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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 10.01.2007
Aktenzeichen: 24 BV 03.722
Rechtsgebiete: AuslG, AufenthG


Vorschriften:

AuslG § 44 Abs. 1 Nr. 3
AuslG § 44 Abs. 3
AufenthG § 51 Abs. 1 Nr. 7
Auch eine Auslieferung ist eine Ausreise i.S. des § 44 Abs. 1 Nr. 3 AuslG bzw. des § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

24 BV 03.722

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Erlöschen einer Aufenthaltserlaubnis;

hier: Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 29. Januar 2003,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 24. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Kersten, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Eich, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Wagner

ohne mündliche Verhandlung

am 10. Januar 2007

folgendes Urteil:

Tenor:

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die am 23. September 1937 geborene polnische Klägerin reiste am 22. März 1988 in das Bundesgebiet ein und wurde mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 28. Dezember 1988 antragsgemäß als Asylberechtigte anerkannt. Am 31. März 1989 wurde ihr eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt. Nach Entgegennahme eines am 27. August 1992 ausgestellten polnischen Nationalpasses erlosch ihre Anerkennung als Asylberechtigte.

Am 7. Juni 1999 wurde die Klägerin festgenommen und zum Zwecke der Auslieferung nach Polen inhaftiert. Gegen sie bestand ein internationaler Haftbefehl der Staatsanwaltschaft ****** vom 13. Mai 1999, mit dem ihr zu Last gelegt worden ist, im Zeitraum Februar bis Mai 1999 in ******* und ****** versucht zu haben, Gelder in Höhe von ca. 24.000 US-Dollar, die, wie sie wusste, aus einem Raubüberfall am 8. Januar 1999 in Polen stammten, an Angehörige der Täter in ******* zu verteilen.

Am 11. August 1999 ist die Klägerin nach Polen ausgeliefert worden, wo sie verurteilt wurde und bis 2. Februar 2001 eine Haftstrafe verbüßte.

Am 3. März 2001 kehrte die Klägerin wieder in das Bundesgebiet zurück und meldete sich erneut rückwirkend zum 3. Februar 2001 in ihrer früheren Wohnung in *******, ************* ** an. Am 5. Juni 2001 meldete sie sich rückwirkend zum 7. Juni 1999 aus dieser Wohnung nach ******/Polen ab.

Nach Kenntnis von der Wiedereinreise der Klägerin forderte die Beklagte diese mit Schreiben vom 14. Februar 2002 zur Ausreise auf, da der visumsfreie Touristenverkehr, im Rahmen dessen die letzte Einreise im Februar 2001 erfolgt sei, bereits seit geraumer Zeit abgelaufen sei. Die Klägerin sei vollziehbar ausreisepflichtig. Die am 6. August 1992 (tatsächlich am 31. März 1989) erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis sei kraft Gesetzes erloschen.

Demgegenüber berief sich die Klägerin darauf, dass sie gegen ihren Willen an die Republik Polen ausgeliefert worden sei. Erstmals unmittelbar nach ihrer Entlassung aus der Haft und insgesamt sechsmal habe sie versucht, wieder nach Deutschland einzureisen. Sie habe sich nie von ihrer Münchner Wohnung abgemeldet, die sie die ganze Zeit über beibehalten und bezahlt habe. Sie lebe seit bald 15 Jahren in Deutschland, sei zuckerkrank und leide unter Osteoporose. Eine Ausweisung sei nicht erfolgt.

Am 1. März 2002 ließ die Klägerin Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erheben und beantragen festzustellen, dass ihre unbefristete Aufenthaltserlaubnis nicht nach § 44 Abs. 1 Nr. 3 AuslG erloschen ist. Zur Begründung wurde erneut darauf verwiesen, dass die Klägerin nicht freiwillig ausgereist sei und deshalb der Tatbestand des § 44 Abs. 1 Nr. 3 AuslG nicht vorliege. Sie sei in Polen zu Unrecht einer Straftat bezichtigt worden und habe sich unschuldig in Haft befunden. Am 2. Februar 2001 sei die Klägerin vorzeitig aus der Haft entlassen worden (vgl. Beschluss des Amtsgerichts Grünberg vom 31.1.2001, Bl. 19 der VG-Akte, sowie Entlassungsbescheinigung vom 2.2.2001, Bl. 21 der VG-Akte) und habe in der Folgezeit sechsmal versucht, wieder nach Deutschland einzureisen. Sie habe sich darauf verlassen, dass die ihr erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis unangetastet bleibe, denn dies sei ihr von dem deutschen Ermittlungsrichter ********, dem sie nach ihrer Festnahme am 7. Juni 1999 vorgeführt worden sei, erklärt worden. Zudem sei der Aufenthalt in Polen wegen der nur vorübergehenden Inhaftierung von vornherein zeitlich begrenzt gewesen. Weiterhin sei hier § 6 Abs. 2 AuslG analog anzuwenden, wonach Haftzeiten nicht auf die Zeiten des Besitzes einer Aufenthaltsgenehmigung angerechnet werden. Daraus sei zu schließen, dass eine Inhaftierung nicht zur Unterbrechung des rechtmäßigen Aufenthalts oder des Besitzes einer Aufenthaltsgenehmigung führe. Erst recht könne dann ein Haftaufenthalt nicht zum Verlust einer bereits erteilten unbefristeten Aufenthaltserlaubnis führen. Weiterhin sei hier § 48 AuslG analog anzuwenden. Die Klägerin genieße besonderen Ausweisungsschutz, da sie einen von der Beklagten ausgestellten Reiseausweis besitze. Deshalb könne sie wegen der zweijährigen Freiheitsstrafe nicht aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Es könne keinen Unterschied machen, ob die Haftstrafe im Inland oder im Ausland angetreten worden sei.

