Verpflichtung der Beklagten zur Kostenerstattung festzustellen.

Mit Beschlüssen des Amtsgerichts W. vom 23. März und 2. April 1998 wurde den Eltern das Personensorgerecht für die Kinder Lucie (geb. am 4.4.1997) und Roland (geboren am 5.3.1996) O. entzogen und das Kreisjugendamt W. zum Amtsvormund bestellt. Die Kinder, die zuletzt bei ihrer von ihrem Ehemann getrennt lebenden Mutter in S. gelebt hatten, wurden ab 5. Mai 1998 bei der Pflegefamilie F. in W. untergebracht. Bis 31. Juli 1999 hat der Kläger die Kosten hierfür übernommen. Der Vater der Kinder lebte in B.

Am 8. Mai 1999 zog die Mutter der Kinder zu ihrem Ehemann in die frühere Ehewohnung in B. und verblieb dort jedenfalls bis 9. Juli 1999. Ihr Ehemann meldete sie in B. mit Wohnsitz an.

Mit Schreiben vom 5. Juli 1999 erkannte die Beklagte gegenüber dem Kreisjugendamt W. ihre örtliche Zuständigkeit gemäß § 86 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 SGB VIII an und sicherte für den Zeitraum vom 8. Mai bis 31. Juli 1999 Kostenerstattung gemäß § 89 c Abs. 1 SGB VIII zu. Mit Schreiben vom 19. Juli 1999 zog sie das Anerkenntnis zurück, weil die Mutter der Kinder am 9. Juli 1999 wieder nach S. zurückgezogen sei. Ihre Pflegegeldbescheide vom 8. Juni 1999 (ab 1.8.1999) widerrief die Beklagte mit Bescheiden vom 20. Juli 1999. Der Kläger hatte die gewährte Hilfe mit Bescheid vom 8. Juli 1999 ab 1. August 1999 eingestellt. Er nahm die Hilfe nach dem Widerruf aber wieder auf. Der Bayer. Verwaltungsgerichtshof ging in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren davon aus, dass der damals beigeladene Kläger im Rahmen seiner fortdauernden Leistungsverpflichtung nach § 86 c SGB VIII leiste und zwar zu Recht, bis die Beklagte als damalige Antragsgegnerin die Leistung fortsetze (vgl. Beschluss des Senats vom 18.4.2000, Az. 12 CE 99.3267).

Die Pflegeeltern der Kinder sind zwischenzeitlich in den Bereich der Stadt H. verzogen, die Hilfe seit 1. Oktober 2001 gewährt.

Der Kläger erhob am 23. Oktober 2000 Klage mit dem Ziel, die Beklagte zur Kostenerstattung zuzüglich eines Mehrkostenzuschlags zu verpflichten und deren Kostenerstattungspflicht festzustellen.

Das Verwaltungsgericht wies die Klage ab. Der Kläger habe gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Kostenerstattung nach § 89 c Abs. 1 Satz 1 für die Zeit ab 8. Mai 1999, weil die bis zur Aufenthaltsnahme der Kindsmutter in B. am 8. Mai 1999 gegebene örtliche Zuständigkeit des Klägers für den Jugendhilfefall Lucie und Roland O. nicht gewechselt habe. Die Mutter der Kinder habe in der früheren Ehewohnung in B. im Zeitraum 8. Mai bis 9. Juli 1999 keinen gewöhnlichen Aufenthalt in B. begründet. Sie sei nur relativ kurz in B. geblieben und habe nur solche persönliche Sachen dorthin mitgenommen, die man üblicherweise auf einer Besuchsreise mitnimmt. Ihre Wohnung in S. habe sie nicht aufgegeben. Das Gericht halte aufgrund des in der Zeugenvernehmung gewonnenen persönlichen Eindrucks von den Eltern der Kinder die Aussage des Kindsvaters für glaubhafter, die Mutter sei nur deshalb nach B. gekommen, um ihn dazu zu bewegen, den bereits gestellten Scheidungsantrag zurückzuziehen. Als sie dies erreicht habe, sei sie wieder nach S. gegangen. Auch deshalb habe der Aufenthalt der Kindsmutter in B. lediglich vorübergehenden Charakter nach der Art eines Besuchsaufenthaltes gehabt.

