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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 19.07.2004
Aktenzeichen: 22 CS 04.1885
Rechtsgebiete: GewO, BayVwVfG


Vorschriften:

GewO § 36 Abs. 1 Satz 1
BayVwVfG Art. 48 Abs. 4 Satz 1
BayVwVfG Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

22 CS 04.1885

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Widerrufs der öffentlichen Bestellung als Sachverständiger (Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO);

hier: Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 21. Mai 2004,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 22. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Konrad, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Hösch, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Zöllner

ohne mündliche Verhandlung am 19. Juli 2004

folgenden Beschluss:

Tenor:

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller wurde im Jahr 1980 gemäß § 36 GewO als Sachverständiger für Stahlbetonbau, Spannbetonbau und Massivbrückenbau öffentlich bestellt und vereidigt. Mit Bescheid vom 26. März 2004 widerrief die Antragsgegnerin diese Bestellung wegen nicht mehr bestehender persönlicher Eignung und forderte den Antragsteller zur Rückgabe der Bestellungsunterlagen bis spätestens zum 30. April 2004 auf; zugleich wurde die sofortige Vollziehbarkeit des Bescheids angeordnet.

Den am 3. Mai 2004 gestellten Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs lehnte das Verwaltungsgericht München mit Beschluss vom 21. Mai 2004 ab; hiergegen hat der Antragsteller "sofortige Beschwerde" zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof erhoben. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.

II.

Das als (einfache) Beschwerde im Sinne des § 146 Abs. 1 und 4 VwGO zu verstehende Rechtsmittel des Antragstellers gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 21. Mai 2004 ist zulässig, aber unbegründet. Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, auf die sich die Prüfung im Beschwerdeverfahren beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Abänderung des angegriffenen Beschlusses.

1. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht einen Verstoß gegen das formelle Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 VwGO verneint. Die Antragsgegnerin hat für die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit einzelfallbezogene Erwägungen angestellt. Sie hat insbesondere unter Bezugnahme auf das zum Widerruf führende Fehlverhalten des Antragstellers dargelegt, dass es ihr als zuständiger Aufsichtsbehörde nicht mehr möglich sei, den Antragsteller ordnungsgemäß zu überwachen, da er seine Auskunftspflichten beharrlich verletze und sich im Gespräch völlig uneinsichtig gezeigt habe. Aufgrund der vorliegenden Tatsachen sei zudem der Ruf aller öffentlich bestellten Sachverständigen in Gefahr, falls der Antragsteller nach Einlegung eines Widerspruchs vorläufig weiter in der bisherigen Funktion gegenüber der Öffentlichkeit auftreten könne. Diese über die eigentlichen Widerrufsgründe hinausgehenden Überlegungen zur Notwendigkeit eines sofortigen Einschreitens reichen in jedem Falle aus, um die für den Sofortvollzug zu fordernde besondere Eilbedürftigkeit zu begründen.

2. Bei der Entscheidung über die Aufrechterhaltung des angeordneten Sofortvollzugs konnte das Verwaltungsgericht entgegen der Auffassung des Antragstellers von der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids ausgehen. Die auf § 23 der Sachverständigenordnung der Antragsgegnerin vom 4. Dezember 2001 (SVO) i.V.m. Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayVwVfG gestützte Widerrufsentscheidung wird aller Voraussicht nach auch im Hauptsacheverfahren Bestand haben. Aus heutiger Sicht bestehen hinsichtlich der in § 36 Abs. 1 Satz 1 GewO geforderten persönlichen Eignung des Antragstellers so schwerwiegende Bedenken, dass seine Bestellung nachträglich widerrufen werden konnte.

