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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 13.11.2007
Aktenzeichen: 12 B 06.3365
Rechtsgebiete: SGB VIII, BGB, BSHG


Vorschriften:

SGB VIII a.F. § 91 Abs. 1 Nr. 4 c
SGB VIII a.F. § 93 Abs. 1
SGB VIII a.F. § 93 Abs. 4
SGB VIII a.F. § 94 Abs. 2
BGB § 1603
BSHG § 76 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

12 B 06.3365

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Kinder- und Jugendhilferecht;

hier: Berufung des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 7. November 2006,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 12. Senat,

durch den Richter am Verwaltungsgerichtshof Traxler als Vorsitzenden, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Grau, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Emmert

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 7. November 2007

am 13. November 2007

folgendes Urteil:

Tenor:

I. Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 7. November 2006 wird der Bescheid der Beklagten vom 17. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von Schwaben vom 2. Juni 2005 aufgehoben.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Heranziehung des Klägers zu einem Kostenbeitrag im Rahmen der Jugendhilfe.

Der Kläger erhielt seit dem 1. September 2001 durch die Beklagte Hilfe zur Erziehung für seinen am 15. Januar 1985 geborenen Sohn A. durch Unterbringung in einer Jugendwohngemeinschaft (Bescheid vom 28.11.2001). Nach Vollendung des 18. Lebensjahres des Sohnes wurde die Maßnahme als Hilfe für junge Volljährige fortgeführt (Bescheid vom 10.2.2003) und zum 31. März 2005 beendet. Vor der Unterbringung in der Jugendwohngemeinschaft hatte der Sohn A. im Haushalt des Klägers gewohnt. Mit Beschluss des Vormundschaftsgerichts vom 15. Oktober 2001 war den Eltern das Sorgerecht für ihren Sohn teilweise entzogen und dem Jugendamt der Beklagten übertragen worden. Mit Beschluss vom 22. November 2001 wurde das Jugendamt zum Vormund bestellt.

Im Haushalt des Klägers lebte auch dessen damalige Ehefrau und Adoptivstiefmutter von A.. Diese ist zu 70% schwerbehindert und erhielt deshalb eine Versorgungsrente in Höhe von monatlich 317,92 Euro. Ferner lebte im Haushalt des Klägers im streitgegenständlichen Zeitraum auch sein volljähriger Sohn Ö., der arbeitslos war und daher vollständig vom Kläger unterhalten werden musste. Zudem leistete der Kläger seinen weiteren zwei minderjährigen Kindern in der Türkei Unterhalt. Auch die dort lebende leibliche Mutter der beiden Kinder sowie die bedürftigen, ebenfalls in der Türkei lebenden Eltern des Klägers erhielten im betreffenden Zeitraum von ihm Unterhaltszahlungen.

Am 28. April 1998 nahm der Kläger ein Nettodarlehen in Höhe von insgesamt 40.000 DM (20.000 Euro) mit einer Laufzeit von 72 Monaten auf. Nach seinen ursprünglichen Angaben geschah dies, um die Hochzeit seines Sohnes Ö. zu finanzieren, dessen Braut bis zur Hochzeit in der Türkei lebte. Dem Kläger entstand dadurch zusätzlich eine monatliche Kreditverbindlichkeit in Höhe von 814 DM (407 Euro). Die Hochzeit des Sohnes Ö. soll am 13. August 2001 stattgefunden haben, die Verlobung bereits am 10. August 1999. Das Darlehens habe auch der Finanzierung von Geschenken anlässlich der Hochzeit der ältesten Tochter I.S. des Klägers gedient, die sich am 10. August 1999 verlobt und am 10. Oktober 2000 geheiratet habe.

