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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 21.03.2007
Aktenzeichen: 12 B 04.975
Rechtsgebiete: VwGO, BSHG, BGB


Vorschriften:

VwGO § 124 a Abs. 3 Satz 4
BSHG § 90
BGB § 254 Abs. 2
BGB § 1908 I Abs. 1
BGB § 1833
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

12 B 04.975

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Sozialhilferecht;

hier: Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 15. Januar 2004,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 12. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Albrecht, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Grau, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Traxler

ohne mündliche Verhandlung am 21. März 2007

folgendes Urteil:

Tenor:

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 15. Januar 2004 wird aufgehoben.

II. Die Klage wird abgewiesen.

III. Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen hat der Kläger zu tragen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Überleitung eines eventuellen Schadensersatzanspruches des Hilfeempfängers (nachfolgend HE) gegen ihn.

1. Am 30. März 1996 verstarb die Mutter des HE. Sie wurde aufgrund Erbvertrags vom Vater des HE allein beerbt. Mit Schreiben vom 27. Januar 1997 verständigte das Amtsgericht Rosenheim den HE von seinem Pflichtteilsanspruch. Am 21. März 1997 schloss der Vater des HE mit seiner Tochter - der Schwester des HE - einen notariellen Überlassungsvertrag, in dem er sein Grundstück in Höhenrain (2.137 m² mit Wohnhaus), das noch zur Hälfte auf die Verstorbene eingetragen war, auf die Tochter übertrug. Im Gegenzug wurde dem Vater des HE ein Wohnrecht am bestehenden Wohnhaus sowie Wart und Pflege eingeräumt. Der Pflichtteilsanspruch des HE wurde einvernehmlich mit 50.000 DM beziffert. Falls der Pflichtteilsanspruch vom HE oder für diesen geltend gemacht werde, solle die Schwester diesen zur Hälfte tragen. Die Aufhebung dieses Vertrags zugunsten Dritter sollte ohne Zustimmung des Begünstigten möglich sein. Der Bruder des HE erklärte sich mit der Übertragung einverstanden und verzichtete auf seinen Pflichtteil.

2. Der Kläger wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Rosenheim vom 19. Juni 1997 zum Betreuer des HE bestellt, der bis dahin von seinem Vater betreut worden war. Er erhielt mit Schreiben des Amtsgerichts Rosenheim vom 21. August 1997 eine Bescheinigung der Raiffeisenbank Höhenrain-Kirchdorf a.H. eG vom 15. Juli 1997 über verschiedene Konten des HE, die ein Guthaben von insgesamt 29.807,67 DM aufwiesen. Am 10. September 1997 stellte der Kläger das Vermögensverzeichnis des HE auf. In den Rubriken Forderungen und Rechte ist nichts eingetragen.

3. Am 18. August 1997 war der HE, der an Schizophrenie und Alkoholismus leidet, in das Bezirkskrankenhaus Gabersee eingewiesen worden. Am 13. Oktober 1997 wurde er im Therapiezentrum Christ geschlossen untergebracht. Am 5. März 1998 beantragte der Kläger für den HE Sozialhilfe, da dessen Vermögen in Kürze aufgebraucht sein werde. Mit Schreiben vom 23. März 1998 teilte der Kläger dem Beklagten u.a. mit, dass die Mutter des HE vor ca. zwei Jahren verstorben sei. Dies unterstrich der Sachbearbeiter des Beklagten und schrieb "Nachlass?" daneben. Mit Bescheid vom 7. April 1998 gewährte der Beklagte dem HE Eingliederungshilfe ab 1. April 1998 bis 31. März 1999 sowie einen Barbetrag. Am 17. Oktober 1998 wurde der HE wieder in das Bezirkskrankenhaus Gabersee verlegt. Im Sozialhilfeantrag, der dort für den HE am 4. November 1998 aufgenommen wurde, ist in Abschnitt "III. Unterhaltspflichtige Angehörige außerhalb des Haushalts" der Todestag der Mutter des HE eingetragen. Am 2. Dezember 1998 wurde der HE in die geschlossene Station der Behinderteneinrichtung Ertlhof aufgenommen. Mit Bescheid vom 14. Dezember 1998 gewährte ihm der Beklagte dafür Eingliederungshilfe.