Das der uneingeschränkten gerichtlichen Überprüfung unterliegende (vgl. BVerwG vom 26. 6. 1990, GewArch 1990, 335) Tatbestandsmerkmal der "Eignung", mit dem über die bloße fachliche Kompetenz hinaus auch die der hohen Verantwortung entsprechende persönliche Integrität des Sachverständigen sichergestellt werden soll (BVerfG vom 25. 3. 1992, BayVBl 1992, 493; Bleutge in: Landmann/Rohmer, GewO, RdNr. 71 zu § 36 m.w.N.), wird für die Person des Antragstellers durch eine Reihe von Tatsachen, die entweder unstreitig feststehen oder in früheren Gerichtsverfahren rechtskräftig festgestellt worden sind, ernstlich in Frage gestellt. Die hiergegen im Beschwerdeverfahren vorgebrachten Gründe können zu keiner anderen Einschätzung führen.

a) Soweit das Verwaltungsgericht im angegriffenen Beschluss auf seine in einem früheren Klageverfahren über die Anerkennung als Prüfingenieur für Baustatik (rechtskräftiges Urteil vom 11. Juni 2002; M 16 K 00.4073, UA S. 14 - 16) getroffenen Feststellungen zur Persönlichkeitsstruktur des Antragstellers (Hang zu unsachlicher, herabsetzender Kritik; übersteigertes Selbstbewusstsein; mangelnde Kooperations- und Dialogbereitschaft) verwiesen und daraus auch für dessen Funktion als öffentlich bestellter Sachverständiger erhebliche Eignungsbedenken abgeleitet hat, fehlt in der Beschwerdebegründung bereits jede inhaltliche Auseinandersetzung mit den Gründen der angegriffenen Entscheidung (§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO); die pauschale Bezugnahme auf die im erstinstanzlichen Verfahren eingereichten Schriftsätze vermag dies nicht zu ersetzen. Im Übrigen legen auch diese früheren Schriftsätze nicht nachvollziehbar dar, weshalb die vom Verwaltungsgericht in dem genannten Urteil auf der Grundlage schriftlich vorliegender Äußerungen des Antragstellers vorgenommene Persönlichkeitsbewertung, die sich ausdrücklich auf die Eignungskriterien des § 36 Abs. 1 Satz 1 GewO bezog, für die im vorliegenden Verfahren zu treffende Entscheidung nicht verwertbar sein sollte.

b) Zu Unrecht wendet sich die Beschwerde gegen die im angegriffenen Beschluss getroffene Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass bereits die am 23. Oktober 2003 rechtskräftig gewordene strafrechtliche Verurteilung des Antragstellers zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen wegen Insolvenzverfahrensverschleppung in Tatmehrheit mit zwölf sachlich zusammenhängenden Fällen der Beitragsvorenthaltung grundlegende Bedenken gegen dessen persönliche Eignung begründe. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass diese Straftaten bei der Eignungsbeurteilung durch die Antragsgegnerin berücksichtigt werden konnten, obwohl sie mit der Ausübung der Sachverständigentätigkeit nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang standen. Nach allgemeiner Auffassung können selbst Nichtvermögensdelikte, die ausschließlich im Rahmen der privaten Lebensführung begangen worden sind, je nach den Umständen des Einzelfalles durchgreifende Bedenken gegen die persönliche Eignung, insbesondere die charakterliche Zuverlässigkeit eines Sachverständigen begründen (vgl. OVG Lüneburg vom 17. 6. 1991, GewArch 1991, 384/385; bestätigt durch BVerwG vom 15. 11. 1991, GewArch 1991, 64 [betr. Verkehrsdelikte]); Bleutge, a.a.O., RdNr. 77). Im vorliegenden Fall betraf die wegen strafbarer Pflichtverstöße als faktischer Geschäftsführer der Firma *** ***** *********** **** erfolgte Verurteilung aber nicht bloß die private Sphäre des Antragstellers, sondern einen Ausschnitt seiner beruflichen Tätigkeit in jenem Wirtschaftssektor, in dem er auch als Sachverständiger öffentlich bestellt war und weiter tätig sein wollte. Dass er sich gerade hier als Verantwortlicher des unter seinem Namen firmierenden Unternehmens vorsätzlich und in eigennütziger Weise über strafrechtliche Verbotsnormen hinweggesetzt hat, begründet so erhebliche Zweifel an seiner allgemeinen charakterlichen Zuverlässigkeit, dass ihm auch die für die öffentliche Bestellung zum Sachverständigen erforderliche persönliche Integrität nicht mehr bescheinigt werden kann (vgl. Bleutge, a.a.O., RdNr. 77).