Mit Bescheid vom 17. März 2004 zog die Beklagte den Kläger und seine Ehefrau für den Zeitraum vom 1. September 2001 bis 31. Dezember 2001 zu einem monatlichen Kostenbeitrag in Höhe von 344 Euro und für den Zeitraum vom 1. Januar 2002 bis 30. Juni 2003 in Höhe von monatlich 353 Euro heran. Gleichzeitig wurde der Kläger zur sofortigen Begleichung eines für den Zeitraum vom 1. September 2001 bis 30. Juni 2003 aufgelaufenen Rückstands in Höhe von insgesamt 7.730 Euro verpflichtet. Die Beklagte legte ihrer Berechnung die unterhaltsrechtlichen Vorschriften des BGB sowie die Düsseldorfer Tabelle zu Grunde. Das durchschnittliche monatliche Nettoeinkommen des Klägers wurde für das Jahr 2001 auf 2.061,31 Euro und das Jahr 2002 auf 1.956,59 Euro angesetzt. Hierzu wurde das für alle Kinder monatlich bezogene Kindergeld in Höhe von 310,61 Euro bzw. 355,67 Euro addiert ebenso wie die Versorgungsrente der Ehefrau in Höhe von 317,92 Euro. Außerdem berücksichtigte die Beklagte die Unterhaltszahlungen an die in der Türkei lebende frühere Ehefrau und die beiden minderjährigen Kinder als besondere Belastungen mit je einem Drittel des Regelunterhalts einkommensmindernd. Als berufsbedingte Aufwendungen wurde vom Nettoeinkommen eine Pauschale von 5% abgesetzt. Das anrechenbare Einkommen belief sich daher auf 2.133,65 Euro bzw. ab 1. Januar 2002 auf 2.079,23 Euro.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 2. Juni 2005 hob die Regierung von Schwaben den Ausgangsbescheid insoweit auf, als der Kostenbeitrag für den Zeitraum vom 1. September 2001 bis 30. November 2002 einen Betrag von 245,60 Euro und für den Zeitraum vom 1. Dezember 2002 bis 31. Dezember 2002 einen Betrag von 52,20 Euro überstieg und die Erstattungssumme über den Betrag von 3.793,80 Euro hinausging. Zudem wurde der für die Zeit ab 15. Januar 2003 festgesetzte Kostenbeitrag aufgehoben. Im Übrigen wies die Regierung den Widerspruch als unbegründet zurück.

Sie ging zu Gunsten des Klägers bei der Einkommensgruppe wegen seiner Unterhaltsverpflichtungen von einem zweistufigen Abschlag aus, so dass sich ab dem 1. September 2001 ein Unterhaltsbetrag von 325 Euro und ab dem 1. Dezember 2002 von 307 Euro ergab. Der unterhaltsrechtliche Kostenbeitrag mit einem Abschlag von 20% belief sich somit auf 260 Euro bzw. 245 Euro monatlich. Da im Dezember 2002 und Januar 2003 das Kindergeld für A. nicht an den Kläger, sondern aufgrund der Direktüberweisung durch das Arbeitsamt an die Beklagte floss und die gewährte Hilfe am 14. Januar 2003 mit der Volljährigkeit des Sohnes endete, ermäßige sich der Kostenbeitrag für Dezember 2002 auf 52,20 Euro, während im Januar 2003 kein Kostenbeitrag anfalle. Weitere Forderungen für die Vergangenheit seien unwirksam, da der Kläger erst durch Überleitungsanzeige vom 26. Juli 2004 unterrichtet und zur Zahlung aufgefordert worden sei.

