Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 26.05.2003
Aktenzeichen: 12 B 99.2576
Rechtsgebiete: BSHG, SGB X, SGB I


Vorschriften:

BSHG § 92 a Abs. 4
SGB X § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3
SGB I § 60 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

12 B 99.2576

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Sozialhilfe;

hier: Berufung des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 6. Juli 1999,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 12. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Werner, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Boese, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Bergmüller

ohne mündliche Verhandlung am 26. Mai 2003 folgenden Beschluss:

Tenor:

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Verpflichtung zum Ersatz der Kosten von den Geschwistern V. und K. Z. (Hilfeempfänger) gewährten Leistungen der Sozialhilfe.

1. Der Kläger ist Betreuer der Hilfeempfänger, die seit August 1981 vom Beklagten laufende Hilfe zum Lebensunterhalt ergänzend zu ihren geringen Einkünften aus ihrer Landwirtschaft bezogen. Der Beklagte übernahm im Rahmen der Hilfegewährung auch freiwillige Krankenversicherungsbeiträge bei der Landwirtschaftlichen Krankenkasse Schwaben.

2. Der Bezirk Schwaben übermittelte am 8. Oktober 1997 dem Beklagten von der Landwirtschaftlichen Krankenkasse ausgestellte Mitgliedschaftsbescheinigungen für die beiden Hilfeempfänger; danach waren diese jeweils zu Beginn ihres 66. Lebensjahres (17.6.1994 bzw. 25.1.1996) nicht mehr beitragspflichtig, sondern beitragsfrei versichert. Der Beklagte gab dem Kläger mit Schreiben vom 23. Oktober 1997 Gelegenheit, sich zu der beabsichtigten Rückforderung der nach Vollendung des 65. Lebensjahres weiterhin übernommenen Versicherungsbeiträge zu äußern. Die weitere Übernahme der Beiträge sei wegen der Beitragsfreiheit der Hilfeempfänger nicht notwendig gewesen. Der Kläger hätte den Wegfall der Beitragspflicht als Betreuer der Hilfeempfänger rechtzeitig mitteilen müssen. Die Krankenversicherung habe den Kläger bereits erstmals mit Schreiben vom 1. Juli 1994 über die Beitragsfreistellung der Hilfeempfänger unterrichtet. Der Kläger wandte sich mit Schreiben vom 31. Oktober 1997 gegen seine beabsichtigte Heranziehung zu den Kosten. Der Beklagte hob mit Nummer 1 seines Bescheides vom 17. Dezember 1997 seine Leistungsbescheide hinsichtlich der für die Hilfeempfängerin V.Z. für die Zeit vom 17. Juni 1994 bis 30. September 1997 in Höhe von 4.733,20 DM und der für den Hilfeempfänger K.Z. für die Zeit vom 25. Januar 1996 bis 30. September 1997 in Höhe von 2.481,10 DM übernommenen Krankenkassenbeiträge auf. Außerdem verpflichtete er den Kläger in Nummer 2 des genannten Bescheides, die geleistete Hilfe in Höhe von 7.213,30 DM zurückzuerstatten, weil der Kläger die zu Unrecht erbrachten Leistungen durch sein zumindest grob fahrlässiges Verhalten herbeigeführt habe. Die Regierung von Schwaben wies mit Widerspruchsbescheid vom 9. Dezember 1998 den vom Kläger erhobenen Widerspruch zurück.

3. Der Kläger erhob Klage zum Verwaltungsgericht mit dem Antrag,

seine Heranziehung zum Ersatz der Kosten in Nummer 2 des Bescheides des Beklagten vom 17. Dezember 1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Dezember 1998 aufzuheben.

