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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 18.12.2006
Aktenzeichen: 15 BV 03.2892
Rechtsgebiete: VwGO, ZPO


Vorschriften:

VwGO § 101
VwGO § 103
VwGO § 105
VwGO § 126 Abs. 1
VwGO § 127
ZPO § 105
ZPO § 128 Abs. 2
ZPO § 516 Abs. 1
Die Rücknahme der Berufung ist auch nach einem Verzicht auf eine mündliche Verhandlung ohne Einwilligung des Berufungsbeklagten möglich, wenn infolge einer nach dem Verzicht eingelegten Anschlussberufung mündlich verhandelt wird und die Rücknahme in dieser mündlichen Verhandlung vor der Antragstellung erklärt wird.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

15 BV 03.2892

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Geldforderung;

hier: Berufung der Beklagten und Anschlussberufung des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 23. September 2003,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 15. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Happ, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Wünschmann, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Herrmann

ohne mündliche Verhandlung am 18. Dezember 2006

folgendes Urteil:

Tenor:

I. Es wird festgestellt, dass die Beklagte die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 23. September 2003 wirksam zurückgenommen hat. II. Die Anschlussberufung wird verworfen.

III. Von den Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger 3/4 und die Beklagte 1/4 zu tragen.

IV. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 v.H. des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

V. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

1. Die Beteiligten streiten in erster Linie darüber, ob die Beklagte ihre Berufung wirksam zurückgenommen hat (und damit auch die Anschlussberufung wirkungslos geworden ist). Gegenstand von Berufung und Anschlussberufung war die Frage, ob der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückzahlung von 29.533,35 Euro (entspricht 57.762,22 DM) hat, die der Kläger aufgrund einer Vereinbarung mit der Beklagten vom 29. Juli 1997 entrichtet hat. Das Verwaltungsgericht Regensburg hat - nach Verweisung des Rechtsstreits durch Beschluss des Landgerichts Passau vom 13. März 2002 - die Beklagte mit Urteil vom 23. September 2003 verpflichtet, an den Kläger 7.834,52 Euro (entspricht 15.322,99 DM) nebst Prozesszinsen hieraus in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit der Klage zu bezahlen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Der Senat macht sich die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts zu eigen und nimmt auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug (§ 130 b Satz 1 VwGO).

2. Die Beklagte hat Berufung eingelegt. In der mündlichen Verhandlung am 18. Januar 2005 haben die Beteiligten einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren zugestimmt. Der Kläger hat sich mit Schriftsatz vom 31. März 2006 der Berufung angeschlossen. Der daraufhin erklärten Berufungsrücknahme (Schriftsatz der Beklagten vom 7.4.2006) hat er seine Einwilligung versagt.

In der mündlichen Verhandlung am 11. Juli 2006 hat die Beklagte vor Antragstellung erneut ihre Berufung zurückgenommen. Der Kläger hat wiederum nicht eingewilligt.

3. Die Beklagte ist der Ansicht, sie habe die Berufung ohne Einwilligung des Klägers zurücknehmen können. Die Anschließung sei dadurch unwirksam geworden. Unabhängig davon stehe dem Kläger ein Anspruch auf Erstattung von gezahlten Planungs- und Leitungsverlegungskosten nicht zu. Der Kläger könne sich nicht darauf berufen, die Vereinbarung vom 29. Juli 1997 sei gleichheitswidrig. Er sei von Anfang an in das Planungsverfahren eingebunden gewesen und habe die Vereinbarung bewusst so geschlossen und hingenommen. Dem Kläger sei aus Gesprächen mit dem damaligen Bürgermeister W. und dem Ordinariat in Passau bekannt gewesen, dass nur er zur Zahlung der Kosten gemäß der genannten Vereinbarung herangezogen werde. Ein Erstattungsanspruch sei gemäß Art. 71 AGBGB erloschen.

