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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 23.02.2005
Aktenzeichen: 12 CE 04.3152
Rechtsgebiete: VwGO, SGB VIII, SGB XII


Vorschriften:

VwGO § 123 Abs. 1
VwGO § 123 Abs. 3
SGB VIII § 35 a
SGB XII § 54 Abs. 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

12 CE 04.3152

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Kinder- und Jugendhilferechts (Antrag nach § 123 VwGO);

hier: Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 14. Oktober 2004,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 12. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Werner, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dhom, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Grau

ohne mündliche Verhandlung am 23. Februar 2005 folgenden

Beschluss:

Tenor:

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe:

I.

1. Der am 13. April 1987 geborene Antragsteller begehrt die Verpflichtung des Antragsgegners, ihm vorläufig Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten für seine Unterbringung und Betreuung im Internat der CJD-Schule O. in B.Z. zu gewähren.

Der Antragsteller besucht derzeit die 11. Klasse des F.K.-Gymnasiums in W. Bereits in einem kinder- und jugendpsychiatrischen Fachgutachten vom 19. April 1995 wurde beim Antragsteller eine ausgeprägte Lese- und Rechtschreibschwäche festgestellt, der in der Folgezeit durch ambulante Therapiemaßnahmen im Rahmen der Eingliederungshilfe begegnet wurde. Der Antragsgegner bewilligte dem Antragsteller 70 Therapiestunden bei einer Legasthenietherapeutin in W. Auf privater Basis erhielt der Antragsteller in den Jahren 1999 und 2000 eine integrative Lern- und Psychotherapie im Umfang von 46 Therapieeinheiten sowie 1999 Nachhilfe in Englisch und in den Jahren 2000 bis 2002 Nachhilfe in Latein. Im Schuljahr 2001/2002 musste der Antragsteller die 9. Klasse wegen mangelnder Leistungen in den Fächern Latein, Englisch und Mathematik (jeweils Note 5) wiederholen. Die fachärztlich festgestellte Legasthenie wurde bei der Rechtschreibleistung und in den Fremdsprachen berücksichtigt.

Am 26. März 2003 beantragte der Antragsteller seine Unterbringung in einem Internat speziell für Legasthenikerkinder. Der Antragsgegner lehnte den Antrag auf stationäre Eingliederungshilfe mit Bescheid vom 5. Juni 2003 ab. Zwar liege bei dem Antragsteller unbestritten eine Legasthenie vor, die eine drohende seelische Behinderung nach sich ziehe. Die Schwierigkeiten und Probleme ließen sich jedoch ausnahmslos im schulischen Bereich festmachen. Die Maßnahmen und Vergünstigungen aufgrund der Bekanntmachung des Kultusministeriums vom 16. November 1999 seien im F.K.-Gymnasium noch nicht ausgeschöpft. Man sei bereit, die schulischen Maßnahmen durch eine intensive ambulante therapeutische Leistung vor Ort zu ergänzen, so dass eine ganzheitliche Förderung im schulischen Kontext möglich sei. Da die Probleme für das seelische Ungleichgewicht des Antragstellers eindeutig im schulischen Kontext lägen und ein außerschulisches soziales Integrationsrisiko von erheblichem Umfang derzeit nicht vorliege, würden stationäre Maßnahmen ausscheiden.

Über den gegen diesen Bescheid eingelegten Widerspruch wurde noch nicht entschieden.

Im Rahmen der Abhilfeprüfung durch den Antragsgegner wurden in der Zeit vom 16. Februar bis 18. Juni 2004 ambulante Therapiemaßnahmen durch die Diplom-Psychologin K.M. vom Arbeitskreis Legasthenie Bayern e.V. durchgeführt. In ihrer gutachterlichen Stellungnahme vom 30. Juni 2004 führte Frau K.M. u.a. aus, dass die Frage, ob der Antragsteller das Abitur auf dem F.K.-Gymnasium mit Hilfe einer ambulanten Legasthenietherapie erreichen könne, ihrer Meinung nach eher zu verneinen sei.

Mit einem Schreiben vom 26. Juli 2004 teilte der Leiter des F.K.-Gymnasiums den Eltern des Antragstellers die Empfehlung der Klassenkonferenz mit, dass der Antragsteller auf gar keinen Fall die Oberstufe des Gymnasiums besuchen solle. In einer erneuten Fachkonferenz am 3. August 2004 kam der Antragsgegner zu der abschließenden Bewertung, dass die vorgeschlagenen ambulanten Maßnahmen ausreichend seien und dem Widerspruch des Antragstellers nicht abgeholfen werden könne.

