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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 26.11.2008
Aktenzeichen: 12 BV 08.675
Rechtsgebiete: SGB VIII


Vorschriften:

SGB VIII § 89e
Auch im Wege der Kostenerstattung erbrachte Zahlungen an andere Leistungsträger (hier: § 86c SGB VIII) können Aufwendung i. S. des § 89e SGB VIII sein (Aufgabe der Rspr. BayVGH vom 1.9.2005 FEVS 57, 369)
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

12 BV 08.675 12 BV 08.757

In den Verwaltungsstreitsachen

wegen Kinder- und Jugendhilfe- sowie Jugendförderungsrechts i.S. F********, A******, J*******, K******* M*****;

hier: Berufungen des Klägers und des Beigeladenen zu 3 gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 13. Dezember 2007,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 12. Senat, durch

den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Adolph, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Wünschmann, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Emmert

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 26. November 2008

am 26. November 2008

folgendes Urteil:

Tenor:

I. Die Berufungen werden zurückgewiesen.

II. Der Kläger und der Beigeladene zu 3 tragen die Kosten des Berufungsverfahrens je zur Hälfte. Die Beigeladenen zu 1 und 2 tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 v. H. des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Erstattung der Kosten für Jugendhilfe in Höhe von 872.803,21 € nebst Zinsen, die der Kläger im Zeitraum vom 16. Mai 2002 bis zum 31. Juli 2006 für Leistungen der Jugendhilfe für F******** (7. August 1991), A****** (11. Juli 1992), J******* (20. Oktober 1994) und K******* (11. Juni 1996) M***** erbracht hat, sowie um die Feststellung, dass die Beklagte zur Erstattung auch derjenigen Kosten verpflichtet ist, die der Kläger seit dem 1. August 2006 hierfür aufgewendet hat.

Der Senat macht sich die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts im Tatbestand des angefochtenen Urteils in vollem Umfang zu eigen und nimmt darauf Bezug (§ 130 b Satz 1 VwGO).

Das Verwaltungsgericht wies die Klage am 13. Dezember 2007 ab. Wie mit Urteil vom selben Tag im Verfahren Nr. AN 14 K 05.01100 ebenfalls festgestellt, habe der Vater mit seinem Zuzug am 7. Juni 2001 zwar einen gewöhnlichen Aufenthalt in Schwabach begründet. Dieser gewöhnliche Aufenthalt habe aber mit seiner Verhaftung am 9. August 2002 geendet, ohne dass ein gewöhnlicher Aufenthalt am 8. oder 9. August 2002 in Nürnberg begründet worden sei. In Nürnberg habe sich der Vater nur tatsächlich aufgehalten. Erst mit Antritt der Freiheitsstrafe in Kaisheim am 16. Mai 2002 habe er erneut einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet.

Hiergegen haben der Beigeladene zu 3 (Az. 12 BV 08.675) am 7. März 2008 und der Kläger (Az. 12 BV 08.757) am 19. März 2008 jeweils Berufung eingelegt.

Der Beigeladene zu 3 beantragt am 10. Juni 2008 sinngemäß,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 13. Dezember 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die vom Kläger seit dem 16. Mai 2002 aufgewendeten Jugendhilfekosten zuzüglich von Zinsen in Höhe von 5 v.H. über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu erstatten.

Das Verwaltungsgericht interpretiere § 89e Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) falsch, der einen umfassenden Schutz der Einrichtungsorte bezwecke. Es komme letztlich nicht auf den Zweck der Einrichtung an, sondern auf den Umstand, dass die Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht durch einen üblichen Umzug dorthin, sondern auf andere Weise begründet habe. Der Aufenthalt in der Vollzugsanstalt in Nürnberg könne nicht anders beurteilt werden, als der Aufenthalt in der Justizvollzugsanstalt Kaisheim. Es werde daher gebeten, die fehlerhaft Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts zu korrigieren.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 13. Dezember 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an ihn die an die Beigeladene zu 2 für den Zeitraum vom 16. Mai 2002 bis 31. Juli 2006 erstatteten Jugendhilfeaufwendungen in Höhe von 872.803,21 € zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 v.H. über dem Basiszinssatz seit 27. Dezember 2006 zu erstatten und festzustellen, dass die Beklagte ihm gegenüber zur Erstattung auch derjenigen Kosten verpflichtet ist, die er seit dem 1. August 2006 in den Jugendhilfefällen F********, M., A****** M., J******* M. und K******* M. aufgewendet hat.

