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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 22.09.2008
Aktenzeichen: 22 BV 06.3313
Rechtsgebiete: GastG, ProstG


Vorschriften:

GastG § 2 Abs. 1 Satz 1
GastG § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
ProstG Art. 1 § 1
ProstG Art. 2 Nr. 2 b cc
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

Im Namen des Volkes

22 BV 06.3313

In der Verwaltungsstreitsache

wegen

Gaststättenerlaubnis;

hier: Berufung der Beteiligten gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 22. November 2006,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 22. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Schenk,

den Richter am Verwaltungsgerichtshof Hösch,

die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Koch

ohne mündliche Verhandlung am 9. September 2008 folgendes

Urteil:

Tenor:

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beteiligte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin betreibt seit 1987 in dem gepachteten Anwesen ******** **** * in Kempten (gemeinsam mit einer weiteren Person) als Geschäftsführerin ein Bordell. Im Eingangsbereich dieses Bordells befindet sich eine Art Bar (mit Theke, Hockern, Tischen und Stühlen), an der ausschließlich (alkoholische und nichtalkoholische) Getränke ausgeschenkt werden und die der Anbahnung der Kontakte zwischen Freiern und Prostituierten dient. Zugang zu dieser Bar haben ebenso wie zu den in den Obergeschossen befindlichen Zimmern nur (potentielle) erwachsene Freier. Die Zimmer, in denen es zur eigentlichen Ausübung der Prostitution kommt, sind an die jeweiligen Prostituierten für die Dauer ihrer Arbeit in dem Bordell vermietet.

Die Klägerin beantragte unter dem 25. Juli 2005 die Erteilung einer gaststättenrechtlichen Erlaubnis für den o.g. Barbetrieb.

Mit Bescheid vom 9. September 2005 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin mit der Begründung ab, dass sie unzuverlässig sei, weil sie dadurch, dass sie in ihren Betriebsräumen Anbahnungshandlungen von Prostituierten dulde bzw. sogar aktiv fördere, der Unsittlichkeit Vorschub leiste.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Regierung von Schwaben mit Widerspruchsbescheid vom 30. Januar 2006 zurück.

Die Klägerin erhob Verpflichtungsklage in Form einer Versagungsgegenklage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg, der das Gericht stattgab.

Die Beteiligte hat die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt. Sie beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 22. November 2006 die Klage abzuweisen.

Die Beteiligte ist der Auffassung, dass das Prostitutionsgesetz keine so weit reichende Ausstrahlungswirkung besitze, dass die Prostitution an sich bzw. diesbezügliche Anbahnungshandlungen im Gaststättenrecht generell nicht mehr als unsittlich angesehen werden dürften. Zweck des Prostitutionsgesetzes sei nicht die Verbesserung der rechtlichen Stellung der Kunden, der Bordellbetreiber oder anderer, sondern der Prostituierten. Hierzu bedürfe es keiner Gaststättenerlaubnis für Bordellbetreiber. Der Gesetzgeber habe mit dem Prostitutionsgesetz auch nicht zugleich das Gaststättengesetz geändert. Die von der Klägerin bzw. dem Verwaltungsgericht zitierte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs betreffe die gaststättenrechtliche Beurteilung eines Swingerclubs und könne bereits vom Ansatz her nicht auf den vorliegenden Sachverhalt übertragen werden.

Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Berufung.

Die Beklagte stellt keinen Antrag, schließt sich aber den Ausführungen der Beteiligten an.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beteiligten, über die mit Zustimmung der Prozessbeteiligten gemäß § 125 Abs. 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann, ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Verpflichtungsklage der Klägerin zu Recht stattgegeben.

Zwischen den Prozessbeteiligten streitig ist allein die Frage, ob die Erteilung der von der Klägerin beantragten gaststättenrechtlichen Erlaubnis (§ 2 Abs. 1 GastG) aus dem Versagungsgrund des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG abgelehnt werden darf. Nach dieser Vorschrift ist die Erlaubnis zu versagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass ein Antragsteller die für den Gewerbebetrieb erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt, insbesondere befürchten lässt, dass er der Unsittlichkeit Vorschub leisten wird. Der Klägerin kann vorliegend nicht entgegengehalten werden, dass sie mit ihrem Barbetrieb in dem Bordell der Unsittlichkeit i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG Vorschub leisten wird.

Bezüglich der Auslegung des Tatbestandsmerkmals "der Unsittlichkeit Vorschub leisten" hält der Verwaltungsgerichtshof an seiner neueren Rechtsprechung fest, die mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts übereinstimmt. Danach wird die kommerzielle Ausnutzung sexueller Bedürfnisse oder Interessen nicht grundsätzlich als sittenwidrig angesehen. Dies folgt schon daraus, dass sich der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes zur Verbesserung der rechtlichen und sozialen Situation der Prostituierten (ProstG) vom 20. Dezember 2001 (BGBl I S. 3983) von der Erwägung hat leiten lassen, dass nach überwiegender Auffassung die Prostitution nicht mehr als sittenwidrig angesehen werde. Namentlich hat er auch die Schaffung guter Arbeitsbedingungen für Prostituierte z.B. in Luxusbordellen und Saunaclubs durch Streichung des § 180 a Abs. 1 Nr. 2 StGB a.F. aus dem Tatbestand des § 180 a StGB herausgenommen (vgl. Art. 1 § 1, Art. 2 Nr. 2 b cc ProstG). Daher kann allein die Erzielung von Einkünften aus geschlechtsbezogenem Verhalten nicht als sittenwidrig angesehen werden (BVerwG vom 6.11.2002 NVwZ 2003, 603; BayVGH vom 29.4.2002 NVwZ 2002, 1393, vom 20.9.2004 GewArch 2004, 491). Die Sittenwidrigkeit entfällt in derartigen Fällen aber nicht generell, sondern nur dann, wenn ein nicht dem Menschenbild des Grundgesetzes widersprechendes und nicht mit Strafe bedrohtes sexuelles Verhalten Erwachsener in einem durch den Gastwirt bereitgestellten abgeschirmten Bereich stattfindet, der eine ungewollte Einsichtnahme des Publikums ausschließt (BVerwG vom 6.11.2002 a.a.O.).

