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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 27.10.2005
Aktenzeichen: 12 B 03.756
Rechtsgebiete: BSHG, BGB


Vorschriften:

BSHG § 15
BGB § 1615 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

12 B 03.756

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Sozialhilfe;

hier: Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 20. Februar 2003,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 12. Senat,

durch den Richter am Verwaltungsgerichtshof Traxler als Vorsitzenden, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dhom, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Grau

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 26. Oktober 2005

am 27. Oktober 2005

folgendes

Urteil:

Tenor:

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.

II. Der Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in der gleichen Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin, die zusammen mit ihrem Ehemann als Kontingentflüchtling nach Deutschland eingereist ist und vom örtlichen Sozialhilfeträger ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt erhält, begehrt die Übernahme der Kosten für die Bestattung ihres am 24. Oktober 2000 verstorbenen Ehemanns.

Mit Rechnungen vom 6. und 8. November 2000 machten ein Bestattungsunternehmen sowie die Israelitische Gemeinde W. für die Klägerin beim Beklagten Bestattungskosten von 2.255 DM und 3.620 DM geltend. Nachdem der Beklagte ermittelt hatte, dass keine Nachlasswerte vorhanden waren, aber ein in Österreich lebender Sohn des Verstorbenen zum Zeitpunkt des Todes seines Vaters über ein Sparguthaben von 100.000 ÖS (entspricht 14.213,63 DM) verfügt hatte, lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 9. Oktober 2001 die Übernahme der geltend gemachten Kosten einschließlich eines Betrags von weiteren 3.000 DM für ein Grabmal ab. Dem unterhaltspflichtigen Sohn sei die Übernahme der Bestattungskosten aus dem Sparvermögen auch unter Berücksichtigung der Freigrenze des § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG in Höhe von 4.700 DM zuzumuten, zumal der Lebensunterhalt des Sohnes, seiner Ehefrau und seiner Tochter gesichert sei. Die Eheleute würden gemeinsam über ein monatliches Nettoeinkommen von 3.917,82 DM verfügen. Die dem Sohn durch einen Unfall entstandenen Aufwendungen in Höhe von nachgewiesenen 924 DM könnten nicht berücksichtigt werden, da sie erst nach dem Tod des Vaters entstanden seien.

Mit Urteil vom 20. Februar 2003 hat das Verwaltungsgericht Würzburg den Beklagten verpflichtet, der Klägerin Bestattungskosten in Höhe von 4.537,72 € (entspricht 8.875 DM) zu erstatten. Der Klägerin, die nach öffentlichem Recht zur Bestattung verpflichtet gewesen sei, könne nicht zugemutet werden, Ansprüche gegen ihren Sohn geltend zu machen, da dieser als Miterbe von den Bestattungskosten nur ein Viertel zu tragen habe und im Übrigen seine Haftung als Unterhaltsverpflichteter unsicher sei.

Mit der zugelassenen Berufung verfolgt der Beklagte die Abweisung der Klage. Zur Begründung verweist er darauf, dass der Sohn als Unterhaltsverpflichteter für die Bestattung seines Vaters aufzukommen habe. Die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten sei ausschließlich im Rahmen der Zumutbarkeit des § 15 BSHG von Bedeutung.

Er beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 20. Februar 2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Eine Unterhaltsverpflichtung setze stets die Leistungsfähigkeit des Verpflichteten voraus. Da es daran fehle, sei der Sohn der Klägerin nicht verpflichtet, die Kosten der Bestattung zu übernehmen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg, weil der Beklagte verpflichtet ist, die Kosten der Bestattung zu übernehmen.

