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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 19.05.2005
Aktenzeichen: 22 CS 05.51
Rechtsgebiete: VwGO, ApG, GG, FEV


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 5
ApG § 2 Abs. 1 Nr. 7
ApG § 4 Abs. 2 Satz 1
GG Art. 12 Abs. 1
FEV Nr. 8.4 der Anlage 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

22 CS 05.51

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Widerruf der Apothekenbetriebserlaubnis (Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO);

hier: Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 20. Dezember 2004,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 22. Senat,

durch den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Schenk als Vorsitzenden, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Hösch, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Zöllner

ohne mündliche Verhandlung am 19. Mai 2005

folgenden Beschluss:

Tenor:

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe:

1. Die Antragstellerin ist ausgebildete Apothekerin. Sie betreibt die ...-Apotheke in V . Hierfür war ihr vom Landratsamt P die Erlaubnis mit Bescheid vom 13. Juni 1997 erteilt worden.

Die Antragstellerin fiel seit ca. 1997 wegen Alkoholmissbrauchs auf, zunächst wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr (13.5.1997: 1,88 Promille; 19.7.1999: 2,39 Promille). Ein CDT-Wert vom 13. August 2001 von 4,8 Prozent (Normbereich < 2,4 Prozent) war mit ausschlaggebend für die Begutachtung, dass auf Grund der neu vorgelegten Befunde keine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bestehe.

Des Weiteren liegen diesbezüglich folgende Unterlagen vor:

Schreiben des Bruders der Antragstellerin vom 20. Juni 2003, wonach die Antragstellerin auf Grund ihrer Alkoholerkrankung derzeit nicht in der Lage sei, eine Apotheke zuverlässig zu führen;

Bericht der Polizeiinspektion V , wonach am 14. August 2003 die Polizei von drei unterschiedlichen Kunden darüber informiert worden sei, dass die Antragstellerin als diensthabende Apothekerin offensichtlich betrunken sei. Bei einem Kontrollbesuch durch die Polizei sei die Antragstellerin erheblich alkoholisiert gewesen. Ein auf freiwilliger Basis durchgeführter Alkoholtest habe eine Atemalkoholkonzentration von 2,76 Promille ergeben;

nervenärztliches Gutachten vom 4. September 2003, wonach diagnostisch eine langjährige Alkoholabhängigkeit vorliege und sich Hinweise auf eine abhängige Persönlichkeitsstruktur ergeben hätten. Die Antragstellerin sei derzeit nicht dazu in der Lage, eine vollständige Alkoholabstinenz einzuhalten, auch nicht während der Betriebszeiten der Apotheke. Es sei wohl von einer massiven Verleugnungstendenz bzw. bereits von einem gewissen Realitätsverlust auszugehen;

psychiatrisches Privatattest vom 5. Dezember 2003, wonach bei bekanntem Alkoholmissbrauch in der Vorgeschichte zuletzt ein episodischer Alkoholmissbrauch bestanden habe, die Antragstellerin derzeit aber alkoholabstinent sei. Auf Grund des aktuellen psychopathologischen Befunds sei die Antragstellerin in der Lage, eine Apotheke zu führen;

Bericht des Pharmazierats ... von der Regierung von N vom 1. April 2004 über eine unangemeldete Besichtigung der ...-Apotheke am 11. März 2004: Die Antragstellerin habe sich unauffällig verhalten und habe seines Erachtens im Zeitpunkt der Besichtigung nicht unter dem Einfluss von Alkohol gestanden;

Laborwerte aus dem Zeitraum vom 19. Januar 2004 bis zum 26. Juli 2004 und dann wieder nach dem 8. Dezember 2004;

Bericht des Pharmazierats ... von der Regierung von N vom 14. September 2004 über eine unangemeldete Kurzbesichtigung der ...-Apotheke am 13. September 2004: Die Antragstellerin habe nicht den Eindruck erweckt, unter Alkoholeinfluss zu stehen. Die Antragstellerin habe nach ihren eigenen Angaben wieder geheiratet und sei derzeit schwanger;

psychiatrisches Privatattest vom 19. Oktober 2004, wonach das psychische Befinden der Antragstellerin derzeit ausgeglichen sei und sie völlige Alkoholkarenz einhalten könne;