Auf die hiergegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Augsburg mit Urteil vom 7. November 2006 den Bescheid der Beklagten vom 17. März 2004 i.d. Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. Juni 2005 aufgehoben, soweit vom Kläger ein höherer Kostenbeitrag als 3.566,60 Euro gefordert wurde. Im Übrigen wies es die Klage ab. Da der Sohn A. des Klägers die Kosten der Hilfe zur Erziehung nicht selbst tragen könne, seien die Eltern zu einem Kostenbeitrag heranzuziehen (§ 91 Abs. 5 SGB VIII). Der Kostenbeitrag werde in der Regel in Höhe der Kosten der durch die auswärtige Unterbringung ersparten Aufwendungen festgesetzt. Im vorliegenden Fall sei die bis zum 30. September 2005 geltende Gesetzesfassung anzuwenden. Unter Zugrundelegung der unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Familiensenate in Süddeutschland (SüdL) und der Düsseldorfer Tabelle ergebe sich ein Kostenbeitrag des Klägers in Höhe der durch die auswärtige Unterbringung seines Sohnes A. im Rahmen der Jugendhilfe ersparten Kosten im Zeitraum vom 1. September 2001 bis 30. Juni 2003 von insgesamt 3.566,60 Euro. Das für die Einstufung maßgebliche Einkommen bemesse sich nach dem monatlichen durchschnittlichen Nettoeinkommen zuzüglich des Kindergeldes für den Sohn A., für den die Jugendhilfe geleistet wurde, nicht jedoch des Kindergeldes für die anderen Kinder des Klägers. Das Einkommen der Adoptivstiefmutter des Sohnes A. sei dabei dem Einkommen des Klägers hinzuzurechnen, da sie ihm unterhaltspflichtig sei. Da die Eltern für den Kostenbeitrag als Gesamtschuldner hafteten, sei für die Bemessung des Kostenbeitrags und der dazu zu bestimmenden ersparten Aufwendungen anhand der Düsseldorfer Tabelle vom Familieneinkommen auszugehen. Die unterhaltsrechtlichen Selbstbehaltsgrenzen spielten in diesem Rahmen keine Rolle. Es sei rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Beklagte von dem Netto-Familieneinkommen eine Pauschale für berufsbedingte Aufwendungen von 5% sowie die Unterhaltszahlungen an die minderjährigen Kinder des Klägers und deren Mutter in der Türkei als besondere Belastungen mit je einem Drittel des Regelunterhalts abgezogen habe.

Soweit der Widerspruchsbescheid die Kostenbeitragsforderung des Ausgangsbescheids auf 3.793,80 Euro reduziert habe, sei die dadurch allein beschwerte Beklagte gegen ihn nicht vorgegangen. Der Frage, ob diese Reduzierung zu Recht erfolgt sei, sei deshalb nicht nachzugehen.

Die Darlehensbedienung durch den Kläger in Höhe von 407 Euro monatlich sei nicht als das Nettoeinkommen mindernd im Rahmen der Berechnung der ersparten Aufwendungen zu berücksichtigen. Ob Verbindlichkeiten unterhaltsrechtlich anzuerkennen seien, sei unter umfassenden Interessenabwägung zu beurteilen. Generell habe die Sicherung des Kindesunterhalts Vorrang vor der Tilgung der Schulden des Unterhaltspflichtigen. Insbesondere Schulden, die leichtfertig oder für luxuriöse Zwecke eingegangen worden seien, seien nicht abzugsfähig. Soweit ein Teil des Darlehens (ca. 9.500 DM) für die Unterstützung der Eltern und der weiteren Kinder des Klägers in der Türkei sowie für Reisen zur Kontaktpflege verwendet worden sei, stehe einer Berücksichtigung entgegen, dass entsprechende Aufwendungen bereits durch Absetzungen an anderer Stelle - mehrfach - einkommensmindernd berücksichtigt worden seien. Eine weitere Berücksichtigung von Unterstützungszahlungen sei nicht gerechtfertigt, zumal der Sohn den Eltern des Klägers im Unterhaltsrang vorgehe (§ 1609 Abs. 1 BGB). Die Kreditbedienung für Reisen sei als der Unterhaltspflicht nachrangig zu bewerten.