Er sei nicht Schuldner des Rückforderungsanspruchs. Jedenfalls habe er die weitere Übernahme der Krankenkassenbeiträge nach Vollendung des 65. Lebensjahres der Hilfeempfänger nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt. Sogar dem Vormundschaftsgericht seien bei dem Vorliegen der jährlichen Abrechnungen Überzahlungen nicht aufgefallen. Im Übrigen seien mit den Überzahlungen Bedarfe der Hilfeempfänger (z.B. Bekleidung) gedeckt worden, die ohne die Überzahlungen mit Leistungen der Sozialhilfe hätten gedeckt werden müssen. Es sei nicht zulässig, von ihm die Überzahlungen zurückzufordern, weil die Hilfeempfänger ihr Anwesen zur Rückzahlung verwerten könnten.

Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 6. Juli 1999 ab. Der Kläger sei nach § 92 a Abs. 4 BSHG zum Ersatz der den Hilfeempfängern zu Unrecht erbrachten Leistungen verpflichtet. Die von ihm betreuten Hilfeempfänger hätten mit Vollendung ihres 65. Lebensjahres einen um die Krankenkassenbeiträge geringeren Bedarf gehabt. Die mit Vollendung des 65. Lebensjahres der Hilfeempfänger trotz der Beitragsfreiheit zu Unrecht weiterhin übernommenen Krankenkassenbeiträge fänden auch in den Leistungsbescheiden keine Rechtsgrundlage, weil diese insoweit unanfechtbar aufgehoben worden seien. Dem Kläger sei ein grob fahrlässiges und im Sinne der Rechtsprechung "sozialwidriges" Verhalten vorzuwerfen. Der Kläger könne auch in voller Höhe in Anspruch genommen werden, weil er neben den Hilfeempfängern als Gesamtschuldner hafte. Der Kostenersatzanspruch sei nicht erloschen; die Frist des § 92 a Abs. 3 BSHG sei bei Erlass des angefochtenen Bescheides noch nicht verstrichen gewesen.

4. Der Kläger beantragt mit seiner vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Berufung, das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 6. Juli 1999 und den Heranziehungsbescheid des Beklagten vom 16. Dezember 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Regierung von Schwaben vom 9. Dezember 1998 aufzuheben.

Er trägt vor, als Sachwalter und Betreuer der Hilfeempfänger könne ihm kein vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten vorgeworfen werden, zumal ihm nur ein Unterlassen vorgehalten werde. Die Vorwerfbarkeit eines Unterlassens setze jedoch das Bestehen einer Handlungspflicht voraus, die dem Betreffenden bewusst sei oder aber durch vorwerfbare Gleichgültigkeit unbewusst geblieben sei. Hiervon könne keine Rede sein. Die Betreuung der Hilfeempfänger sei mit einem erheblichen Arbeits- und Zeitaufwand verbunden, wohingegen er jede einzelne Tätigkeit für eine Vergütung als Betreuer nachweisen müsse. Es könne ihm kein zielgerichtetes Tun zum Erhalt von Sozialhilfeleistungen vorgeworfen werden. Er habe auch keinen wirtschaftlichen Vorteil gehabt. Er habe - wohl unbewusst - darauf vertraut, dass sich die Krankenkasse unmittelbar mit dem Sozialamt in Verbindung setzen werde.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

5. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Unterlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

1. Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet, weil die angefochtene Nummer 2 des Bescheides des Beklagten vom 17. Dezember 1997 rechtmäßig ist und der Kläger daher durch die Heranziehung zum Ersatz der den Hilfeempfängern zu Unrecht erbrachten Leistungen nicht in seinen Rechten verletzt wird. Über die Berufung kann nach § 130 a Satz 1 VwGO durch Beschluss entschieden werden, weil der Senat sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten wurden dazu vorher gehört (§ 130 a Satz 2, § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO).

a) Zur Begründung seiner Entscheidung nimmt der Verwaltungsgerichtshof vorbehaltlich der folgenden Ergänzungen (unter Buchstabe b) auf die Gründe des angefochtenen Verwaltungsgerichtsurteils gemäß § 130 b Satz 2 VwGO Bezug.

