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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 27.04.2006
Aktenzeichen: 12 BV 04.3020
Rechtsgebiete: AsylbLG, BSHG


Vorschriften:

AsylbLG § 4
BSHG § 121
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

12 BV 04.3020

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Sozialhilfe;

hier: Berufung des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 21. April 2004,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 12. Senat,

durch den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dhom als Vorsitzenden, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Grau, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Traxler

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 26. April 2006

am 27. April 2006

folgendes Urteil:

Tenor:

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger, der Träger eines Bezirkskrankenhauses, verlangt vom Beklagten die Erstattung der Kosten für die stationäre Behandlung eines Asylbewerbers.

Der Asylbewerber H.D., der sich vor seiner Inhaftierung im Zuständigkeitsbereich des Beklagten aufgehalten hatte und gegen den das Amtsgericht auf Antrag des Beklagten am 30. September 1999 die Abschiebehaft bis längstens 18. November 1999 angeordnet hatte, sollte im November 1999 nach Vietnam abgeschoben werden. Wegen psychischer Probleme wurde der Asylbewerber am 12. November 1999 von der Justizvollzugsanstalt in die psychiatrische Klinik des Klägers verlegt, wo er bis zum 24. Februar 2000 stationär behandelt wurde. Da dem Kläger nicht bekannt war, dass die Abschiebehaft am 18. November 1999 endete, nahm er zunächst die Justizvollzugsanstalt auf Erstattung der Behandlungskosten in Anspruch. Nach Zusendung einer ersten Rechnung teilte die Justizvollzugsanstalt mit Schreiben vom 10. Januar 2000 mit, dass die Kosten der stationären Behandlung bis zum 18. November 1999 übernommen würden, weil der Asylbewerber an diesem Tag abgeschoben worden sei. Da der Patient sich zu diesem Zeitpunkt noch im Krankenhaus befand, ging der Kläger davon aus, dass der Asylbewerber nach wie vor als inhaftiert gelte. Nach seiner Abschiebung am 24. Februar 2000 sandte der Kläger der Justizvollzugsanstalt eine weitere Rechnung, worauf diese am 14. März 2000 mitteilte, dass die Haft am 18. November 1999 geendet habe. Nachdem der Vorgang beim Kläger einige Zeit unbearbeitet geblieben war, übersandte die Justizvollzugsanstalt im Sommer 2002 auf Anfrage des Klägers den Haftbeschluss des Amtsgerichts. Daraufhin forderte der Kläger den Beklagten mit Rechnungen vom 17. und 23. Dezember 2002 auf, die Behandlungskosten ab 19. November 1999 zu übernehmen, da der Beklagte nach dem Haftende für die medizinische Versorgung des Asylbewerbers zuständig gewesen sei. Der Beklagte lehnte die Übernahme der Kosten ab, weil die Voraussetzungen des § 121 BSHG nicht vorlägen.

Die daraufhin am 2. September 2003 erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 21. April 2004 abgewiesen. Ein Anspruch aus dem entsprechend anwendbaren § 121 BSHG scheide aus, weil der Kläger den Erstattungsanspruch nicht innerhalb angemessener Frist geltend gemacht habe.

Seine vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung begründet der Kläger u.a. damit, dass § 9 AsylbLG gerade nicht auf § 121 BSHG verweise. Für eine analoge Anwendung dieser Bestimmung sei kein Raum. Es fehle bereits an einer Regelungslücke, weil der Kläger die Übernahme der Behandlungskosten nach den Regeln der öffentlich-rechtlichen Geschäftsführung ohne Auftrag oder entsprechend dem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch verlangen könne. Die Ausländerbehörde des Beklagten habe von der Behandlungsbedürftigkeit des Asylbewerbers rechtzeitig Kenntnis gehabt.

Er beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 21. April 2004 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 23.742,03 € nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 24. Februar 2000 zu bezahlen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger könne die Zahlung der Behandlungskosten nicht verlangen, weil die Voraussetzungen des § 121 BSHG nicht vorlägen. Die Anwendung allgemeiner Erstattungsvorschriften sei durch die Sonderregelung des § 121 BSHG gesperrt.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg, weil der Kläger keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Übernahme der noch offenen Kosten in Höhe von 23.742,03 € für die stationäre Krankenhausbehandlung des Asylbewerbers H.D. vom 19. November 1999 bis zum 23. Februar 2000 hat. Die Voraussetzungen des hier allein in Betracht kommenden § 121 BSHG liegen nicht vor.