Soweit der überwiegende Teil des Darlehens zur Finanzierung der Vorbereitung und der Hochzeit des Sohnes Ö. (ca. 22.000 DM) sowie für Hochzeitsgeschenke für die Tochter I. (ca. 8.500 DM) benötigt worden sei, seien die Kosten für das in erster Linie hierfür aufgenommene Darlehen nicht als einkommensmindernd abzusetzen. Eine Abwägung der Interessen des Unterhaltsberechtigten mit denen des Unterhaltspflichtigen und des Drittgläubigers (Kreditinstitut) ergebe, dass die Interessen des Sohnes an einem ungeschmälerten Unterhaltsanspruch überwiegen würden. Zwar könnten in die Bewertung, ob die Schulden für luxuriöse Zwecke aufgenommen worden seien, subjektive Gesichtspunkte einfließen, die auch in der kulturellen Herkunft begründet seien. Ausschlaggebend müssten jedoch objektive Gesichtspunkte sein. Das gelte im besonderen Maß in dem hier vorliegenden Fall der Geltendmachung einer Kostenbeitragspflicht anhand ersparter Aufwendungen. Ansonsten könnten für beliebige Zwecke Darlehen begründet werden, um unter Verweis auf daraus entstehende Belastungen eine Kostenbeitragspflicht zu vermindern. Entscheidend müsse daher die in der Rechtsordnung allgemeine Verkehrsanschauung sein, um ein Darlehen vom Zweck her gegenüber dem Anspruch eines bedürftigen Kindes auf Unterhalt als vorrangig bewerten zu können. Das sei bei den hier erfolgten erheblichen Ausgaben für die Vorbereitung, Ausrichtung der Feier und die Geschenke zur Hochzeit jedoch nicht der Fall. Kosten für die Eheschließung seien nach herrschender Auffassung in Deutschland, die für die Berechnung eines Kostenbeitrags allein der Maßstab sein könne, schon vom Grundsatz her nicht so vorrangig, dass sie dem Unterhalt der übrigen Familienmitglieder, insbesondere für minderjährige Kinder, vorgingen. Das gelte selbst dann, wenn subjektiv unterschiedliche Anschauungen über die Bedeutung und den Umfang einer Hochzeitsfeier zugelassen würden. Abgesehen davon, dass die Eltern des Bräutigams die Kosten der Hochzeitsfeier hier zu Lande nur höchst ausnahmsweise tragen würden, werde die Ausgestaltung und damit der finanzielle Aufwand für eine Hochzeitsfeier nach der sozialen Stellung und dem Einkommen und Vermögen der Eheleute und ihrer Familien bemessen. Damit sei es mit der geltenden Verkehrsanschauung unvereinbar, dass ein Beschäftigter in der Position des Klägers mit mehreren unterhaltspflichtigen Kindern für die Hochzeit eines seiner Söhne nahezu ein halbes Jahresgehalt aufwende. Solche Ausgaben seien jedenfalls in dem Sinn überzogen, als sie den Lebensstandard und damit den Unterhalt der übrigen Familienmitglieder schmälerten. Vielmehr sei es zumutbar, die Kreditbedienung hinter die Erfüllung der Unterhaltspflicht für den minderjährigen Sohn zu stellen und zu diesem Zweck die Zahlung auf den Kredit auszusetzen. Schließlich sei auch zu bedenken, dass der Kläger in der streitgegenständlichen Zeit für das Jugendhilfe erhaltende Kind (bis auf Dezember 2002 Januar 2003) Kindergeld erhalten habe. Die Anerkennung des Darlehens würde dazu führen, dass die für den Unterhalt des Sohnes aus öffentlichen Mitteln erhaltenen Zahlungen zur Kreditbedienung eingesetzt würden, womit der eigentliche Zweck der Zahlungen völlig verfehlt würde.

