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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 09.04.2003
Aktenzeichen: 20 CS 03.525
Rechtsgebiete: GVG, ZPO, VwGO, BayAbfG


Vorschriften:

GVG § 17 Abs. 1
GVG § 17 Abs. 2
ZPO § 322 Abs. 1
VwGO § 94
BayAbfG Art. 31
Wird jemand als Eigentümer einer störenden Sache auf deren Beseitigung in Anspruch genommen und bestreitet er den Eigentumserwerb, dann haben Verwaltungsbehörden und Verwaltungsgerichte bei ihrer Verfahrensgestaltung zu berücksichtigen, dass sie die zivilrechtliche Vorfrage nicht rechtskräftig entscheiden können und dass einer etwaigen Klärung durch die Zivilgerichte nach Möglichkeit nicht vorgegriffen werden soll. Zur Erhebung einer Klage vor dem Zivilgericht können sie dem Betroffenen eine Frist setzen.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

20 CS 03.525

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Entsorgung von Waschwasser aus einem Nasselektrofilter (Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO);

hier: Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 4. Februar 2003,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 20. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Reiland, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Guttenberger, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Brandl

ohne mündliche Verhandlung am 9. April 2003

folgenden Beschluss:

Tenor:

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.

III. Unter Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 4. Februar 2003 wird der Streitwert für beide Rechtszüge auf jeweils 55.000 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin wendet sich gegen den Bescheid des Landratsamts S********* vom 7. Oktober 2002, durch den ihr aufgegeben wurde, das im Vorlagebehälter einer Abluftreinigungsanlage befindliche Waschwasser (ca. 218 m³) des Nasselektrofilters bis spätestens 7. November 2002 - später abgeändert auf 10. Januar 2003 - einer ordnungsgemäßen Entsorgung zuzuführen.

Die Abluftreinigungsanlage war Teil des im Jahr 2000 in Insolvenz gefallenen Betriebes der Firma *********** **** * ***. Die Antragstellerin hat die Abluftreinigungsanlage am 24. März 2001 auf einer vom Insolvenzverwalter veranlassten Versteigerung ersteigert. Betrieblich zu der Anlage gehörte der Vorlagebehälter (Restentleerungsbehälter), der das bei Wartungsarbeiten und etwaigen Störfällen anfallende Prozesswasser aus der Anlage aufnehmen sollte. Die Antragstellerin bestreitet, den Behälter als Teil der Anlage mit ersteigert zu haben.

Nachdem das Landratsamt S********* (Landratsamt) mit Bescheid vom 23. April 2002 dem Beigeladenen die abfallrechtliche Entsorgung des Waschwassers - bisher erfolglos - aufgegeben hatte, richtete es mit dem genannten Bescheid vom 7. Oktober 2002 dieselbe Forderung an die Antragstellerin, ordnete den Sofortvollzug an und drohte unter Veranschlagung voraussichtlicher Kosten von 110.000 Euro die Ersatzvornahme an. Die auf Art. 31 BayAbfG gestützte Anordnung wurde damit begründet, dass das Waschwasser Abfall geworden sei und von der Antragstellerin in unzulässiger Weise gelagert werde. Aufgrund einer chemischen Untersuchung sei anzunehmen, dass durch das Wasser Boden und Grundwasser gefährdet werden könnten. Der Sofortvollzug sei anzuordnen, weil im bevorstehenden Winter durch das Gefrieren des Wassers ein Bersten des Behälters und ein Auslaufen des Inhalts zu befürchten sei.

Über den Widerspruch der Antragstellerin gegen diesen Bescheid ist noch nicht entschieden. Im vorläufigen Rechtsschutzverfahren hob das Verwaltungsgericht Regensburg mit Beschluss vom 9. Dezember 2002 die Anordnung der sofortigen Vollziehung mit der Begründung auf, eine sachgerechte Ermessensausübung bei der Störerauswahl sei nicht erkennbar. Daraufhin ordnete das Landratsamt mit Bescheid vom 7. Januar 2003 unter Setzung einer Nachfrist bis zum 10. Januar 2003 erneut die sofortige Vollziehung des Ausgangsbescheides an und führte aus: Die Antragstellerin erleide keinen Nachteil, wenn sie sich mit ihrer Auffassung zur Eigentumslage durchsetzen sollte, da sie dann nicht für die Kosten der Ersatzvornahme in Anspruch genommen werden könne. Vorsorglich für diesen Fall bleibe der Bescheid gegenüber dem Beigeladenen, der derzeit wegen Masselosigkeit nicht vollzogen werden könne, aufrecht erhalten.