b) Zunächst ist festzuhalten, dass § 92 a Abs. 4 BSHG, der § 92 a BSHG durch Art. 1 Nr. 7 b des Zweiten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms (2. SKWPG) vom 21. Dezember 1993 (BGBl I S. 2374) angefügt wurde und am 1. Januar 1994 in Kraft trat (Art. 12 Abs. 1 2. SKWPG), ein eigenständiger und zusätzlicher Ersatzanspruch für zu Unrecht erbrachte Leistungen ist, der selbstständig neben dem Erstattungsanspruch nach § 50 SGB X gilt und sich insbesondere gegen Personen richtet, die die zu Unrecht gewährten Sozialhilfeleistungen nicht empfangen haben (vgl. dazu auch BVerwG vom 20.11.1997 BVerwGE 105, 374 = DVBl 1998, 475 = FEVS 48, 423; Linhart, BayVBl 1996, 486; W. Schellhorn/H. Schellhorn, BSHG, 16. Aufl. 2002, RdNr. 46 zu § 92 a). Nach § 92 a Abs. 4 Satz 1 BSHG muss "die Leistung durch vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten" der in Anspruch genommenen Person herbeigeführt worden sein. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht ausgeführt, dass auch der Ersatzanspruch nach § 92 a Abs. 4 BSHG ein "sozialwidriges" Verhalten des Verursachers voraussetzt. Dieser Anspruch ist wie der Ersatzanspruch nach § 92 a Abs. 1 BSHG ein quasi-deliktischer Anspruch, weil er von einem schuldhaften Verhalten des Ersatzpflichtigen abhängt (vgl. zu diesem Erfordernis in den Fällen des § 92 a Abs. 1 BSHG: BVerwG vom 30.8.1967 BVerwGE 27, 319, vom 24.6.1976 BVerwGE 51, 61 und vom 23.9.1999 BVerwGE 109, 331). Beide Regelungen verlangen ein vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten des Ersatzpflichtigen. Im Übrigen sieht § 92 a Abs. 4 Satz 1 BSHG ausdrücklich die entsprechende Anwendung von § 92 a Abs. 1 bis 3 BSHG vor. Sozialwidrig ist ein Verhalten, wenn es aus der Sicht der Gemeinschaft, die - was die Sicherstellung von Mitteln für eine Hilfeleistung in Notlagen angeht - eine Solidargemeinschaft ist, zu missbilligen ist (vgl. BVerwG vom 23.9.1999, a.a.O.).

Ein Verstoß gegen die Mitwirkungspflichten nach §§ 60 bis 67 SGB I ist in aller Regel und so auch hier ein sozialwidriges Verhalten. Auch wenn der Sozialleistungsträger keinen durchsetzbaren Anspruch auf Mitwirkung nach den §§ 60 ff. SGB I hat, so ist doch zu berücksichtigen, dass die Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 ff. SGB I die Einbindung des Leistungsempfängers in die Solidargemeinschaft betonen und deutlich machen, dass er, soweit möglich und zumutbar, dazu beiträgt, dass die Funktionsfähigkeit des Sozialleistungssystems erhalten bleibt (so z.B. Kretschmer in Kretschmer/von Maydell/Schellhorn, GK-SGB I, 3. Aufl. 1996, RdNr. 2 vor §§ 60 - 67). Das Gesetz selbst missbilligt Verstöße gegen Mitwirkungspflichten insofern, als der Leistungsträger, wenn dadurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert wird, nach § 66 SGB I die Leistung versagen oder kürzen kann. Eine fehlende Mitwirkung des Leistungsempfängers ist ein selbstständiger Versagungsgrund, so dass grundsätzlich die Sozialleistung nicht ohne vorherige Aufhebung des Bescheides, der die Leistung wegen fehlender Mitwirkung versagt, bei Gericht eingeklagt werden kann (BVerwG vom 17.1.1985 BVerwGE 71, 8). Die Versagung (oder Kürzung) der Leistung ist eine Sanktion auf den Verstoß gegen die Mitwirkungspflichten. Das zeigt, dass ein solches Verhalten von der Gemeinschaft missbilligt wird, dass es also sozialwidrig ist (im Ergebnis ebenso OVG Hamburg vom 11.7.1996 NDV-RD 1997, 34 = FEVS 47, 162). Auch die bloße Nichtangabe von Tatsachen im Sinne von § 60 Abs. 1 Nr. 1 SGB I oder die Nichtangabe von Änderungen entgegen § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I, also ein Unterlassen anstelle eines Handelns, ist ein von der Gemeinschaft missbilligtes und somit sozialwidriges Verhalten. Das Gesetz verbietet insoweit nicht nur, falsche Angaben zu machen, sondern es gebietet ein Mitwirken, also ein Handeln, bzw. positives Tun.

