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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 02.09.2004
Aktenzeichen: 12 CE 04.979
Rechtsgebiete: VwGO, ZPO, BSHG, GMG, RSV, SGB XII


Vorschriften:

VwGO § 123 Abs. 1
VwGO § 123 Abs. 3
ZPO § 938 Abs. 1
BSHG § 11
BSHG § 12
BSHG § 21 Abs. 1
BSHG § 21 Abs. 2
BSHG § 22 Abs. 1
BSHG § 22 Abs. 3
GMG Art. 28
GMG Art. 29
RSV § 1 Abs. 1 Satz 2 i.d. Fassung des Art. 29 GMG
SGB XII § 28 Abs. 1
SGB XII § 28 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

12 CE 04.979

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Sozialhilfe (Antrag nach § 123 VwGO);

hier: Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 17. März 2004,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 12. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Werner, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Grau, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Traxler

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 2. September 2004

am 2. September 2004

folgenden Beschluss:

Tenor:

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe:

I.

Die Antragsgegnerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 17. März 2004, soweit sie darin verpflichtet wurde, dem Antragsteller die Kosten für die Brillengläser einer Bifocalbrille vorläufig darlehensweise zu gewähren.

1. Der 1958 geborene Antragsteller bezieht Arbeitslosenhilfe. Die Antragsgegnerin gewährt ihm ergänzende (Sozial)-Hilfe zum Lebensunterhalt Er erhält seine angemessenen monatlichen Unterkunftskosten anteilig und einen monatlichen Pauschbetrag in Höhe von 29 Euro für bestimmte einmalige Bedarfe des notwendigen Lebensunterhalts gemäß den Ausführungsbestimmungen der Antragsgegnerin nach § 101 a des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG). Seit Juni 2003 erhält er keine ergänzenden Regelsatzleistungen mehr.

Der Antragsteller ist im Alltagsleben und bei der Arbeit nach fachärztlichem Attest auf eine Bifocalbrille angewiesen. Er stellte im Januar 2004 Strafantrag gegen zwei Männer, weil diese ihn am 1. Januar 2004 zusammengeschlagen und dabei seine Brille zerstört hätten. Bei der Antragsgegnerin beantragte er die Übernahme u.a. der Kosten der Brillengläser. Diese lehnte den Antrag mit Bescheid vom 29. Januar 2004 ab. Nach § 1 der Regelsatzverordnung in der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung seien seit 1. Januar 2004 die Kosten für Brillengläser aus dem Regelsatz zu bestreiten. Über den gegen diesen Bescheid erhobenen Widerspruch des Antragstellers ist noch nicht entschieden.

2. Dem Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gab das Verwaltungsgericht durch den mit der Beschwerde angegriffenen Beschluss im vorgenannten Umfang statt. Der Antragsteller habe einen Anspruch auf Übernahme der Kosten der Brillengläser nach § 15 a Abs. 1 Satz 1 BSHG. Eine vergleichbare Notlage im Sinne dieser Vorschrift liege vor, weil der Kläger die Kosten der Brillengläser in Höhe von 212 Euro weder mit der Pauschale in Höhe von 29 Euro noch mit der Arbeitslosenhilfe, die der Regelsatzleistung entspreche, bestreiten könne.

3. Die Antragsgegnerin, die der vom Verwaltungsgericht ausgesprochenen Verpflichtung nachkam, beantragt mit ihrer Beschwerde, den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 17. März 2004 insoweit aufzuheben, als sie zur vorläufigen darlehensweise Gewährung der Kosten für die Brillengläser verpflichtet wurde.

Sie trägt vor, § 15 a BSHG sei nicht anwendbar, weil der Antragsteller die Kosten der Brillengläser aus den Regelsatzleistungen zu bezahlen habe. Der Gesetzgeber gehe seit 1. Januar 2004 davon aus, dass auch der nicht alltägliche Bedarf einer notwendigen Brille vom Hilfeempfänger mit angesparten Regelsatzleistungen zu decken sei. Er habe die Hilfeempfänger insoweit mit anderen in der gesetzlichen Krankenkasse versicherten Personen gleichgestellt, die derartige Kosten aus ihrem Einkommen bestreiten müssten. Es liege auch keine vergleichbare Notlage im Sinne des § 15 a BSHG vor, weil es an jeglichem Bezug zum Verlust einer Unterkunft fehle. Zudem handele es sich im Falle des § 15 a BSHG um eine Ermessensentscheidung, so dass das Verwaltungsgericht sie, die Antragsgegnerin, allenfalls zu einer erneuten Ermessensentscheidung hätte verpflichten dürfen. Im Übrigen seien auch die vom Verwaltungsgericht angenommenen Kosten für die Brillengläser zu hoch.

