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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 04.03.2008
Aktenzeichen: 14 B 04.921
Rechtsgebiete: BeamtVG


Vorschriften:

BeamtVG § 31 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

14 B 04.921

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Anerkennung eines Dienstunfalls;

hier: Berufung des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 11. März 2004,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 14. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Zimniok, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Häring, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Boese

ohne mündliche Verhandlung am 4. März 2008

folgenden Beschluss:

Tenor:

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 11. März 2004 wird abgeändert.

Unter Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 7. August 2003 und deren Widerspruchsbescheid vom 27. November 2003 wird die Beklagte verpflichtet, den Unfall des Klägers vom 21. November 2002 im Zusammenhang mit dem Hochklappen eines Rollbehälterbodens und den dabei auftretenden Riss der distalen Bizepssehne am rechten Oberarm als Dienstunfall anzuerkennen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der am 7. September 1955 geborene Kläger stand als Beamter im Dienst der Beklagten und war bei der Niederlassung Produktion Paket der Deutschen Post AG als Kraftfahrer in R********* tätig. Im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit war er am 21. November 2002 gegen 11.30 Uhr im SB-Warenhaus E. in S. dabei, leere Rollbehälter zusammenzuklappen und einzuladen. Beim Hochklappen des Bodens eines Rollbehälters verspürte er plötzlich einen Riss im rechten Ellbogen (laut der Unfallanzeige vom 9. Dezember 2002). Am Tag des Unfallereignisses stellte er sich in der Gemeinschaftspraxis der Ärzte für Chirurgie/Unfallchirurgie/Sportmedizin Dr. med. T**** und Prof. Dr. med. B***** (Durchgangsärzte) vor. Auf Anfrage der Unfallkasse Post und Telekom teilte Prof. Dr. B***** als Befund der ersten Untersuchung folgendes mit: "Schmerzen im distalen (körperfernen) Bizepsbereich des rechten Oberarms. Nach Röntgen und Sonografie subtotale Ruptur der distalen Bizepssehne am rechten Oberarm. Distale Bizepssehnenrupturen sind in der Regel traumatisch bedingt, wenngleich im vorliegenden Fall die einwirkende Gewalt relativ gering gewesen ist." Der Kläger habe bei der ersten Untersuchung angegeben, beim Anheben einer etwa 10 kg schweren Last habe er einen Riss im Bereich des distalen Oberarms rechts verspürt. Die Unfallkasse Post und Telekom teilte daraufhin dem Kläger mit Schreiben vom 20. Dezember 2002 mit, die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Dienstunfall lägen nicht vor. Das willentliche An- oder Hochheben selbst eines schweren Gegenstands sei als koordinierter Bewegungsablauf zu werten, der von sich aus nicht geeignet sei, eine Selbstverletzung zu erzeugen. Der Kläger erwiderte darauf mit Schreiben vom 25. Dezember 2002, er wolle den Unfallhergang noch genauer beschreiben, da er mit der Entscheidung der Unfallkasse Post und Telekom nicht einverstanden sei. Beim Hochklappen des Bodens eines Rollbehälters habe er einen deutlichen Widerstand während des Hochschwenkens verspürt. In dem Augenblick als der Widerstand überwunden gewesen sei, habe er einen Riss im rechten Ellbogen verspürt.