Das Verwaltungsgericht gebe zwar den Wortlaut des § 89e SGB VIII und des § 30 Abs. 3 Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) zutreffend wieder. Richtig sei auch, dass durch die Aufnahme des Vaters in die Justizvollzugsanstalt Kaisheim dort am 16. Mai 2002 ein gewöhnlicher Aufenthalt begründet worden sei. Nicht stichhaltig und in sich widersprüchlich sei aber die Argumentation, der Vater habe bei seiner Verhaftung in Schwabach seinen gewöhnlichen Aufenthalt aufgegeben, ohne in der Untersuchungshaft in Nürnberg einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen. Vielmehr habe der Vater seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Schwabach während der Dauer der Untersuchungshaft beibehalten. Aus dem Sinn und Zweck der Schutzvorschrift für Einrichtungsorte ergebe sich auch, dass es auf den gewöhnlichen Aufenthalt vor der Aufnahme in die erste Einrichtung ankomme, das sei die Justizvollzugsanstalt in Nürnberg. Es habe sich hier zudem um eine nahtlose Überführung von der Untersuchungshaft in die Strafhaft gehandelt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufungen zurückzuweisen.

Die Beigeladene zu 1 und 2 und der Vertreter des öffentlichen Interesses haben keine Anträge gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten in beiden Rechtszügen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen. Wegen des Verlaufes der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufungen des Klägers und des Beigeladenen zu 3 werden zurückgewiesen.

1. Die Berufungen sind zulässig. Der Beigeladene zu 3 ist materiell dadurch beschwert, dass das Erstgericht eine Leistungspflicht des örtlichen Trägers, hier der Beklagten nach § 89e SGB VIII verneint hat, und in den Gründen seiner Entscheidung von einer Kostenerstattungspflicht des Beigeladenen zu 3 als überörtlicher Träger nach §§ 89, 89e Abs. 2 SGB VIII ausgeht (siehe dazu Happ in Eyermann, VwGO, 12. Auflage 2006, vor § 124 RdNr. 30). Der Nichteintritt in die Kostenerstattung durch die Beklagte als örtlicher Leistungsträger ist insoweit Voraussetzung für § 89e Abs. 2 SGB VIII.

2. Die zulässigen Berufungen werden aber zurückgewiesen, denn sie sind unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat es im angefochtenen Urteil zu Recht abgelehnt, die Beklagte im streitgegenständlichen Zeitraum zur Kostenerstattung in der geltend gemachten Höhe zu verurteilen.

Als Rechtsgrundlage für die vom Kläger geltend gemachte Kostenerstattung kommt § 89e SGB VIII in Betracht, denn die örtliche Zuständigkeit des Leistungsträgers bestimmt sich nach § 86 Abs. 1 bis 5 SGB VIII (siehe dazu Wiesner in Wiesner, SGB VIII, § 89e RdNr. 2). § 89 SGB VIII scheidet als Anspruchsgrundlage aus, weil sich das Verlangen nicht gegen den überörtlichen Träger richtet, §§ 89 a und 89b SGB VIII greifen nicht, denn es handelt sich weder um eine fortdauernde Vollzeitpflege noch um eine vorläufige Jugendschutzmaßnahme. § 89c SGB VIII trägt das Erstattungsverlangen nicht, denn der Kläger macht keine Kosten geltend, die er im Rahmen seiner Verpflichtung nach § 86c SGB VIII aufgewendet hat; vielmehr verlangt er die Aufwendungen erstattet, die er selbst wegen § 89c SGB VIII erstatten musste. Letztlich kommt § 89d SGB VIII nicht zur Anwendung, weil die betroffenen Kinder nicht aus dem Ausland eingereist sind.