Der Kläger beantragt mit seiner vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Berufung,

1. das Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 25. Februar 2002 wird aufgehoben.

2. Die Beklagte wird verurteilt, für die Unterbringung der Kinder Lucie und Roland O. in der Pflegefamilie F. in dem Zeitraum 8. Mai 1999 bis 4. Mai 2000 27.895,48 DM zuzüglich eines Drittels aus diesem Betrag zuzüglich einer Verzinsung in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die vom 5. Mai 2000 bis einschließlich 30. September 2001 im Rahmen der Hilfe zur Erziehung für die Kinder aufgewendeten Kosten zuzüglich einer Verzinsung von fünf Prozentpunkten über den Basiszinssatz ab dem Monat nach der jeweiligen Fälligkeit, frühestens jedoch ab dem 23. Oktober 2000, zu erstatten.

Zur Begründung trägt er im wesentlichen vor, die Mutter der Kinder habe am 8. Mai 1999 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in B. begründet. Sie habe ihre Ehe retten wollen und sei deshalb zurück in die gemeinsame Ehewohnung gezogen. Sie habe sich dort bis auf weiteres aufhalten wollen. Die Zeugenvernehmung habe ergeben, dass in der gemeinsamen Ehewohnung noch genügend persönliche Gegenstände der Kindsmutter vorhanden gewesen seien.

Die Beklagte ist der Berufung entgegengetreten. Sie verteidigt das angegriffene Urteil.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Unterlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

A) Die zulässige Berufung ist zum überwiegenden Teil begründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch für die Zeit vom 8. Mai 1999 bis 4. Mai 2000 entweder nach § 89 c SGB VIII (Kostenerstattung bei fortdauernder oder vorläufiger Leistungsverpflichtung) oder nach § 105 SGB X (Anspruch des unzuständigen Leistungsträgers) zu, weil er nach dem Wechsel der örtlichen Zuständigkeit auf die Beklagte seiner fortdauernden Leistungsverpflichtung nachkam oder aber als örtlich unzuständiger Jugendhilfeträger Jugendhilfeleistungen erbracht hat und die Beklagte hierfür zuständig war. Für die Zeit vom 5. Mai 2000 bis 30. September 2001 kann er von der Beklagten Kostenerstattung nach § 89 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII verlangen.

1. § 89 c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII bestimmt, dass Kosten, die ein örtlicher Träger der Jugendhilfe im Rahmen seiner Verpflichtung nach § 86 c aufgewendet hat, von dem örtlichen Träger zu erstatten sind, der nach dem Wechsel der örtlichen Zuständigkeit zuständig geworden ist. § 86 c Satz 1 SGB VIII ordnet an, dass bei Wechsel der örtlichen Zuständigkeit der bisher zuständige Träger solange zur Gewährung der Leistung verpflichtet bleibt, bis der nunmehr zuständige örtliche Träger die Leistung fortsetzt. Die Beklagte ist infolge des Umzugs der Mutter der Kinder in ihren Zuständigkeitsbereich nach § 86 Abs. 1 Satz 1 i.V. mit Abs. 2 Satz 2 SGB VIII für Leistungen der Jugendhilfe an die Kinder örtlich zuständig geworden. Das ergibt sich aus Folgendem:

a) Der Kläger war für den Hilfefall bis zum 7. Mai 1999 örtlich zuständig nach § 86 Abs. 3 i.V.m. §86 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII entsprechend. Die Elternteile hatten verschiedene gewöhnliche Aufenthalte, die Personensorge stand keinem von ihnen zu und die Kinder hatten vor ihrer Unterbringung in der Pflegefamilie zuletzt ihren gewöhnlichen Aufenthalt bei der Mutter in S.. Die Mutter hatte zu diesem Zeitpunkt ihren gewöhnlichen Aufenthalt in S. und damit im Zuständigkeitsbereich des Klägers.