Die Beklagte beantragt,

festzustellen, dass das Berufungsverfahren durch die Rücknahme der Berufung beendet ist,

hilfsweise,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 23. September 2003 aufzuheben, soweit es der Klage stattgegeben hat, und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen sowie das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 23. September 2003 aufzuheben, soweit die Klage abgewiesen worden ist, und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger weitere 21.698,83 Euro nebst Prozesszinsen zu zahlen.

Die Beklagte habe ihre Berufung nicht wirksam zurückgenommen. Der Verzicht auf mündliche Verhandlung führe stets dazu, dass ab Durchführung des schriftlichen Verfahrens das Einwilligungserfordernis bestehe. Etwas anderes ergebe sich nicht etwa daraus, dass die Anträge im Termin zur mündlichen Verhandlung am 18. Januar 2005 nicht gestellt worden seien. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren sei das nicht erforderlich, wenn die Anträge schriftsätzlich vorbereitet seien. Die Beklagte habe nur vom Kläger die Übernahme von Planungskosten und Kosten der Leitungsverlegung verlangt. Die Vereinbarung vom 29. Juli 1997 verstoße deshalb mit der Folge der Nichtigkeit gegen das Gebot der Gleichbehandlung.

4. Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalt wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und auf die beigezogenen Akten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Auf den Antrag des Berufungsklägers war festzustellen, dass die Berufung wirksam zurückgenommen worden ist (vgl. BVerwG vom 12.11.1993 NVwZ-RR 1994, 362). Die Anschlussberufung ist dadurch wirkungslos geworden und war zu verwerfen.

1. Die Beklagte (Berufungsklägerin) hat ihre Berufung wirksam zurückgenommen; eine Einwilligung des Klägers (Berufungsbeklagten) war nicht erforderlich.

Gemäß 126 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann die Berufung bis zur Rechtskraft des Urteils zurückgenommen werden. § 126 Abs. 1 Satz 2 VwGO schränkt die Verfügungsbefugnis des Berufungsklägers insoweit ein, als "die Zurücknahme nach Stellung der Anträge in der mündlichen Verhandlung" die Einwilligung des (Berufungs-)Beklagten voraussetzt.

a) Ausgehend vom Wortlaut des § 126 Abs. 1 VwGO bedurfte die Berufungsrücknahme für ihre Wirksamkeit nicht der Einwilligung des Klägers unabhängig davon, welche Rücknahmeerklärung der Beklagten betrachtet wird. In der mündlichen Verhandlung am 11. Juli 2006 hat die Beklagte die Zurücknahme vor der Antragstellung erklärt (vgl. Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 11.7.2006 S. 2). Mit Schriftsatz vom 7. April 2006 hat die Beklagte die Berufung erstmals zurückgenommen, nachdem die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung am 18. Januar 2005 ausweislich der Niederschrift keine Anträge gestellt haben.