4. Auf ein Auskunftsersuchen hin legte der Vater des HE am 5. Mai 1999 dem Beklagten den Überlassungsvertrag vom 21. März 1997 vor. Die Schwester des HE beantwortete eine Anfrage des Beklagten am 14. Juni 1999 dahin, dass der Vaterguts- und/oder Pflichtteilsanspruch des HE bislang nicht befriedigt worden sei. Das Nachlassgericht teilte dem Beklagten auf Nachfrage mit Schreiben vom 22. Juli und 11. Oktober 1999 mit, dass sich der Reinnachlass der Mutter des HE auf 365.527 DM belaufe und dass nach den vorliegenden Unterlagen im Nachlassverfahren der Pflichtteilsanspruch des HE zwischenzeitlich verjährt sein dürfte. Am 30. August 1999 übersandte der Beklagte dem Kläger den Überlassungsvertrag mit der Bitte um Kenntnisnahme und weitere Veranlassung. Am 8. September 1999 wurde der Kläger von der Betreuung des HE entpflichtet und Herr B. zum neuen Betreuer bestellt.

5. Im Rahmen ihrer Anhörung zu einer beabsichtigten Überleitung des Pflichtteilsanspruchs legte die Schwester des HE mit Telefax vom 7. Oktober 2002 einen Nachtrag vom 2. Mai 2002 zum Überlassungsvertrag vor, wonach die zugunsten des HE getroffene Abfindungsvereinbarung vor Eintritt der Fälligkeit zwischen den Vertragsparteien durch entsprechende Vereinbarung aufgehoben worden sei. Bei der Anhörung vom 13. Januar 2003 auch des Vaters beriefen sich Schwester und Vater des HE auf Verjährung des Pflichtteilsanspruches; letzterer verwahrte sich auch gegen den behaupteten Schadensersatzanspruch. Mit Schreiben vom 6. Juni 2003 hörte der Beklagte den Kläger zur beabsichtigten Überleitung von Schadensersatzansprüchen an.

Mit Bescheiden vom 9. Juli 2003 leitete der Beklagte den Pflichtteilsanspruch des HE gegen seinen Vater aus dem Überlassungsvertrag vom 21. März 1997 einschließlich etwaiger Schadensersatzansprüche, den hälftigen Pflichtteilsanspruch des HE gegen seine Schwester aus dem Überlassungsvertrag und mit dem angefochtenen Bescheid eventuelle Schadensersatzansprüche gegen den Kläger im Zusammenhang mit dem Pflichtteilsanspruch in Höhe von 25.564,59 Euro auf sich über.

6. Auf die Klage des Klägers hob das Verwaltungsgericht den diesen betreffenden Bescheid des Beklagten vom 9. Juli 2003 auf. Es liege ein Fall der Negativevidenz vor. Der vom Beklagten behauptete Schadensersatzanspruch sei von vorneherein wegen überwiegenden Mitverschuldens des Beklagten an der nicht rechtzeitigen Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs des HE nach § 254 Abs. 2 BGB ausgeschlossen. In der Rechtsprechung sei anerkannt, dass der Nichtgebrauch von Rechtsbehelfen gegen diese Vorschrift verstoßen kann, soweit hinreichende Erfolgsaussichten bestehen. Aufgrund der Angaben des Klägers im Schreiben vom 23. März 1998 und im Sozialhilfeantrag vom 4. November 1998 hätte der Beklagte bei Aufwendung der gebotenen Sorgfalt selbst erkennen können, dass Pflichtteilsansprüche des HE bestehen. Diese hätten bei umgehender Überleitung auch noch vor ihrer Verjährung geltend gemacht werden können. Der Beklagte verstoße gegen seine Schadensabwendungspflicht, wenn er zunächst die rechtzeitige Überleitung und Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen unterlassen habe, um anschließend den eingetretenen Schaden vom Kläger ersetzt zu verlangen. Darüber hinaus sei der angefochtene Bescheid auch ermessensfehlerhaft, weil der Beklagte es unterlassen habe, Erwägungen zum Umfang des eigenen Mitverschuldens an der eingetretenen Situation in seine Ermessenserwägungen einzustellen.