Der Antragsteller ist der Beschwerde entgegengetreten.

4. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

II.

1. Die Beschwerde ist statthaft und auch sonst zulässig. Das Verfahren hat sich insbesondere nicht dadurch erledigt, dass die Antragsgegnerin aufgrund des vollstreckbaren Beschlusses des Verwaltungsgerichts (§ 149 Abs. 1 Satz 1, § 168 Abs. 1 Nr. 2 VwGO) die streitgegenständlichen Kosten vorläufig darlehensweise übernommen hat. Der Antragsteller hat nämlich ein rechtlich geschütztes Interesse daran, dass dieser Beschluss als Rechtsgrund für diese Leistung bestehen bleibt. Die Antragsgegnerin hat andererseits ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung dieses Beschlusses, weil sie dann bereits wegen dieser Aufhebung die nur vorläufig gewährte Leistung zurückfordern kann (st. Rspr. des Senats, vgl. dazu auch Happ in Eyermann, VwGO, 11. Aufl. 2000, RdNrn. 54, 85 f. zu § 123).

2. Die Beschwerde hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Der Antragsteller hat - sogar weitergehend als vom Verwaltungsgericht durch die angefochtene einstweilige Anordnung bestimmt - einen Anordnungsgrund und einen Anordnungsanspruch auf Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt in Form einer einmaligen Geldleistung für die Kosten der Gläser einer Bifocalbrille glaubhaft gemacht.

a) Der Antragsteller hat einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Er ist im Alltagsleben und bei der Arbeit auf eine Bifocalbrille angewiesen. Bei einer Brillenstärke von 4,25 bzw. 4,75 Dioptrien ist ihm nicht zuzumuten, sich bis zur Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren (Widerspruchs- und ggf. Klageverfahren) ohne Sehhilfe zu behelfen.

b) Der Antragsteller hat einen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt in Form von einmaligen Leistungen nach §§ 11, 12, 21 Abs. 2 Satz 1 BSHG.

Er ist hilfebedürftig im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 1 BSHG. Die Antragsgegnerin gewährt ihm deshalb auch einmalige Leistungen in Form einer monatlichen Pauschale, die allerdings den Bedarf "Bifocalbrille" nicht erfasst. Die Antragsgegnerin übernimmt bei der Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt auch - jedenfalls zum Teil - laufende angemessene Unterkunftskosten (§ 12 Abs. 1 Satz 1 BSHG). Der Antragsteller erhält insoweit ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt, weil er sich im Übrigen mit der Arbeitslosenhilfe selbst helfen kann und diese nur den laufenden Lebensunterhalt abdeckt, der ansonsten mit der Regelsatzleistung (mtl. 316 Euro) bestritten wird.