2. Am 30. August 2004 beantragte der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Würzburg,

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller ab 30. August 2004, spätestens ab dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, für 6 Monate Eingliederungshilfe durch Übernahme der durch den Besuch des Internats der CJD-Schule O. anfallenden Kosten zu gewähren.

Das Verwaltungsgericht lehnte den Antrag mit Beschluss vom 14. Oktober 2004 ab. Der Antragsteller habe den erforderlichen Anordnungsanspruch nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Die Entscheidung des Antragsgegners, den Problemen des Antragstellers mit ambulanten Hilfeangeboten zu begegnen, sei bei derzeitigem Erkenntnisstand rechtlich nicht zu beanstanden. Angesichts des bisherigen Werdegangs des Antragstellers erscheine die fachliche Einschätzung des Antragsgegners - trotz bestehender Bedenken hinsichtlich des Erreichens des Abiturs - nachvollziehbar, dass bei noch intensiverer kontinuierlicher Betreuung des Antragstellers in enger Vernetzung mit der Schule, der Schulpsychologin und dem Elternhaus eine weitere Stabilisierung zu erreichen sei. Insoweit erscheine ein Abwarten der Hauptsacheentscheidung zumutbar. Die im Verfahren vorgelegten Unterlagen würden nicht zwingend die beantragte Maßnahme gebieten. Bei Inanspruchnahme der vom Antragsgegner konkret angebotenen Hilfeleistung, der innerhalb und außerhalb der Schule bestehenden Sozialintegration des Antragstellers bei stabilem häuslichen Umfeld und der Tatsache, dass er mittlerweile die Oberstufenreife des Gymnasiums erlangt habe, schienen wesentliche Nachteile bei Unterbleiben der gewünschten einstweiligen Anordnung zum derzeitigen Zeitpunkt nicht zu drohen.

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde des Antragstellers. Er trägt vor, dass er als seelisch behinderter Jugendlicher Anspruch auf eine angemessene Schulbildung habe. Obwohl er die 10. Jahrgangsstufe des F.K.-Gymnasiums bestanden habe, sei aufgrund der Stellungnahme dieser Schule vom 26. Juli 2004 bereits jetzt abzusehen, dass er ohne eine intensive Therapiemaßnahme in Form der stationären Eingliederungshilfe die allgemeine Hochschulreife nicht erreichen werde. Zu deren Erwerb sei er aber nach seiner allgemeinen Intelligenz in der Lage. Die vom Antragsgegner erwogene Fortführung einer ambulanten Therapiemaßnahme neben dem Besuch des F.K.-Gymnasiums sei offensichtlich nicht ausreichend, um den Eintritt einer drohenden seelischen Behinderung zu verhüten.

Der Antragsteller beantragt,

den Beschluss des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 14. Oktober 2004 dahingehend abzuändern, dass der Antragsgegner verpflichtet wird, dem Antragsteller ab dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung für 6 Monate Eingliederungshilfe durch Übernahme der durch den Besuch des Internats der CJD-Schule O. anfallenden Kosten zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

5. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichts- und der vorgelegten Behördenakten verwiesen.

II.

1. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet, weil der Antragsteller den von ihm behaupteten Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht hat (§ 123 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO, § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB X).

Der Antragsteller begehrt die Gewährung von Eingliederungshilfe in Form von Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung (§ 35 a Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII) durch Übernahme der Kosten für seine Unterbringung in der CJD-Schule O. in B.Z. mit angeschlossenem Internat. Der Antragsteller gehört zwar zum Personenkreis des § 35 a SGB VIII, was zwischen den Beteiligten nicht streitig ist. Ein Anspruch des Antragstellers scheitert jedoch daran, dass die begehrte Unterbringung auf der CJD-Schule O. keine Hilfe zu einer "angemessenen Schulbildung" im Sinne von § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII ist.

Bei der Auslegung der Worte "angemessene Schulbildung" in dieser Vorschrift ist ihr Halbsatz 2 zu beachten. Danach bleiben die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht unberührt. Die Vorschrift stellt klar, dass auch der Träger der Sozialhilfe an schulische Entscheidungen der hierfür zuständigen Stellen gebunden ist (vgl. BVerwG vom 16.1.1986 NDV 1986, 291). Entspricht die vom Hilfesuchenden angestrebte Schulbildung nicht den Anforderungen der landesgesetzlichen Schulrechtsvorschriften oder steht sie zu diesen gar in Widerspruch, wird die Hilfe nicht zu einer angemessenen Schulbildung begehrt. Die Vermittlung einer "angemessenen" Schulbildung ist eine Angelegenheit des allgemeinen Schulsystems und deshalb haben den schulrechtlichen Anforderungen entsprechende Maßnahmen Vorrang (vgl. BayVGH vom 14.5.2001, VGH n.F. 54, 141).

