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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 29.09.2004
Aktenzeichen: 15 ZB 02.2958
Rechtsgebiete: WHG, VwGO


Vorschriften:

WHG § 32 Abs. 2 Satz 1
VwGO § 124 Nr. 1
VwGO § 124 Nr. 2
VwGO § 124 Nr. 3
1. § 32 Abs. 2 Satz 1 WHG ist unmittelbar geltendes Recht, das bei der Bauleitplanung zu beachten ist.

2. Zum Begriff des Überschwemmungsgebiets im Sinn von § 32 Abs. 2 Satz 1 WHG.

3. Zur Frage der Rechtzeitigkeit von Ausgleichsmaßnahmen im Sinn von § 32 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 WHG


Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

15 ZB 02.2958

In der Verwaltungsstreitsache

wegen

Genehmigung der Änderung des Flächennutzungsplanes durch Deckblatt Nr. 13;

hier: Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 08. Oktober 2002,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 15. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Happ, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Ganzer, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Wünschmann

ohne mündliche Verhandlung am 29. September 2004 folgenden

Beschluss:

Tenor:

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 15.300 Euro festgesetzt.

Gründe:

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht. Dabei kann offen bleiben, ob die von dem Kläger gegen die Begründung des angegriffenen Urteils dargelegten Einwendungen durchgreifen. Die Richtigkeit des angegriffenen Urteils ist, worauf es nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO entscheidend ankommt (vgl. Eyermann/Happ, VwGO, 11. Aufl. 2000, RdNr. 54 zu § 124), jedenfalls im Ergebnis nicht ernstlich zweifelhaft.

Das Verwaltungsgericht ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger keinen Anspruch auf Genehmigung der Änderung des Flächennutzungsplans durch Deckblatt Nummer 13 hat. Die Änderungsplanung verstößt gegen § 32 Abs. 2 Satz 1 WHG. Nach dieser Bestimmung sind Überschwemmungsgebiete in ihrer Funktion als natürliche Rückhalteflächen zu erhalten; soweit dem überwiegende Gründe des Wohls der Allgemeinheit entgegenstehen, sind rechtzeitig die notwendigen Ausgleichsmaßnahmen zu treffen. Es handelt sich um unmittelbar geltendes Recht, das bei der Bauleitplanung zu beachten ist (vgl. Drost, Das Wasserrecht in Bayern, RdNrn. 20 und 38 zu § 32 WHG; Knopp in Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, Wasserhaushaltsgesetz, RdNrn. 22 und 28 zu § 32).

a) Die von der Änderungsplanung betroffenen Flächen liegen innerhalb eines Überschwemmungsgebiets im Sinn von § 32 Abs. 2 Satz 1 WHG. Einer förmlichen Festsetzung (Art. 61 BayWG) bedarf es insoweit nicht. Maßgeblich ist allein die Begriffsbestimmung des § 32 Abs. 1 Satz 1 WHG (BayVGH vom 27.4.2004 Az. 26 N 02.2437 und vom 11.8.2003 Az. 20 ZB 03.1739; Knopp, a.a.O., RdNr. 27 zu § 32). Überschwemmungsgebiete sind danach unter anderem Gebiete, die bei Hochwasser überschwemmt oder durchflossen werden. Abzustellen ist im Siedlungsbereich auf das hundertjährliche Hochwasser, das heißt ein Hochwasser, das statistisch im Verlauf von 100 Jahren einmal eintritt (vgl. BayVGH vom 19.2.1992 ZfW 1992, 499; Knopp, a.a.O., RdNrn. 13 und 28 zu Art. 32; Drost, a.a.O., RdNr. 18 zu § 32 WHG). Dieser Maßstab entspricht auch der fachlichen Praxis. So billigt es die DIN 19712, dass die Wiederholungszeitspanne des Bemessungshochwassers für dicht bebaute Industrie- und Siedlungsgebiete "meist größer als 100 Jahre angesetzt" wird (vgl. DIN 19717 Nr. 4.2.2). Das Landesentwicklungsprogramm Bayern 2003 geht im Einklang damit für technische Schutzmaßnahmen wie etwa Deiche davon aus, dass im Siedlungsbereich mindestens Sicherheit gegen ein Hochwasserereignis gewährleistet sein soll, das in 100 Jahren einmal erreicht oder überschritten wird (vgl. Landesentwicklungsprogramm Begründung zu B I Nr. 3.3). Das Plangebiet erfüllt dieses Maß an Hochwassersicherheit trotz der vorhandenen Deiche nicht. Die Deiche (Donauhauptdeiche und Rücklaufdeich des Mettener Baches) bieten nach Lage der Akten mangels eines für ein HW100 ausreichend hohen Freibords keinen hinreichenden Schutz vor Überschwemmung (vgl. Schreiben des Wasserwirtschaftsamts an die Regierung von Niederbayern vom 13.2.2002 - VGH-Akt Bl. 51 R und Schreiben des Wasserwirtschaftsamts an den Kläger vom 25.4.2000 - Planungsakte Fach 3).