Zur Begründung seiner vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Berufung bezieht sich der Kläger auf die Begründung seines Zulassungsantrags. In ihr hatte er ausgeführt, dass vom Verwaltungsgericht das Einkommen der Adoptivmutter, das lediglich aus einer Erwerbsminderungsrente von damals 317,92 Euro bestanden habe, zu Unrecht als einkommenserhöhend berücksichtigt worden sei. Wende man die unterhaltsrechtlichen Leitlinien an, so müsse von einer gesonderten jeweiligen Barunterhaltsverpflichtung beider Elternteile ausgegangen werden, da ja der Sohn A., obwohl damals minderjährig, wegen seiner anderweitigen Unterbringung keinen Betreuungsunterhalt von einem oder beiden Elternteilen habe beanspruchen können. Dann könnten jedoch auch nur die für volljährige Kinder entwickelten Grundsätze der Süddeutschen Leitlinien herangezogen werden, weil nur in diesem Fall eine beiderseitige Barunterhaltsverpflichtung der Eltern bestehe. In diesen Fällen werde jedoch das Einkommen der Eltern gesondert betrachtet und untersucht, ob ihr jeweiliges Einkommen über dem notwendigen Selbstbehalt liege. Wenn dies für beide zu bejahen sei, komme es auch zu einer beiderseitigen Unterhaltsverpflichtung der Elternteile. Liege jedoch das Einkommen eines Elternteils unter dem notwendigen Selbstbehalt, so sei er nicht zum Unterhalt verpflichtet, es komme dann allein auf die Einkommenssituation des anderen, leistungsfähigen Elternteils an. Bei Anwendung dieser Grundsätze liege jedenfalls das Einkommen der Adoptivmutter deutlich unter dem damals gültigen Selbstbehalt von 730 Euro, so dass ihr Einkommen bei der Unterhaltsberechnung vollkommen unberücksichtigt zu bleiben habe. Sowohl der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 3. August 2006 Az. 12 C 06.761 wie auch das Urteil des Verwaltungsgerichts hätten dies übersehen.

Im Urteil des Verwaltungsgerichts sei auch keine konkrete Mangelfallberechnung anhand der Süddeutschen Leitlinien durchgeführt worden, die auch für das verwaltungsrechtliche Verfahren die Grundlage bilden müsse.

Schließlich habe das Verwaltungsgericht die Darlehensbedienung durch den Kläger in Höhe von 407 Euro monatlich zu Unrecht nicht einkommensmindernd berücksichtigt. Das Verwaltungsgericht verkenne, dass der Sohn A., auch wenn er nicht auswärtig untergebracht gewesen, sondern zuhause gewohnt hätte, wegen der familiären türkischen Tradition, dass der Vater die Hochzeit eines Sohnes unter Aufwendung beträchtlicher finanzieller Mittel ausrichten müsse, nur einen reduzierten Unterhaltsanspruch dem Vater gegenüber gehabt hätte, weil dieser berechtigt gewesen sei, die Darlehensverbindlichkeit seinem Unterhaltsanspruch entgegenzuhalten. Die familiären Verhältnisse wären auch ohne die auswärtige Unterbringung durch dieses Darlehen geprägt gewesen und hätten daher beim Unterhalt von A. bezüglich der Leistungsfähigkeit des Klägers berücksichtigt werden müssen. Soweit das Verwaltungsgericht auf die in der Rechtsordnung allgemein übliche Verkehrsanschauung abstelle, verkenne es, dass es auch eine andere als die übliche deutsche Verkehrsanschauung gebe, nämlich hier die türkische, nach der es vollkommen üblich sei, dass der Vater die Hochzeit der Söhne unter erheblichem finanziellen Aufwand ausrichte, der häufig die wirtschaftlichen Verhältnisse übersteige. Die Anlegung eines deutschen Maßstabs sei außerordentlich problematisch, weil sie unzulässiger Weise die auch in der Familie des Klägers herrschende ausländische Kultur in verfassungswidriger Weise diskriminiere. Es könne nicht angehen, dass von einem deutschen Gericht Tradition und Gebräuche türkischer Familien vollkommen missachtet und nur deutsche Maßstäbe zugelassen würden.