Der Einwand des Klägers, die Anträge seien schriftsätzlich vorbereitet und deshalb in der mündlichen Verhandlung am 18. Januar 2005 nicht ausdrücklich zu stellen gewesen, greift nicht durch. Richtig ist nur, dass für die gerichtliche Entscheidung, die auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergeht, in der Anträge nicht gestellt worden sind, regelmäßig davon ausgegangen werden kann, dass der Kläger oder Berufungskläger eine Entscheidung über seine schriftsätzlich angekündigten Anträge begehrt (vgl. Dolderer in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, RdNr. 44 zu § 103; Eyermann/Geiger, VwGO, 12. Aufl. 2006, RdNr. 13 zu § 103). Für eine solche, durch das Mündlichkeitsprinzips (§ 101 Abs. 1 VwGO) veranlasste Unterstellung einer konkludenten Antragstellung in der mündlichen Verhandlung ist aber von vornherein kein Raum, wenn eine gerichtliche Entscheidung auf Grund dieser mündlichen Verhandlung nicht ergeht, die Beteiligten vielmehr zum Schluss der mündlichen Verhandlung ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklären (§ 101 Abs. 2 VwGO). Ist in dieser Weise auf eine mündliche Verhandlung verzichtet, so entscheidet das Gericht ohne weiteres auf der Grundlage der schriftlich gestellten Anträge. Darauf, dass dem Antrag in mündlicher Verhandlung im schriftlichen Verfahren der schriftsätzlich gestellte Antrag entspricht, beruht auch die verbreitete Annahme, eine Zurücknahme der Berufung setze - in entsprechender Anwendung des § 126 Abs. 1 Satz 2 VwGO - ab Eingang der letzten Verzichtserklärung auf eine mündliche Verhandlung die Einwilligung des Berufungsbeklagten voraus (dementsprechend BVerwG vom 6.2.1967 BVerwGE 26, 143/144: "... zumindest dann, wenn der Revisionsbeklagte auch schon seinen Revisionsantrag gestellt hatte ..."; ebenso Eyermann/Happ, VwGO, 12. Aufl. 2006, RdNr. 5 zu § 126; Meyer-Ladewig/Rudisile in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, RdNr. 9 zu § 126; Blanke in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, RdNr. 6 zu § 126; a.A. Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl. 2005, RdNr. 3 zu § 126 und RdNr. 14 zu § 92; Redeker/von Oertzen, VwGO, VwGO, 14. Aufl. 2005, RdNr. 2 zu § 126; Clausing in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, RdNr. 27 zu § 92 und für das sozialgerichtliche Verfahren Jungeblut in Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, BeckŽscher Online-Kommentar SGG, RdNr. 12 zu § 156: Bei einem Verzicht auf mündliche Verhandlung soll die Zurücknahme ohne Einwilligung bis zum Erlass der Entscheidung möglich sein).

b) Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Bestimmung des Zeitraums für die einwilligungsfreie Rücknahmeerklärung des Berufungsklägers bei einvernehmlichem Verzicht auf eine mündliche Verhandlung grundsätzlich zutrifft (und im Fall des Verzichts die einwilligungsfreie Rücknahme nicht allgemein bis zur gerichtlichen Entscheidung möglich ist). Die Berufungsrücknahme bedurfte selbst dann nicht der Einwilligung des Klägers, wenn angenommen wird, eine Zurücknahme setze nach einem Verzicht der Beteiligten auf (weitere) mündliche Verhandlung ab Eingang der letzten Verzichtserklärung regelmäßig die Einwilligung des Berufungsbeklagten voraus. Denn infolge der erneuten mündlichen Verhandlung am 11. Juli 2006 hatte schriftliche Antragstellung des Klägers im Schriftsatz vom 18. November 2003 ihre die Analogie zu § 126 Abs. 1 Satz 2 VwGO rechtfertigende maßgebliche Bedeutung wieder verloren und nur noch die Eigenschaft schriftsätzlicher Ankündigung. Ob die Verzichtserklärungen der Beteiligten nach § 101 Abs. 2 VwGO infolge der Anschlussberufung verbraucht waren, kann offen bleiben. Jedenfalls hatte sich die Prozesslage dadurch so wesentlich geändert (vgl. dazu Eyermann/Geiger, a.a.O., RdNr. 9 zu § 101 m.w.N.), dass sich der Senat veranlasst sah, die Beteiligten erneut zu einer mündlichen Verhandlung zu laden. In einem solchen Fall kann die Berufung vor Antragstellung in der (erneuten) mündlichen Verhandlung wiederum ohne Einwilligung des Berufungsbeklagten zurückgenommen werden (vgl. Eyermann/Happ, a.a.O., RdNr. 5 zu § 126; auch Eyermann/Rennert, VwGO, 12. Aufl. 2006, RdNr. 11 zu § 92).

