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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 01.09.2005
Aktenzeichen: 12 B 02.2455
Rechtsgebiete: SGB VIII


Vorschriften:

SGB VIII § 86 Abs. 1 Satz 1
SGB VIII § 89 c Abs. 2
SGB VIII § 89 e Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

12 B 02.2455

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Kinder- und Jugendhilfe;

hier: Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 8. August 2002,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 12. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Werner, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dhom, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Traxler

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 31. August 2005

am 1. September 2005

folgendes Urteil:

Tenor:

I. Der Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 8. August 2002 erhält in Nummer 1 folgende Fassung:

"Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die für E.H. in der Zeit vom 8. August 2000 bis 30. Juni 2001 aufgewendeten Jugendhilfeleistungen in Höhe von 4.661,86 € (entspricht 9.117,81 DM) zu erstatten. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen."

II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

III. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten Kostenerstattung für von ihm in der Zeit vom 8. August 2000 bis zum 30. Juni 2001aufgewendete Jugendhilfeleistungen.

Das am 28. Oktober 1999 nichtehelich geborene Kind E.H. wurde nach der Entlassung aus der Kinderklinik im Zuständigkeitsbereich der Beklagten vom 12. November bis zum 19. November 1999 vorübergehend von den Eltern der Mutter versorgt, die im Zuständigkeitsbereich des Klägers wohnten. Mit Beschluss des Amtsgerichts F. vom 16. November 1999 wurde das Kreisjugendamt des Klägers mit dem Wirkungskreis Aufenthaltsbestimmungsrecht und Gesundheitsfragen zum Ergänzungspfleger bestellt. Nach der Inobhutnahme des Kindes vom 19. November bis zum 2. Dezember 1999 gewährte der Kläger ab dem 3. Dezember 1999 Hilfe zur Erziehung in Bereitschaftspflege und ab dem 5. Februar 2000 in Vollzeitpflege. Mit Beschluss vom 14. Februar 2000 ordnete das Amtsgericht F. das Ruhen der elterlichen Sorge der Mutter des Kindes an und bestellte das Kreisjugendamt des Klägers zum Vormund.

Der Vater des Kindes, dessen Vaterschaft durch Urteil des Amtsgerichts F. vom 27. Juni 2000 festgestellt wurde, lebte seit der Geburt des Kindes ununterbrochen im Zuständigkeitsbereich der Beklagten. Die Mutter des Kindes hielt sich in der Zeit vom 19. November 1999 bis zum 19. Februar 2000 überwiegend beim Vater des Kindes auf, weshalb die Beklagte Jugendhilfekosten für diesen Zeitraum übernahm. Vom 20. Februar bis zum 4. April 2000 wohnte die Mutter des Kindes bei ihren Eltern. Mit Beschluss des Amtsgerichts F. vom 4. April 2000 wurde sie unter Betreuung gestellt und vom 5. April bis zum 7. August 2000 im Bezirkskrankenhaus in A. untergebracht. Als am 12. Mai 2000 absehbar war, dass die Mutter des Kindes wegen ihrer psychischen Erkrankung nicht mehr zu ihren Eltern zurückkehren konnte, übernahm der Bezirk wegen des fehlenden gewöhnlichen Aufenthalts der Mutter bis zum 7. August 2000 die Kosten der Jugendhilfemaßnahme. Ab 8. August 2000 lebte die Mutter des Kindes in einer Übergangseinrichtung für psychisch Kranke im Zuständigkeitsbereich des Beklagten. Am 1. Juli 2001 übernahm die Beklagte den Hilfefall in eigener Zuständigkeit. Dem auf § 89 c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII gestützten Erstattungsverlangen des Klägers hält die Beklagte den Schutz der Einrichtungsorte nach § 89 e StGB VIII entgegen. Da nur die Mutter in einer geschützten Einrichtung untergebracht sei, schlug sie eine hälftige Kostenteilung vor.

Auf die am 21. August 2001 eingegangene Klage hin hat das Verwaltungsgericht Ansbach mit Gerichtsbescheid vom 8. August 2002 die Beklagte verurteilt, die vom 8. August 2000 bis zum 30. Juni 2001 aufgewendeten Jugendhilfeleistungen in Höhe von 9117,81 DM sowie einen Verwaltungskostenzuschlag in Höhe von 636,10 DM zu erstatten. Der Schutz der Einrichtungsorte komme der Beklagten nicht zugute, weil nicht beide Elternteile ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einer geschützten Einrichtung begründet hätten.