7. Zu seiner zugelassenen Berufung führt der Beklagte aus, für die Rechtmäßigkeit einer Überleitung reiche es aus, dass der überzuleitende Anspruch möglicherweise bestehe. Die Feststellung eines Mitverschuldens von Kläger und Beklagten an einer Verjährung des Pflichtteilsanspruchs erfordere eine tiefergehende Prüfung, die den ordentlichen Gerichten vorbehalten bleiben müsse. Ein möglicherweise gegebenes Mitverschulden des Beklagten im Sinne des § 254 Abs. 2 BGB könne nicht dazu führen, dass die Überleitung des Schadensersatzanspruchs gegen den Kläger offensichtlich ausgeschlossen sei. Es sei schon fraglich, ob dem Beklagten überhaupt ein schuldhaftes Verhalten bezüglich der Verfolgung des Pflichtteilsanspruchs des HE vorgeworfen werden könne. Auch wenn er erfahren habe, dass die Mutter des HE verstorben war, habe der Beklagte von einem Berufsbetreuer erwarten dürfen, dass dieser mögliche Erbansprüche erkenne und, soweit er diesen nicht selbst nachgehe, den Beklagten zumindest darauf hinweise. Letzteres sei nicht geschehen.

Der Kläger hält die Berufung jedenfalls mangels Berufungsantrags für unzulässig. Er verteidigt im Übrigen das angefochtene Urteil. Er habe den Beklagten - wenn auch indirekt - auf mögliche Pflichtteilsansprüche des HE hingewiesen. Insbesondere als Nachfolgebetreuer des HE könne es nicht seine Aufgabe sein, sämtliche früheren Handlungsweisen, Entscheidungen und Abläufe zu kontrollieren und auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen. Das wäre Aufgabe des vorherigen Betreuers oder bei dessen Untätigkeit des Beklagten gewesen.

8. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und der vorgelegten Behördenakten verwiesen (§§ 125 Abs. 1, 117 Abs. 2 Satz 2 VwGO).

Entscheidungsgründe:

1. Die Berufung, über die der Verwaltungsgerichtshof mit Einverständnis der Parteien ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 125 Abs. 1 Satz 1, § 101 Abs. 2 VwGO), ist zulässig. Das gesetzliche Erfordernis der Einreichung eines Schiftsatzes zur Berufungsbegründung (§ 124 a Abs. 3 Satz 4 VwGO) kann grundsätzlich auch eine auf die erfolgreiche Begründung des Zulassungsantrags verweisende Begründung erfüllen, wenn der Berufungsführer damit erkennbar zum Ausdruck bringt, dass er die Berufung durchführen will und weshalb er sie für begründet hält (vgl. BVerwG vom 2.10.2003 BayVBl 2004, 477; vom 8.3.2004 NVwZ-RR 2004, 541). Diese Anforderungen an eine Berufungsbegründung erfüllt der Schriftsatz des Beklagten vom 26. Juli 2004, der ausdrücklich als Berufungsbegründung gekennzeichnet ist und der zur Begründung der Berufung auf die auch insoweit ausreichende Begründung des Zulassungsantrags verweist. Damit ist auch dem Antragserfordernis entsprochen (vgl. BVerwG vom 2.6.2005 Az. 10 B 4.05; vom 17.5.2006 Az. 1 B 13.06 - beide juris), da das Ziel der Berufung deutlich erkennbar ist.

2. Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Bescheid vom 9. Juli 2003 zu Unrecht aufgehoben. Dieser ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). § 90 Abs. 1 Satz 1 BSHG ermächtigt den Träger der Sozialhilfe, wenn der Hilfeempfänger für die Zeit, für die Hilfe gewährt wird, einen Anspruch gegen einen anderen hat, diesen Anspruch bis zur Höhe seiner Aufwendungen auf sich überzuleiten. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Hilfeempfänger hat gegen den Kläger einen dem Grunde nach überleitungsfähigen Anspruch. Grundsätzlich ist jede Art von Anspruch überleitungsfähig (vgl. Linhart/Adolph/Gröschel-Gundermann, BSHG, § 90 RdNr. 11; Münder in LPK-BSHG 6. Aufl. 2003, RdNr. 11 zu § 90 und LPK-SGB XII RdNr. 17 zu § 93). Hier steht ein Schadensersatzanspruch des HE nach § 1908 i Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1833 Abs. 1 BGB im Zusammenhang mit einer versäumten rechtzeitigen Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs des HE im Raume. Ob dieser Anspruch tatsächlich besteht und welchen Umfang er ggf. hat, ist für die Rechtmäßigkeit der Überleitungsanzeige unerheblich. Nur wenn der übergeleitete Anspruch offensichtlich ausgeschlossen ist, kann eine erkennbar sinnlose Überleitungsanzeige rechtswidrig sein (vgl. BVerwG vom 27.5.1993 BVerwGE 92, 281/283). Ansonsten ist es nicht Aufgabe der Verwaltungsgerichte, das Bestehen oder Nichtbestehen übergeleiteter bürgerlich-rechtlicher Ansprüche zu prüfen (BVerwG vom 10.5.1990 FEVS 39, 441/443).

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts liegt eine solche "Negativevidenz" hier nicht vor. Das Verwaltungsgericht hält das Bestehen des übergeleiteten Anspruches für offensichtlich ausgeschlossen, weil der Beklagte durch Unterlassen der rechtzeitigen Überleitung und Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruchs des Hilfeempfängers gegen seine nach § 254 Abs. 2 BGB bestehende Schadensabwendungspflicht verstoßen habe und sein Mitverschulden so schwer wiege, dass es gerechtfertigt sei, ihn den ganzen Schaden selbst tragen zu lassen. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Denn die Negativevidenz liegt nur dann vor, wenn nach dem auf den Anspruch anzuwendenden materiellen Recht objektiv der behauptete Anspruch nicht vorliegen kann und dies eindeutig und offensichtlich erkennbar ist, so dass die Geltendmachung des übergeleiteten Anspruchs von vorneherein absolut erfolglos sein wird (vgl. Decker in Oestreicher/Kunz/Schelter/Decker, BSHG, § 90 RdNr. 49). Anhaltspunkte dafür liegen hier aber nicht vor und werden auch vom Verwaltungsgericht nicht aufgezeigt. Dieses hält die Durchsetzbarkeit des übergeleiteten Schadensersatzanspruchs vielmehr erkennbar nur für nicht sehr wahrscheinlich, da ihm die vom Verwaltungsgericht hier angenommene Schadensabwendungspflicht als möglicherweise das Verschulden des Klägers überwiegend entgegenstehen könnte. Dies genügt aber nicht, um eine offensichtliche Negativevidenz bejahen zu können. Entscheidend gegen eine solche offensichtliche Erfolglosigkeit der Durchsetzbarkeit des Schadensersatzanspruchs des HE gegen den Kläger spricht hier, dass zwar der aus dem Rechtsinstitut des mitwirkenden Verschuldens nach § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB folgende Rechtsgedanke, wonach eine Ersatzpflicht für schuldhaftes rechtswidriges Handeln nicht eintritt, wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig es unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden, wenn also für den Nichtgebrauch eines Rechtsmittels kein hinreichender Grund bestand, auch im öffentlichen Recht allgemein Geltung beansprucht (vgl. OVG MV vom 27.11.2002 NVwZ 2004, 123 m.w.N.). Nach der Rechtsprechung der Zivilgerichte ergibt sich aus dem Rechtsgedanken des § 254 Abs. 2 BGB aber grundsätzlich nur eine Verpflichtung des Geschädigten, zur Schadensabwendung rechtliche Maßnahmen zu ergreifen (vgl. z.B. BGH vom 26.1.1984 BGHZ 90, 17). Hier geht es jedoch nicht um originäre Ansprüche des Beklagten als durch den Kläger Geschädigten, die schuldhaft nicht rechtzeitig geltend gemacht wurden. Vielmehr stehen Ansprüche nach § 90 BSHG, also aus übergeleitetem Recht, gerade des hier durch § 1908 i Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1833 Abs. 1 BGB geschützten betreuten HE wegen ihn schädigenden Verhaltens des Klägers inmitten, das dieser wegen seiner Behinderung nicht selbst abwenden konnte. Diesen trifft daher kein Verschulden an der Nichtgeltendmachung seines Pflichtteilsrechts, das dem Beklagten als Rechtsnachfolger entgegengehalten werden könnte. Es soll vielmehr ein Verschulden eines Dritten, nämlich des Beklagten, dem Schadensersatzanspruch gegen den Kläger entgegengehalten werden, da dieser ebenfalls für den HE hätte tätig werden müssen und dadurch der Schaden ebenso wenig eingetreten wäre wie wenn der Kläger tätig geworden wäre. Es soll - wovon auch das Verwaltungsgericht ausgeht -, also nicht ein Mitverschulden des Beklagten bei der Entstehung des Schadens, also nach § 254 Abs. 1 BGB, sondern ein solches wegen von ihm selbst unterlassener Schadensminderung nach § 254 Abs. 2 BGB in Betracht kommen. Insoweit macht das Verwaltungsgericht dem Beklagten zum Vorwurf, die rechtzeitige Überleitung und Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs des Hilfeempfängers unterlassen zu haben, um anschließend den eingetretenen Schaden vom ebenfalls untätig gebliebenen Betreuer des Hilfeempfängers ersetzt zu verlangen. Nach § 254 Abs. 2 BGB obliegt eine solche Schadensminderung aber nur dem Geschädigten selbst, nicht dem Zessionar - dies auch dann nicht -, wenn er kraft Gesetzes in die Gläubigerstellung eingerückt ist (vgl. BGH vom 16.12.1980 NJW 1981, 1099). Nichts anderes kann für die vergleichbare Konstellation, nämlich die Rechtsstellung des Beklagten aus übergeleitetem Recht nach § 90 BSHG gelten. Zumindest folgt aus dieser Rechtslage, dass die Erfolgsaussichten einer Klage erkennbar offen sind und daher die Negativevidenz fehlt. Denn es ist auch nicht offensichtlich, dass der Beklagte die ihn an sich nicht treffende Schadensminderungspflicht des HE ausnahmsweise nach Treu und Glauben gegen sich gelten lassen muss, weil er nicht selbst für den HE tätig geworden ist. Dies hat der BGH im Urteil vom 16.12.1980 (a.a.O.) nur dann angenommen, wenn der Zessionar eine für ihn auch dem Schädiger gegenüber bestehende Obliegenheit schuldhaft verletzt hat, die ihm dem Geschädigten gegenüber bestehende Rechtspflicht zum Tätigwerden für diesen wahrzunehmen. Eine solche Pflicht, Ansprüche des HE gegen andere nach § 90 Abs. 1 Satz 1 BSHG auf sich überzuleiten und dann zur Abdeckung der Aufwendungen für den HE durchzusetzen, begründet § 90 Abs. 1 Satz 1 BSHG aber nicht; die Überleitungsmöglichkeit steht vielmehr ausdrücklich im Ermessen des Sozialhilfeträgers. Umso weniger besteht für diesen eine Obliegenheit gegenüber einem Schädiger des HE, die von jenem drohende Schadensverursachung durch eigenes Tätigwerden nach § 90 Abs. 1 Satz 1 BSHG abzuwenden. Offensichtliche Anhaltspunkte für das Bestehen der im Fall des BGH festgestellten Ausnahmesituation sind hier also nicht gegeben.