Nach § 15 BSHG sind die Kosten einer Bestattung zu übernehmen, soweit dem hierzu Verpflichteten nicht zugemutet werden kann, die Kosten zu tragen. Die Klägerin ist Inhaberin des Anspruches aus § 15 BSHG, weil sie in Erfüllung ihrer öffentlich-rechtlichen Bestattungspflicht nach § 15 BSHGi.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1a der Bestattungsverordnung Zahlungsverpflichtungen gegenüber dem Bestattungsunternehmen, dem Unternehmer, der das Grabmal errichtet, und in Bezug auf die Friedhofsgebühren eingegangen ist. Sie kann auch von keinem ihrer Söhne Ersatz der Bestattungskosten verlangen (vgl. BVerwGE 114, 57). Da der Verstorbene kein Vermögen hinterlassen hat, ist ein Rückgriff auf die Miterben nicht erfolgversprechend, weil diese ihre Haftung nach § 1990 Abs. 1 BGB auf den Wert des Nachlasses beschränken können. Der Klägerin steht auch kein Aufwendungsersatzanspruch nach § 1615 Abs. 2 BGB zu, der den Unterhaltsverpflichteten mit den Kosten der Beerdigung belastet. Ungeachtet der ukrainischen Staatsangehörigkeit der Familie findet nach Art. 4 Abs. 1 des Haager Übereinkommens über das auf Unterhaltspflichten anwendbare Recht vom 2. Oktober 1973 (BGBl 1986 II S. 837) wegen des gewöhnlichen Aufenthalts des Verstorbenen in der Bundesrepublik deutsches Unterhaltsrecht Anwendung. Allerdings sind beide Söhne mangels Leistungsfähigkeit nicht verpflichtet, die Bestattungskosten zu übernehmen. Die Verpflichtung nach § 1615 Abs. 2 BGB setzt wie jede Unterhaltspflicht nach § 1603 Abs. 1 BGB die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners voraus. Daher scheidet ein Anspruch gegen den in Deutschland lebenden Sohn der Klägerin von vorneherein aus, der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Sozialhilferecht bezieht. Aber auch der in Österreich lebende Sohn ist ohne Gefährdung seines eigenen, angemessenen Unterhalts nicht in der Lage, Unterhalt für den verstorbenen Vater zu zahlen. Da das Einkommen dieses Sohnes, der verheiratet ist und eine Tochter hat, auch unter Berücksichtigung des Einkommens seiner Ehefrau den Mindestselbstbehalt nicht übersteigt (vgl. Abschnit D der Düsseldorfer Tabelle vom 1.7.1999, FamRZ 1999, 766), könnte sich seine Leistungsfähigkeit allenfalls unter Berücksichtigung des ihm zustehenden Sparguthabens ergeben. Grundsätzlich sind Kinder ihren Eltern gegenüber verpflichtet, nicht nur die Erträge ihres Vermögens, sondern auch das Vermögen selbst einzusetzen (vgl. BGHZ 152, 217). Allerdings hat der Gesetzgeber den Elternunterhalt gegenüber dem Kindesunterhalt nachrangig eingestuft und mit § 1603 Abs. 1 BGB sichergestellt, dass dem Kind ein angemessener, d.h. seinen Lebensumständen entsprechender, eigener Unterhalt verbleibt (vgl. BVerfG vom 7.6.2005 NJW 2005, 1927). Da es keine allgemeine Billigkeitsgrenze für den Einsatz des eigenen Vermögens gibt, hängt die Zumutbarkeit der Pflicht zur Verwertung des Vermögens von den wirtschaftlichen Umständen des Einzelfalls ab (vgl. OLG Karlsruhe vom 27.3.2003 NJW 2004, 296). Dabei richtet sich die Zumutbarkeit nicht nach den Regelungen des Vermögenseinsatzes im Sozialhilferecht (s. § 88 BSHG), sondern allein nach den Kriterien des § 1603 BGB. Anders als bei Unterhaltspflichten im Zusammenhang mit der Unterbringung der Eltern in Heimen oder ähnlichen Einrichtungen, bei der die Höhe des Unterhaltsbedarfs in der Regel nicht absehbar ist und einen erheblichen Umfang annehmen kann, sind im vorliegenden Fall die Bestattungskosten bekannt und überschaubar. Gleichwohl kann angesichts des geringen Vermögens vom Sohn nicht verlangt werden, dass er zwei Drittel dieses Vermögens einsetzt, um die Bestattungskosten seines Vaters zu decken. Der Einsatz eines Vermögens von weniger als 10.000 Euro dient vorrangig der Absicherung unvorhersehbarer Ausgaben der eigenen Familie.

Da die Klägerin unstreitig über kein ausreichendes Einkommen und Vermögen verfügt, ist es ihr nach § 15 BSHG nicht zuzumuten, die Kosten der Bestattung selbst zu tragen, gegen deren Höhe der Beklagte keine Einwendungen erhoben hat.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 188 Satz 2 Halbsatz 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 und 711 ZPO.

3. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.



Ende der Entscheidung

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