Für eine entsprechende Anwendung des § 126 Abs. 1 Satz 2 VwGO im eingangs genannten Sinn ist in dieser konkreten Situation auch aus grundsätzlichen Erwägungen heraus kein Raum mehr. Die analoge Anwendung einer Rechtsvorschrift auf einen von ihr nicht unmittelbar geregelten Sachverhalt setzt voraus, dass der nicht geregelte und der durch die Vorschrift geregelte Sachverhalt in denjenigen Merkmalen im Wesentlichen übereinstimmen, die für die der Vorschrift zugrunde liegende rechtliche Bewertung maßgebend sind (vgl. BVerwG vom 25.1.1974 NJW 1974, 1260). Das ist hier nicht der Fall. Unter Hinweis auf die zur Klagerücknahme (§ 92 VwGO) ergangene amtliche Begründung (BT-Drs. III/55 S. 41) wird für eine entsprechende Anwendung angeführt, eine Einschränkung des Verfügungsgrundsatzes sei nach dem Eingang der letzten Verzichtserklärung zum Schutz des Berufungsbeklagten erforderlich. Andernfalls könne sich der Berufungskläger in einem Verfahrensstadium, in dem sich sein Unterliegen abzeichne, der endgültigen Klärung des Streitfalles entziehen (vgl. BVerwG vom 6.2.1967, a.a.O., zum gleichlautenden § 140 Abs. 1 Satz 2 VwGO; Meyer-Ladewig/Rudisile in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, RdNr. 9 zu § 126; Blanke in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, RdNr. 6 zu § 126). Dabei darf allerdings die völlig unterschiedliche Interessenlage bei einer Klagerücknahme einerseits, einer Berufungsrücknahme andrerseits nicht unberücksichtigt bleiben. Während dem Beklagten im Falle der Klagerücknahme eine gerichtliche Entscheidung über den Streitgegenstand vorenthalten wird, verbleibt dem Berufungsbeklagten bei einer Berufungsrücknahme das ihm günstige, nunmehr rechtskräftige erstinstanzliche Urteil. Dem Interesse des Berufungsklägers, über sein Rechtsmittel verfügen zu dürfen, steht damit regelmäßig ein im Vergleich zum Kläger bei der Klagerücknahme ungleich geringeres Interesse des Berufungsbeklagten (bzw. Beklagten) gegenüber. Eine entsprechende Anwendung des § 126 Abs. 1 Satz 2 VwGO, die im Falle des Verzichts auf mündliche Verhandlung das Einwilligungserfordernis bereits generell mit dem Zugang der letzten Verzichtserklärung entstehen lässt, verschärft die in der gesetzlichen Regelung angelegte Ungleichgewichtigkeit der Interessenbewertung nochmals zulasten der Dispositionsbefugnis des Berufungsklägers. Dass sich das Berufungsverfahren bei Verzicht auf mündliche Verhandlung in einem mit der Antragstellung in der mündlichen Verhandlung vergleichbar fortgeschrittenen Stadium mit überschaubaren Erfolgsaussichten befindet, ist im Übrigen weder gesichert noch auch nur typisch (vgl. auch Clausing in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, RdNr. 27 zu § 92). Das gebietet es, dem Verzicht auf mündliche Verhandlung auch mit Blick auf das Einwilligungserfordernis des § 126 Abs. 1 Satz 2 VwGO jedenfalls dann keine Wirkung mehr beizumessen, wenn das Gericht wegen einer veränderten Prozesslage (erneut) mündlich verhandelt.

Das Interesse des Berufungsbeklagten an seiner Anschlussberufung führt zu keinem anderen Ergebnis. Das Gesetz bindet im Gegenteil das Schicksal der Anschlussberufung an den Bestand der Berufung (§ 127 Abs. 5 VwGO), nicht umgekehrt.