Mit der zugelassenen Berufung verfolgt die Beklagte weiterhin das Ziel, den Erstattungsanspruch abzuwehren. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus: § 89 e Abs. 1 StGB VIII komme im Interesse eines umfassenden Schutzes der Einrichtungsorte auch dann zur Anwendung, wenn nur ein Elternteil seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einer Einrichtung begründe. Zur Erstattung der Kosten sei in entsprechender Anwendung des § 89e Abs. 1 SGB VIII der Kläger verpflichtet, weil die Mutter des Kindes vor Eintritt in die erste Einrichtung ihren gewöhnlichen Aufenthalt in dem Zuständigkeitsbereich des Klägers gehabt habe.

Sie beantragt,

den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 8. August 2002 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er hält mit dem Verwaltungsgericht § 89 e SGB VIII nicht für anwendbar.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die zulässige Berufung hat nur insoweit Erfolg, als das Verwaltungsgericht die Beklagte zur Zahlung eines Kostenzuschlags nach § 89 c Abs. 2 SGB VIII verurteilt hat (siehe Nr. 1.2). Dagegen steht dem Kläger für die von ihm in der Zeit vom 8. August 2000 bis zum 30. Juni 2001 aufgewendete Jugendhilfeleistungen ein Erstattungsanspruch nach § 89 c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII zu (siehe Nr. 1.1).

1.1 Mit der Unterbringung der Mutter des Kindes in der psychiatrischen Einrichtung im Zuständigkeitsbereich der Beklagten ist diese nach § 86 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII für den Hilfefall zuständig geworden. Beide Elternteile hatten nunmehr ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich der Beklagten. Damit wechselte die Zuständigkeit vom Kläger, der nach der Feststellung der Vaterschaft durch das Amtsgericht am 27. Juni 2000 wegen des Ruhens der elterlichen Sorge aufgrund des tatsächlichen Aufenthalts des Kindes vor Beginn der Hilfe zur Erziehung zuständig gewesen war (§ 86 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 4 Halbsatz 2 SGB VIII), auf die Beklagte. Da der Kläger bis zur Fortsetzung der Leistung durch die Beklagte am 1. Juli 2001 nach § 86 c Satz 1 SGB VIII zur weiteren Gewährung der Leistung verpflichtet war, steht ihm ab dem Zuständigkeitswechsel ein Kostenerstattungsanspruch nach § 89 c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII zu.

Entgegen der Auffassung der Beklagten kann sie diesem Erstattungsanspruch keinen eigenen Erstattungsanspruch nach § 89 e Abs. 1 SGB VIII entgegenhalten. Kostenerstattung kann nur für unmittelbare Hilfeleistungen, nicht aber für Erstattungsleistungen begehrt werden. Zwar sprechen die §§ 89 ff. SGB VIII von der Erstattung der Kosten, die ein Jugendhilfeträger aufgewendet hat, was auch Erstattungsleistungen umfassen könnte. Jedoch spricht bereits § 89 f Abs. 1 SGB VIII, der die Kostenerstattung nur zulässt, soweit die Erfüllung der Aufgaben dem Sozialgesetzbuch Achtes Buch entspricht, gegen die Erstattungsfähigkeit von Erstattungsleistungen. Die Erstattung von Kosten ist keine Erfüllung von Aufgaben, die der Gesetzgeber in § 2 SGB VIII aufführt. Der im allgemeinen Erstattungsrecht der Leistungsträger in den §§ 102 ff. SGB X enthaltene Grundsatz, dass Erstattung nur für erbrachte Sozialleistungen gewährt wird, gilt daher ebenso wie im Sozialhilferecht (vgl. BayVGH vom 30.6.2004 Az. 12 B 00.1250 und vom 12.8.2004 Az. 12 B 00.2288) auch für das Jugendhilferecht. Daran vermag auch die Durchgriffsregelung in § 89 a Abs. 2 SGB VIII nichts zu ändern, die dem für eine Pflegeperson zuständigen Jugendhilfeträger einen Erstattungsanspruch nicht gegen den zuvor zuständigen Träger gewährt, sondern direkt gegen einen weiteren Träger, der dem zuvor zuständigen Träger erstattungspflichtig wäre. Abgesehen davon, dass diese Sonderregelung sich nur bei der fortdauernden Vollzeitpflege, nicht aber bei den übrigen, im Jugendhilferecht geregelten Erstattungsansprüchen findet, werden auch bei der Durchgriffsregelung keine Erstattungsleistungen erstattet. § 89 a Abs. 2 SGB VIII gewährt die Erstattung von Kosten, die bei der Durchführung der Vollzeitpflege entstanden sind und bleibt damit innerhalb des Systems des Erstattungsrechts. Das auf Billigkeitserwägungen beruhende Argument der Beklagten, dass ihre Situation so zu bewerten sei, als ob sie den Hilfefall mit dem daraus resultierenden Erstattungsanspruch früher übernommen hätte, vermag die vom Gesetzgeber durchgängig verankerte Beschränkung von Erstattungsansprüchen auf erbrachte Sozialleistungen auch im Weg der Analogie nicht zu überwinden. Dabei ist auch zu beachten, dass der Schutz der Einrichtungsorte nach § 89 e SGB VIII ohnehin nicht umfassend ist. Die Vorschrift gewährt keinen Erstattungsanspruch, wenn sich die Zuständigkeit nach dem tatsächlichen Aufenthalt richtet.