Dasselbe gilt für die weitere Frage, wie ein vom Verwaltungsgericht angenommenes Mitverschulden bei fehlender Teilbarkeit des Verschuldens umzusetzen ist. Das ist keineswegs im Sinne des Verwaltungsgerichts offensichtlich. Liegt eine zwar nicht überwiegende, aber doch an sich schon berücksichtigungsfähige, geringe Mitverantwortlichkeit vor, so trifft den Anspruchsberechtigten kein Nachteil. Überwiegt die Mitverantwortung des Berechtigten, so verliert er den Erfüllungsanspruch in vollem Umfang. Die entsprechende Anwendung des § 254 Abs. 2 BGB muss eine alle Umstände abwägende Bewertung der einander gegenüberstehenden Interessen vornehmen (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 66. Aufl., § 254 RdNr. 59 ff.). Dabei darf es auch hier nicht zu einer sachwidrigen Risikoverlagerung zwischen öffentlicher Hand und betroffenem Bürger kommen. Das Ergebnis einer solchen Abwägung ist daher nur in ganz besonders gelagerten Ausnahmefällen offensichtlich. Eine solche Bewertung hat das Verwaltungsgericht - jedenfalls nachvollziehbar - aber nicht vorgenommen, weil es ohne weitere Begründung davon ausgeht, dass das Mitverschulden des Beklagten so schwer wiege, dass es gerechtfertigt sei, ihn den ganzen Schaden selbst tragen zu lassen. Dies ist auch nicht ersichtlich. Der HE hat möglicherweise einen Schadensersatzanspruch aus §§ 1908 i Abs. 1, 1833 BGB gegen den Kläger. Dieser war Betreuer des Hilfeempfängers. Ihm oblag u.a. die Vermögensfürsorge, unter die auch die Klärung und Durchsetzung möglicher Ansprüche aufgrund eines Erbfalls fällt. Entsprechende Schritte hat der Kläger unstreitig nicht unternommen. Inwieweit der Kläger hierbei seine Pflichten als Betreuer verletzt hat, hat das Verwaltungsgericht nicht geprüft und musste das auch nicht, weil das von den Zivilgerichten zu prüfen ist. Dann durfte es sich aber auch nicht einseitig auf ein vermeintliches Fehlverhalten des Beklagten festlegen. Diese Vorgehensweise des Verwaltungsgerichts führt nämlich letztlich zu dem Ergebnis, dass sich der Kläger aufgrund der Hilfegewährung des Beklagten aus seiner Verantwortung gegenüber seinem Betreuten zurückziehen und bei einer möglichen Pflichtverletzung seiner Haftung nach §§ 1908 i Abs. 1, 1833 BGB entziehen könnte, wenn der Sozialhilfeträger in gleicher Sache - aus welchen Gründen auch immer - nicht rechtzeitig tätig geworden ist. Die Prüfung eines Mitverschuldens des Beklagten an einer Verjährung des Pflichtteilsanspruchs des Hilfeempfängers erfordert damit jedenfalls eine tiefgründige Prüfung, deren Ausgang nicht offensichtlich ist und die den ordentlichen Gerichten vorbehalten bleiben muss.