Ohne Erfolg macht der Antragsteller im vorliegenden Verfahren geltend, er sei entgegen der im rechtskräftigen Strafurteil getroffenen Feststellung nicht faktischer Geschäftsführer der Dr. ***** *********** **** gewesen, sondern habe die Geschäftsführung auch tatsächlich an seine Ehefrau abgegeben. Die darin liegende Behauptung, das Strafgericht habe ihn zu Unrecht als Täter angesehen, vermag die durch die rechtskräftige Verurteilung entstandenen Bedenken an seiner persönlichen Eignung nicht auszuräumen. Die zur öffentlichen Sachverständigenbestellung bzw. zu deren Widerruf zuständige Behörde darf in der Regel von den tatsächlichen Feststellungen in einem rechtskräftigen Strafurteil ausgehen; sie ist demgemäss nicht verpflichtet, auf ein allgemeines Bestreiten des Betroffenen hin eine weitere strafrechtliche Sachaufklärung zu betreiben (Bleutge, a.a.O., RdNr. 77 m.w.N.). Weder das Verwaltungsverfahren noch das nachfolgende verwaltungsgerichtliche (Eil-) Verfahren sind grundsätzlich dazu bestimmt und geeignet, die inhaltliche Richtigkeit einer der grundsätzlichen Verwertung unterliegenden (§ 51 Abs. 1 BZRG) strafgerichtlichen Verurteilung nachträglich zu überprüfen (VGH BW vom 11. 8. 1986, GewArch 1986, 329/330). Für eine solche Überprüfung besteht insbesondere keine Veranlassung in Fällen wie hier, in denen sich der Angeklagte zur Abkürzung des Verfahrens mit dem Strafrichter auf ein bestimmtes Strafmaß verständigt und auf mögliche Rechtsmittel gegen die daraufhin ergangene Verurteilung verzichtet hat. Das darin nach dem objektiven Erklärungsgehalt liegende Eingeständnis strafrechtlichen Fehlverhaltens ist auch von der Verwaltungsbehörde zu berücksichtigen; es wird im Nachhinein nicht bereits durch die bloße Behauptung unbeachtlich, der Verurteilte habe aus prozessfremden Motiven (hier: um die Ehefrau vor Strafverfolgung zu bewahren) auf einen ihm zustehenden Freispruch verzichtet.

c) Entgegen dem Beschwerdevorbringen konnten auch die verschiedenen Verstöße des Antragstellers gegen Mitteilungspflichten gegenüber der Antragsgegnerin bei der Prüfung seiner persönlichen Eignung berücksichtigt werden. Das Verwaltungsgericht hat insoweit zutreffend darauf hingewiesen, dass nach den Bestimmungen der geltenden Sachverständigenordnung sowohl die Erhebung der öffentlichen Klage gegenüber dem Antragsteller als auch die am 23. Oktober 2003 erfolgte strafrechtliche Verurteilung anzuzeigen gewesen wären, da der zugrunde liegende Tatvorwurf auf eine Verletzung von Pflichten schließen ließ, die wegen ihres Zusammenhangs mit der sonstigen beruflichen Tätigkeit des Antragstellers Zweifel an seiner persönlichen Eignung als Sachverständiger hervorrufen konnten (§ 19 Buchst. h) SVO). Ebenso hätte der Antragsteller jedenfalls hinsichtlich seines eigenen Vermögens die am 16. Januar 2001 erfolgte Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung, den zugrunde liegenden Antrag eines Privatgläubigers auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens und die am 3. August 2001 erfolgte Ablehnung des Antrags mangels einer die Verfahrenskosten deckenden Masse nach den geltenden Vorschriften melden müssen (§ 19 Buchst. f) und g) SVO). Von diesen ausdrücklich normierten Informationspflichten wurde der Antragsteller entgegen seinem jetzigen Vorbringen nicht durch den bloßen Umstand befreit, dass die Antragsgegnerin sich über seine Vermögensverhältnisse auch im Wege einer sog. Schufa-Auskunft hätte Kenntnis verschaffen können.