Auf Anfrage der Beklagten erklärte Prof. Dr. M. N****** vom Klinikum der Universität R********* (Abteilung für Unfallchirurgie) in seiner Stellungnahme vom 22. Juli 2003, es sei ein Riss der distalen Bizepssehne rechts festgestellt worden. Der Kläger habe am 21. November 2002 beim Heben einer schweren Last von etwa 10 kg einen stechenden Schmerz im rechten Oberarm verspürt. Er berichte, vorher noch nie Schmerzen an dieser Stelle im Oberarm gehabt zu haben. Bei dem noch jungen Alter von zu Zeiten des Unfalls 47 Jahren sei eine ausgeprägte degenerative Vorschädigung unwahrscheinlich, jedoch nicht ausgeschlossen. Eine Biopsienahme zur Beurteilung des Ausmaßes der Degeneration sei damals nicht erfolgt, intraoperativ sei jedoch keine Degeneration ersichtlich. Eine definitive Klärung bezüglich degenerativer Vorerkrankung der distalen Bizepssehne lasse sich nicht erbringen; er tendiere jedoch dazu, das Reißen der Bizepssehne als traumatisch zu bewerten. Nach einem ebenfalls im Auftrag der Beklagten erstellten Gutachten des Arztes für Orthopädie Dr. med. H****** vom Institut für medizinische Begutachtung, M******, (***) vom 28. Juli 2003 mit ergänzender Stellungnahme vom 8. September 2003 wird ausgeführt, die Ereignisabläufe sprächen eher gegen als für den Zusammenhang ermittelter Befunde mit dem Unfallereignis. Die Ereignisschilderungen selbst vermittelten nicht, was sich einer plötzlichen und äußeren Gewalteinwirkung stimmig zuordnen ließe. Es handle sich um eine physiologische, muskulär kontrollierte Bewegung. Daran ändere auch nichts der Umstand, dass während des Hochschwenkens eines Bodens ein "Widerstand" eingetreten sein solle.

Die Unfallkasse Post und Telekom lehnte daraufhin mit Bescheid vom 7. August 2003 die Anerkennung des Unfallereignisses vom 21. November 2002 als Dienstunfall gemäß § 31 BeamtVG ab. Der Widerspruch des Klägers hatte keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 27. November 2003). Nach Auffassung der Beklagten handle es sich um eine Gelegenheitsursache, d.h. ein offensichtlich bereits vorbestehender degenerativer Körperschaden habe sich nur gelegentlich des dienstlichen Handelns beim Anheben des Rollbehälterbodens durch den Sehnenriss klinisch bemerkbar gemacht; dies hätte bei jedem sonstigen (privaten) alltäglichen Ereignis auch geschehen können.

Die beim Verwaltungsgericht Regensburg erhobene Klage mit dem Antrag,

unter Aufhebung des Bescheids der Unfallkasse Post und Telekom vom 7. August 2003 und des Widerspruchsbescheids vom 27. November 2003 die Beklagte zu verpflichten, das Unfallereignis vom 21. November 2002 als Dienstunfall anzuerkennen, wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 11. März 2004 ab. Zur Begründung wurde ausgeführt: Abgesehen vom Fehlen eines geeigneten schweren Unfallgeschehens habe der Kläger nicht nachgewiesen, dass die gerissene distale Bizepssehne nicht bereits krankhaft verändert gewesen sei. Die vorhandenen Befundberichte würden keine Aussage gegen die Annahme einer Vorschädigung treffen. Nach einer Kernspintomografie des rechten Ellbogengelenks in der radiologischen Gemeinschaftspraxis Dres. G********* und Koll. habe sich folgende Diagnose ergeben (Stellungnahme vom 7.1.2003): "Die Bizepssehne ist retrahiert und besitzt an ihrem Ende Verdickungen und zystische Veränderungen. Somit liegt eine deutliche Sehnendegeneration vor. Die distalen Anteile des Muskelbauches wirken verfettet."

Mit der vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Berufung verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Zur Begründung wird ausgeführt: Das Gutachten des *** sei nicht geeignet, die angefochtenen Bescheide zu stützen. Der Sachverständige habe selbst eingeräumt, dass der Verletzungshergang nicht bekannt sei. Der Kläger habe beim Hochklappen des Rollbehälterbodens einen Riss im rechten Ellbogen verspürt. So sei der Unfall durch ihn auch gemeldet worden. Er habe jedoch auch zusätzlich mitgeteilt, dass beim Hochklappen des Bodens ein deutlicher Widerstand während des Hochschwenkens zu spüren gewesen sei. Dieser Widerstand sei bei diesen Rollbehältern üblicherweise beim Hochschwenken nicht zu verspüren, so dass der Kläger die Bewegungen ausgeführt habe, ohne mit Widerstand zu rechnen. Deshalb sei davon auszugehen, dass die außergewöhnliche Belastung zu dieser Verletzung geführt habe. Die Ausführungen im Gutachten des *** stünden sowohl im Gegensatz zu den Feststellungen des Orthopäden Prof. Dr. B***** als auch zu der Auffassung der Universitätsklinik R********* vom 22. Juli 2003.