1.1 § 121 BSHG, der dem Nothelfer einen Erstattungsanspruch für geleistete Hilfe gewährt, findet im Rahmen des Asylbewerberleistungsgesetzes entsprechende Anwendung. Eine direkte Anwendung scheidet aus, weil § 121 BSHG voraussetzt, dass Hilfe "nach diesem Gesetz", d.h. nach dem Bundessozialhilfegesetz gewährt worden ist. Im vorliegenden Fall hätte dem Asylbewerber die ärztliche Behandlung aber nicht nach dem Bundessozialhilfegesetz, sondern nach § 4 AsylbLG gewährt werden müssen. Nach § 9 Abs. 1 AsylbLG erhalten Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz - abgesehen von der Ausnahmevorschrift des § 2 Abs. 1 AsylbLG (i.d.F. des Ersten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes vom 26.5.1997, BGBl I S. 1130), die frühestens ab dem 1. Juni 2000 und damit auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar war - keine Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz. Abgesehen von der zuletzt genannten Vorschrift hat der Gesetzgeber die (entsprechende) Anwendung des § 121 BSHG im Asylbewerberleistungsgesetz nicht geregelt. § 9 Abs. 3 AsylbLG, der die §§ 102 bis 114 SGB X für entsprechend anwendbar erklärt, kann nichts für die (entsprechende) Anwendung des § 121 BSHG entnommen werden, weil dort nur Erstattungsansprüche zwischen behördlichen Leistungsträgern, nicht aber Erstattungsansprüche geregelt sind, die einem Dritten als Nothelfer zustehen. Für die Annahme, dass im Asylbewerberleistungsgesetz Ansprüche des Nothelfers ausgeschlossen sein sollten, finden sich im Gesetz keine Anhaltspunkte. Das Asylbewerberleistungsgesetz verfolgt allein den Zweck, durch Leistungseinschränkungen gegenüber dem Sozialhilferecht (vgl. § 9 Abs. 1 AsylbLG) den Anreiz für Ausländer zu verringern, aus wirtschaftlichen Gründen als Asylbewerber nach Deutschland zu kommen. Daher liegt eine offene, dem Plan des Gesetzes widersprechende Regelungslücke vor, die durch eine analoge Anwendung des § 121 BSHG zu schließen ist (vgl. NdsOVG vom 11.6.2003 NDV-RD 2004, 15, OVG NRW vom 5.12.2000 FEVS 53, 353). Denn der Normzweck des § 121 BSHG entspricht in vollem Umfang der Interessenlage im Asylbewerberleistungsgesetz. Die Stärkung der Hilfsbereitschaft, indem Dritten ein Erstattungsanspruch gegen einen leistungsfähigen Sozialleistungsträger eingeräumt wird, ist in gleicher Weise veranlasst, wenn ein Asylbewerber in einer Notlage Hilfe braucht. Das gilt umso mehr, als zwischen einer Hilfeleistung zugunsten eines Leistungsberechtigten nach § 2 Abs. 1 AsylbLG, bei der die Erstattungsregelung des § 121 BSHG ohne weiteres Anwendung findet, und der Hilfeleistung zugunsten der sonstigen Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz kein Unterschied erkennbar ist. Entgegen der Auffassung des Klägers lässt der im öffentlichen Recht anerkannte Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag die im Asylbewerberleistungsgesetz vorliegende Regelungslücke nicht entfallen. Die Anwendung der Geschäftsführung ohne Auftrag im öffentlichen Recht beruht auf der entsprechenden Anwendung der §§ 677 ff. BGB (vgl. BVerwGE 80, 170). Dabei handelt es sich nicht nur um eine Analogie im Hinblick auf die anzuwendenden Rechtsfolgen, vielmehr wird das gesamte Institut in das öffentliche Recht überführt. Ist somit aber sowohl bei der Anwendung der Geschäftführung ohne Auftrag als auch bei der Anwendung des § 121 BSHG eine Analogie erforderlich, so ist es sachgerecht, den im Bundessozialhilfegesetz geregelten Erstattungsanspruch für Hilfeleistungen Dritter heranzuziehen. Die spezialgesetzlich ausgeformte Regelung schließt daher die Anwendung von Regelungen über die Geschäftsführung ohne Auftrag ebenso aus wie die Anwendung des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs. Das gilt auch dann, wenn - wie vorliegend - die Voraussetzungen der fachgesetzlich normierten Anspruchsgrundlage nicht vorliegen (vgl. VGH BW vom 16.8.2002 NJW 2003, 1066).