Das ist zwischen den Parteien auch nicht umstritten.

b) Die örtliche Zuständigkeit der Klägerin für den Hilfefall wechselte aber auf die Beklagte mit der Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts der Mutter der Kinder am 8. Mai 1999 in B.. Ab diesem Zeitpunkt wohnten beide Elternteile im Bereich des Beklagten. Nach § 86 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII ist für die Gewährung von Leistungen der örtliche Träger zuständig, in dessen Bereich die Eltern ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. Das ist (bis zum Ablauf der Zweijahresfrist nach § 86 Abs. 6 SGB VIII am 4. Mai 2000) die Beklagte. Die Mutter der Kinder hat durch ihren Zuzug nach B. am 8. Mai 1999 dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des § 86 Abs. 1 SGB VIII begründet. Nach § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I, zu dem sich für den hierzu beurteilenden Fall aus dem Achten Buch Sozialgesetzbuch Abweichendes nicht ergibt (§ 37 Satz 1 SGB I), hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Ein dauerhafter oder längerer Aufenthalt ist nicht erforderlich; es genügt vielmehr, dass der Betreffende sich an dem Ort - bis auf weiteres - im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs aufhält und dort den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen hat (vgl. BVerwG vom 26.9.2002 FEVS 54, 198 = NVwZ 2003, 616).

Nach diesen Grundsätzen hat die Mutter der Kinder- entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts - mit ihrem Zuzug nach B. am 8. Mai 1999 dort einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet. Richtig ist zwar, dass sich die Mutter nur während eines relativ kurzen Zeitraums, nämlich - hiervon gehen auch die Parteien aus - bis 9. Juli 1999 in B. aufgehalten hat. Die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts hängt jedoch nicht von einer bestimmten Aufenthaltsdauer ab. Vielmehr wird der gewöhnliche Aufenthalt regelmäßig mit dem Zuzug, und zwar schon am ersten Tag begründet, wenn es sich dabei nicht um einen Aufenthalt mit Besuchs- oder sonst wie vorübergehendem Charakter handelt. Ein Besuchsaufenthalt oder ein auch nur vorübergehender Aufenthalt lag in der Zeit vom 8. Mai bis 9. Juli 1999 nicht vor. Dabei kommt es nicht auf die rechtlichen, sondern auf die tatsächlichen Umstände an. Maßgebend ist nicht eine rückblickende, sondern eine vorausschauende Betrachtung (vgl. BayVGH vom 25.10.2001 FEVS 53, 127): D.h., maßgebend sind allein die Umstände bei Beginn des Aufenthalts. Nach den feststellbaren Umständen wollte sich die Mutter der Kinder jedenfalls bei Beginn des Aufenthalts bis auf weiteres in B. aufhalten. Die Mutter hat bei ihrer Vernehmung in der mündlichen Verhandlung angegeben, "der Grund für mich im Mai 1999 nach B. umzuziehen war, dass ich zu meinem Mann zurück wollte und auch, dass die Kinder einen Vater haben. Ich hatte das Ziel, mit meinem Ehemann und den Kindern zusammen zu leben. Beim Umzug zu meinem Ehemann im Mai 1999 hatte ich vor, mit ihm zusammen zu wohnen und zu