Der Verwaltungsgerichtshof erhob mit Beschluss vom 13. März 2006 (vgl. Änderungsbeschluss vom 27.3.2006) Beweis zu der Frage, ob für den Riss der distalen Bizepssehne am rechten Arm des Klägers die von ihm geschilderte Dienstverrichtung - Hochklappen des Bodens eines Rollbehälters - wesentlich kausal war oder eine wesentlich mitwirkende Teilursache dargestellt hatte; zu berücksichtigen sei dabei auch die schriftliche Erklärung des Klägers vom 25. Dezember 2002, er habe beim Hochklappen des Bodens eines Rollbehälters einen deutlichen Widerstand während des Hochschwenkens und nach Überwindung des Widerstands einen Riss im rechten Ellbogen verspürt. Mit der Erstellung des Gutachtens wurde Oberarzt Dr. med. J. H******* der Orthopädischen Klinik und Poliklinik der Ludwig-Maximilians-Universität M****** (Universitätsklinik M******) beauftragt.

Aus dem Gutachten der Universitätsklinik M****** vom 10. März 2007 ergibt sich folgendes: Ohne das Vorliegen des Beweises einer deutlichen degenerativen Vorschädigung, die im Fall der distalen Bizepssehne eben nicht per se wie bei der proximalen (körpernahen) langen Bizepssehne vorausgesetzt werden könne, sei in Anbetracht der biomechanischen Vorgänge das Hochklappen des Bodens eines Rollbehälters mit plötzlichem unerwartetem starken Widerstand kausal für den Sehnenriss gewesen oder habe zumindest eine wesentlich mitwirkende Teilursache dargestellt. Auf den Inhalt des Gutachtens wird Bezug genommen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung wird ausgeführt: Nach der Stellungnahme des fachärztlichen Beraters der Unfallkasse Post und Telekom Dr. med. V*** (fachärztlicher Berater) vom 24. September 2007 sei dem Gutachten der Universitätsklinik dahingehend zuzustimmen, dass bei dem vorliegenden Ereignis die Ruptur der distalen Bizepssehne tatsächlich erfolgt sei. Es gebe auch die Möglichkeit einer unfallbedingten Entstehung, nicht aber eine überwiegende Wahrscheinlichkeit im Sinn der hier anzuwendenden rechtlichen Kausallehre. Hierfür spreche nach Ansicht des fachärztlichen Beraters der Unfallhergang nach der Schilderung des Klägers. Bei einem sich wieder auflösenden Widerstand sei eine Verursachung der Ruptur im Rechtssinn unwahrscheinlich, anders bei einem vollständigen Blockieren. Die Ruptur der Bizepssehne könne deshalb nicht als Unfallfolge anerkannt werden. Das Gutachten der Universitätsklinik M****** habe den Sachverhalt jedenfalls nicht im Sinn einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit der Kausalität des Unfalls für den Bizepssehnenriss aufgeklärt. Deshalb werde folgender Beweisantrag gestellt:

Es möge ein erneutes orthopädisches Fachgutachten durch einen geeigneten medizinischen Sachverständigen zum Beweis dafür eingeholt werden, dass der nach der Unfallschilderung des Klägers selbst anzunehmende plötzliche Widerstand beim Hochklappen des Bodens eines Rollbehälters nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kausal im Sinn des Unfallrechts für den Riss der Bizepssehne gewesen sein kann, weil es sich hier um einen nach der Schilderung des Klägers wieder auflösenden Widerstand gehandelt habe.

Der technische Aufsichtsdienst der Beklagten habe keine Erkenntnisse vermitteln können, die den Prozessparteien nicht schon bekannt gewesen seien. Selbst wenn es einen Widerstand gegeben haben sollte, was nicht ausgeschlossen werden könne, so würden doch die Ausführungen des fachärztlichen Beraters den Unfallhergang nicht als wahrscheinlich für den Bizepssehnenriss erscheinen lassen.