§ 89e SGB VIII trägt das Erstattungsverlangen des Klägers aber ebenfalls nicht, denn der Vater hatte (unmittelbar) vor seiner Aufnahme in die Justizvollzugsanstalt Kaisheim keinen gewöhnlichen Aufenthalt.

Nach § 89e Abs. 1 Satz 1 SGB VIII ist der örtliche Träger der Jugendhilfe, in dessen Bereich die Person vor der Aufnahme in die Einrichtung ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte, zur Kostenerstattung verpflichtet, wenn sich die Zuständigkeit nach dem gewöhnlichen Aufenthalt der Eltern, eines Elternteiles, des Kindes oder Jugendlichen richtet, und der gewöhnliche Aufenthalt dieser Person in einer Einrichtung, die der Erziehung, Pflege, Betreuung, Behandlung oder dem Strafvollzug dient, begründet worden ist. Die Vorschrift schützt sog. Einrichtungsorte, also kommunale Gebietskörperschaften, in deren Einzugsbereich Einrichtungen von überörtlicher Bedeutung liegen (= "Anstaltsorte" nach dem Fürsorgerecht), vor einer kostenmäßigen Überbelastung durch Hilfeleistungen an Personen, die aus anderen Zuständigkeitsbereichen in solche Einrichtungen wechseln und hier einen gewöhnlichen Aufenthalt begründen (siehe dazu die früheren §§ 103 f. BSHG und jetzigen §§ 106 f. Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB XII -).

Der Kläger ist nach § 89e Abs. 1 Satz 1 SGB VIII kostenerstattungsberechtigt, denn der Vater hat am 16. Mai 2002 mit seinem Umzug in die Justizvollzugsanstalt Kaisheim in einer Einrichtung, die im Zuständigkeitsbereich des Klägers dem Strafvollzug dient, seinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet. Maßgeblich für die örtliche Zuständigkeit des Leistungsträgers im streitgegenständlichen Zeitraum ist gemäß § 86 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII der gewöhnliche Aufenthalt allein des leistungsberechtigten Vaters der Kinder, denn deren Mutter ist am 5. Februar 2001 verstorben. Einen solchen gewöhnlichen Aufenthalt hat der Vater ab dem 16. Mai 2002 anlässlich der Vollstreckung seiner langjährigen Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt Kaisheim, Landkreis Donau-Ries, begründet. Zur Begriffsbestimmung des gewöhnlichen Aufenthaltes im Sinne von § 89e Abs. 1 SGB VIII greift der Senat auf die Legaldefinition des § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I zurück (so bereits BayVGH vom 25.1.2001 unter Hinweis auf BVerwG vom 31.8.1995 BVerwGE 99, 158). Seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat demzufolge jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Maßgebend ist nicht (allein) der innere Wille des Betroffenen, es ist vielmehr auf Grundlage der tatsächlichen Verhältnisse eine Prognose zu treffen. Es genügt, dass der Betroffene sich an einem Ort "bis auf weiteres" im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibens aufhält und dort den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen hat (BayVGH vom 19.4.2000 DAVorm 2000, 417 = ZfJ 2000, 393 m. w. N.). Dabei ist in der Rechtsprechung geklärt, dass - anders als es etwa § 109 SGB XII vorsieht - ein solcher gewöhnlicher Aufenthalt im Falle einer richterlich angeordneten Freiheitsentziehung auch durch Antritt einer Haft am Haftort begründet werden kann (BVerwG vom 8.12.2006 Az. 5 B 65/06, vom 4.6.1997 Buchholz 402.240 § 63 AuslG 1990 Nr. 1 = NVwZ-RR 1997, 751 und vom 8.10.1993 Buchholz 402.240 § 47 AuslG 1990 Nr. 1). Den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen hatte der Vater mit Haftantritt am 16. Mai 2002 im Landkreis Donau-Ries (siehe dazu BVerwG vom 20.2.2008 Buchholz 436.511 § 86 KJHG/SGB VIII Nr. 6). Entscheidend ist hier nicht allein die Gesamtdauer der durch das Landgericht Bonn verhängten siebenjährigen Freiheitsstrafe, die der Vater in der Justizvollzugsanstalt Kaisheim zu verbüßen hatte, und auch nicht die bei Haftantritt bereits rechtskräftig durch das Amtsgericht Nürnberg verhängte Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Aus den übrigen Lebensumständen (vgl. dazu BVerwG vom 4.6.1997, a. a. O.) ergibt sich, dass der Vater mit Haftantritt in Kaisheim dort seinen Lebensmittelpunkt bis auf Weiteres begründet hatte und auch nach eigener subjektiver Einschätzung seine Beziehungen zu den vorherigen Aufenthaltsorten vollständig abgebrochen hatte. Er selbst äußerte sich noch am 25. Juli 2003 dahin, es sei im noch nicht möglich, anzugeben, wo er nach der Haftentlassung hinziehen werde.