1.2 Nach § 121 Satz 1 BSHG sind auf Antrag die Aufwendungen in gebotenem Umfang zu erstatten, wenn jemand in einem Eilfall einem anderen Hilfe gewährt, die der Träger der Sozialhilfe bei rechtzeitiger Kenntnis nach diesem Gesetz gewährt haben würde. Ein Eilfall im Sinn dieser Vorschrift setzt voraus, dass nach den Umständen des Einzelfalls sofort geholfen werden muss und eine rechtzeitige Einschaltung des Sozialhilfeträgers nicht möglich ist. Das Vorliegen einer Notfallsituation im medizinischen Sinn reicht danach für das Vorliegen eines Eilfalls nicht aus; vielmehr wird weiter vorausgesetzt, dass nach Lage der Dinge eine rechtzeitige Hilfe des Sozialhilfeträgers objektiv nicht zu erlangen gewesen wäre (vgl. BVerwGE 114, 298).

Eine derartige Situation lag vorliegend in der Zeit von der Aufnahme des Asylbewerbers am 12. November 1999 bis zu seiner Entlassung am 24. Februar 2000 nicht vor. Dass die Fortführung der Behandlung erst unmittelbar vor dem Ende der Haftdauer am 18. November 1999 notwendig wurde, ist von den Beteiligten nicht vorgetragen worden. Vielmehr hätte innerhalb von sechs Tagen nach Aufnahme des Asylbewerbers die auslaufende Zuständigkeit der Justizvollzugsanstalt und die auf den Beklagten übergehende Zuständigkeit zur Sicherung der medizinischen Versorgung geklärt werden können. Da die rechtzeitige Einschaltung des für den Vollzug des Asylbewerberleistungsgesetzes zuständigen Beklagten nicht wegen der Unvorhersehbarkeit und Eilbedürftigkeit der Hilfe unterblieb, sondern infolge einer Fehleinschätzung des Klägers über die fortdauernde Zuständigkeit der Justizvollzugsanstalt, liegt kein Eilfall vor. § 121 BSHG nimmt dem Nothelfer das Irrtums- und Fehleinschätzungsrisiko nicht ab. Vielmehr gehört die Überprüfung der für die Kostensicherheit wesentlichen Umstände auch bei der Aufnahme von Notfallpatienten zu den Obliegenheiten eines ordnungsgemäßen Krankenhausbetriebs.

Die Annahme des Klägers, dass die Justizvollzugsanstalt der Ausländerbehörde des Beklagten die Verlegung des Asylbewerbers unverzüglich mitgeteilt hat und dass diese Kenntnis der für den Vollzug des Asylbewerberleistungsgesetzes zuständigen Stelle des Beklagten zuzurechnen gewesen wäre, vermag einen Zahlungsanspruch ebenfalls nicht zu begründen. Bei Kenntnis des Beklagten vom Hilfebedarf vor dem Ende der Haftdauer wäre der Beklagte in der Lage gewesen, den Hilfefall selbst zu übernehmen, was einen Eilfall im Sinn des § 121 BSHG gerade ausschließt. Zahlungsansprüche des Klägers würden in diesem Fall vertragliche Regelungen oder eine Kostenübernahmeerklärung des Sozialleistungsträgers voraussetzen (vgl. BVerwG vom 2.2.1998 NJW 1998, 1806), die der Beklagte jedoch nicht abgegeben hat.

Im Übrigen hat der Kläger den Erstattungsantrag auch nicht innerhalb angemessener Frist im Sinn von § 121 Satz 2 BSHG gestellt. Spätestens nach der Mitteilung der Justizverwaltung im März 2000, dass die Haft am 18. November 1999 geendet habe, hätte der Kläger die Ermittlung des zuständigen Leistungsträgers aufnehmen müssen. Der Kläger hat dagegen nach Übermittlung des Haftbeschlusses des Amtsgerichts im Sommer 2002 weitere sechs Monate verstreichen lassen, bis er sich an den Beklagten gewandt hat.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 188 Satz 2 Halbsatz 1 VwGO.

3. Der Verwaltungsgerichtshof hat auf eine Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit verzichtet, weil er davon ausgeht, dass der Beklagte nicht beabsichtigt, seine außergerichtlichen Kosten vor Eintritt der Rechtskraft zu vollstrecken.

4. Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

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