leben." Danach wollte sich die Mutter der Kinder nicht nur vorübergehend in B. aufhalten. Sie ist zu ihrem Mann in die frühere Ehewohnung gezogen und hat dort die eheliche Lebensgemeinschaft wieder aufgenommen. Dass die von der Kindsmutter von Anfang an gewollte Aussöhnung zwischen den Eheleuten stattfand, wird auch durch die Aussage des Ehemanns belegt, dass er den bereits eingereichten Scheidungsantrag wieder zurückgenommen habe. Ein weiteres Indiz dafür, dass sich die Kindsmutter bis auf weiteres in B. aufhalten wollte, ist die Tatsache, dass sie sich von ihrem Mann in der Stadt B. anmelden ließ. Wenn der Kindsvater bei seiner Vernehmung in der mündlichen Verhandlung den Eindruck erweckte, dass es der Kindsmutter mit ihrem Aufenthalt in B. wohl allein darum ging, dass der bereits eingereichte Scheidungsantrag rückgängig gemacht wird, so entspringt diese Aussage wohl einer hier nicht relevanten rückblickenden Betrachtung des Ehemanns. Anders ist seine weitere Aussage nicht zu erklären, er habe es wegen des Jungen vorgehabt, wieder neu mit ihr- der Kindsmutter - anzufangen und er wollte die Kinder wieder zurückbekommen. Das bedeutet aber nichts anderes, als dass beide Eheleute eine Versöhnung auf Dauerversuchen wollten. Anders ist es auch nicht zu erklären, dass der Kindsvater die Kindsmutter zunächst in der Stadt B. angemeldet und dann die Scheidungsklage zurückgenommen hat. Er hat bei seiner Vernehmung auch angegeben, dass seine Frau zu dieser Zeit es möglicherweise ehrlich gemeint habe. Dass die Kindsmutter im Mai 1999 nur ein Videogerät und ihre am Körper getragenen Sachen sowie einen Kinderwagen mit nach B. genommen hat, spricht ebenfalls nicht gegen einen Aufenthalt bis auf weiteres. Die Zeugenvernehmung hat ergeben, dass sich ihr gehörende Bekleidungsgegenstände noch in der Wohnung des Ehemanns befanden. Zudem hat die Kindsmutter ausgesagt, dass sie später noch einmal zurück sei nach S., "um meine Sachen abzuholen". Das sei ihr nur deshalb nicht gelungen, weil die Wohnung in S. vom Vermieter versperrt worden sei und er die Sachen als Pfand für die Mietschulden behalten wollte. Nach alledem ergänzen sich die Aussagen der beiden Eheleute in Richtung des Aufenthalts der Kindsmutter in B. bis auf weiteres eher, als dass sie sich in diesem Punkt widersprechen, wie dass das Verwaltungsgericht wohl annahm, wenn es meinte, den Aussagen des Kindsvaters mehr Glauben schenken zu müssen, als denen der Kindsmutter. Wenn das Verwaltungsgericht aufgrund des persönlichen Eindrucks der Kindsmutter zu deren Unglaubwürdigkeit gekommen ist, so ändert das nichts daran, dass in den Aussagen beider Elternteile Umstände bei Beginn des Aufenthalts der Kindsmutter geschildert werden, die bei der maßgeblichen vorausschauenden Betrachtung nur den Schluss zulassen, dass die Kindsmutter ihre Ehe retten und deshalb zukunftsoffen in B. verbleiben wollte. Dass das letztlich gescheitert und die Kindsmutter nach S. zurückgekehrt ist, spielt keine Rolle, weil eine rückblickende Betrachtung nicht maßgebend ist.