Den erneuten Antrag der Antragstellerin auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Ausgangsbescheid lehnte das Verwaltungsgericht Regensburg mit Beschluss vom 4. Februar 2003 ab. Zur Beseitigung des unzulässig gelagerten Waschwassers habe das Landratsamt zu Recht die Beseitigungsanordnung erlassen. Der Restentleerungsbehälter sei funktionell und nach der vorausgegangenen immissionsschutzrechtlichen Genehmigung Teil der Abluftreinigungsanlage. Wie der Verlauf der Versteigerung im Einzelnen ergebe, sei er zusammen mit dieser von der Antragstellerin ersteigert worden. Die Inanspruchnahme der Antragstellerin sei unter Ermessensgesichtspunkten nicht zu beanstanden, weil ein Vorgehen gegen den Beigeladenen aussichtslos erscheine. Die knappe Fristsetzung rechtfertige sich durch die Gefahr, dass der Behälter in der kalten Jahreszeit durch Frost undicht werde.

Die Antragstellerin, die die Abluftreinigungsanlage inzwischen mit Ausnahme des Restentleerungsbehälters abmontiert hat, verfolgt mit ihrer Beschwerde gegen diesen Beschluss ihren Antrag weiter und bringt vor: Die Annahme des Landratsamtes und des Verwaltungsgerichts, der Restentleerungsbehälter sei von ihr zusammen mit der Abluftreinigungsanlage mit ersteigert und daher mit erworben worden, widerspreche dem sachenrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz. Der Behälter sei kein wesentlicher Teil der Abluftreinigungsanlage, die ohne ihn betrieben werden könne und derzeit auch betrieben werde. Durch Versteigerungsmodalitäten könne eine sonst nicht bestehende Verbindung nicht hergestellt werden. Auch sei der Behälter möglicherweise Bestandteil des Grundstücks, weil mit diesem fest verbunden und nicht ohne Zerstörung entfernbar. Auf die subjektive Einschätzung der Antragstellerin, die sich zunächst selbst für die Entleerung des Behälters interessiert habe, komme es bei der Bewertung des Rechtsvorgangs nicht an. Eine Eilbedürftigkeit sei nach Ende der Frostperiode nicht mehr gegeben; das Landratsamt hätte vielmehr zunächst die Klärung der Passivlegitimation der Antragstellerin abwarten müssen.

Der Antragsgegner tritt der Beschwerde entgegen. Die Befürchtungen wegen der kalten Witterung hätten sich bestätigt; im Januar sei eine Eisschicht an der Außenseite des Behälters und im Februar sei ein Austreten von Wasser aus der abgetrennten Rohrleitung festgestellt worden. Mit der Ersatzvornahme sei inzwischen begonnen worden.

Im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.

Mit ihren zwei zum Gegenstand der Beschwerde gemachten Einwendungen (Nr. I und II des Begründungsschriftsatzes), auf deren Prüfung das Beschwerdegericht beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), dringt die Antragstellerin nicht durch.

1. Die Befürchtung, der Behälter könne in der Frostperiode Schaden nehmen und das Waschwasser ausfließen, war aus der damaligen Sicht nicht unberechtigt. Diese Beurteilung wird nicht dadurch nachträglich falsch, dass - vor allem wegen des Rechtsmittels der Antragstellerin - der Bescheid noch nicht vollzogen und die Frostperiode inzwischen vorbei ist und offenbar nur kleinere Undichtigkeiten aufgetreten sind. Im Übrigen und vor allem treffen die Überlegungen der Antragstellerin zur Interessenabwägung nicht zu: Es musste nämlich nicht die Klärung der Passivlegitimation abgewartet werden, da dies, wie sich aus den folgenden Ausführungen ergibt, ohne weiteres noch im folgenden Verfahren geschehen kann.

