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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 10.03.2005
Aktenzeichen: 16a DA 05.298
Rechtsgebiete: VwGO, BayDO, BayVwVfG


Vorschriften:

VwGO § 106
BayDO Art. 84 Abs. 3
BayDO Art. 81 Abs. 2
BayVwVfG Art. 54
BayVwVfG Art. 60
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

16a DA 05.298

In dem Antragsverfahren

wegen Einbehaltung von Bezügen (Antrag nach Art. 84 Abs. 3 BayDO);

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 16a. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Thomas, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Weber den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Boese,

ohne mündliche Verhandlung am 10. März 2005 folgenden

Beschluss:

Tenor:

I. Der Bescheid des Landratsamts C*** vom 10. Januar 2005 wird aufgehoben.

II. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Kostenentscheidung des förmlichen Disziplinarverfahrens vorbehalten.

Gründe:

I.

Der Beamte wendet sich gegen die Einbehaltung seiner Dienstbezüge bis zu einem Anteilsbetrag von 950 Euro pro Monat.

1. Der am 11. Januar 1951 in F******* (Landkreis C***) geborene Beamte ist seit dem 1. April 1983 Beamter auf Lebenszeit und war von 1979 bis 1996 als Hauptschullehrer tätig. Im Jahr 1996 wurde er zum berufsmäßigen ersten Bürgermeister des Marktes F******* gewählt und im Jahr 2002 wiedergewählt. Seine Dienstbezüge richten sich nach der Besoldungsgruppe A 14 (brutto: 4.273,17 Euro / netto: 3.474,39 Euro) zuzüglich einer Dienstaufwandsentschädigung. Der Beamte ist verheiratet und hat zwei volljährige Söhne, die in R********* wohnen und studieren. Seine Ehefrau ist berufstätig (monatliches Nettoeinkommen: 1.023,64 Euro). Der Beamte bewohnt mit seiner Familie ein noch mit Darlehen belastetes Eigenheim.

2. Mit rechtskräftigem Strafbefehl vom 5. März 2003 verhängte das Amtsgericht C*** gegen ihn wegen Sichverschaffens kinderpornografischer Schriften eine Geldstrafe in Höhe von 110 Tagessätzen zu je 60 Euro (insgesamt 6.600 Euro).

3. Der Landrat des Landkreises C*** ordnete - nach Durchführung der Vorermittlungen - die Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens gegen den Beamten an und enthob ihn vorläufig des Dienstes (Bescheid vom 9.4.2003). Nach Einreichung der Anschuldigungsschrift vom 7. Juni 2004 und nach Durchführung der mündlichen Verhandlung erkannte das Verwaltungsgericht Regensburg mit Urteil vom 19. November 2004 wegen eines Dienstvergehens auf die Disziplinarmaßnahme der Entfernung aus dem Dienst und bewilligte dem Beamten auf die Dauer von sechs Monaten einen Unterhaltsbeitrag in Höhe von 75 v.H. des Ruhegehalts. Über die hiergegen eingelegte Berufung (Az. *** * *******) wurde noch nicht entschieden.

4. Bereits nach Einleitung des Disziplinarverfahrens hatte der Landrat des Landkreises C*** die Einbehaltung der monatlichen Dienstbezüge zu einem Anteilsbetrag von 1.282 Euro (Bescheid vom 26.6.2003) bzw. 1.400 Euro (Bescheid vom 22.8.2003) verfügt. Hiergegen hatte sich der Beamte am 23. Juli 2003 mit einem Antrag an das Verwaltungsgericht (Az. RO 10 DA 03.1401) gewandt. Gemäß dem gerichtlichen Vergleich vom 4. November 2003 änderte das Landratsamt letztgenannten Bescheid dahingehend, dass die monatlichen Dienstbezüge des Beamten zu einem Anteilsbetrag von 300 Euro einbehalten werden, und hob den Bescheid vom 26. Juni 2003 rückwirkend auf (Bescheid vom 7.11.2003). Mit Bescheid vom 10. Januar 2005 ordnete das Landratsamt die Einbehaltung der monatlichen Dienstbezüge zu einem Anteilsbetrag von 950 Euro ab dem 1. Februar 2005 an.

5. Am 1. Februar 2005 beantragte der Beamte beim Verwaltungsgerichtshof unter Hinweis auf die Bindungswirkung des Vergleichs vom 4. November 2003,

den Bescheid vom 10. Januar 2005 aufzuheben und die Einbehaltungsanordnung vom 7. November 2003 wieder in Kraft zu setzen.