Ob es sich bei den dargestellten Meldeverstößen um vorsätzliche oder nur um grob fahrlässige Unterlassungen handelte, kann hier offen bleiben; selbst der in der Beschwerdebegründung behauptete "gute Glaube" an das Nichtbestehen einer Anzeigepflicht würde letztlich nichts daran ändern, dass das objektiv pflichtwidrige Verhalten des Antragstellers über einen längeren Zeitraum hinweg ursächlich dafür war, dass die zuständige Aufsichtsbehörde auf den eingetretenen Vermögensverfall und das anhängige Strafverfahren nicht umgehend reagieren konnte. Entgegen dem Beschwerdevorbringen bedarf es dabei keiner Prüfung der Frage, ob schon jeder einzelne Meldeverstoß einen Widerruf der öffentlichen Bestellung als Sachverständiger gerechtfertigt hätte; sowohl die Antragsgegnerin als auch das Verwaltungsgericht haben die fehlende Zuverlässigkeit des Antragstellers letztlich mit einer Gesamtschau seines Verhaltens begründet. d) Nachdem die angegriffene Widerrufsentscheidung sich nicht auf ein einzelnes, länger zurückliegendes Ereignis stützt, sondern auf ein in den letzten Jahren anhand einer Mehrzahl von Vorgängen erkennbar gewordenes Verhaltensmuster, das eine bestimmte Persönlichkeitsstruktur zu Tage treten lässt, konnte auch die gemäß Art. 49 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 48 Abs. 4 Satz 1 BayVwVfG einzuhaltende Jahresfrist frühestens mit der durch die Registerauskunft vom 10. Dezember 2003 erfolgten Kenntniserlangung der Behörde von der strafrechtlichen Verurteilung vom 23. Oktober 2003 beginnen. Für die formelle Frage der Fristwahrung ist es daher nicht von Bedeutung, dass die dem Antragsteller vorgeworfenen Delikte (letzte Tat: 20. Juli 2001) ebenso wie die Mehrzahl der übrigen Rechtsverstöße bereits etwa drei Jahre zurückliegen. Soweit die Beschwerde die Länge dieses Zeitraums als Beleg für die fehlende Dringlichkeit des erst im Jahr 2004 ergangenen Widerrufs anführt, wird dabei erneut übersehen, dass nicht die einzelnen Handlungen oder Unterlassungen des Antragstellers die Behörde zum Einschreiten veranlasst haben, sondern die dadurch hervorgerufenen Bedenken am aktuellen Fortbestand seiner allgemeinen Rechtstreue und sonstigen persönlichen Integrität. Da sich der Antragsteller auch bei seiner mündlichen Anhörung am 10. März 2004 als gänzlich uneinsichtig und unkooperativ gezeigt hat, muss davon ausgegangen werden, dass die in den früheren Vorfällen zum Ausdruck kommende Fehleinstellung auch heute noch unverändert fortbesteht. Im Rahmen der im Eilverfahren anzustellenden Abwägung überwiegt daher das öffentliche Interesse an einer sofort wirksamen Unterbindung der Gutachtertätigkeit das von Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG geschützte wirtschaftliche Interesse des Antragstellers an einer vorläufigen Suspendierung der Widerrufsentscheidung (vgl. Bleutge, a.a.O., RdNr. 95).

3. Kosten: § 154 Abs. 2 VwGO.

Streitwert: § 52 Abs. 1, § 72 Nr. 1 2. Hs. GKG i.d.F. des Gesetzes vom 5. Mai 2004 (BGBl I S. 718).

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