Der Geltendmachung der Kostenerstattung durch den an sich anspruchsberechtigten Kläger steht nicht entgegen, dass er selbst von der Beigeladenen zu 2 für den streitgegenständlichen Zeitraum (teilweise) zur Kostenerstattung gemäß § 89c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII herangezogen worden ist. Das Bundesverwaltungsgericht stellt in seiner Entscheidung vom 5. April 2007 (BVerwGE 128, 301 = FEVS 58, 536 = BayVBl 2007, 728) fest, dass ein Anspruch nach § 89a Abs. 1 SGB VIII auch diejenigen Aufwendungen umfasst, die zur rechtmäßigen Erfüllung eines Erstattungsanspruches eines weiteren Jugendhilfeträgers bereits erbracht worden sind. Ebenso verhält es sich bei § 89e SGB VII. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass Aufwendungen, mit denen ein Kostenerstattungsanspruch eines weiteren Trägers gemäß § 86c SGB VIII befriedigt wurden, nicht erstattungsfähig sein sollten (ebenso NdsOVG vom 20.8.2008 Az. 4 LB 28/06). Auch aus Sinn und Zweck der Vorschrift, die einen lückenlosen Schutz der Einrichtungsorte sicherstellen will (siehe dazu auch BVerwG vom 22.11.2001 BVerwGE 115, 251 mit Hinweis auf die Begründung zum Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch, BT-Drs. 12/2866 S. 25), lässt sich nichts anderes herleiten. Nur auf diesem Wege ist der oben näher beschriebene Schutz der Einrichtungsorte insoweit ausnahmslos gewährleistet. Auch § 89 f. SGB VIII kann nicht für eine andere Auffassung herangezogen werden, weil er allein den Umfang eines etwaigen Anspruches bestimmt, nicht aber den Begriff der aufgewendeten Kosten einengt. An seiner früheren Entscheidung vom 1. September 2005 (FEVS 57, 369) hält der Senat nach alledem nicht mehr fest (siehe dazu bereits BayVGH vom 27.4.2006 EuG 2007, 3126).

Gleichwohl ist der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch nicht begründet, denn die Beklagte ist dem Kläger gegenüber nicht zur Erstattung verpflichtet. Voraussetzung hierfür wäre, dass der Vater der Kinder vor seiner Aufnahme in die Justizvollzugsanstalt Kaisheim seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich der Beklagten gehabt hätte (§ 89e Abs. 1 Satz 1 SGB VIII).