c) Die Beklagte ist auch nach dem Wegzug der Kindsmutter von B. am 9. Juli 1999 örtlich zuständig für die Leistung geblieben. Hierdurch ergaben sich nach Beginn der Leistung verschiedene gewöhnliche Aufenthalte der Eltern im Sinne des § 86 Abs. 5 Satz 1 SGB VIII. Weil aber das Personensorgerecht keinem Elternteil zustand, blieb nach Satz 2 der Vorschrift die bisherige Zuständigkeit der Beklagten bestehen.

2. § 89 c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII sieht bei einem Wechsel der örtlichen Zuständigkeit eine Erstattung allerdings (nur) solcher Kosten vor, die der bisher örtlich zuständige Jugendhilfeträger im Rahmen seiner "Verpflichtung nach § 86 c" aufgewendet hat. Eine solche Weiterleistungsverpflichtung hätte für den Kläger dann nicht mehr bestanden, wenn die Beklagte als nunmehr zuständiger örtlicher Träger die Leistung fortgesetzt hat. Das könnte deshalb der Fall sein, weil die Beklagte den Pflegeeltern mit Bescheiden vom 8. Juli 1999 für die Zeit ab 1. August 1999 Pflegegeld für die Kinder bewilligt hat und der Kläger daraufhin die Hilfe mit Bescheid vom 8. Juli 1999 (zunächst) einstellte. Allerdings hat die Beklagte ihre Pflegebescheide mit Bescheiden vom 20. Juli 1999 widerrufen, weil die Kindsmutter am 9. Juli 1999 wieder nach S. gezogen ist und sie sich deshalb nicht für örtlich zuständig hielt. Nachdem nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts unter "Fortsetzung" der Leistung durch den neu zuständigen Jugendhilfeträger auch dessen auf materielle Gründe - also nicht auf Unzuständigkeit - gestützte Leistungsablehnung zu verstehen ist (BVerwGE 117, 179), könnte der Erlass der Pflegegeldbescheide vom 8. Juli 1999 durch die Beklagte, ungeachtet ihres Widerrufs, durchaus als "Fortsetzung" der Leistung zu werten sein. Die Frage des Bestehens einer Weiterleistungspflicht des Klägers kann aber hier letztlich offen bleiben, weil der Kläger, wenn diese Pflicht zu verneinen wäre, als unzuständiger Leistungsträger geleistet hätte und seinen Kostenerstattungsanspruch dann auf § 105 Abs. 1 Satz 1 SGBX stützen kann. Diese Regelung ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (Urteile vom 1.4. und vom 29.4.2004 12 B 99.2510 und 12 B 00.877) auch zwischen Jugendhilfeträgern anwendbar. Die Voraussetzungen des § 105 Abs. 1 SGBX wären im vorliegenden Fall, wenn die Beklagte die Leistung "als nunmehr zuständiger örtlicher Träger fortgesetzt" hat, erfüllt. Wie oben ausgeführt, war ab 8. Mai 1999 nicht der Kläger, sondern die Beklagte für die Gewährung der Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege örtlich zuständig.

Der Kostenerstattungsanspruch nach § 105 SGB X scheiterte auch nicht an § 102 Abs. 1 SGB X. Denn der Kläger hat die Jugendhilfeleistungen nicht "aufgrund gesetzlicher Vorschriften vorläufig erbracht".

3. Nach alledem war auch festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, die Kosten der vom Kläger für die Kinder Lucie und Roland O. in der Zeit vom 5. Mai 2000 bis 30. September 2001 erbrachten Jugendhilfeleistungen nebst Zinsen zu erstatten. Insoweit ergibt sich der Kostenerstattungsanspruch des Klägers aus § 89 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII.

B) Den begehrten Mehrkostenzuschlag wegen pflichtwidrigen Verhaltens der erstattungspflichtigen Beklagten kann der Kläger nicht beanspruchen. Der Anspruch nach § 89 c Abs. 2 SGB X setzt voraus, dass der in Anspruch genommene Jugendhilfeträger durch ein inkorrektes Verwaltungshandeln die Wahrnehmung seiner Zuständigkeit abgelehnt oder verzögert, so dass hierdurch die Verpflichtung des erstattungsberechtigten Jugendhilfeträgers zur Erbringung der Jugendhilfeleistungen ausgelöst wird (vgl. Beschluss des Senats vom 9.12.2003 12 ZB 03.2166). Hier war die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit rechtlich nicht einfach gelagert, so dass der Beklagten kein pflichtwidriges Handeln vorzuhalten ist, wenn sie ihre Zuständigkeit zunächst bejahte und dann verneinte. Wie oben ausgeführt, hing die Frage der Zuständigkeit davon ab, ob die Kindsmutter in B. einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet hat. Bei den Gegebenheiten des vorliegenden Falls war die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit tatsächlich schwierig.

Stützte sich der Erstattungsanspruch des Klägers auf § 105 SGB X, so sieht diese Vorschrift einen Mehrkostenzuschlag wegen pflichtwidrigen Verhaltens nicht vor.

C) Hinsichtlich der zugesprochenen Prozesszinsen ist auszuführen: Der Kläger hat die Klage am 23. Oktober 2000 erhoben. Für die nach dem 1. Mai 2000 fällig gewordenen Forderungen gilt nach Art. 229 Abs. 1 Satz 3 EBGBG i.d. Fassung des Art. 2 des Gesetzes zur Beschleunigung fälliger Zahlungen vom 30. März 2000 (BGBl I S. 330) und §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB n.F. ein Zinssatz von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz.

D) Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1, § 188 Satz 2 VwGO a.F..

Der Senat hat die Entscheidung im Kostenpunkt nicht für vorläufig vollstreckbar erklärt, weil er davon ausgeht, dass die Parteien ihre außergerichtlichen Kosten nicht vor der Rechtskraft dieses Urteils zu vollstrecken beabsichtigen.

E) Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Vorausleistungen hierfür nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

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