Der Senat hat die Beteiligten nach § 130a VwGO zu der Möglichkeit angehört, im vorliegenden Fall durch Beschluss der Berufung stattzugeben, weil er sie einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

II.

Die zulässige Berufung ist begründet.

Der Senat kann über die Berufung durch Beschluss entscheiden, weil er sie einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 130a VwGO).

Die Bundesrepublik Deutschland ist als Dienstherrin der Beamten der Deutschen Telekom richtige Beklagte (vgl. § 2 Abs. 3 Sätze 1, 3 PostPersRG). Der Unfallkasse Post und Telekom sind zwar nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 PostSVOrgG die Aufgaben der Unfallfürsorge für die Beamten übertragen, an der Dienstherrneigenschaft des Bundes ändert sich dadurch aber nichts (vgl. OVG NRW vom 22.9.1997 Az. 12 A 6809/95, juris).

Die angefochtenen Bescheide der Unfallkasse Post und Telekom sind rechtswidrig. Der Kläger hat einen Anspruch darauf, dass das Unfallereignis vom 21. November 2002 als Dienstunfall anerkannt wird (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 11. März 2004 war deshalb abzuändern.

1. Ein Dienstunfall ist gemäß § 31 Abs. 1 BeamtVG ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares, einen Körperschaden verursachendes Ereignis, das in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist. Bei der Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits kommt es darauf an, ob der geltend gemachte Riss der distalen Bizepssehne beim Kläger ausschließlich oder zumindest im Sinn einer wesentlich mitwirkenden Teilursache auf das Unfallereignis am 21. November 2002 zurückzuführen ist. Nach dem für das Dienstunfallrecht maßgeblichen Kausalitätsbegriff ist auch der Fall der Mitursächlichkeit anerkannt, sofern die mehreren Ursachen in besonderer Beziehung zum Erfolg stehen und annähernd gleichwertig sind. Wesentlich ist die Ursache, die den Schadenseintritt maßgebend geprägt hat; andere Ursachen treten demgegenüber zurück. Sind mehrere Ursachen gegeben, ist jedoch keine dieser Ursachen den anderen gegenüber von überragender Bedeutung, sondern sind diese Ursachen einander annähernd gleichwertig, gilt die durch den Dienst gesetzte Ursache als alleinige (wesentliche) Ursache. Löst ein Unfallereignis ein bereits vorhandenes Leiden aus oder beschleunigt oder verschlimmert dieses, so ist das Unfallereignis dann nicht wesentliche Ursache für den Körperschaden, wenn das Ereignis von untergeordneter Bedeutung gewissermaßen "der letzte Tropfen" war, der das "Fass zum Überlaufen" brachte. Das Unfallereignis tritt dann im Verhältnis zu der schon gegebenen Bedingung (dem vorhandenen Leiden oder der Vorschädigung) derart zurück, dass die bereits gegebene Bedingung als allein maßgeblich anzusehen ist (vgl. BVerwG vom 18.1.1967 ZBR 1967, 219 f.; BVerwG vom 20.4.1967 BVerwGE 26, 332/339 f.).

2. Der Kläger, dem die volle Beweislast für die anspruchsbegründenden Voraussetzungen obliegt, muss nicht nur das Vorliegen eines Körperschadens sondern auch den Kausalzusammenhang mit dem Unfallgeschehen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit beweisen. Soweit sich die vorliegenden Gutachten hinsichtlich der Kausalität widersprechen, geht es im wesentlichen um die Frage, ob eine degenerative Vorschädigung mitursächlich für die geltend gemachte Verletzung aufgrund des Unfallgeschehens war oder ob das Unfallgeschehen als zumindest wesentliche Teilursache anzusehen ist. Nach Auffassung des Senats stellt das Unfallereignis des Klägers am 21. November 2002 eine wesentliche Teilursache für den Riss der distalen Bizepssehne dar.