Zutreffend stellt das Verwaltungsgericht darauf ab, ob der Vater unmittelbar vor der Aufnahme in die Einrichtung seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich der Beklagten gehabt hat, weil sich andernfalls die Zuständigkeit - jedenfalls für diesen Zeitpunkt - nicht nach dem gewöhnlichen Aufenthalt, sondern nach dessen tatsächlichen Aufenthalt richtet. In diesem Falle greifen die Vorschriften über die vertikale Kostenerstattung (vgl. etwa §§ 89, 89e Abs. 2 SGB VIII; siehe dazu Kunkel in LPK, SGB VIII, 3. Aufl. 2006, § 89e RdNr. 5; Wiesner, a. a. O., § 89e RdNr. 9; Münder, Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, 5. Aufl. 2006, § 89e RdNr. 2; Stähr in Hauck, SGB VIII, Stand: Februar 2008, § 89e RdNr. 8; Schellhorn in Schellhorn, SGB VIII, 2. Aufl. 2000, § 89e RdNrn. 10 f.; ebenso wohl NdsOVG vom 20.8.2008 a. a. O.).

Anlässlich der Verhaftung am 9. August 2001, spätestens aber mit Inhaftierung in Nürnberg am 10. August 2001, hatte der Vater aber seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich der Beklagten bereits aufgegeben. Der Senat nimmt insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (§ 130b Satz 2 VwGO). Aus einer ex-ante Betrachtung heraus ist festzustellen, dass für eine Rückkehr nach Schwabach bereits bei Antritt der Untersuchungshaft in Nürnberg endgültig nichts mehr sprach, nachdem der Vater bei Antritt der Untersuchungshaft Schwabach tatsächlich und nicht nur vorübergehend verlassen hatte. Der gewöhnliche Aufenthalt des Vaters im Zuständigkeitsbereich der Beklagten war dort ohnehin nicht gefestigt. Eigenen Angaben folgend, ist er mit seiner Lebensgefährtin nach Schwabach "aus einer Drückerkolonne in München" geflüchtet, weil die Eltern seiner neuen Lebensgefährtin dort lebten. Im Stadtgebiet Schwabach kamen sie in einem Übergangswohnheim unter, das sie nur als vorübergehende Notunterkunft angesehen haben, mit dem Ziel, sich gemeinsam eine Wohnung zu suchen. Es sind schon keine näheren objektivierbaren Anhaltspunkte dafür zu ersehen, dass sie eine Wohnung ausschließlich in Schwabach gesucht hätten. Richtig ist allerdings der Einwand des Klägers, dass nicht von einer Flucht aus Schwabach unmittelbar vor der Verhaftung gesprochen werden kann, denn der Vater wurde am 9. August 2001 noch in Schwabach verhaftet. Es erscheint allerdings unerheblich, ob der Vater den gewöhnlichen Aufenthalt bereits im Zeitpunkt des Haftantrittes aufgegeben hatte oder mit Beginn der Untersuchungshaft in Nürnberg und Bonn. Jedenfalls sind seine bloßen Rückkehrwünsche zu seiner Lebensgefährtin, die schon wegen der gegen sie gerichteten Straftaten bereits seinerzeit jeglichen Kontakt zu ihm abgebrochen hatte und im Folgenden aus Schwabach für ihn unbekannt weggezogen ist, nicht entscheidend. Soweit der Vater die in Schwabach zurückgelassenen Möbel und Tiere anspricht, ergibt sich hieraus kein Anknüpfungspunkt für einen fortbestehenden gewöhnlichen Aufenthalt dort. Seine "Möbel und Tiere" hatte er schon im Übergangswohnheim nicht bei sich, sondern lediglich bei den Eltern seiner neuen Lebensgefährtin untergebracht. Auch sein Hinweis auf eine Arbeitsstelle hilft dem Kläger nicht weiter, weil es schon während der Untersuchungshaft keinen greifbaren Anhaltspunkt dafür gab, dass der Vater nach der Inhaftierung seine frühere Tätigkeit werde wieder aufnehmen können. Es ist auch nicht näher dargelegt, wie sich aus der Arbeitsstelle für die Zeit nach der Haft ein gewöhnlicher Aufenthalt herleiten soll, weil der Ort der zu verrichtenden Arbeit nicht regelmäßig mit dem gewöhnlichen Aufenthalt korreliert. Der Kläger selbst ist bei seinen Ausführungen im Jahre 2003 zu seinen Aufenthaltszeiten folgerichtig hierauf schon nicht mehr eingegangen.