Im Übrigen würde, selbst wenn man die Erstattung von Erstattungsleistungen für möglich hielte, der Beklagten kein Erstattungsanspruch nach § 89 e SGB VIII zustehen. § 89 e Abs. 1 SGB VIII macht den Schutz der Einrichtungsorte davon abhängig, dass der gewöhnliche Aufenthalt der Eltern oder einer sonstigen maßgeblichen Anknüpfungsperson in einer Einrichtung begründet worden ist. Der Wortlaut des Gesetzes verlangt daher, dass beide Elternteile in einer Einrichtung untergebracht sind. Würde dagegen bereits der gewöhnliche Aufenthalt eines Elternteils in einer geschützten Einrichtung genügen, so würde der Jugendhilfeträger des Einrichtungsortes vollständig entlastet, obwohl bei der gleichgewichtigen Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt beider Elternteile ein Elternteil seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einer Einrichtung begründet hat und der Jugendhilfeträger insoweit keinen Schutz verdient. Die gesetzliche Entscheidung, Jugendhilfeträger von Einrichtungsorten nur dann mit Hilfe von Erstattungsansprüchen zu schützen, wenn die maßgeblichen Anknüpfungspersonen, bei den Eltern also beide Elternteile, in einer Einrichtung untergebracht sind, hat den weiten, ausschließlich an Zweckmäßigkeitserwägungen orientierten Spielraum des Gesetzgebers bei der Gestaltung des Schutzes der Einrichtungsorte nicht überschritten. Wäre ein umfassender Schutz der Einrichtungsorte zwingend geboten, hätte der weiterreichende, nach der Entlassung aus der Einrichtung eingreifende Schutz, wie ihn beispielsweise das Sozialhilferecht in § 106 Abs. 3 SGB XII bzw. § 103 Abs. 3 BSHG kennt, auch in das Jugendhilferecht übernommen werden müssen.

1.2 Dem Kläger steht jedoch kein Verwaltungskostenzuschlag nach § 89 c Abs. 2 SGB VIII zu. Eine pflichtwidrige Handlung der Beklagten scheidet aus, weil ihre Einschätzung nicht vorwerfbar war, eine Übernahme des Hilfefalles mache angesichts des ihr möglicherweise zustehenden Erstattungsanspruchs gegen den Kläger keinen Sinn (vg. BayVGH vom 18.7.2005 Az. 12 B 02.1197).

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Da die Beklagte mit ihrer Berufung nur zu einem geringen Teil Erfolg hat, sind ihr die Kosten in vollem Umfang aufzuerlegen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 188 Satz 2 Halbsatz 1 VwGO).

3. Auf eine Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit wird verzichtet, weil der Verwaltungsgerichtshof davon ausgeht, dass der Kläger nicht beabsichtigt, aus dem Urteil vor Eintritt der Rechtskraft zu vollstrecken.

4. Die Revision wird nicht zugelassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

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