Der Umstand, dass diese Rechtsprechung (vorwiegend) zu "Swingerclubs" ergangen ist, bedeutet nicht, dass sie nicht in gleicher Weise auf die Ausübung der Prostitution bzw. auf im Vorfeld davon stattfindende "Anbahnungshandlungen" in Gaststätten übertragbar wäre. Denn die neue Rechtsprechung stützt sich gerade auf die Wertungen des Prostitutionsgesetzes, das sich auf die Ausübung der Prostitution, also auf entgeltliche sexuelle Handlungen bezieht; nach dessen Wertungen kann bei der Ausübung der Prostitution nicht mehr "automatisch" von Unsittlichkeit ausgegangen werden (BT-Drs. 14/5958 S. 6). Auch wenn der Gesetzgeber von Folgeänderungen im Gaststättengesetz abgesehen hat, ist auch im Anwendungsbereich des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG auf solche dem geschichtlichen Wandel unterworfene sozialethische Wertvorstellungen, die in der Rechtsgemeinschaft als Ordnungsvoraussetzungen anerkannt sind, abzustellen. Der im Prostitutionsgesetz zum Ausdruck kommende Wandel der sozialethischen Vorstellungen hat zur Folge, dass ordnungsrechtliches Ziel des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG nicht der Schutz vor dem sexuellen Geschehen als solchem oder die Verhinderung der Erzielung von Einkünften daraus ist, sondern - neben der Wahrung der Menschenwürde der Prostituierten - vornehmlich der Schutz vor der ungewollten Konfrontation Dritter oder jugendlicher Personen mit derartigen Vorgängen (vgl. BVerwG vom 6.11.2002 a.a.O.). Die frühere Rechtsprechung, wonach ein Gastwirt immer schon dann der Unsittlichkeit Vorschub leistete, wenn in den Gaststättenräumen die Verabredung zum entgeltlichen Geschlechtsverkehr angebahnt wurde (vgl. z.B. BVerwG vom 14.11.1990 NVwZ 1991, 373), ist daher aufgegeben worden. Entscheidend dafür, ob der Vorwurf der Unsittlichkeit entfallen kann oder nicht, ist vielmehr, ob durch den konkreten Gaststättenbetrieb die Ziele des Prostitutionsgesetzes (unter Wahrung der schutzwürdigen Belange Dritter) erreicht werden können oder nicht (vgl. BayVGH vom 20.9.2004 a.a.O.; vom 1.3.2002 - Az. 22 CE 02.369). Neue Argumente, die diesen rechtlichen Ansatz überprüfungsbedürftig erscheinen lassen könnten, enthält das Berufungsvorbringen nicht.

Der vorliegende Sachverhalt bietet keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Ziele des Prostitutionsgesetzes nicht erreicht werden bzw. Dritte oder Jugendliche ungewollt mit dem sexuellen Geschehen konfrontiert werden könnten. Das Verwaltungsgericht hat - ohne dass dies von der Berufung angegriffen wird - dargestellt, dass in dem Bordell der Klägerin die Arbeitsbedingungen der Prostituierten den Zielen des Prostitutionsgesetzes entsprechen, keine Anhaltspunkte für die Verwirklichung straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtlich relevanter Tatbestände vorliegen und durch die Zugangskontrolle Dritte und Jugendliche vor einer ungewollten Konfrontation mit dem sexuellen Geschehen geschützt sind, insoweit also auch der Jugendschutz gewahrt ist. Es hat sich dabei auf alle verfügbaren Erkenntnisse gestützt, insbesondere solche der Kriminalpolizeiinspektion K***** . Gesichtspunkte, die diese Feststellungen des Verwaltungsgerichts zwischenzeitlich in Frage stellen könnten, sind im Laufe des Berufungsverfahrens nicht aufgezeigt worden. Insoweit liegen auch im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs keine Tatsachen vor, die befürchten ließen, die Klägerin werde in ihrem Gaststättenbetrieb der Unsittlichkeit Vorschub leisten.

Kosten: § 154 Abs. 2 VwGO.

Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 167 Abs. 2 VwGO, § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Nichtzulassung der Revision: § 132 Abs. 2 VwGO.

Beschluss

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 15.000 Euro festgesetzt (§ 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 54.1 des Streitwertkatalogs; wie Vorinstanz).

Rechtsmittelbelehrung

Nach § 133 VwGO kann die Nichtzulassung der Revision durch Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig angefochten werden.



Ende der Entscheidung

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