Ebenso zutreffend sind die Ausführungen des Verwaltungsgerichts, mit denen es die Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthaltes in der Untersuchungshaft in Nürnberg verneint hat, auch wenn sich seinerzeit eine langjährige Haftstrafe für den Vater im Anschluss an die Untersuchungshaft abzeichnete. Dabei kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass bei einer Verhängung der Untersuchungshaft für deren Dauer kein neuer gewöhnlicher Aufenthalt in der Haftanstalt begründet wird (so Reisch in Jens/Happe/Saurbier/Maas, SGB VIII, § 89e RdNr. 20 mit Hinweis auf BVerwG vom 4.6.1997 NVwZ-RR 1997, 751). Gegenteilige Anhaltspunkte sind hier nicht ersichtlich. Auch die zu erwartende Freiheitsstrafe, die das Amtsgericht Nürnberg verhängte, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollstreckbar. Wegen des in Bonn anhängigen Strafverfahrens wurde der Vater zeitweise zum Vollzug der Untersuchungshaft dorthin verlegt, so dass sich erst am Ende der nur vorübergehenden Untersuchungshaft abzeichnete, wo er für die nächste Zeit seinen Lebensmittelpunkt haben werde.

Damit liegt auch keine sog. Einrichtungskette vor, die einen Rückgriff auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Vaters in Schwabach zuließe, denn für den tatsächlichen Aufenthalt in Nürnberg ist § 89e SGB VII nicht anwendbar.

Zur Geltendmachung des Erstattungsanspruches gegenüber der Beklagten für die Zeiten des tatsächlichen Aufenthaltes des Vaters in Nürnberg kann, wie angedacht, auch schon deshalb nicht ersatzweise auf den gewöhnlichen Aufenthalt der Kindern abgestellt werden, weil diese in Schwabach im maßgeblichen Zeitraum keinen gewöhnlichen Aufenthalt hatten.

Soweit der Beigeladene zu 3 zusammenfassend meint, damit sei der Schutz der Einrichtungsorte aufgegeben, übersieht er die Besonderheit der Fallgestaltung. Der Schutz der Einrichtungsorte ist nicht abstrakt, sondern im Rahmen teilweise unterschiedlicher gesetzlicher Regelungen gewährleistet, die hier an den gewöhnlichen Aufenthalt anknüpfen. Anders als hier besteht bei Untersuchungshaft im Regelfall der bisherige gewöhnliche Aufenthalt fort, gegebenenfalls bis zum Strafantritt, so dass in diesen Fällen § 89e SGB VIII zur Anwendung kommt. In anderen Fällen kann auch schon während der Untersuchungshaft ein neuer gewöhnlicher Aufenthalt am Ort der Haftanstalt begründet sein (siehe dazu Stähr in Hauck, a. a. O., § 89e RdNr. 4), so dass ein Fall der sogenannten Einrichtungskette vorliegt. Nur eben wenn der eher seltene Fall eintritt, dass der gewöhnliche Aufenthalt endgültig aufgegeben wird und aus besonderen Umständen heraus nicht vor Eintritt in eine Einrichtung ein neuer gewöhnlicher Aufenthalt begründet wird, greifen andere Erstattungsvorschriften, die den örtlichen Leistungsträger schützen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Beigeladenen zu 1 und 2 haben keine eigenen Anträge gestellt. Die Gerichtskostenfreiheit nach § 188 Satz 2 VwGO umfasst nicht Erstattungsstreitigkeiten zwischen Sozialleistungsträgern.

Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10 ZPO, der Vollstreckungsschutz aus § 711 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

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