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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 06.07.2005
Aktenzeichen: 12 B 02.2188
Rechtsgebiete: BayEUG, BaySchFG, BSHG, SGB X


Vorschriften:

BayEUG Art. 19 Abs. 3
BaySchFG Art. 2 Abs. 1
BSHG § 39
BSHG § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4
SGB X § 102
Nach bayerischem Landesrecht haben behinderte Kinder keinen Anspruch gegen die Schulverwaltung auf die Bereitstellung eines Integrationshelfers für den Besuch einer Förderschule. Ein Erstattungsanspruch des Sozialhilfeträgers, der diese Kosten im Rahmen der Eingliederungshilfe übernommen hat, scheidet daher aus.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

12 B 02.2188

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Erstattung von Leistungen der Eingliederungshilfe;

hier: Berufung des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 24. Juli 2002,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 12. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Werner, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dhom, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Traxler

auf Grund mündlicher Verhandlung vom 6. Juli 2005

am 6. Juli 2005

folgendes Urteil:

Tenor:

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Kostenlast für einen Integrationshelfer, der ein behindertes Kind während des Besuchs einer Förderschule betreut.

Der 1991 geborene Hilfeempfänger, der auf Grund einer perinatalen Asphyxie an einer cerebralen Tonus- und Koordinationsstörung sowie einer Fokalepilepsie leidet, wurde mit Bescheid des Staatlichen Schulamts vom 9. Juli 1999 wegen seiner körperlichen und geistigen Behinderung gemäß Art. 41 des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) an die Schule für Körperbehinderte in R. überwiesen. Der Hilfeempfänger kann nicht allein sitzen und ist auf den Rollstuhl angewiesen. Wegen der schweren Koordinationsstörungen ist ihm die Lautsprache nicht möglich. Die Kommunikation erfolgt über Ja/Nein-Karten und mit Hilfe von Bildern. Während des Unterrichts bedarf der Hilfeempfänger der Veränderung der Körperlage, um die Aufmerksamkeit und die Reizwahrnehmung zu erhöhen. Dazu muss er abwechselnd im Rollstuhl, in der Gehhilfe und auf dem Schoß dem Unterricht folgen können. Tägliches Erbrechen eines Teils der Mahlzeit sowie die Inkontinenz erfordern mehrfaches Umziehen. Wegen der permanenten Gefahr eines epileptischen Anfalls ist eine ständige und intensive Beobachtung durch eine konstante Bezugsperson auch bei dem Transport von und zur Schule notwendig.

Mit Bescheid vom 12. Dezember 2000 übernahm der Kläger im Rahmen der vorläufigen Hilfeleistung nach § 44 BSHG die Personalkosten für die während des Schulunterrichts erforderliche individuelle Betreuung und Pflege für das Schuljahr 2000/2001 und leitete mit Schreiben vom selben Tag einen möglichen Anspruch des Hilfeempfängers gegen den Beklagten nach § 90 BSHG auf sich über. Die Regierung lehnte mit Schreiben vom 26. Juni 2001 die Kostenerstattung ab.

Die mit Schriftsatz vom 10. Juli 2001 erhobene Klage, die für die Zeit vom 8. November 2000 bis zum 31. Dezember 2000 übernommenen Kosten einer Pflegekraft zum Besuch der Schule zu erstatten, hat das Verwaltungsgericht Regensburg mit Urteil vom 24. Februar 2002 abgewiesen. Die Pflegekraft gleiche lediglich die körperlichen und geistigen Behinderungen des Hilfeempfängers aus, was im gleichen Umfang auch außerhalb der Schule erforderlich sei. Zu derartigen Pflegeleistungen sei der Beklagte im Rahmen des Art. 19 Abs. 3 Satz 3 BayEUG nicht verpflichtet.

Zur Begründung der zugelassenen Berufung führt der Kläger im Wesentlichen aus: Wenn der Beklagte behinderte Schüler der Schulpflicht unterwerfe, sei er im Gegenzug verpflichtet, die zur Erfüllung dieser Pflicht erforderliche individuelle Betreuung und Pflege zu gewährleisten, zumal während des Schulbesuchs eine deutlich intensivere Betreuung erforderlich werde als beim Besuch der Tagesstätte oder zu Hause. Eine Beschränkung der Betreuung auf sonderpädagogische Maßnahmen komme nicht in Betracht, weil der sonderpädagogische Förderbedarf bereits nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 und 2 BayEUG dem Beklagten zugerechnet worden sei. Es sei mit dem Verursachungsprinzip nicht zu vereinbaren, wenn die finanzielle Verantwortung für staatliche Aufgaben auf die Sozialhilfeträger abgewälzt würde. Im Übrigen würden die Kosten für den Einsatz von Integrationshelfern zu den Schulkosten gehören (vgl. OVG NRW vom 9.6.2004 Az. 19 A 2962/02).

Er beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger Kosten in Höhe von 1.761,78 Euro zu bezahlen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung weist er darauf hin, dass aus der Organisationsnorm des Art. 19 Abs. 3 BayEUG keine subjektiven Ansprüche von Hilfeempfängern abgeleitet werden könnten. Im Übrigen würde Art. 19 Abs. 3 Satz 3 BayEUG lediglich die Möglichkeit für freiwillige staatliche Leistungen eröffnen. Das Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen begründe nur einen Anspruch auf sonderpädagogische Förderung, nicht aber auf die Übernahme einer individuell erforderlichen Dauerpflege, die zum persönlichen Bereich des Schulpflichtigen gehöre. Der Integrationshelfer erbringe keine Leistung im sonderpädagogischen Bereich, sondern ermögliche lediglich die Kommunikation zwischen Lehrer und Schüler. Die Kosten für die Individualhilfe gehörten daher nicht zum Personalaufwand im Sinn von Art. 2 Abs. 1 Satz 1 des Bayerischen Schulfinanzierungsgesetzes (vgl. OVG Saarl vom 19.6.2000 Az. 3 R 114/00).

