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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 27.09.2006
Aktenzeichen: 12 BV 05.144
Rechtsgebiete: BSHG


Vorschriften:

BSHG § 43 Abs. 2
BSHG § 92 c
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

12 BV 05.144

Verkündet am 27. September 2006

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Sozialhilfe;

hier: Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 18. November 2004,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 12. Senat,

durch den Richter am Verwaltungsgerichtshof Traxler als Vorsitzenden, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dhom, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Grau

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 27. September 2006

folgendes Urteil:

Tenor:

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 18. November 2004 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen den Leistungsbescheid vom 3. März 2003, mit dem der Beklagte von ihr als Erbin ihrer Schwester Kostenersatz für der Schwester gewährte Sozialhilfeleistungen in Höhe von 9.838,67 € verlangt.

Die Hilfeempfängerin, die 1985 einen schweren Autounfall erlitten und mit der Versicherung des Unfallgegners für den durch den Unfall bedingten Mehrbedarf an Pflege-, Heilbehandlungs- und Medikamentenkosten eine Haftungsquote von 60 % vereinbart hatte, wurde im Juni 2000 in eine Wohnpflegeheim aufgenommen, wo sie tagsüber eine Förderstätte besuchte. Die Kosten der Maßnahmen trug die Hilfeempfängerin zunächst selbst. Nachdem der Beklagte die Klägerin als Betreuerin ihrer Schwester darauf hingewiesen hatte, dass aufgrund des zum 1. Juli 2001 in Kraft getretenen Sozialgesetzbuchs IX die Sozialhilfe unabhängig vom Einkommen und Vermögen die Kosten für den Besuch der Förderstätte bis auf die Kosten des Mittagessens übernehme, gewährte der Beklagte nach entsprechendem Antrag der Hilfeempfängerin ab 1. Juli 2001 Eingliederungshilfe nach § 40 BSHG in Höhe der für den Sozialhilfeträger maßgebenden Sätze der Förderstätte. Die am 29. Dezember 2001 verstorbene Hilfeempfängerin wurde nach dem vom Amtsgericht erteilten Erbschein zu zwei Drittel von der Klägerin beerbt, wobei der Wert des Nachlasses entsprechend der Bewertung des zuständigen Finanzamts rund 540.000 € betrug.

Ihre am 4. April 2003 erhobene Klage hat die Klägerin im Wesentlichen damit begründet, dass die Schadenersatzansprüche der Hilfeempfängerin aus dem Unfall nach § 116 SGB X auf den Beklagten übergegangen seien. Zumindest in Höhe der Haftungsquote stelle die Inanspruchnahme der Erbin eine besondere Härte nach § 92 c Abs. 3 Nr. 3 BSHG dar. Der Beklagte wies darauf hin, dass die Versicherung des Unfallschädigers die Erstattung der Kosten abgelehnt habe, weil der Unfall für die Aufnahme in das Pflegeheim nicht ursächlich gewesen sei. Sollte die Versicherung in dem von den Erben angestrengten Rechtsstreit zur Zahlung verpflichtet werden, würde der dem Beklagten zufließende Betrag mit der Kostenerstattung der Klägerin verrechnet und der überzahlte Betrag an sie zurückerstattet werden.

Mit Urteil vom 18. November 2004 hat das Verwaltungsgericht den Leistungsbescheid aufgehoben. § 92 c BSHG, der lediglich in den Fällen des § 88 Abs. 2 und Abs. 3 BSHG sachlich ungerechtfertigte Vorteile für die Erben vermeiden wolle, sei auf den vorliegenden Fall nicht anzuwenden. § 43 Abs. 2 BSHG verpflichte den Sozialhilfeträger, die dort genannten Leistungen ohne Rücksicht auf vorhandenes Einkommen und Vermögen zu erbringen. Da § 43 Abs. 2 Satz 6 BSHG lediglich auf den Kostenersatz nach § 92 a BSHG verweise, scheide eine Anwendung von § 92 c BSHG aus.

Der Beklagte begründet die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung im Wesentlichen damit, dass § 92 c BSHG auf alle Fälle anwendbar sei, in denen das Sozialhilferecht im Interesse des Hilfeempfängers und der in § 28 Abs. 1 BSHG genannten Personen die Gewährung von Leistungen ohne Rücksicht auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse zulasse. Auch in den Fällen des § 43 Abs. 2 BSHG, der die Inanspruchnahme bestimmter Rehabilitationsleistungen nicht von finanziellen Erwägungen des Hilfeempfängers und ihm nahe stehender Personen abhängig machen wolle, bestehe kein Anlass, den dort gewährten Schutz des Vermögens auf den Erben zu erstrecken. Auch das Regelbeispiel des § 43 Abs. 2 Satz 6 BSHG, wonach eine mangelhafte Versicherung als schuldhaftes Verhalten nach § 92 a BSHG zu bewerten sei, rechtfertige nicht die Annahme, dass in den Fällen des § 43 Abs. 2 BSHG ein Kostenersatzanspruch gegen den Erben ausscheide.

Er beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 18. November 2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angegriffene Urteil mit der Begründung, dass § 43 Abs. 2 BSHG - anders als § 88 Abs. 2 und Abs. 3 BSHG - das Vermögen des Hilfeempfängers nicht aus persönlichen Gründen, sondern wegen der Art der Hilfeleistung schütze.

In der mündlichen Verhandlung hat die Bevollmächtigte der Klägerin erklärt, dass der von den Erben gegen die Versicherung des Unfallschädigers geführte Rechtsstreit durch Vergleich beendet worden sei. Die Erben hätten danach einen geringen Abfindungsbetrag erhalten, von dem nichts an den Beklagten abgeführt worden sei.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung sowie die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die zulässige Berufung des Beklagten hat Erfolg, weil der angegriffene Leistungsbescheid rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).