Nach § 21 Abs. 2 Satz 1 BSHG sind einmalige Leistungen auch zu gewähren, wenn der Hilfesuchende zwar keine laufenden Leistungen zum Lebensunterhalt benötigt, den Lebensunterhalt jedoch aus eigenen Kräften und Mitteln nicht voll beschaffen kann. Die einmalige Hilfe in Form einer Geldleistung für die Kosten der Brillengläser ist daher zu gewähren. Die hier streitgegenständliche Leistung wird nicht bereits mit der Pauschale in Höhe von 29 Euro gewährt. Außerdem zählt sie zum notwendigen Lebensunterhalt im Sinne von § 12 BSHG. Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung zur Durchführung des § 22 des Bundessozialhilfegesetzes (Regelsatzverordnung) - RSV - in der Fassung, die die Bestimmung durch Art. 29 des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz-GMG) vom 14. November 2003 (BGBl I S. 2190) erhalten hat, gehören zu den persönlichen Bedürfnissen des täglichen Lebens im Sinne des Satzes 1 der Vorschrift - und damit auch im Sinne des § 12 Abs. 1 Satz 1 BSHG - auch die laufenden Leistungen u.a. für Kosten bei Krankheit, bei vorbeugender und bei sonstiger Hilfe, soweit sie nicht nach den § 36 bis 38 BSHG übernommen werden. Der Gesetzgeber hat mit den Art. 28 Nrn. 3 und 4 c und 29 GMG, die am 1. Januar 2004 in Kraft traten (Art. 37 GMG), deutlich gemacht und klargestellt, dass u.a. notwendige Sehhilfen, wie hier die Brillengläser, vom Leistungskatalog des Bundessozialhilfegesetzes erfasst werden, bzw. dass es sich um einen sozialhilferechtlich anzuerkennenden Bedarf handelt, der durch Leistungen des Sozialhilfeträgers zu decken ist, wenn keine vorrangigen Leistungen insoweit gewährt werden können. Insofern ist es unerheblich, dass dem Sozialhilfeempfänger diese Leistungen nicht mehr wie bisher als Leistungen der "Hilfe bei Krankheit, vorbeugende und sonstige Hilfe" nach Unterabschnitt 4 des Abschnitts 3 ("Hilfe in besonderen Lebenslagen"), sondern als Leistungen der "Hilfe zum Lebensunterhalt" nach Abschnitt 2 des Gesetzes gewährt werden. Deshalb vermag der Senat dem Einwand der Antragsgegnerin nicht zu folgen, der Reformgesetzgeber habe zulässig diese bisher von der gesetzlichen Krankenversicherung getragenen Belastungen nicht auf die Sozialhilfeträger übertragen dürfen. Die Sozialhilfeträger haben auch bisher diese Belastungen getragen, weil Sozialhilfeempfänger bisher regelmäßig nicht krankenversichert waren. Der Umstand, dass die gesetzlichen Krankenkassen diese Leistungen ihren Versicherten nicht mehr gewähren, dient deren finanzieller Entlastung, um das System der gesetzlichen Krankenversicherung in Zukunft aufrechtzuerhalten (vgl. BT-Drucks. 15/1525). Eine Begrenzung oder Minderung der von den Sozialhilfeträgern zu erbringenden Leistungen hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung nicht gewollt. Auch der Einwand der Antragsgegnerin zur Höhe der vom Verwaltungsgericht ermittelten Kosten der Brillengläser greift nicht. Die einmalige Hilfe zum notwendigen Lebensunterhalt (persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens) hat den im Einzelfall notwendigen Bedarf in voller Höhe zu befriedigen. Es kann deshalb nicht darauf ankommen, welche Kosten von der gesetzlichen Krankenkasse nach früherer Rechtslage übernommen wurden. Maßgebend ist der tatsächliche notwendige Bedarf (vgl. BayVGH vom 28.3.2002 BayVBl 2003, 245 = FEVS 54, 259 = ZfF 2003, 210). Vorliegend ist hinreichend glaubhaft gemacht, dass die hier erforderlichen Brillengläser 212 Euro kosten.

c) Die Antragsgegnerin hält dem zu Unrecht § 1 Abs. 1 Satz 2 der Regelsatzverordnung in der Fassung, die die Bestimmung durch Art. 29 GMG erhalten hat, entgegen. Denn der Senat ist der Überzeugung, dass Art. 29 GMG mit § 22 Abs. 1 Satz 1 BSHG nicht vereinbar und § 1 Abs. 1 Satz 2 der Regelsatzverordnung i.d. Fassung des Art. 29 GMG deshalb jedenfalls nicht für die Zeit der auslaufenden Geltung des Bundessozialhilfegesetzes, das zum 1. Januar 2005 durch das Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (SGB XII) ersetzt wird, anwendbar ist.

Richtig ist zwar, dass einmalige Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt - auch ergänzende - nicht gewährt werden können, wenn der damit zu deckende Bedarf von der Regelsatzleistung bereits gedeckt wird. Der Hilfeempfänger würde für ein und denselben Bedarf zweifache Sozialhilfeleistungen, bzw. doppelte Hilfe zum Lebensunterhalt erhalten. Der von der Landesregierung gemäß § 22 Abs. 2 BSHG mit Verordnung zum 1. Juli 2003 festgesetzte Regelsatz deckt aber entgegen Art. 29 GMG keine einmaligen Bedarfe, wie den streitgegenständlichen, ab. Der Verordnungsgeber konnte und kann "Leistungen für Kosten bei Krankheit, bei vorbeugender und bei sonstiger Hilfe" (§ 1 Abs. 1 Satz 2 RSV n.F.) bei der Festsetzung der Regelsätze nicht berücksichtigen. Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 BSHG werden laufende Leistungen zum Lebensunterhalt außerhalb von Anstalten, Heimen und gleichartigen Einrichtungen nach Regelsätzen gewährt. Nach Abs. 3 Satz 1 der Vorschrift sind die Regelsätze so zu bemessen, dass der laufende Bedarf dadurch gedeckt werden kann. Eine Regelsatzleistung, mit der auch einmalige Bedarfe abgedeckt werden, gibt es nicht und kann nach der geltenden Rechtslage - d.h. ohne Änderung des § 22 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 BSHG - nicht festgesetzt werden; anders in Zukunft nach dem SGB XII. Nach dessen § 28 Abs. 1 Satz 1 wird der gesamte Bedarf - also der laufende und einmalige Bedarf - des notwendigen Lebensunterhalts ... nach Regelsätzen erbracht.