b) Das Deckblatt Nummer 13 gibt, soweit es Gewerbe- und Mischgebietsflächen nördlich und Gewerbeflächen südlich des Mettener Grabens darstellt, die Funktion des bestehenden Überschwemmungsgebiets auf. Es widerspricht damit dem Gebot, Überschwemmungsgebiete in ihrer Funktion als natürliche Rückhalteflächen zu erhalten, ohne dass diesem Gebot überwiegende Gründe des Wohls der Allgemeinheit entgegenstehen.

Es kann dahin stehen, ob § 32 Abs. 2 Satz 1 WHG vom Planungsträger strikt zu beachten und deswegen der planerischen Abwägung entzogen ist mit der Folge, dass durch das Gericht uneingeschränkt nachprüfbar ist, ob dem Erhaltungsgebot überwiegende Gründe des Allgemeinwohls entgegenstehen (vgl. Knopp, a.a.O., RdNr. 30). Zumindest verleiht diese Vorschrift dem Hochwasserschutz dadurch ein besonderes Gewicht, dass Überschwemmungsgebiete nicht schon dann in ihrer Funktion beseitigt werden dürfen, wenn andernfalls das Wohl der Allgemeinheit beeinträchtigt ist, sondern nur dann, wenn einem Erhalt des Überschwemmungsgebiets überwiegende Allgemeinwohlgründe entgegenstehen (vgl. auch BayVGH vom 27.4.2004 Az. 26 N 02.2437). Der Kläger hat diese Gewichtung bei der Abwägung (§ 1 Abs. 6 BauGB) verkannt und gewerblichen Entwicklungsmöglichkeiten den Vorzug gegeben, obgleich sie im Vergleich zum Hochwasserschutz hier kein besonderes Gewicht haben. Als Gründe des Allgemeinwohls nennt der Erläuterungsbericht zu Deckblatt Nummer 13, das vorhandene gewerbliche Entwicklungspotential sei nicht ausreichend. Der Kläger benötige neue gewerblich nutzbare Flächen. Entwicklungsmöglichkeiten böten sich nur am vorgesehenen Standort. Das Teilraumgutachten der Landesplanung in Bayern für den Raum Deggendorf/Plattling aus dem Jahr 1996 bestätigt zwar, dass die Entwicklungsmöglichkeiten des Klägers für Wohnen und Gewerbe stark begrenzt sind (S. 116 des Gutachtens). Allerdings sieht das Gutachten für das Gebiet des Klägers keinen in irgendeiner Weise herausgehobenen Handlungsbedarf. Vielmehr stellt es fest, dass der Markt Metten nicht im so genannten Entwicklungsbereich liegt, sondern im Konsolidierungsbereich (S. 180 des Gutachtens). Es schlägt deshalb für das Gemeindegebiet des Klägers vor, eine behutsame Nutzung der Flächenreserven und der Entwicklungspotentiale anzustreben, wobei besonderes Augenmerk auf eine Nachverdichtung zu richten sei (S. 298 des Gutachtens). Damit wird deutlich: Für das Gebiet des Klägers besteht kein besonderer gewerblicher Siedlungsdruck. Die Ausweisung zusätzlicher Gewerbe- und Mischgebietsflächen hat deshalb, auch mit Blick auf den Umfang der dargestellten Gewerbeflächen, für die gewerbliche Entwicklung im Gebiet des Klägers keine so hohe Bedeutung, dass sie das besondere Gewicht des Hochwasserschutzes überwinden könnte. Gegenteiliges kann weder dem Erläuterungsbericht und den Planungsunterlagen noch dem Vorbringen des Klägers entnommen werden. Allein der Umstand, dass ein Betrieb mangels geeigneter Gewerbeflächen abgewandert sein soll (vgl. Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 8.10.2002 S. 2) rechtfertigt es nicht, das besondere Gewicht des Hochwasserschutzes zu überwinden.