Mitteilung des Insolvenzverwalters der Antragstellerin vom 1. Dezember 2004, dass die drei Mitarbeiter der Antragstellerin ihm bestätigt hätten, dass die Antragstellerin alkoholabhängig sei (Sekt und Wein). Ihm seien Plastiktüten mit leeren Flaschen sowie hinter dem Heizkörper versteckte Flaschen gezeigt worden;

eidesstattliche Versicherung des Ehemanns der Antragstellerin, dass die Antragstellerin in der Zeit vom 29. Juli 2004 bis zum 29. November 2004 in der ...-Apotheke in seiner Gegenwart keinen Alkohol getrunken habe. Er habe sich während 85 % der Dienststunden der Antragstellerin auch in der Apotheke befunden;

Aktenvermerk des Berichterstatters der Vorinstanz vom 17. Dezember 2004 über ein Telefonat mit einer ehemaligen Angestellten der Antragstellerin: diese Angestellte habe mitgeteilt, dass die Antragstellerin tatsächlich regelmäßig getrunken habe. Man habe sie nicht dabei gesehen, aber es gerochen, auch im Sommer 2004;

Privatgutachten des Verkehrsmedizinischen Zentrums des TÜV Süddeutschland vom 14. Februar 2005: Die Antragstellerin habe angegeben, seit Januar 2003 keinen Alkohol mehr getrunken zu haben. Die Antragstellerin habe weiter angegeben, sie habe während ihrer Schwangerschaft keine Labortests mehr durchführen lassen, in der Erwägung, bei einer schwangeren Frau werde angenommen, dass sie im Interesse des Kindes keinen Alkohol trinken werde. Die Antragstellerin habe ergänzt, sie sei nicht ermahnt worden, Laborwerte vorzulegen. Es bestünden - so das Gutachten - keine Hinweise für aktuellen Alkoholmissbrauch. Für den Zeitraum seit ca. Juli 2004 liege mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit Alkoholabstinenz vor;

Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität München vom 14. April 2005: Der auffallende Abfall der GGT-Spiegel in den Laborwerten nach dem 8. Dezember 2004 weise auf einen vorangegangenen Alkoholmissbrauch über zumindest wenige Wochen hin (angesichts der vorherigen, erhöhten Werte). Ob die Antragstellerin bei der bekannten Vorgeschichte einer massiven Alkoholauffälligkeit in der Lage sei, eine dauerhafte Abstinenz einzuhalten, sei offen. Angesichts der Natur der Alkoholerkrankung als Suchterkrankung, der Diagnose einer abhängigen Persönlichkeitsstruktur der Antragstellerin im nervenärztlichen Gutachten vom 4. September 2003 und unter Berücksichtigung der abfallenden und normalisierten GGT-Werte seien Zweifel angebracht, ob die Alkoholerkrankung dauerhaft überwunden sei. Aus medizinischer Sicht sei eine längerfristige monatliche Kontrolle eingehaltener Abstinenz vor der Wiedererteilung der Apothekenbetriebserlaubnis anzuraten.

2. Das Landratsamt P hatte bereits am 13. November 2003 mit einem Widerruf der Apothekenbetriebserlaubnis vom 13. Juni 1997 reagiert, der aber von der Regierung von N mit Widerspruchsbescheid vom 6. Mai 2004 aufgehoben worden war. Die Antragstellerin war allerdings verpflichtet worden, sich einer engmaschigen ärztlichen und psychotherapeutischen Behandlung zu unterziehen. Die gesundheitliche Eignung zur Leitung der Apotheke hätte sie dem Widerspruchsbescheid zufolge gegenüber dem Landratsamt in monatlichen Abständen durch Vorlage einer ärztlichen und einer psychotherapeutischen Bescheinigung sowie entsprechender Laborbefunde nachweisen müssen. Nachdem die Antragstellerin diese Verpflichtung nicht, wie gefordert, ab dem 15. Juni 2004 erfüllt hatte und telefonische Mahnungen des Landratsamt vom 28. Juni, 5. Juli und 23. Juli 2004 ohne Erfolg geblieben waren und die Antragstellerin schließlich auf schriftliche Mahnung des Landratsamts vom 14. Oktober 2004 darauf hingewiesen hatte, sie habe angesichts der seit Mai 2004 bestehenden Schwangerschaft keine Untersuchungen mehr vornehmen lassen, reagierte das Landratsamt erneut mit einem Widerruf der Apothekenbetriebserlaubnis vom 13. Juni 1997 (Bescheid vom 11.11.2004). Die sofortige Vollziehbarkeit dieses Bescheids wurde angeordnet. Die Antragstellerin legte Widerspruch ein und beantragte die Wiederherstellung von dessen aufschiebender Wirkung beim Bayerischen Verwaltungsgericht Regensburg. Das Verwaltungsgericht lehnte den Antrag ab (Beschluss vom 20.12.2004).