2. Die zivilrechtliche Frage, ob die Antragstellerin Eigentum an dem Restentleerungsbehälter erworben hat, konnte und kann im Verwaltungsverfahren und im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht abschließend geklärt werden; vielmehr war das Verfahren so einzurichten, dass einer etwaigen abschließenden Klärung im Zivilprozess nicht vorgegriffen wird (2.1). Dieser Anforderung ist ebenso genügt wie die vorläufige Einschätzung der Eigentumsfrage durch das Landratsamt einer Nachprüfung standhält (2.2).

2.1 Über den streitigen Eigentumserwerb der Antragstellerin konnten und können die Verwaltungsgerichte (und erst recht die Verwaltungsbehörden) nicht rechtskräftig entscheiden, da diese Frage zur Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte gehört (§ 13 GVG). Daran ändert auch § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG nichts, wonach das Gericht des zulässigen Rechtsweges den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten entscheidet. Hierunter fallen nur Prozesse, in denen der Rechtsstreit, also die Hauptfrage, unter verschiedenen rechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen ist, die verschiedenen Rechtswegen zugewiesen sind. Im vorliegenden Fall ist dagegen die Entsorgungsverpflichtung bezüglich des Waschwassers eine rein öffentlich-rechtliche Frage, der gegenüber das Eigentum an dem Behälter lediglich eine Vorfrage darstellt, die aber ihrerseits wiederum in einem anderen Streit, nämlich zwischen der Antragstellerin und dem Beigeladenen über das Eigentum, die Hauptfrage darstellen kann. Eine zivilprozessuale Klärung des Eigentums würde sich in ihrem Gegenstand nicht mit dem Gegenstand des vorliegenden Verfahrens decken; wegen des Einwands der Rechtshängigkeit (§ 17 Abs. 1 Satz 2 GVG) wäre sie in sinnwidriger Weise unmöglich, würde man auf den vorliegenden Verfahrenszusammenhang § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG anwenden.

Als Vorfrage, die die Eigentumsfrage somit darstellt, nimmt sie an der Rechtskraft einer Entscheidung im vorliegenden Verfahren nicht teil (§ 322 Abs. 1 ZPO; Rennert in Eyermann, VwGO, 11. Aufl., Rd.Ziff. 20 zu § 121). Auch eine Klärung durch Zwischenfeststellungsklage (§ 256 Abs. 2 ZPO) scheidet aus, weil es auch insoweit am zulässigen Rechtsweg fehlt.

Dies bedeutet, dass eine abschließende Entscheidung der Eigentumsfrage durch Verwaltungsbehörden oder Verwaltungsgerichte im vorliegenden Verfahren durch ein nachfolgendes zivilgerichtliches Urteil, wenn es zum gegenteiligen Ergebnis kommt, wieder ausgehebelt werden kann. An der einmal eingetretenen Rechtskraft der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung würde sich zwar dadurch nichts mehr ändern, es stünden jedoch zwei rechtskräftige Entscheidungen im Raum, die sich in Bezug auf dieselbe Frage inhaltlich widersprechen. Dass unter dem Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung ein solches Ergebnis nach Möglichkeit zu vermeiden ist, liegt auf der Hand. Der Weg der Vermeidung ist je nach Verfahrensstand unterschiedlich. Am einfachsten ist die Lage, wenn sowohl über die zivilrechtliche Frage wie über die öffentlich-rechtliche Frage je ein Hauptsacheverfahren anhängig ist. In diesem Fall wird das verwaltungsgerichtliche Verfahren bis zur Klärung der zivilrechtlichen Vorfrage ausgesetzt (§ 94 VwGO). Ist ein gerichtliches Verfahren über die Vorfrage noch nicht anhängig, kann das Gericht der Hauptfrage die Anhängigmachung unter Fristsetzung verlangen. Diese für die Aufrechnung mit einer rechtswegfremden Gegenforderung entwickelte Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE 77, 19) ist im Sinne eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes zu verstehen und auch für Fälle der vorliegenden Art fruchtbar zu machen. Sie bedeutet, dass es zwar nicht Pflicht, aber eine zur Vermeidung von Rechtsnachteilen bestehende Obliegenheit des Betroffenen ist, die rechtswegfremde Vorfrage zunächst im "richtigen" Rechtsweg klären zu lassen. Sie bedeutet weiterhin, dass das zuständige Gericht diese Klärung gegebenenfalls zu veranlassen und in seiner eigenen Verfahrensgestaltung auf die vorgängige Klärung Rücksicht zu nehmen hat.