Für das geltende Recht regelt Art. 29 GMG etwas nicht Mögliches. Die Vorschrift ist mit § 22 BSHG nicht zu vereinbaren. Sie ist nicht in Einklang zu bringen mit dem Leistungssystem des Bundessozialhilfegesetzes. Danach wird Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt durch laufende Leistungen nach Regelsätzen und durch einmalige Leistungen für einmalige Bedarfe des notwendigen Lebensunterhalts. Der Gesetzgeber verlangt zum einen bei der Regelsatzfestsetzung u.a. einen (einmaligen) Brillenbedarf nicht zu berücksichtigen - die Regelsätze sind nach § 22 Abs. 3 Satz 1 BSHG so zu bemessen, dass der laufende Bedarf gedeckt werden kann - und bestimmt zum anderen mit der Änderung der Regelsatzverordnung durch Art. 29 GMG und der ersatzlosen Aufhebung des § 38 Abs. 2 BSHG (Art. 28 Nr. 4 GMG), dass dieser (einmalige) Bedarf durch die Regelsatzleistung abgedeckt wird. Das ist systemwidrig und widersprüchlich. Zu den Vorgegebenheiten, die bei der Gestaltung eines Gesetzes beachtet werden müssen, gehört auch die Rücksichtnahme auf die gebotene Einheit der Rechtsordnung. Die Rechtsordnung darf in sich nicht widersprüchlich sein. Innerhalb eines engeren Bereichs, wie hier des Sozialhilferechts, gibt es selbst gewählte Sachgesetzlichkeiten. Eine Norm erscheint danach als willkürlich, wenn sie sich dem inneren Zusammenhang der ganzen Regelung nicht folgerichtig einordnen lässt (vgl. Hans Schneider, Gesetzgebung, 2. Aufl. 1991, RdNrn. 58, 59 zu § 4). Eine solche gesetzliche Ungereimtheit bringt die Änderung des § 1 Abs. 1 Satz 2 der Regelsatzverordnung durch Art. 29 GMG mit sich. Nach dem bisherigen (selbst gewählten) Leistungssystem des Bundessozialhilfegesetzes werden (abgesehen von den Unterkunftskosten) nur die laufenden Leistungen zum Lebensunterhalt nach Regelsätzen gewährt, wobei die Regelsätze so zu bemessen sind, dass der laufende Bedarf und nicht der einmalige Bedarf dadurch gedeckt werden kann (§ 22 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 BSHG). Nach dem gesetzgeberischen Willen sollen nunmehr u.a. aber auch alle im Einzelfall nicht mehr von der Kasse gewährten medizinischen Leistungen und damit auch einmalige Bedarfe von Beziehern von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt aus den ihnen gewährten Regelsätzen bestritten werden. Der Gesetzgeber belastet damit die Regelsätze mit Anteilen einmaliger Leistungen der Krankenhilfe und hat dazu keinerlei Regelungen über eine etwaige Anpassung der Regelsätze getroffen. Vielmehr belässt er es dabei, dass bei der Festsetzung der Regelsätze diese Bedarfe nicht berücksichtigt werden können und nicht berücksichtigt werden dürfen. Diese Ungereimtheit konnte auch nicht durch eine - tatsächlich nicht geschehene - Anpassung der Regelsätze an die zusätzlichen Bedarfe begegnet werden (so Kostorz/Wahrendorf, ZFSH/SGB 2004, 387/392; vgl. auch Rothkegel ZFSHG/SGB 2004, 396/401 und Hammel ZFSHG/SGB 2004, 323/333 f.). Die Antragsgegnerin meint in diesem Zusammenhang zu Unrecht, der sozialhilferechtliche Grundsatz des Lohnabstandsgebotes rechtfertige es, die sich aus § 1 Abs. 1 Satz 2 RSV i.d. Fassung des Art. 29 GMG ergebende fehlende Bedarfsdeckung hinzunehmen. Dem steht nicht nur entgegen, dass nach § 4 Abs. 1 Satz 1 BSHG Hilfe zu gewähren ist, wenn das Bundessozialhilfegesetz einen Anspruch auf Sozialhilfe bestimmt. Vielmehr stellt § 22 Abs. 4 BSHG, der diesen Grundsatz näher bestimmt, den "durchschnittlichen Nettoarbeitsentgelten unterer Lohn- und Gehaltsgruppen" nicht nur die Regelsatzleistungen zusammen mit Durchschnittsbeträgen für Kosten von Unterkunft und Heizung, sondern auch für einmalige Leistungen gegenüber. Nach allem weicht der Gesetzgeber mit § 1 Abs. 1 Satz 2 RSV i.d. Fassung des Art. 29 GMG von dem bis zur Aufhebung des Bundessozialhilfegesetzes nach wie vor geltenden Leistungssystem der §§ 21 und 22 BSHG ab, ohne dieses - wie für die Zukunft in § 28 SGB XII vorgesehen - zu ändern. Die Abweichung von einem sonst befolgten Prinzip indiziert einen Verstoß gegen das Gleichheitsgebot (vgl. Hans Schneider, a.a.O., unter Hinweis auf BVerfGE 34, 115). Zwar muss der Gesetzgeber den einmal eingeschlagenen Weg nicht unbedingt fortsetzen, doch müssen systemwidrige Abweichungen oder Durchbrechungen durch besondere Gründe gerechtfertigt sein. Der Zwang, Geld zu sparen, berechtigt noch nicht, eine systemwidrige Abweichung vorzunehmen, sondern nötigt dazu, das ganze System zu korrigieren (vgl. Hans Schneider, a.a.O.) wie das der Gesetzgeber mit dem am 1. Januar 2005 in Kraft tretenden Zwölften Buch Sozialgesetzbuch getan hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits im Hinblick darauf, dass es sich vorliegend um ein Verfahren der vorläufigen Rechtsschutzgewährung handelt, von einer Vorlage nach Art. 100 GG abgesehen. Im Übrigen hält er § 1 Abs. 1 Satz 2 RSV i.d. Fassung des Art. 29 GMG für unvereinbar nur mit dem Ende des Jahres 2004 auslaufenden Bundessozialhilfegesetz. Zudem kann der festgestellte Mangel nicht nur vom Gesetzgeber, sondern gemäß Art. 34 GMG (sog. "Entsteinerungsklausel) wohl auch vom (Bundes-)Verordnungsgeber selbst behoben werden.