Die Einleitungsbehörde beantragt,

den Antrag abzuweisen.

Die Einbehaltung von Dienstbezügen habe sich bislang auf die vorläufige Dienstenthebung nach Einleitung des Disziplinarverfahrens (Art. 81 Abs. 1 Satz 1 BayDO) gestützt. Allein hierauf beziehe sich der Vergleich vom 4. November 2003. Mit dem Urteil des Verwaltungsgerichts vom 19. November 2004 sei eine neue Sach- und Rechtslage eintreten, die sich nach Art. 81 Abs. 2 BayDO bestimme.

6. Ergänzend wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen. Die Gerichts- und Behördenakten des Verfahrens Az. 16a D 04.3502 wurden beigezogen.

II.

1. Der Antrag des Beamten auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig (dazu unten Buchstabe a) und hat auch in der Sache Erfolg (dazu unten Buchstabe b).

a) Der Antrag des Beamten auf gerichtliche Entscheidung ist gemäß Art. 84 Abs. 3 BayDO zulässig. Der Verwaltungsgerichtshof ist als das Gericht, bei dem das Verfahren in Hauptsache anhängig ist, zur Entscheidung über diesen Antrag berufen (BVerwG vom 4.7.1995 Dok.Ber. 1995, 307 f.).

b) Der Antrag hat auch in der Sache Erfolg. Der Bescheid des Landratsamts C*** vom 10. Januar 2005 ist rechtswidrig und damit aufzuheben, weil er dem am 4. November 2003 zwischen den Beteiligten vor dem Verwaltungsgericht Regensburg geschlossenen Vergleich widerspricht. Denn entgegen der von der Einleitungsbehörde vertretenen Auffassung besteht nach wie vor eine Bindung der Beteiligten an diesen Vergleich. Dabei ist Folgendes zu berücksichtigen:

An der prozessualen und materiell-rechtlichen Wirksamkeit des am 4. November 2003 protokollierten gerichtlichen Vergleichs hat der Senat keine Zweifel. Solche wurden auch von den Beteiligten nicht vorgetragen. Zeitliche Einschränkungen der Gültigkeitsdauer (z.B. Gültigkeit nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt oder bis zum Erlass des erstinstanzlichen Urteils) sind dem Vergleich weder ausdrücklich zu entnehmen, noch lässt sich die im Prozessvergleich getroffene Vereinbarung nach der entsprechend anzuwendenden Auslegungsregel des § 157 BGB (BVerwG vom 1.12.1989 BVerwGE 84, 157/162) in einem solchen Sinne verstehen. Insbesondere lässt sich dem Vergleich nicht einmal ansatzweise entnehmen, dass die Beteiligten Gültigkeit dieser Vereinbarung bis zum Abschluss des (Hauptsache)Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht Regensburg befristen wollten. Somit entfaltet der Vergleich vom 4. November 2003 gemäß der allgemeinen Zielrichtung einer Vergleichsvereinbarung, durch gegenseitiges Nachgeben einen vorhandenen Konflikt zu lösen und künftig alleinige Grundlage der Rechtsbeziehungen zwischen den Beteiligten zu bilden (vgl. nur OVG NRW vom 15.8.1996 juris-Dokument MWRE296006492), nach wie vor Bindungswirkung zwischen den am Vergleichsabschluss Beteiligten und zwar bis zum rechtskräftigen Abschluss des Disziplinarverfahrens (Art. 84 Abs. 4 BayDO).