a) Zu diesem Ergebnis kommt das vom Verwaltungsgerichtshof eingeholte fachorthopädische Gutachten von Oberarzt Dr. med. H******* der Universitätsklinik M****** vom 10. März 2007 mit ergänzender Stellungnahme vom 16. November 2007. Die von der Beklagten in Auftrag gegebenen Gutachten des *** vom 28. Juli 2003 und des fachärztlichen Beraters vom 24. September 2007 verneinen die Kausalität des Unfallereignisses für den Riss der distalen Bizepssehne. Die unterschiedliche Beurteilung der Gutachter beruht auch auf der abweichenden Bewertung des Unfallhergangs. Der fachärztliche Berater ist zwar der Auffassung, dass der Beurteilung der Universitätsklinik M****** zu folgen ist, d. h. das Unfallereignis war kausal für den Riss der Sehne, wenn es zu einem abrupten Widerstand im Sinn eines völligen Blockierens des Bodens des Rollbehälters gekommen sein sollte. Das entscheidende Kriterium liege aber im Hergang des Ereignisses. Wesentlich sei, dass in der Zeit unmittelbar nach dem Unfall völlig übereinstimmend (Unfallanzeige, Vorstellung am gleichen Tag bei Prof. Dr. B*****, Vorstellung am Folgetag im Caritas-Krankenhaus R*********) lediglich von einem Anheben oder einem Hochklappen, jedoch nicht von einem aufgetretenen Widerstand berichtet worden sei. Ein Widerstand, der sich nach der Schilderung des Klägers wieder auflöse, sei nicht gleichzusetzen mit einem abrupten vollständigen Blockieren. Dieser Hergang erscheine eher im Sinne einer unwesentlichen Teilursache auslegbar.

Der genaue Ablauf des Unfallgeschehens steht nach der Überzeugung des Senats mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aufgrund der Einlassungen des Klägers und der Verletzungsfolgen fest. In seiner Unfallanzeige bei der Niederlassung Produktion Paket R********* der Deutschen Post AG vom 9. Dezember 2002 führte der Kläger aus, er habe beim Hochklappen des Bodens eines Rollbehälters plötzlich einen Riss im rechten Ellbogen verspürt. Bei der Erstbehandlung durch Prof. Dr. B***** am 21. November 2002 gab der Kläger an, beim Anheben einer ca. 10 kg schweren Last habe er einen Riss im Bereich des rechten Oberarms verspürt. Nach der Stellungnahme des Arztes für Orthopädie Dr. med. G***** vom 21. November 2002 wird zur Vorgeschichte ausgeführt: "Am heutigen Tag bei Anheben Kanaldeckel während der Arbeit plötzlicher Riss rechter Ellenbogen." Erst auf den Einwand der Unfallkasse Post und Telekom mit Schreiben vom 20. Dezember 2002 hin, das willentliche An- bzw. Hochheben selbst eines schweren Gegenstands sei als koordinierter Bewegungsablauf zu werten, der von sich aus nicht zu einer Selbstverletzung führen könne, beschrieb der Kläger den Unfallhergang genauer (Schreiben vom 25. Dezember 2002). Beim Hochklappen des Bodens eines Rollbehälters habe er einen deutlichen Widerstand während des Hochschwenkens verspürt. In dem Augenblick, als der Widerstand überwunden worden sei, habe er einen Riss im rechten Ellbogen verspürt.

Zweifel am Wahrheitsgehalt dieser vom Kläger abgegebenen Unfallschilderung bestehen nicht deshalb, weil er bei den ersten ärztlichen Untersuchungen nach dem Unfallereignis nicht erwähnte, dass er beim Hochklappen des Bodens des Rollbehälters einen deutlichen Widerstand bemerkt hat. Denn aus seiner Sicht bestand zunächst kein Anlass, bereits bei der Unfallanzeige und bei den ärztlichen Untersuchungen Abläufe des Unfallgeschehens, die für eine abschließende orthopädische Beurteilung maßgebend sein könnten, im Einzelnen zu schildern. Den genauen Unfallhergang hat sich der Kläger offensichtlich erst in Erinnerung gerufen, als die Unfallkasse Post und Telekom die geltend gemachte Verletzung am Oberarm allein aufgrund des Hochhebens (selbst eines schweren Gegenstands) nicht für nachvollziehbar hielt. Die daraufhin ins Detail gehenden Unfallschilderung des Klägers steht jedenfalls nicht im Widerspruch zum Inhalt seiner Unfallanzeige, sondern präzisiert, was während des Hochhebens des Behälterbodens vor dem Riss im rechten Ellbogen passiert war.