Den verschiedenen Verfahrensordnungen kann angesichts unterschiedlicher Regelungen auch kein allgemeiner Rechtsgrundsatz entnommen werden, dass nach einem Verzicht auf die mündliche Verhandlung eine Rücknahme der Berufung ausnahmslos nur mit Einwilligung des Berufungsbeklagten möglich sein soll. Darauf zielt zwar für das finanzgerichtliche Revisionsverfahren die Regelung des § 125 Abs. 1 Satz 2 FGO, der zufolge die Rücknahme der Revision bei Verzicht auf die mündliche Verhandlung nur mit Einwilligung des Revisionsbeklagten möglich sein soll (ebenso § 72 Abs. 1 Satz 2 FGO für die Klagerücknahme). Im Gegensatz dazu kann der Berufungskläger im Zivilprozess die Berufung gemäß § 516 Abs. 1 ZPO in der Fassung des Zivilprozessreformgesetzes vom 27. Juli 2001 (BGBl I S. 1887) bis zur Verkündung des Berufungsurteils ohne Einwilligung des Berufungsbeklagten zurücknehmen. Für das schriftliche Verfahren, das unter den Voraussetzungen des § 128 Abs. 2 ZPO in allen Verfahrensarten und Instanzen zulässig ist (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, a.a.O., RdNr. 16 zu § 128) und (regulär) ebenfalls mit einem Termin zur Verkündung einer Entscheidung endet (§ 128 Abs. 2 Satz 2 ZPO), enthält § 516 Abs. 1 ZPO keine Einschränkung. Für das sozialgerichtliche Verfahren verlangt § 156 Abs. 1 Satz 2 SGG nach seinem Wortlaut die Einwilligung des Berufungsbeklagten nur, wenn die Berufung nach Schluss der mündlichen Verhandlung zurückgenommen wird. Eine Regelung für den Fall eines Verzichts auf mündliche Verhandlung fehlt.

2. Mit der wirksamen Rücknahme der Berufung hat die Anschlussberufung des Klägers ihre Wirkung verloren (§ 127 Abs. 5 VwGO). Sie ist zu verwerfen, weil sie der Kläger in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich aufrechterhalten hat (vgl. Eyermann/Happ, a.a.O., RdNr. 23 zu § 127 m.w.N.).

Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob die Anschlussberufung unabhängig davon auch deshalb zu verwerfen war, weil der Kläger die Anschlussberufung erst 2 Jahre und 4 Monate nach der Bekanntgabe der Berufungsbegründung eingelegt und demzufolge die prozessuale Befugnis verwirkt hat, sich der Berufung anzuschließen (§ 127 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO. Dabei war die Berufungsrücknahme (§ 155 Abs. 2 VwGO) und die Erfolglosigkeit der Anschlussberufung (§ 154 Abs. 2 VwGO - vgl. BGH vom 6.5.1987 NJW 1987, 3263) zu berücksichtigen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

4. Die Revision ist zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Höchstrichterlich ist zwar entschieden, dass die Revisionsrücknahme im Verfahren ohne mündliche Verhandlung in entsprechender Anwendung des § 140 Abs. 1 Satz 2 VwGO der Einwilligung des Revisionsbeklagten bedarf, wenn die Zurücknahme nach dem Eingang der letzten Einverständniserklärung erfolgt ist (BVerwG vom 6.2.1967 a.a.O.). Ungeklärt ist aber, ob eine Berufungsrücknahme dann der Einwilligung des Berufungsbeklagten bedarf, wenn die Beteiligten auf eine (weitere) mündliche Verhandlung verzichtet haben, eine solche aber dennoch stattfindet, nachdem sich der Berufungsbeklagte der Berufung angeschlossen hat.

Beschluss:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 29.533,35 Euro festgesetzt (§ 13 Abs. 1, § 14 Abs. 1 GKG i.d.F. der Bekanntmachung vom 15.12.1975 [BGBl I S. 3047], § 72 Nr. 1 GKG i.d.F. des KostRMG vom 5.5.2004 [BGBl I S. 718]).

Ende der Entscheidung

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