Der Kläger kann sich in diesem Zusammenhang auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass nicht er, sondern die von ihm betreuten Hilfeempfänger die Sozialleistungen empfangen haben. Als Betreuer vertritt er in seinem Aufgabenkreis - hier Regelung des Aufenthalts, der Heilbehandlung und der Vermögensverwaltung - die von ihm betreuten Hilfeempfänger gerichtlich und außergerichtlich (§ 1902 BGB). Die Mitwirkungspflichten nach §§ 60 ff. SGB I, insbesondere auch die Pflichten zum Handeln nach § 60 Abs. 1 SGB I, die nicht höchstpersönlicher Natur sind, treffen den Kläger als Betreuer ebenso wie sie einen nicht vertretenen Sozialleistungsträger treffen würden (vgl. Freischmidt in Hauck/Noftz, SGB I, Stand: Mai 2002, RdNr. 7 zu § 60). Der Kläger handelte und handelt für die Hilfeempfänger. Er hat im Übrigen auch wiederholt beim Sozialamt des Beklagten Sozialansprüche verschiedenster Art für die Hilfeempfänger geltend gemacht (z.B. bezüglich der Unterbringung der Hilfeempfänger).

Der Kläger führte die zu Unrecht erbrachten Leistungen durch sein grob fahrlässiges Verhalten herbei oder mit anderen Worten, er verletzte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maß (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Dem Kläger sind die Bescheide des Beklagten über die Gewährung von Sozialhilfeleistungen für die Hilfeempfänger zugestellt worden. Dabei wurde er laufend auf die Mitwirkungspflichten hingewiesen und insbesondere auch darauf, dass Veränderungen in der wirtschaftlichen Situation der Hilfeempfänger unverzüglich mitzuteilen sind. Auch die Landwirtschaftliche Krankenkasse wandte sich in den Angelegenheiten der Hilfeempfänger an den Kläger und nicht an die Hilfeempfänger; insbesondere erhielt der Kläger die Mitteilungen, dass die Hilfeempfänger nach ihrer jeweiligen Vollendung des 65. Lebensjahrs nunmehr beitragsfrei weiterhin krankenversichert seien (Schreiben vom 12. Juli 1994 bezüglich der Hilfeempfängerin V. Z. und vom 23. Februar 1996 bezüglich des Hilfeempfängers K. Z.). Der Kläger konnte nicht darauf vertrauen, diese Veränderung in der wirtschaftlichen Situation der Hilfeempfänger werde die Krankenkasse an seiner Stelle dem Sozialamt des Beklagten mitteilen. Insoweit hätte er sich zumindest vergewissern müssen, ob das der Fall ist, zumal der Beklagte die übernommenen Krankenkassenbeiträge nicht unmittelbar an die Kasse, sondern auf vom Kläger verwaltete Konten der Hilfeempfänger überwies. Schließlich führte der Beklagte die Krankenkassenbeiträge auch in den den Leistungsbescheiden jeweils beigefügten Berechnungen der Hilfe zum Lebensunterhalt ausdrücklich und gesondert auf.

2. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 154 Abs. 2, § 188 Satz 2 VwGO.

3. Der Verwaltungsgerichtshof hat von einer Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt abgesehen, weil er davon ausgeht, dass der Beklagte seine ihm ohnehin nicht in nennenswerter Höhe entstandenen außergerichtlichen Kosten nicht vor der Rechtskraft dieser Entscheidung zu vollstrecken beabsichtigt.

4. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

Zurück