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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 27.01.2009
Aktenzeichen: 15 BV 08.263
Rechtsgebiete: AZV, SGB IX


Vorschriften:

AZV § 3 Abs. 1
SGB IX § 2 Abs. 2
SGB IX § 2 Abs. 3
SGB IX § 68 Abs. 3
SGB IX § 124
Ein schwerbehinderten Menschen nach § 2 Abs. 3 SGB IX gleichgestellter Beamter kann eine Verkürzung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit nach § 3 Abs. 1 Satz 2 AZV nicht beanspruchen.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

15 BV 08.263

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Absenkung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit;

hier: Berufung des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 20. November 2007,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 15. Senat, durch

den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Happ, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Ebersperger, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Linder

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 22. Januar 2009

am 27. Januar 2009

folgendes Urteil:

Tenor:

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 v.H. des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger steht als Zollamtmann im Dienste der Beklagten. Er begehrt die Verkürzung seiner wöchentlichen Arbeitszeit von 41 auf 40 Stunden.

Mit Bescheid vom 11. Mai 2004 hatte die Bundesagentur für Arbeit den Kläger, der einen Grad der Behinderung von 30 aufweist, einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Sein Antrag auf Absenkung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit wurde mit Bescheid vom 3. März 2006 abgelehnt, der hiergegen eingelegte Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 4. Juli 2006 zurückgewiesen.

Das Verwaltungsgericht München wies die Klage mit Urteil vom 20. November 2007 ab. Die Berufung wurde zugelassen.

Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 23. Januar 2008 ließ der Kläger Berufung einlegen und beantragen,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts München zu verpflichten, dem Kläger unter Aufhebung des Bescheids vom 3. März 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Juli 2006 ab Antragstellung die beantragte Verkürzung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 41 Stunden auf 40 Stunden zu gewähren.

Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Regelung in § 3 Abs. 1 Satz 2 Arbeitszeitverordnung (AZV), wonach schwerbehinderte Beamte eine Verkürzung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit auf 40 Stunden beantragen könnten, auch auf den Schwerbehinderten gleichgestellte Personen anwendbar sei. Aus den zur Gleichstellung erlassenen Vorschriften des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IX) ergebe sich, dass bis auf wenige Ausnahmen alle für Schwerbehinderte geltenden Vorschriften auch für gleichgestellte Behinderte Anwendung finden müssten. Die Gleichstellung von behinderten Menschen mit schwerbehinderten Menschen gelte gemäß der Normsystematik nur dann nicht, wenn das Gesetz ausdrücklich etwas Abweichendes bestimmt habe. Die Regelung in der Arbeitszeitverordnung enthalte keine ausdrückliche Beschränkung auf Schwerbehinderte im Sinne des § 2 Abs. 2 SGB IX. Eine solche Beschränkung sei auch der Begründung sowie den Hinweisen des Bundesministeriums des Innern zur Arbeitszeitverordnung nicht zu entnehmen.

Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 25. März 2008,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Verordnungsgeber habe durch Verwendung des Begriffs "schwerbehinderte Beamtinnen und Beamte" in § 3 Abs. 1 Satz 2 AZV ausdrücklich deutlich gemacht, dass nur Schwerbehinderten mit einem Grad der Behinderung von mindestens 50 eine Verkürzung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit ermöglicht werden solle. Die Gleichstellung bedeute keine vollständige Gleichbehandlung mit schwerbehinderten Menschen in allen Lebensbereichen. Sie führe lediglich zur Anwendung der Regelungen des Zweiten Teils des SGB IX. Ob daneben die Vorschriften anderer Gesetze, Verordnungen, Tarifverträge und Ähnlichem, die sich mit Schwerbehinderten befassen, auch auf Gleichgestellte anzuwenden seien, sei eine Frage der Auslegung.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten sowie auf die von der Beklagten vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verkürzung seiner wöchentlichen Arbeitszeit von 41 Stunden auf 40 Stunden (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

1. Aus § 3 Abs. 1 Satz 2 AZV lässt sich für den Kläger kein Anspruch auf Verkürzung seiner regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit ableiten.