Die Antragstellerin hat Beschwerde eingelegt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist unbegründet. Die von der Antragstellerin dargelegten Gründe, auf die die Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses. Die bei der Entscheidung über den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotene Interessenabwägung rechtfertigt hier die Ablehnung des Antrags. Das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehbarkeit des angefochtenen Widerrufs der Apothekenbetriebserlaubnis vom 13. Juni 1997 überwiegt das Aufschubinteresse der Antragstellerin. Bei der gebotenen Abwägung sind die Erfolgsaussichten des Widerspruchs der Antragstellerin sowie die Folgen abwägungserheblich, die bei einem Aufschub der Maßnahmen für die Dauer des Rechtsstreits zu befürchten sind (BVerfG vom 16.8.2003, NJW 2003, 3617). Die Abwägung fällt derzeit zu Lasten der Antragstellerin aus.

1) Der Widerruf ist unter den derzeitigen Umständen mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtmäßig.

Die Erlaubnis ist nämlich zwingend zu widerrufen, wenn ein Apotheker in gesundheitlicher Hinsicht ungeeignet ist, eine Apotheke ordnungsgemäß zu leiten (§ 4 Abs. 2 Satz 1, § 2 Abs. 1 Nr. 7 ApG). Die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit des leitenden Apothekers muss während der üblichen Dienstzeit und während der Abend-, Nacht- und Wochenenddienste gegeben sein, um eine Gefährdung der Arzneimittelversorgung, eine Beeinträchtigung der Volksgesundheit und eine konkrete Gefährdung von einzelnen Apothekenkunden abzuwehren. Andernfalls ist der Ausschluss des betroffenen Apothekers von der Leitungsfunktion gerechtfertigt. Dies ist dem betroffenen Apotheker auch nach Art. 12 Abs. 1 GG als geeigneter, erforderlicher und verhältnismäßiger Eingriff zumutbar. Immerhin besteht bei gesundheitlicher Nichteignung zur ordnungsgemäßen Leitung einer Apotheke noch die Möglichkeit, eine abhängige Beschäftigung als Apotheker anzunehmen, weil mit ihr nicht stets auch die Voraussetzungen der Approbation entfallen (VGH BW vom 16.9.1993, GewArch 1994, 75/76). Ein gesundheitlicher Eignungsmangel liegt bei einer Alkoholerkrankung mit Alkoholabhängigkeit vor. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig und ergibt sich u.a. auch aus der fachlichen Äußerung des Landratsamts P - Gesundheitsamt - vom 26. September 2003 und dem nervenärztlichen Gutachten vom 4. September 2003.