Für die Richtigkeit der Unfallschilderung des Klägers spricht auch, dass bei der Art des von ihm verwendeten Rollbehälters beim Hochklappen des Bodens ein plötzlicher Widerstand auftreten kann. Denn die Ermittlungen des technischen Aufsichtsdienstes der Beklagten haben ergeben, dass beim Hochklappen des Bodens das Auftreten eines plötzlichen Widerstands nicht ausgeschlossen ist.

Im übrigen hält die Universitätsklinik R********* in ihrer Stellungnahme vom 22. Juli 2003 an die Unfallkasse Post und Telekom das Reißen der distalen Bizepssehne für unfallbedingt, offensichtlich unabhängig vom Auftreten eines plötzlichen Widerstands.

b) Der Gutachter der Universitätsklinik M****** ging deshalb bei der Beurteilung der Kausalität des Unfallereignisses für den Riss der distalen Bizepssehne zu Recht davon aus, dass der Kläger beim Hochheben des Behälterbodens einen plötzlichen unerwarteten und deutlichen Widerstand verspürt hat. Er kommt zu dem überzeugenden Ergebnis, in Anbetracht der biomechanischen Vorgänge sei das Hochklappen des Bodens eines Rollbehälter mit plötzlichem unerwartetem starken Widerstand kausal für den Sehnenriss gewesen oder habe zumindest eine wesentlich mitwirkende Teilursache dargestellt. Mögliche degenerative Vorschädigungen der distalen Bizepssehne stellten jedenfalls keine wesentlich mitwirkende Teilursache für das Reißen der Sehne dar. Eine deutliche degenerative Vorschädigung könne im Fall der distalen Bizepssehne nicht per se wie bei der proximalen langen Bizepssehne vorausgesetzt werden. Im Gegensatz zur proximalen (körpernahen) langen Bizepssehne, bei der es häufig zu degenerativen Rissen komme, sei die distale Bizepssehne nur in etwa 3% der Bizepssehnenrupturen betroffen.

In der Literatur werde die Entstehung jeweils zur Hälfte als traumatisch und als degenerativ beurteilt. Als adäquates Trauma werde eine plötzliche Last auf die vorgespannte Sehne in einer 90°-Stellung des Ellbogengelenks angesehen. Nach den Stellungnahmen in der Literatur liege das typische Alter der Verletzten zwischen 40 und 50 Jahren; es seien fast ausschließlich Männer betroffen. Das Vorliegen von degenerativen Schäden werde anders als bei der proximalen langen Bizepssehne sehr kontrovers gesehen. Allerdings werde in einer wissenschaftlichen Studie ein 7,5-fach erhöhtes Risiko für Raucher festgestellt, ebenso, dass meist der dominante Arm betroffen sei. Diese Daten würden weitgehend auf den Kläger zutreffen (männlich, am Unfalltag 47 Jahre alt, Rechtshänder, zum Unfallzeitpunkt erst seit kurzem Nichtraucher). Somit handle es sich um eine seltene Verletzung, die aber bei dieser Konstellation keine exotische Verletzung darstelle. Das Anheben eines Rollbehälterbodens, wie vom Kläger geschildert, reiche allein sicher nicht aus, um die Sehne zum Reißen zu bringen. Komme es jedoch beim schnellen Hochklappen eines schweren Gegenstands mit entsprechender Wucht zu einem plötzlichen Widerstand, der für den Ausführenden völlig überraschend sei, bestehe keine stabilisierende Wirkung durch den Antagonisten, und der angespannte Muskel werde in kontrahiertem Zustand gedehnt. Dass es hierbei zu einer zumindest teilweisen Sehnenzerreißung kommen könne, sei durchaus möglich. Es liege auch eine von außen einwirkende Kraft vor. Im vorliegenden Fall werde der vom Kläger aufgewendeten Kraft eine (Halte-)Kraft im Sinn des erhöhten Widerstands (von außen) entgegengesetzt. Als Parallelfall könne man die Achillessehnenruptur heranziehen. Komme es beim schnellen Loslaufen zur spontanen Ruptur, könne dies nicht im Sinn des Kausalzusammenhangs als Arbeitsunfall gewertet werden. Darüber herrsche in der Literatur weitgehend Einigkeit. Anders sei es jedoch zu beurteilen, wenn eine unvorhergesehene abrupte Längenänderung der vorgespannten Achillessehne aufgrund z.B. eines Erdloches oder einer kaputten Treppenstufe passiere. Auch dabei verkürze sich der Wadenmuskel unter einer schweren Last, die Antagonisten seien relativ entspannt und könnten die plötzliche Gegenkraft nicht sofort durch bestehende Vorspannung abfangen, weshalb die Sehne reiße. In derartigen Situationen könne der Kausalzusammenhang hergestellt und die Achillessehnenruptur als Arbeitsunfall anerkannt werden.