Nach der Stellungnahme des F.K.-Gymnasiums vom 26. Juli 2004 hat die Klassenkonferenz für den Antragsteller empfohlen, dass er "auf gar keinen Fall die Oberstufe des Gymnasiums besuchen sollte; Alternativen wären der Besuch der Fachoberschule oder der Eintritt in das Berufsleben", der für den Antragsteller nach Beendigung der Vollzeitschulpflicht von neun Schulbesuchsjahren (Art. 37 Abs. 3 BayEuG) möglich wäre. Diese Empfehlung der für den Antragsteller zuständigen Klassenkonferenz lässt nur den Rückschluss zu, dass der Antragsteller für den Besuch der gymnasialen Oberstufe nicht geeignet ist und ein Schulbesuch mit dem Ziel des Erwerbs der allgemeinen Hochschulreife für ihn keine angemessene Schulbildung darstellt. Das gilt auch für den vom Antragsteller angestrebten Besuch der privaten CJD-Schule O., weil er mit diesem Schulbesuch erklärtermaßen den Erwerb der allgemeinen Hochschulreife für das Bundesland H. verfolgt.

An dieser Bewertung ändert auch der Umstand nichts, dass der Antragsteller mit dem Jahreszeugnis des F.K.-Gymnasiums für das Schuljahr 2003/2004 die Erlaubnis zum Vorrücken in die nächst höhere Jahrgangsstufe erhalten hat und damit zum Eintritt in die Oberstufe des Gymnasiums berechtigt ist. Die Berechtigung zum Eintritt in die Oberstufe des Gymnasiums besagt noch nicht, dass der Antragsteller die Eignung für den Erwerb der allgemeinen Hochschulreife besitzt. Dagegen spricht nicht nur die im Schreiben vom 26. Juli 2004 wiedergegebene Empfehlung der Klassenkonferenz. Dagegen sprechen auch die von der Legasthenietherapeutin des Antragstellers, Frau Diplom-Psychologin K.M., geschilderten Einschätzungen seiner Klassenlehrerin. Nach dem Aktenvermerk vom 15. April 2004 hat die Klassenlehrerin gegenüber der Legasthenietherapeutin die Situation des Antragstellers so eingeschätzt, dass er das Abitur wohl nicht schaffen wird. Er werde die 10. Klasse absolvieren können, so dass er die Mittlere Reife habe, aber darüber hinaus die nächsten drei Jahre bis zum Abitur wohl nicht am Gymnasium bestehen können.

In ihrer im Auftrag des Arbeitskreises Legasthenie Bayern e.V. abgegebenen gutachterlichen Stellungnahme vom 30. Juni 2004 gibt die Legasthenietherapeutin K.M. eine weitere Äußerung der Klassenlehrerin Z. des Antragstellers wieder. Danach hat die Klassenlehrerin dem Antragsteller geraten, "mit Vollendung der 10. Klasse das Gymnasium zu verlassen, da er sich mit den längeren und anspruchsvolleren Texten, die in der 11. Klasse auf ihn zukommen werden, sicherlich nur Frust abholen würde". Sie gebe ihm eine sehr schlechte Prognose für das Bestehen des Abiturs.

Hinzu kommt, dass die massiven schulischen Schwierigkeiten des Antragstellers in der gymnasialen Oberstufe aller Voraussicht nach auch nicht durch eine intensivere Legasthenietherapie während eines Besuchs der CJD-Schule O. behoben werden können. Denn in der Oberstufe dieser Schule erhalten Legastheniker nach der gutachterlichen Stellungnahme vom 30. Juni 2004 nur ca. 1 bis 2 Stunden Einzelförderung pro Woche. Mehr sei nicht möglich, da die Stundenzahl in der Oberstufe dieser Schule an sich schon sehr hoch sei. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass der Antragsteller bereits seit September 1995 Eingliederungshilfe in Form der Gewährung ambulanter Legasthenietherapie erhalten hat und dass die Probleme in der Rechtschreibung nach Einschätzung des Antragstellers selbst keinerlei Auswirkungen auf seine schulischen Leistungen haben, da die Lehrer sich alle an die Vereinbarung hielten, die Rechtschreibung aus der Notengebung auszuschließen (gutachterliche Stellungnahme vom 30.6.2004, S. 4).

Nach alledem stellt die vom Antragsteller begehrte Gewährung von Eingliederungshilfe durch Übernahme der bei einem Besuch der CJD-Schule O. anfallenden Kosten keine Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII dar.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 188 Satz 2 Halbsatz 1 VwGO.

3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).



Ende der Entscheidung

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