Die Überleitung ist auch nicht ermessensfehlerhaft (§ 114 Satz 1 VwGO). Der angefochtene Bescheid gibt dem Nachrang der Sozialhilfe (§ 2 Abs. 1 BSHG) zu Recht besonderes Gewicht. Zwar entbindet § 90 Abs. 1 Satz 1 BSHG den Sozialhilfeträger nicht von der Aufgabe, in jedem Einzelfall zu prüfen, ob zugunsten des vermeintlichen Schuldners von einer beabsichtigten Anspruchsüberleitung abzusehen oder diese der Höhe nach zu beschränken ist (vgl. BVerwG vom 27.5.1993 FEVS 44, 229/232). Diesen Anforderungen hat der Beklagte im angefochtenen Bescheid aber Rechnung getragen. Er hat erkannt, dass es im pflichtgemäßen Ermessen des Sozialhilfeträgers steht, ob und inwieweit er von der Ermächtigung, den Anspruch des Hilfeempfängers auf sich überzuleiten, Gebrauch macht. Darüber hinaus hat er die vom Kläger vorgebrachten Gründe ausdrücklich geprüft und mit dem in § 2 Abs. 1 BSHG festgelegten Nachrangprinzip abgewogen. Diese Interessenabwägung lässt keine Ermessenfehler im Sinne des § 114 VwGO erkennen. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts hatte der Beklagte vor allem keinen Anlass, Erwägungen zu einem angeblichen eigenen Mitverschulden an der eingetretenen Situation in seine Ermessenserwägungen einzustellen. Bleibt die schwierige Frage eines möglichen Mitverschuldens - wie oben ausgeführt - den ordentlichen Gerichten vorbehalten, so stellte sich diese für den Beklagten im Rahmen seiner Ermessenserwägungen auch nicht.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 188 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO. Der Verwaltungsgerichtshof hat auf eine Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kosten verzichtet, weil er davon ausgeht, dass der Beklagte nicht beabsichtigt, seine außergerichtlichen Kosten vor Eintritt der Rechtskraft zu vollstrecken.

4. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

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