aa) Aufgrund der ärztlichen Stellungnahmen steht zur Überzeugung des Senats fest, dass degenerative Vorschädigungen der distalen Bizepssehne für den Unfallschaden nicht mitursächlich waren. Die Beurteilung des Arztes der radiologischen Gemeinschaftspraxis Dr. G*********, F****** und Dr. A******** vom 7. Januar 2003, das Ellbogengelenk weise arthrotische Veränderungen mit Gelenkerguss auf, führt nicht zu einem von dem Gutachten der Universität M****** abweichenden Ergebnis. So kommt auch der Gutachter des von der Beklagten eingeschalteten *** in seiner Stellungnahme vom 28. Juli 2003 mit der Ergänzung vom 8. September 2003 in Kenntnis der radiologischen Untersuchung zu dem Ergebnis, (deutliche) degenerative Veränderungen im Verletzungsbereich, die für den Riss der Sehne ursächlich gewesen sein könnten, ließen sich nicht feststellen (Stellungnahme vom 28.7.2003 S. 12 : "...nur mäßige degenerative Veränderung im Schultergelenk, sonst kein auffälliger Befund."). Auch nach der Stellungnahme des Klinikums der Universität R********* vom 22. Juli 2003 sei zum einen wegen des Alters des Klägers von 47 Jahren zum Zeitpunkt des Unfalls eine erhebliche degenerative Schädigung der distalen Bizepssehne unwahrscheinlich, zum anderen habe sich intraoperativ keine degenerative Schädigung erkennen lassen.

bb) Nach Auffassung des *** sei es jedoch nicht wahrscheinlich, dass es beim Anheben einer 10 kg schweren Last, wie der Kläger vorgetragen habe, zu einem Teilriss der körperfernen Bizepssehne kommen könne. Lege man die Angaben in der Unfallanzeige zugrunde, so vermittelten sie einen kontrollierten Bewegungsablauf, der einen Riss der Bizepssehne ebenfalls nicht ausreichend plausibel erkläre. Verletzungen der körperfernen Bizepssehne seien zwar selten, es müsse aber davon ausgegangen werden, dass es anlässlich des geschilderten Ereignisablaufs zu einem Teilriss der distalen Bizepssehne rechts gekommen sei. Die beschafften Anknüpfungs- und Befundtatsachen und hier insbesondere die Ereignisabläufe würden jedoch eher gegen als für den Zusammenhang ermittelter Befunde mit dem angegebenen Ereignis sprechen. Es handle sich hier um eine muskulär kontrollierte Bewegung; daran ändere auch nichts der Umstand, dass während des Hochschwenkens eines Bodens ein "Widerstand" eingetreten sein solle.