Unstreitig litt die Antragstellerin jahrelang an einer Alkoholerkrankung mit Alkoholabhängigkeit, so dass ein Eignungsmangel in gesundheitlicher Hinsicht vorlag. Es trifft zwar zu, dass nach dem erfolgreichen Abschluss einer Entwöhnungstherapie mit dem Wiedereintritt der gesundheitlichen Eignung zur ordnungsgemäßen Leitung einer Apotheke zu rechnen ist, wie das Gesundheitsamt P in der fachlichen Äußerung vom 26. September 2003 ausgeführt hat. Dies setzt aber eine dauerhaft eingehaltene Alkoholabstinenz voraus. Damit ein Rückfall in ein die gesundheitliche Eignung ausschließendes Verhaltensmuster hinreichend sicher ausgeschlossen werden kann, muss der als Voraussetzung für die Wiedergewinnung der gesundheitlichen Eignung zu fordernde Übergang zu völliger Alkoholabstinenz in jedem Fall nachhaltig und stabil sein (vgl. z.B. BayVGH vom 3.2.2004 - Az. 11 CS 04.157, zum Fahrerlaubnisrecht). Einen Orientierungspunkt für den für eine dauerhafte Alkoholabstinenz zu fordernden Zeitraum bietet insofern Nr. 8.4 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung; danach muss in der Regel eine einjährige Alkoholabstinenz nachgewiesen sein. Nach dem Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität München vom 14. April 2005 kann hiervon aber derzeit nicht ausgegangen werden. Es sind vielmehr Zweifel angebracht, ob die schwere Alkoholerkrankung der Antragstellerin dauerhaft überwunden ist. Diese Zweifel beruhen auf objektiven Laborwerten (GGT). Auf die einander widersprechenden und naturgemäß unsicheren Zeugenwahrnehmungen kommt es hier nicht entscheidend an. Den Angaben der Antragstellerin selbst kann insofern ebenfalls kein entscheidendes Gewicht beigemessen werden, weil sie einerseits ihr ungünstige Tatsachen nachweislich unterdrückt hat, z.B. gegenüber dem Verkehrsmedizinischen Zentrum die Vorfälle vom 14. August 2003 und die telefonischen Mahnungen des Landratsamts vom Juni/Juli 2004 und andererseits für ihr Fehlverhalten Begründungen angibt, die aus fachlichmedizinischer Sicht in keiner Weise für nachvollziehbar gehalten werden. Dies gilt insbesondere für den Hinweis auf eine bestehende Schwangerschaft als Begründung für das Unterbleiben der vorgeschriebenen Labortests (vgl. Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität München). Bei der Antragstellerin sind somit Verleugnungs- und Beschönigungstendenzen nicht zu übersehen, so dass auch ihr Hinweis auf Stress als Ursache für die erhöhten GGT-Werte nicht zu überzeugen vermag.

2) Die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit des Widerrufs der Apothekenbetriebserlaubnis setzt im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG weiter voraus, dass eine weitere Berufstätigkeit während der Dauer des Rechtsstreits konkrete Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter befürchten lässt (BVerfG vom 13.8.2003, NJW2003, 3617, und BVerfG vom 24.10.2003, NJW2003, 3618/3619; vgl. auch BayVGH vom 8.3.2004, BayVBl 2004, 565). Nach dem Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität München muss der Verwaltungsgerichtshof derzeit hiervon ausgehen. Es sind auf Tatsachen gestützte Zweifel angebracht, ob die Gefahrenursache, nämlich die schwere Alkoholerkrankung der Antragstellerin dauerhaft überwunden ist. Die derzeit günstigen Laborwerte stehen im Zusammenhang mit der durch das vorliegende Beschwerdeverfahren ausgelösten Drucksituation und reichen als Nachweis einer dauerhaften Heilung nicht aus (vgl. BVerwG vom 16.6.1995, GewArch 1996, 24, zu § 35 GewO). Das Interesse der Antragstellerin an der Sicherung ihrer wirtschaftlichen Existenz (bestehende Insolvenz, Arbeitslosigkeit des Ehemanns, Geburt eines Kindes), muss daher derzeit zurückstehen.

3) Entsprechend dem Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität München bleibt der Antragstellerin die Möglichkeit, durch eine längerfristige monatliche Kontrolle eingehaltener Alkoholabstinenz die Zweifel an der dauerhaften Überwindung ihrer Alkoholerkrankung auszuräumen. Sie könnte dann erforderlichenfalls einen Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO stellen, falls im Hauptsacheverfahren keine Einigung möglich sein sollte.

Kosten: § 154 Abs. 2 VwGO.

Streitwert: § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG; wie Vorinstanz.

Ende der Entscheidung

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