Der Einwand der Einleitungsbehörde, die Befugnis zum Erlass des streitgegenständlichen Bescheids vom 10. Januar 2005 sei darauf zu stützen, dass sich mit dem Urteil des Verwaltungsgerichts vom 19. November 2004 die Sach- und Rechtslage geändert habe (so: Schriftsatz vom 14.2.2005), führt zu keiner anderen Beurteilung. Denn soweit die Einleitungsbehörde ihr Vorbringen dahingehend verstanden wissen will, dass die Geschäftsgrundlage für den Vergleich vom 4. November 2003 nachträglich weggefallen sei, dringt sie damit nicht durch. Zwar gelten für den Prozessvergleich im Sinne des § 106 VwGO, der eine Doppelnatur hat (Prozesshandlung und zugleich öffentlich-rechtlicher Vertrag), die Vorschriften der Art. 54 ff. BayVwVfG (BVerwG vom 4.11.1987, NJW 1988, 662/663 = BayVBl 1988, 121). Damit ist gemäß Art. 60 BayVwVfG grundsätzlich auch die Berufung auf einen Wegfall der Geschäftsgrundlage möglich (so zum gleichlautenden § 60 BadWürttVwVfG: VGH BW vom 28.2.1997 VBlBW 1997, 301/302 = NVwZ-RR 1998, 465/466). Demnach kann nach Absatz 1 S. 1 dieser Vorschrift, wenn sich die Verhältnisse, die für die Festsetzung des Vertragsinhalts maßgebend gewesen sind, seit Abschluss des Vertrags so wesentlich geändert haben, dass einer Vertragspartei das Festhalten an der ursprünglichen vertraglichen Regelung nicht zuzumuten ist, diese Vertragspartei eine Anpassung des Vertragsinhalts an die geänderten Verhältnisse verlangen oder, sofern eine Anpassung nicht möglich oder einer Vertragspartei nicht zuzumuten ist, den Vertrag kündigen. Eine solche Situation ist aber nur dann anzunehmen, wenn Änderungen eingetreten sind, mit denen die Vertragspartner bei Abschluss des Vertrags nicht gerechnet haben, und die bei objektiver Betrachtung so erheblich sind, dass nicht angenommen werden kann, dass der Vertrag bei ihrer Kenntnis mit dem gleichen Inhalt geschlossen worden wäre (so bereits zur Rechtslage vor Erlass dieser Vorschrift: Urteil des BVerwG vom 25.11.1966, BVerwGE 25, 299/302 f.; ferner Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Aufl. 2003, § 60 RdNr. 8 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind hier jedoch ersichtlich nicht gegeben.

Auch aus der Regelung des Art. 81 Abs. 2 BayDO ergibt sich - entgegen der von der Einleitungsbehörde vertretenen Auffassung - nichts anderes. Nach dieser Vorschrift ist dem Beamten, wenn in einem auf Entfernung aus dem Dienst lautenden, noch nicht rechtskräftigen Urteil ein Unterhaltsbeitrag bewilligt worden ist, mindestens ein dem Betrag des Unterhaltsbeitrags entsprechender Teil des Gehalts zu belassen. Diese Regelung verpflichtet die Einleitungsbehörde mithin allein dahingehend, eine vor Erlass des Urteils angeordnete Einbehaltung so zu verringern, dass dem Beamten zumindest ein Gehalt in Höhe des im Urteil festgesetzten Unterhaltsbeitrags verbleibt. Keinesfalls kann aber aus dieser Vorschrift eine Verpflichtung der Einleitungsbehörde abgeleitet werden, das bis zum Erlass des erstinstanzlichen Urteils ungekürzte oder zu gering gekürzte Gehalt nunmehr auf die Höhe des bewilligten Unterhaltsbeitrags zu kürzen (Zängl, BayDO, Stand Juli 2004, RdNr. 9 zu Art. 81). Es mag zwar sein, dass es im letztgenannten Fall grundsätzlich im Ermessen der Einleitungsbehörde steht, eine erneute, gerichtlich nur eingeschränkt auf Ermessensfehler überprüfbare und am Grundsatz einer angemessenen Alimentation und an der Fürsorge orientierte Entscheidung über die Einbehaltungsquote zu treffen (Zängl, a.a.O., RdNrn. 5 f. und 9a zu Art. 81). Hier liegt der Fall aber anders, weil sich - wie oben dargelegt - die Einleitungsbehörde und der Beamte ohne jede zeitliche Einschränkung in einem gerichtlichen Vergleich auf einen Einbehaltungsbetrag verständigt haben. Bei einer solchen Fallgestaltung ist aber angesichts der Bindungswirkung des gerichtlichen Vergleichs für eine solche Ermessensentscheidung kein Raum.

Nach alledem war der Bescheid des Landratsamtes C*** vom 10. Januar 2005 aufzuheben. Es bleibt somit bei der Einbehaltungsregelung, die der Beamte und die Einleitungsbehörde in dem am 4. November 2003 vor dem Verwaltungsgericht Regensburg geschlossenen Vergleich vereinbart haben.

2. Die Kostenentscheidung bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten, weil es sich bei dem vorliegenden Verfahren um eine unselbstständiges Nebenverfahren handelt (vgl. Weigert, BayDO, Art. 106 RdNr. 15).

3. Dieser Beschluss wird mit seiner Zustellung rechtskräftig (Art. 79 BayDO).



Ende der Entscheidung

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