d) Weil der Antragsteller nach alledem einen weitergehenden Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht hat, als vom Verwaltungsgericht bestimmt, ist der angegriffene Beschluss im Ergebnis nicht zu beanstanden. Aus diesem Grunde greifen auch die Bedenken der Antragsgegnerin, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht sein Ermessen an die Stelle des behördlichen Ermessens gesetzt, nicht durch. Im Übrigen verkennt die Antragsgegnerin insoweit, dass dem Verwaltungsgericht im Eilverfahren nach § 123 VwGO auch in den Fällen der Regelungsanordnung des § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO eine richterliche Gestaltungsbefugnis gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 938 Abs. 1 ZPO zusteht, die es ihm erlaubt, die Behörde zu einer bestimmten Handlung zu verpflichten, wenn und soweit das zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes im vorläufigen Rechtsschutzverfahren erforderlich ist (st. Rspr. des Senats z.B. Beschluss vom 6.8.2003 Az. 12 CE 03.840 und 12 CE 03.1205; Happ in Eyermann, VwGO, 11. Aufl. 2000, RdNr. 66 zu § 123; Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl. 2003, RdNrn. 14 und 28 zu § 123). Das Verwaltungsgericht kann somit den Inhalt der einstweiligen Anordnung, die zur Regelung eines "vorläufigen Zustands" ergeht, unabhängig von dem der Behörde bei der Entscheidung über den materiell-rechtlichen Anspruch ggf. zustehenden Ermessensspielraum bestimmen.

3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 154 Abs. 2, § 188 Satz 2 Halbsatz 1 VwGO.

4. Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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