Zu berücksichtigen sei auch, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Darlehens keine Kenntnisse von der späteren Kostenbelastung durch die auswärtige Unterbringung des Sohnes gehabt habe. Vielmehr habe er zum Zeitpunkt der Aufnahme des Darlehens 1998 sogar davon ausgehen dürfen, dass sein damals kurz vor dem Schulabschluss stehender Sohn in Kürze über eigene Einkünfte in Form einer Ausbildungsvergütung verfügen würde, wodurch sich seine Unterhaltsverpflichtung reduziert, wenn nicht gar vollständig erledigt hätte. Dass der Kläger trotz seiner Berufstätigkeit genügend kreditwürdig gewesen sei, zeige die Tatsache, dass ihm die Stadtsparkasse A. das Darlehen in dieser Höhe gegeben habe, vor allem jedoch der Umstand, dass er ohne Beanstandung das Darlehen vollständig zurückbezahlt habe.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 7. November 2006 den Bescheid der Beklagten vom 17. März 2004 i.d. Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von Schwaben vom 2. Juli 2005 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

In der mündlichen Verhandlung am 7. November 2007 hat der Senat den Kläger zu den Motiven für den Abschluss des Kreditvertrages im April 1998 eingehend befragt.

Hierzu wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und der vorgelegten Behördenakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet, weil das Verwaltungsgericht die Klage zu Unrecht abgewiesen hat, soweit sie sich gegen einen 3.566,60 Euro nicht übersteigenden Kostenbeitrag richtet. Die Beklagte hat bei der Festsetzung des vom Kläger geforderten Kostenbeitrags die durch die auswärtige Unterbringung seines Sohnes A. ersparten Aufwendungen unzutreffend ermittelt, indem sie von einem zu hohen Familieneinkommen ausgegangen ist.

Grundlage für die rechtliche Beurteilung ist die bis zum 30. September 2005 geltende Fassung des Sozialgesetzbuchs Achtes Buch (SGB VIII) vom 8. Dezember 1998 (BGBl I S. 3546), weil der Kläger zur Zahlung eines Kostenbeitrags für die ihm in der Zeit vom 1. September 2001 bis 30. Juni 2003 für seinen Sohn A. gewährte Jugendhilfe herangezogen wurde.

Nach § 91 Abs. 1 Nr. 4 c SGB VIII ist der Kläger, dem für seinen Sohn A. Hilfe zur Erziehung durch Unterbringung in einer Jugendwohngemeinschaft gewährt wurde (§§ 27, 34 SGB VIII), zu den Kosten der Maßnahme heranzuziehen, weil sein Sohn die Kosten nicht selbst tragen kann (§ 91 Abs. 5 SGB VIII). Da der Kläger vor Beginn der Hilfe mit seinem Sohn A. zusammengelebt hat, ist er nach § 94 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII in Höhe der durch die auswärtige Unterbringung ersparten Aufwendungen zu den Kosten heranzuziehen. Für diese ersparten Aufwendungen sollen gemäß § 94 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII nach Einkommensgruppen gestaffelte Pauschalbeträge festgelegt werden. Bei der Festlegung des Pauschalbetrages hat die Beklagte die maßgeblichen Unterhaltsrichtwerte der "Düsseldorfer Tabelle" vom 1. Juli 2001 (FamRZ 2001, 806) zugrunde gelegt, was nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG vom 22.12.1998 BVerwGE 108, 221) grundsätzlich zulässig ist.

Die Beklagte ist jedoch bei der Anwendung der Düsseldorfer Tabelle von einem zu hohen Familieneinkommen des Klägers ausgegangen, so dass die Berechnung des Kostenbeitrags auf einer unzutreffenden Grundlage beruht.

Allerdings hat die Beklagte entgegen der Auffassung des Klägers die Erwerbsminderungsrente seiner damaligen Ehefrau in Höhe von 317,92 Euro monatlich zu Recht als einkommenserhöhend berücksichtigt. In diesem Zusammenhang kann zunächst offen bleiben, ob das Nettoeinkommen der einen Kostenbeitrag nach § 94 Abs. 2 SGB VIII schuldenden Eltern wie im Fall des § 93 Abs. 2 bis 4 SGB VIII nach den Vorschriften der §§ 76 bis 78 BSHG (so ausdrücklich § 93 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII) oder nach den Unterhaltsvorschriften des BGB bestimmt wird. Denn sowohl nach § 76 Abs. 1 BSHG als auch nach § 1603 BGB gehören Erwerbsminderungsrenten zum sozialhilferechtlichen Einkommen bzw. zu den unterhaltsrechtlichen Einnahmen (vgl. Beschluss des Senats vom 3.8.2006 Az. 12 C 06.761 m.w.N.), so dass sie als Einkommen zu berücksichtigen sind.