c) Ob das angegriffene Urteil mit Blick auf die nach § 32 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 WHG erforderlichen Ausgleichsmaßnahmen im Ergebnis auch dann richtig wäre, wenn dem Erhalt des Überschwemmungsgebiets überwiegende Gründe des Allgemeinwohls entgegenstünden, kann dahinstehen.

Ausgleichsmaßnahmen sind auch dann notwendig, wenn die Funktion eines nicht festgesetzten (tatsächlichen) Überschwemmungsgebiets beeinträchtigt wird (vgl. Knopp, a.a.O., RdNr. 29 zu § 32). Für die von dem Kläger in erster Instanz geäußerte gegenteilige Ansicht besteht nach dem Wortlaut und Zweck (vorbeugender Hochwasserschutz) des § 32 Abs. 2 Satz 1 WHG kein Raum.

Für die Rechtzeitigkeit der durch das Deckblatt Nummer 13 ausgelösten Ausgleichsmaßnahme könnte zu fordern sein, dass die Gemeinde sie im Verfahren zur Änderung des Flächennutzungsplans vorsieht. Andernfalls wäre kaum sichergestellt, dass die erforderlichen - notwendigerweise im Außenbereich gelegenen - Maßnahmen nicht durch eine anderweitige Nutzung von Flächen unterbunden werden (vgl. Drost, a.a.O., RdNr. 42 zu § 32; Knopp, a.a.O., RdNrn. 29 und 32 zu § 32). Die Ansicht des Klägers, für Ausgleichsmaßnahmen könne noch im Zuge der Aufstellung eines Bebauungsplans gesorgt werden, wird der Leitfunktion, die der Flächennutzungsplan für die städtebauliche Entwicklung hat, nicht gerecht.

2. Die Rechtssache hat unter Berücksichtigung der zur Ergebnisrichtigkeit des Urteils angesprochenen Fragen keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Die Beantwortung der im Zusammenhang mit § 32 Abs. 2 Satz 1 WHG aufgeworfenen Fragen ist durch die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs vorgezeichnet und im Übrigen nicht kontrovers.

3. Die vom Kläger aufgeworfenen Fragen begründen nicht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die Frage, ob es bereits auf der Ebene der Flächennutzungsplanung für eine ordnungsgemäße Abwägung erforderlich ist, dass eine ausreichende Hochwassersicherheit tatsächlich besteht, ist nicht klärungsfähig. Sie würde sich in einem Berufungsverfahren nicht stellen, weil - wie dargelegt - § 32 Abs. 2 Satz 1 WHG bereits bei der Aufstellung oder Änderung eines Flächennutzungsplans als unmittelbar geltendes Recht zu beachten ist. Nichts anderes gilt für die Frage, ob bereits im Rahmen der Abwägung zu einem Flächennutzungsplan zwingend die Einhaltung einer Hochwassersicherheit für ein hundertjährliches Hochwasser zu berücksichtigen ist. Die vom Kläger weiterhin aufgeworfene Frage, ob die Sicherheit der Wohn- und Arbeitsbevölkerung im Hinblick auf Hochwasserschutz erst dann gewährleistet ist, wenn Schutzvorkehrungen für ein hundertjährliches Hochwasser vorhanden sind, ist nicht klärungsbedürftig. Sie ist, wie ausgeführt, bereits eindeutig beantwortet.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 13 Abs. 1 Satz 1, § 14 Abs. 3 GKG i.d.F. der Bekanntmachung vom 15.Dezember 1975 (BGBl I S. 3047), § 72 Nr. 1 GKG i.d.F. des KostRMG vom 5. Mai 2004 (BGBl I S. 718).

5. Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).



Ende der Entscheidung

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