Nach dem Wortlaut der Vorschrift soll "schwerbehinderten Beamtinnen und schwerbehinderten Beamten" die Möglichkeit einer Verkürzung eingeräumt werden. Nachdem sich in § 3 Abs. 1 Satz 2 AZV selbst keine Definition des Begriffes des "Schwerbehinderten" findet, ist auf die Regelungen des SGB IX zurückzugreifen. Nach § 2 Abs. 2 SGB IX gelten Menschen als schwerbehindert, bei denen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt. Der Kläger ist nicht schwerbehindert in diesem Sinne, sondern gilt nach § 2 Abs. 3 SGB IX als schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Für diesen Personenkreis gelten nach § 68 Abs. 3 SGB IX unmittelbar nur - mit wenigen Ausnahmen - die Regelungen in Teil 2 des SGB IX. Ob darüber hinaus eine Gleichbehandlung mit Schwerbehinderten erfolgen muss, kann dort, wo eine entsprechende ausdrückliche Bezugnahme fehlt, nur im Wege der Auslegung ermittelt werden (siehe hierzu Müller-Wenner/Schorn, SGB IX Teil II Schwerbehindertenrecht 2003, RdNr. 50 zu § 68; Lachwitz/Schellhorn/Welti, Handkommentar zum SGB IX, 2. Auflage 2006, RdNr. 11 zu § 68). So liegt der Fall hier. § 3 Abs. 1 Satz 2 AZV selbst enthält keinen ausdrücklichen Hinweis auf die Einbeziehung Gleichgestellter. Es ist deshalb eine Frage der Auslegung, ob gleichgestellte Menschen von der Regelung erfasst werden.

Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift spricht gegen eine solche Einbeziehung. In der Begründung des Bundesministeriums des Innern zum Entwurf einer Verordnung zur Neuordnung der Arbeitszeit der Beamtinnen und Beamten des Bundes, übersandt mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 7. Februar 2006 heißt es zu § 3 Abs. 1 Satz 2, dass schwerbehinderte Menschen von der Arbeitszeitverlängerung ausgenommen werden sollen. Zur Definition des Begriffes "schwerbehindert" greife die AZV auf den Inhalt des § 2 Abs. 2 SGB IX zurück. In der Begründung zum AZV-Entwurf wird weder der Begriff des "gleichgestellten behinderten Menschen" noch die Regelung des § 2 Abs. 3 SGB IX erwähnt. Damit deutet der Begründungstext eindeutig darauf hin, dass der Verordnungsgeber ausschließlich Schwerbehinderte i.S.v. § 2 Abs. 2 SGB IX im Blick hatte.

Des Weiteren spricht auch der in § 3 Abs. 1 Satz 5 AZV enthaltene - ausschließliche - Verweis auf § 116 Abs. 1 SGB IX dafür, dass die Möglichkeit der Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit auf den Personenkreis der Schwerbehinderten beschränkt sein soll. Mit der Verweisung auf § 116 Abs. 1 SGB IX hat der Verordnungsgeber bewusst darauf verzichtet, in der AZV selbst die Voraussetzungen für den Wegfall der in § 3 Abs. 1 Satz 2 AZV gewährten Vergünstigung festzulegen. Vielmehr sollte im Interesse einer einheitlichen Rechtsanwendung sichergestellt werden, dass die Rechtsfolgen eines Wegfalls der Voraussetzungen der Behinderteneigenschaft über das SGB IX hinaus in allen betroffenen Regelungsbereichen zum gleichen Zeitpunkt eintreten und der Schwerbehinderte in allen Lebensbereichen in gleicher Weise auf Übergangsfristen vertrauen kann (amtliche Begründung zu § 3 Abs. 1 des Verordnungsentwurfs). § 116 Abs. 1 SGB IX stellt insoweit eine Sonderregelung dar, die auch § 3 Abs. 1 Satz 4 AZV vorgeht (Hinweise des Bundesministeriums des Innern vom 24. Februar 2006 Az. D I 3 - 211 321 - 9/9). Einen entsprechenden Verweis auf die hierzu korrespondierende Vorschrift des § 116 Abs. 2 SGB IX für gleichgestellte behinderte Menschen hat der Verordnungsgeber nicht aufgenommen. Dies lässt nur den Schluss zu, dass Gleichgestellten im Sinne des § 2 Abs. 3 SGB IX nach dem Willen des Verordnungsgebers die Vergünstigung des § 3 Abs. 1 Satz 2 AZV nicht gewährt werden sollte und deshalb auch die Voraussetzungen für den Wegfall der Vergünstigung nicht in gleicher Weise wie für Schwerbehinderte geregelt werden mussten. Auch Sinn und Zweck der Vorschrift gebieten eine Einbeziehung von gleichgestellten Menschen nicht. Nach § 2 Abs. 3 SGB IX dient die Gleichstellung der Erlangung oder Beibehaltung eines geeigneten Arbeitsplatzes. Zu diesem Zweck werden nach § 68 Abs. 3 SGB IX die besonderen Regelungen für schwerbehinderte Menschen in Teil 2 des SGB IX mit Ausnahme des § 125 und des Kapitels 13 angewendet. Die Übertragung dieses Gedankens über den unmittelbaren Regelungsbereich des zweiten Teils des SGB IX hinaus erfordert jedenfalls dort, wo sich keine ausdrückliche Bezugnahme findet, dass die betreffende Vorschrift - jedenfalls auch - der Erlangung oder Beibehaltung eines geeigneten Arbeitsplatzes dient (siehe hierzu auch Lachwitz/ Schellhorn/Welti, a.a.O., RdNr. 12 und 51 ff. zu § 2). Diesen Zweck verfolgt die Arbeitszeitverordnung nicht. Sie stellt lediglich die inhaltliche Ausgestaltung des bei Beamten in der Regel dem Grunde nach nicht gefährdeten Dienstverhältnisses dar. Für eine Auslegung des § 3 Abs. 1 Satz 2 AZV dahingehend, dass auch Gleichgestellte erfasst werden sollen, besteht deshalb kein Anlass.