Dementsprechend haben Verwaltungsbehörden und Verwaltungsgerichte zivilrechtliche Vorfragen, soweit es auf sie ankommt, zwar zu prüfen, sie müssen sich jedoch der Vorläufigkeit des Prüfungsergebnisses bewusst sein und dürfen daher nicht ohne Not einer rechtskräftigen zivilprozessualen Entscheidung durch eigene abschließende Entscheidungen vorgreifen. Dem Vorläufigkeitscharakter, was die Entscheidung der Vorfrage angeht, haben sie durch die Gestaltung des eigenen Verfahrens, so weit wie möglich, Rechnung zu tragen und können dabei auch Fristen für die Erhebung einer zivilprozessualen Klage setzen.

2.2 Die sich hieraus ergebenden Anforderungen hat das Landratsamt im vorliegenden Verfahren im Ergebnis erfüllt.

Bei einer vorläufigen Beurteilung der Eigentumsfrage sprechen nach Auffassung des Senats die überwiegenden Gründe für die Auffassung des Landratsamts und des Verwaltungsgerichts, dass die Antragstellerin nicht nur die übrige Abluftreinigungsanlage, sondern auch den mit ihr durch eine Rohrleitung verbundenen Restentleerungsbehälter ersteigert hat. Auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu diesem Punkt wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen. Für den - von der Antragstellerin übrigens zunächst selbst angenommenen - Eigentumserwerb an dem Behälter dürften in erster Linie die Auslegung der Versteigerungsbedingungen und der Versteigerungserklärungen und der Ablauf der Versteigerung maßgeblich sein. Diese Gesichtspunkte sprechen, wie vom Verwaltungsgericht ausgeführt und vom Landratsamt zum Teil mit Lichtbildern dokumentiert, für den Standpunkt des Landratsamts. Der neu vorgebrachte Gesichtspunkt, der Behälter könnte nicht Bestandteil der Abluftreinigungsanlage, sondern des Grundstücks sein (§ 94 Abs. 1 BGB), erscheint nach den Lichtbildern nicht als so zwingend, dass er zu einer anderen Beurteilung führen müsste; es liegt vielmehr nahe, dass der Behälter ohne Beschädigung von seinem Sockel abgeschraubt werden kann. Einer weiteren Klärung, etwa durch Ortsbesichtigung oder Zeugeneinvernahme, bedarf es aus den oben genannten Gründen im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren und auch Hauptsacheverfahren nicht.

Die vorstehend geforderte Abstimmung zwischen Verwaltungsverfahren bzw. verwaltungsgerichtlichem Verfahren und etwaiger zivilprozessualer Klärung ist hier schon deshalb problemlos, weil die streitige Anordnung durch Ersatzvornahme mit finanzieller Vorleistung durch das Landratsamt vollstreckt wird, also letztlich nur um Geld gestritten wird. In diesen Streit kann eine zivilprozessuale Klärung der Eigentumsfrage (die die Antragstellerin im Übrigen längst hätte beginnen können) zeitlich ohne weiteres eingebaut werden. Im Sinne der oben genannten Obliegenheit wird der Antragstellerin hiermit aufgegeben, binnen eines Monats nach Zustellung der vorliegenden Entscheidung Klage vor dem zuständigen Zivilgericht zwecks Feststellung des Eigentums am Restentleerungsbehälter zu erheben; anderenfalls muss sie damit rechnen, mit ihren zivilrechtlichen Einwendungen im folgenden Verwaltungsverfahren oder verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht mehr gehört zu werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.

Streitwert: § 13 Abs. 1 Satz 2, § 14 Abs. 1, § 20 Abs. 3, § 25 Abs. 2 Satz 2 GKG.

Ende der Entscheidung

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