Die Anwendung der Unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Familiensenate in Süddeutschland (SüdL) 2003 führt nicht dazu, dass das Nettoeinkommen des Klägers und seiner damaligen Ehefrau jeweils gesondert zu ermitteln wäre mit der Folge, dass das Einkommen der Ehefrau wegen seiner unter dem notwendigen Selbstbehalt liegenden Höhe bei der Unterhaltsberechnung nicht berücksichtigt werden dürfte. Voraussetzung für die gesonderte Ermittlung des Nettoeinkommens jedes Elternteils ist bei minderjährigen Kindern nach Nummer 12.3 Satz 3 SüdL die auswärtige Unterbringung, bei deren Vorliegen beide Elternteile anteilig zum Barunterhalt verpflichtet sind. In dem hier vorliegenden Fall eines Kostenbeitrags nach § 94 Abs. 2 SGB VIII sind die Eltern jedoch nicht zu den tatsächlichen Kosten der auswärtigen Unterbringung ihres Kindes heranzuziehen, sondern in Höhe der durch die auswärtige Unterbringung ersparten Aufwendungen. Es kommt also darauf an, welche finanziellen Mittel die Eltern aufgrund der auswärtigen Unterbringung des Kindes für seinen Lebensbedarf nicht mehr aufwenden müssen, d.h. welche Kosten für den Lebensbedarf des Kindes angefallen wären, wenn es weiter mit den Eltern zusammengelebt hätte. Deshalb kann der Einkommensermittlung im vorliegenden Fall nicht eine beiderseitige Barunterhaltsverpflichtung wegen auswärtiger Unterbringung des Kindes zugrunde gelegt werden, sondern das Zusammentreffen von Barunterhaltsverpflichtung des berufstätigen Vaters und Verpflichtung zum Betreuungsunterhalt der nicht erwerbstätigen Mutter gegenüber dem mit den Eltern zusammenlebenden Kind. Für eine gesonderte Einkommensermittlung bei jedem Elternteil ist somit kein Raum.

Für die vom Kläger geforderte Mangelfallberechnung nach Nummer 23 SüdL besteht aufgrund der Höhe seines Einkommens ebenfalls kein Anlass.