Dazu führt Dr. H******* von der Universitätsklinik M****** überzeugend aus, von einem kontrollierten Bewegungsablauf könne nur bis zum Erreichen des plötzlichen Widerstands gesprochen werden. Die abrupte Bremskraft beim Entstehen des Widerstands wirke keinesfalls kontrollierend ein. Aufgrund der gewaltigen ruckartigen Krafteinwirkung auf den in Beugekontraktion befindlichen Arm bei eingeleiteter Unterarmsupination (Auswärtsdrehung; Daumen zeigt nach außen, Handfläche nach oben) entstehe die Rissbildung meist durch die plötzliche Gewalteinwirkung auf den gebeugten und supinierten Unterarm, wobei die Bizepssehne durch reflektorische Kontraktion des Musculus bizeps brachii (Bizeps des Armes) so belastet sei, dass sie geschädigt werde. Beim Hochschwenken eines Bodens befinde sich der Unterarm genau in der Supination und der Musculus bizeps brachii werde kontrahiert. Da auch die Bremskraft als Krafteinwirkung zu sehen und hier plötzlich und unerwartet aufgetreten sei, sei es zu einer reflektorisch gesteigerten Kontraktion des Musculus bizeps brachii gekommen, wie sie für den Riss der distalen Bizepssehne gefordert werde.

cc) Das von der Beklagten in Auftrag gegebene Gutachten des fachärztlichen Beraters vom 24. September 2007 rechtfertigt ebenfalls keine Zweifel an der Richtigkeit des Gutachtens der Universitätsklinik M******. Der fachärztliche Berater kommt, wie ausgeführt, zunächst zu dem Ergebnis, der Beurteilung des Gutachters der Universitätsklinik M****** sei zu folgen, dass distale Bizepssehnenrupturen - im Gegensatz zu den deutlich häufigeren Rupturen der proximalen langen Bizepssehne - in der Regel traumatisch bedingt seien. Dass es bei dem Ereignis zu einem Riss der distalen Bizepssehne gekommen sei, erscheine unstrittig. Die alleinige Möglichkeit einer wesentlich traumatischen Entstehung, wie in dem Gutachten der Universitätsklinik dargelegt, reiche allerdings nicht zur Annahme zu einer unfallbedingten Entstehung aus. Der entscheidende Punkt liege im Hergang des Unfallereignisses. In aller Regel dürften die unmittelbar nach einem Ereignis gemachten Schilderungen bezüglich des Herganges zutreffend sein, da dieser dann noch frisch im Gedächtnis vorhanden sei. Ein Widerstand, der sich entsprechend der Schilderung des Klägers in der Widerspruchsbegründung und auch dem Gutachter der Universitätsklinik gegenüber wieder auflöse, sei nicht gleichzusetzen mit einem abrupten vollständigen Blockieren. Sollte es aber zu einem abrupten Widerstand im Sinn eines völligen Blockierens, beispielsweise aufgrund eines technischen Defektes, gekommen sein, so wäre der Beurteilung von Herrn Dr. H******* von der Universitätsklinik M****** zu folgen. In diesem Falle könne man eine wesentliche Teilursächlichkeit des Ereignisses nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit verneinen.

Der Gutachter der Universitätsklinik M****** äußerte sich mit Schreiben vom 16. November 2007 zu diesen Ausführungen dahingehend, der Kläger habe ihm gegenüber nicht erklärt, dass der Widerstand sich wieder von selbst aufgelöst habe. Deshalb sei er in seinem Gutachten von einem ruckartigen, sich nicht auflösenden Widerstand ausgegangen. Die Frage, die von Dr. V*** gestellt worden sei, ob die Ruptur der Sehne auch bei einem sich selbst wieder auflösenden Widerstand hätte auftreten können, müsse aber klar bejaht werden.

Auf den von der Beklagten gestellten Beweisantrag (Schreiben vom 9.7.2007), dass der nach der Unfallschilderung des Klägers selbst anzunehmende plötzliche Widerstand beim Hochklappen des Bodens eines Rollbehälters nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kausal im Sinn des Unfallrechts für den Riss der Bizepssehne gewesen sein könne, weil es sich hier um einen nach der Schilderung des Klägers wieder auflösenden Widerstand gehandelt habe, kommt es somit nach den überzeugenden Ausführungen des Gutachters der Universitätsklinik M****** nicht an.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Beschluss:

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 5.000 Euro festgesetzt (§ 52 Abs. 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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