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg, weil der Kläger vom Beklagten nicht verlangen kann, die Kosten für den Integrationshelfer zu übernehmen.

1.1 Ein Anspruch aus einem nach § 90 BSHG übergeleiteten Anspruch scheidet aus, weil das behinderte Kind keinen subjektiven Anspruch gegen den Beklagten auf Bereitstellung eines Integrationshelfers hat. Der in Art. 128 Abs. 1 BV normierte Anspruch, eine den erkennbaren Fähigkeiten entsprechende Ausbildung zu erhalten, enthält kein subjektives Recht auf ein bestimmtes Bildungsangebot (vgl. VerfGH 34, 83, 89). Vielmehr besteht im Rahmen des Gleichbehandlungsgebots lediglich ein Anspruch auf Teilhabe an den vorhandenen Bildungseinrichtungen, die der Staat im Rahmen des organisatorisch und finanziell Möglichen bereitzustellen hat (vgl. VerfGH 39, 87, 95; 28, 99, 102).

1.2 Ein Erstattungsanspruch nach § 44 BSHG i.V. mit § 102 SGB X kommt nicht in Betracht, weil der Beklagte kein Leistungsträger i.S. von § 12 und §§ 18 ff SGB I ist.

1.3 Aber auch ein Erstattungsanspruch aufgrund allgemeinen Verwaltungsrechts steht dem Kläger nicht zu, weil der Beklagte nicht verpflichtet ist, die Individualbetreuung behinderter Schüler sicherzustellen und es damit an einer Vermögensverschiebung zugunsten des Beklagten fehlt (vgl. OVG RhPf vom 16.7.2004 NVwZ-RR 2005, 186).

Nach Art. 2 Abs. 1 Satz 1 des Bayerischen Schulfinanzierungsgesetzes (in der Fassung der Bekanntmachung vom 31.5.2000, GVBl S. 455, ber. S. 633) umfasst der vom Beklagten aufzubringende Personalaufwand neben den Kosten für Lehrer auch die Kosten für heilpädagogische Unterrichtshelfer sowie für das Pflegepersonal an Förderschulen.

Daraus folgt jedoch nicht, dass der Beklagte jeden im Zusammenhang mit dem Schulbesuch entstehenden Betreuungsaufwand zu übernehmen hat. Vielmehr bestimmen sich die von den Förderschulen zu erbringenden Leistungen nach dem Bayerischen Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (in der Fassung der Bekanntmachung vom 31.5.2000, GVBl S. 414, ber. S. 632). Nach Art. 19 BayEUG erziehen und unterrichten die Förderschulen Kinder und Jugendliche, die der sonderpädagogischen Förderung bedürfen, wobei sie eine den Anlagen und individuellen Eigenarten der Kinder und Jugendlichen gemäße Bildung und Erziehung vermitteln. Bei Kindern und Jugendlichen, die ständig auf fremde Hilfe angewiesen sind, können Erziehung und Unterrichtung pflegerische Aufgaben beinhalten (Art. 19 Abs. 3 Satz 3 BayEUG). Durch diese Formulierung wird klargestellt, dass die Pflege von ständig auf fremde Hilfe angewiesenen Schülern nicht zu den Kernaufgaben der Förderschulen gehört, sondern als ergänzende Leistung im Rahmen des nach Art. 19 Abs. 2 Nr. 1 BayEUG klassenweise zu erteilenden Unterrichts angeboten wird. Daher ist die Schulverwaltung nicht verpflichtet, den individuellen Pflegebedarf jedes einzelnen Schülers sicherzustellen, sondern kann sich darauf beschränken, den üblicherweise in einer Klasse auftretenden Pflegebedarf durch Zuweisung einer Pflegekraft zu decken, die allen Kindern zur Verfügung steht.

Da die Pflege eines Schülers, die während des gesamten Tages erbracht werden muss, der Individualsphäre des Kindes zuzurechnen ist, haben die erforderlichen Betreuungsleistungen die Eltern oder, sofern die Voraussetzungen der Eingliederungshilfe nach § 35 a SGB VIII oder § 39 BSHG bzw. § 53 SGB XII erfüllt sind, die Jugendhilfe- oder Sozialhilfeträger zu erbringen. An dieser Zuordnung ändert sich auch dann nichts, wenn - wie im vorliegenden Fall - der Schüler während der Schulzeit im Vergleich zum nachfolgenden Besuch der Tagesstätte oder während seines Aufenthalts zu Hause einer verstärkten Betreuung bedarf und diese Pflegemaßnahmen teilweise, wie bei der Aufrechterhaltung der Kommunikation mit dem Lehrer, sonderpädagogischen Zielen dienen. Denn derartige unterstützende Maßnahmen, die den Schulbesuch ermöglichen oder erleichtern, sind, wie § 12 Nr. 1 der Verordnung nach § 47 des Bundessozialhilfegesetzes bzw. § 12 Nr. 1 der Verordnung nach § 60 des Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch (Eingliederungshilfe-Verordnung) zeigen, Teil der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung nach § 35 a SGB VIII und nach § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BSHG bzw. § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Eine Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ist unterblieben, weil der Verwaltungsgerichtshof davon ausgeht, dass dem Beklagten im Berufungsverfahren keine außergerichtlichen Kosten entstanden sind.

3. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Beschluss:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 1.761,78 Euro festgesetzt (§ 13 Abs. 2, § 14 Abs. 1 Satz 1 GKG a.F.).

Ende der Entscheidung

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