Die von der Beklagten durchgeführte Einkommensermittlung (in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von Schwaben vom 2. Juni 2005) ist jedoch deshalb fehlerhaft, weil sie die monatliche Tilgungsrate in Höhe von damals 407 Euro für den vom Kläger am 28. April 1998 bei der Stadtsparkasse A. aufgenommenen Kredit nicht als einkommensmindernd berücksichtigt hat. Für die Beantwortung der Frage, ob eine Verbindlichkeit des Kostenbeitragsschuldners von seinem Bruttoeinkommen abgezogen werden kann, können die von der Rechtsprechung der Zivilgerichte im Unterhaltsrecht zur Berücksichtigungsfähigkeit von Schulden entwickelten Grundsätze herangezogen werden (vgl. Beschluss des Senats vom 3.8.2006, a.a.O. m.w.N.). Danach hat eine umfassende Interessenabwägung stattzufinden, bei der insbesondere auf den Zweck der Verbindlichkeit, den Zeitpunkt und die Art ihrer Entstehung, die Kenntnisse des Unterhaltspflichtigen von Grund und Höhe der Unterhaltsschuld, seine Möglichkeit, seine Leistungsfähigkeit in zumutbarer Weise ganz oder teilweise wiederherzustellen sowie auf schutzwürdige Belange des Drittgläubigers abzustellen ist (vgl. Münchner Kommentar zum BGB, 4. Aufl., § 1603 RdNr. 68 m.w.N.). Es gibt entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts keinen generellen Vorrang von Unterhaltsschulden gegenüber anderen Verbindlichkeiten, auch nicht im Falle gesteigerter Unterhaltspflicht nach § 1603 Abs. 2 BGB (Münchner Kommentar zum BGB, a.a.O.). Auf Schulden, die leichtfertig oder ohne verständigen Grund eingegangen worden sind, kann sich der Unterhaltsschuldner von vornherein nicht berufen (Palandt/Diederichsen, BGB, 66. Aufl. 2007, § 1603 RdNr. 26 m.w.N.).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze waren die Tilgungsraten für den streitgegenständlichen Kredit vom Einkommen des Klägers abzuziehen. Der Kläger hat bei seiner eingehenden Befragung in der mündlichen Verhandlung des Senats erklärt, dass der im April 1998 aufgenommene Kredit über 40.000 DM mehreren Zwecken gedient habe. Zum einen habe er damit sein in Höhe von 5.000 DM überzogenes Girokonto ausgleichen wollen, um die erheblichen Überziehungszinsen zu vermeiden. Die Überziehung sei dadurch entstanden, dass er die Restrate in Höhe von 5.000 DM für den von ihm 1995 auf Kredit gekauften gebrauchten Pkw Marke Mercedes 190 aus seinem Girokonto habe bezahlen müssen. Daneben habe der Kredit der Finanzierung der Verlobungsgeschenke für die spätere Ehefrau seines Sohnes Ö. gedient, die dieser während eines Türkeiaufenthalts der Familie im Sommer 1997 kennengelernt habe. Die Familie der Verlobten habe deren weiteren Kontakt mit seinem Sohn davon abhängig gemacht, dass die Verlobung vorbereitet werde und der Kläger die geforderten Verlobungsgeschenke besorge. Ca. 10.000 DM der Kreditsumme seien für mehrere Reisen seiner Familie in die Türkei zum Zweck des Besuchs der Familie der künftigen Verlobten verwendet worden.

Außerdem habe er einen Teil des Darlehens zur Bezahlung von Anwaltskosten aufgewendet, die wegen aufenthaltsrechtlicher Probleme angefallen seien.

Der Senat hält diese Angaben des Klägers, die er bei seiner intensiven Befragung in der mündlichen Verhandlung gemacht hat, für glaubhaft. Dies gilt auch für die Versicherung des Klägers, dass der von ihm auf dem Kreditantragsformular vom 14. April 1998 angegebene Verwendungszweck "Finanzielle Hilfe für Bruder bei Geschäftseröffnung" nur deshalb genannt worden sei, weil nach Auskunft des türkischsprachigen Bankberaters ihm für die tatsächlichen Verwendungszwecke allenfalls ein Kredit in Höhe von 20.000 DM, nicht aber in Höhe von 40.000 DM gewährt worden wäre. Die Kreditaufnahme für die angegebenen Verwendungszwecke kann weder als leichtfertig noch als ohne verständigen Grund erfolgt angesehen werden. Dies gilt sowohl für die Ablösung der Überziehung des Girokontos als auch für die Finanzierung der Verlobungsgeschenke, die bereits vor der am 10. August 1999 erfolgten Verlobung gekauft werden mussten. Weiterhin gilt dies auch für die Reisekosten zum Zweck des Besuchs der Familie der Verlobten in der Türkei und die Bezahlung der durch aufenthaltsrechtliche Probleme bedingten Anwaltskosten. Der Umstand, dass der Sohn des Klägers erst am 13. August 2001 geheiratet hat, steht wegen der bereits 1998 und 1999 zu erfüllenden anderen Verwendungszwecke der Annahme nicht entgegen, dass die Kreditaufnahme aus verständigen Gründen erfolgt ist und die Tilgungsraten deshalb als einkommensmindernd zu berücksichtigen sind. In diesem Zusammenhang ist auch von Bedeutung, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Kreditaufnahme keine Kenntnisse von der späteren Kostenbelastung durch die auswärtige Unterbringung seines Sohnes A. gehabt hat.

Nach alledem ist die Berufung des Klägers mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1, § 188 Satz 2 Halbsatz 1 VwGO stattzugeben.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 ff. ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

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