2. Ein Anspruch auf Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 40 Stunden ergibt sich auch nicht aus § 124 SGB IX. Nach dieser Vorschrift werden schwerbehinderte Menschen auf ihr Verlangen von Mehrarbeit freigestellt.

Grundsätzlich können sich hierauf nach § 68 Abs. 3 SGB IX auch gleichgestellte behinderte Menschen berufen. Auf die Art der Tätigkeit und den persönlichen Status kommt es nicht an, so dass u.a. auch Beamte erfasst werden (siehe hierzu Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen, SGB IX, 11. Aufl. 2005, RdNr. 2 zu § 124; Lachwitz u.a., a.a.O., RdNr. 4 zu § 124; Müller-Wenner/Schorn, a.a.O., RdNr. 2 zu § 124). Allerdings hat der Gesetzgeber eine einheitliche Definition des Begriffes der "Mehrarbeit" oder etwa gar eine Festlegung auf eine bestimmte tägliche oder wöchentliche Stundenzahl in § 124 SGB IX in Kenntnis der unterschiedlichen Ausgestaltungen der regelmäßigen Arbeitszeit bewusst unterlassen (BVerwG vom 30.1.2008 Az. 2 B 59.07 <juris>). Der Begriff der "Mehrarbeit" im Beamtenrecht ergibt sich für Bundesbeamte aus § 72 Abs. 2 BBG. Danach ist unter "Mehrarbeit" diejenige Arbeit zu verstehen, die über die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit hinaus zu erbringen ist. Insoweit geht das bundesgesetzlich geregelte Schwerbehindertenrecht den beamtenrechtlichen Regelungen nicht vor, sondern legt sie vielmehr zugrunde (BVerwG vom 30.1.2008 a.a.O.; Battis, BBG, 3. Aufl. 2004, RdNr. 13 zu § 72; Großmann/ Schimanski/Dopatka/Spiolek/Steinbrück, GK-SchwbG, 2. Aufl. 2003, RdNr. 17 ff. zu § 46). Für den Kläger beträgt die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AZV 41 Stunden. Damit wird von ihm keine "Mehrarbeit" verlangt, so dass aus § 124 SGB IX kein Anspruch auf eine Verkürzung abgeleitet werden kann.

Die Tatsache, dass schwerbehinderten Beamten in § 3 Abs. 1 Satz 2 AZV die Möglichkeit der Verkürzung auf 40 Stunden eingeräumt wird, bedeutet keine abweichende Definition des Begriffes der "Mehrarbeit" durch den Verordnungsgeber, sondern ist letztlich Ausdruck der besonderen Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegenüber dem schwerbehinderten Mitarbeiter (siehe hierzu auch BVerfG vom 30.1.2008 DVBl 2008, 448 ff. zur entsprechenden Regelung in der Verordnung über die Arbeitszeit für den bayerischen öffentlichen Dienst). Demgemäß ist die Begründung im Entwurf zur Arbeitszeitverordnung dahingehend zu verstehen, dass der Verordnungsgeber schwerbehinderten Beamtinnen und Beamten nicht mehr als 40 Wochenstunden zumuten wollte. Sie sollten insoweit nicht schlechter gestellt werden als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, für die das Arbeitszeitgesetz gilt. Dieser Fürsorgegedanke ist jedoch bei Gleichgestellten nicht zwingend im gleichen Umfang zu beachten, da Ziel der Gleichstellung, wie ausgeführt, vorrangig die Erlangung und Sicherung eines Arbeitsplatzes und der Schutz vor einer ungünstigen Konkurrenzsituation auf dem Arbeitsmarkt ist (LSG NRW vom 23.5.2002 Az. L 9 AL 241/01 <juris>; Großmann u.a., a.a.O., RdNr. 8 zu § 2).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.

4. Die Revision war nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. An der Klärung der im vorliegenden Verfahren aufgeworfenen Frage, ob gleichgestellte Bundesbeamte einen Anspruch auf Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit haben, besteht ein über den Einzelfall hinausgehendes, allgemeines Interesse.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 5.000 € festgesetzt (§ 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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