Nach § 92 c BSHG, der durch das Zweite Gesetz zur Änderung des BSHG vom 14. August 1969 (BGBl I S. 1153) eingefügt wurde, ist der Erbe des Hilfeempfängers - abhängig von der Höhe der Aufwendungen und dem Wert des Nachlasses - zum Ersatz der Kosten der Sozialhilfe verpflichtet, die in den letzten 10 Jahren vor dem Erbfall angefallen sind. Diese Kostenersatzpflicht des Erben ist nach dem Wortlaut und dem Normzweck des § 92 c BSHG auch auf die in § 43 Abs. 2 S. 1 BSHG genannten Leistungen der Eingliederungshilfe anzuwenden. Mit der Kostenersatzpflicht des Erben wird sichergestellt, dass in den Fällen, in denen das BSHG entgegen § 2 Abs. 1 BSHG Leistungen vorsieht, ohne auf das im Einzelfall bei Personen nach § 28 Abs. 1 BSHG vorhandene Einkommen oder Vermögen abzustellen, der Nachranggrundsatz zumindest nach dem Tod des Hilfeempfängers wiederhergestellt wird. Ohne diese Regelung würde der Erbe ungerechtfertigt zulasten der Allgemeinheit an Regelungen partizipieren, die dem Schutz des Hilfeempfängers und naher Angehöriger dienen (vgl. die Begründung zu § 92 c BSHG im Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Zweiten Gesetz zur Änderung des BSHG, BT-Drs. V/3495, S. 16). Dabei macht es unter dem Blickwinkel des Nachranggrundsatzes keinen Unterschied, ob das Gesetz - wie in § 88 Abs. 2 BSHG - bestimmte Vermögensgegenstände des Hilfeempfängers aus Gründen schützt, die in seiner Person liegen, oder ob Leistungen wegen der besonderen Art der Hilfe generell unabhängig von Einkommen und Vermögen gewährt werden.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts lässt sich auch mit der historischen Auslegung die Anwendung des § 92 c BSHG nicht auf die Fälle des § 88 BSHG beschränken. Die Begründung zu § 92 c BSHG im Gesetzentwurf zum Zweiten Änderungsgesetz (a.a.O.) spricht zwar nur von den Regelungen des § 88 Abs. 2 und 3 BSHG und erwähnt § 43 Abs. 2 BSHG nicht, der, soweit es um Eingliederungshilfen für schulpflichtige Kinder geht, ebenfalls durch das Zweite Gesetz zur Änderung des BSHG eingeführt worden ist. Aus dem Schweigen der gesetzlichen Begründung lässt sich die vom Verwaltungsgericht gezogene Schlussfolgerung jedoch deshalb nicht ziehen, weil § 43 Abs. 2 BSHG im Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht enthalten war, sondern erst durch den Vorschlag des Ausschusses für Sozialpolitik vom 20. Juni 1969 (s. BT-Drs. V/4429, Abschnitt A.3 Absatz 3) Eingang in das Gesetzgebungsverfahren gefunden hat.

Ebensowenig kann aus der Regelung in § 43 Abs. 2 S. 6 BSHG, wonach zum Ersatz der Kosten nach § 92 a BSHG insbesondere verpflichtet ist, wer sich in den Fällen des § 43 Abs. 2 S. 1 Nrn. 5 und 6 vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht ausreichend versichert hat, der Umkehrschluss gezogen werden, dass wegen der fehlenden Bezugnahme auf § 92 c BSHG der Kostenersatz des Erben bei § 43 Abs. 2 BSHG ausgeschlossen ist. Denn auf § 92 a BSHG nimmt das Gesetz nur deshalb Bezug, weil bei der medizinischen und beruflichen Rehabilitation Anlass bestand, der Missbrauchsgefahr beim Abschluss von Versicherungsverträgen durch die Einführung eines Regelbeispiels des schuldhaften Verhaltens im Sinn von § 92 a BSHG zu begegnen (vgl. die Begründung zu Nr. 9 b aa im Gesetzentwurf der Fraktionen von SPD und Grünen zum SGB IX vom 16.1.2001, BT-Drs. 14/5074, S. 124, sowie die Stellungnahme des Bundesrats vom 9.3.2001, BT-Drs. 14/5531, S. 16, die von einer Klarstellung sprechen). Bei der Anwendung des § 92 c BSHG besteht für eine derartige Klarstellung jedoch kein Bedürfnis, weil die Ersatzpflicht des Erben allein vom Wert des Nachlasses oder von Umständen des Einzelfalls abhängt, die eine besondere Härte bedeuten und sich damit einer Regelung durch den Gesetzgeber entzieht.

Da der Beklagte verpflichtet gewesen wäre, an ihn nach § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X bewirkte Zahlungen der Versicherung des Unfallgegners zur Deckung der Kosten für den Besuch der Förderstätte an die Klägerin weiterzugeben, weil durch die - vorliegend nicht erbrachten - Leistungen der Versicherung die Kosten der Sozialhilfe entsprechend gemindert worden wären, stellt die Inanspruchnahme der Klägerin auf die gesamten Kosten der Eingliederungshilfe auch keine besondere Härte im Sinn von § 92 c Abs. 3 Nr. 3 BSHG dar.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 188 S. 2 Halbsatz 1 VwGO. Der Verwaltungsgerichtshof hat auf eine Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit verzichtet, weil er davon ausgeht, dass der Beklagte nicht beabsichtigt, seine - ohnehin nur in geringer Höhe angefallenen - außergerichtlichen Kosten vor Eintritt der Rechtskraft zu vollstrecken.

3. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

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