Anlässlich einer Vorsprache am 8. März 2002 bei der Beklagten erklärte die Klägerin, nach ihrer Haftentlassung sei sie von den polnischen Grenzbehörden an der Ausreise gehindert worden. Die Ausreise sei ihr erst im März 2001 gestattet worden. Sie legte das Schreiben eines polnischen Richters vom 1. März 2001 an die Hauptkommandantur des Grenzschutzes vor, wonach nach Haftverbüßung der Ausreise der Klägerin keine Hindernisse im Wege stünden (Bl. 146 der Akten der Beklagten).

Mit Urteil des Bayer. Verwaltungsgerichts München vom 29. Januar 2003 wurde die Klage abgewiesen. Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht aus, die unbefristete Aufenthaltserlaubnis der Klägerin sei gemäß § 44 Abs. 1 Nr. 3 AuslG erloschen, da sie sich unstreitig mehr als sechs Monate außerhalb des Bundesgebiets aufgehalten habe. Dabei komme es weder auf den Grund der Ausreise an noch darauf, ob die Wiedereinreise nach Deutschland erschwert worden sei. Der Zeitraum von der Auslieferung nach Polen am 11. August 1999 bis zur Entlassung aus der Haft am 2. Februar 2001, dem frühestmöglichen Rückkehrzeitpunkt, sei bereits deutlich länger als sechs Monate, so dass die Umstände der Wiedereinreise nicht von Bedeutung seien. Die Aufrechterhaltung der Aufenthaltserlaubnis könne auch nicht über eine analoge Anwendung von § 6 Abs. 2 AuslG konstruiert werden, da die Regelung des § 44 AuslG abschließenden Charakter habe und die von der Klägerin vorgenommene Auslegung des § 6 Abs. 2 AuslG dessen Sinn und Zweck widerspreche. Der in der mündlichen Verhandlung am 29. Januar 2003 gestellte Antrag auf nachträgliche Verlängerung der Wiedereinreisefrist führe zu keinem anderen Ergebnis, denn das durch Fristablauf eingetretene Erlöschen der Aufenthaltsgenehmigung könne nicht nachträglich rückgängig gemacht werden. Eine Wiedereinsetzung in die Frist komme ebenfalls nicht in Betracht, da es sich hier um eine materielle Ausschlussfrist handle.

Die Berufung wurde zugelassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe.

Am 14. März 2003 ließ die Klägerin Berufung einlegen und beantragen,

das Urteil des Bayer. Verwaltungsgerichts München vom 29. Januar 2003 aufzuheben und festzustellen, dass die unbefristete Aufenthaltserlaubnis der Klägerin nicht nach § 44 Abs. 1 Satz 3 AuslG erloschen ist, sondern fortbesteht.

Zur Begründung wurde ausgeführt, das Rechtsproblem drehe sich um die Frage, ob § 44 Abs. 1 Satz 3 AuslG seinem Wortlaut nach ausschließlich und somit unabdingbar auf die Dauer der Abwesenheit abstelle, ohne den Grund der Ausreise zu erwähnen, und ob diese Vorschrift so auszulegen sei, dass auch unabänderliche Rechtsgrundsätze, wie z.B. in § 242 BGB niedergelegt, eine weitergehende Auslegung ermöglichten. Würde man der Auslegung der Beklagten und dem Erstgericht folgen, wäre dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet. Der Gedanke wäre geradezu unerträglich, dass ein Ausländer entführt und ins Ausland verbracht werde und dann seine gesicherte Aufenthaltserlaubnis verliere. Dies würde bedeuten, dass Entführungen, Verschleppungen und sonstige im Sinne der deutschen Rechtsordnung rechtswidrige Verbringungen aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland legalisiert würden. Dies sei nicht hinzunehmen. Es wäre Aufgabe des Erstgerichtes gewesen, im Wege einer erweiternden Auslegung oder Analogie den streitgegenständlichen Fall positiv im Rahmen des § 44 AuslG zu lösen. Die Klägerin hätte sich natürlich der Auslieferung widersetzen können. Sie habe aber auf die amtliche feste Zusicherung des Ermittlungsrichters vertraut, dass sie jederzeit wieder in die Bundesrepublik einreisen könne. Die Klägerin als arme, alte Polin habe nicht wissen können, dass eine derartige Zusage keine Gültigkeit habe. Es sei auch nicht ausschließlich auf die Dauer der Abwesenheit abzustellen, sondern auf die Gesamtschau der Dinge. Im vorliegenden Fall seien die subjektiven Gründe und Umstände in der Person des Ausländers genauso zu würdigen wie die objektive Verbringung der Klägerin gegen ihren Willen ins Ausland. Auch eine analoge Anwendung von § 6 Abs. 2 AuslG komme zugunsten der Klägerin in Betracht. Aus rechtsstaatlichen Erwägungen sei der Klage stattzugeben und das Ersturteil aufzuheben.

Auf Anfrage der Beklagten teilte die Polizeiinspektion ** ******* mit Schreiben vom 1. Oktober 2003 mit, dass die Klägerin nicht mehr in der ************* ** wohne, sondern "schon seit längerer Zeit" in ihre Heimat zurückgekehrt sei. Aus einer Mitteilung des Sozialamtes vom 17. Oktober 2003 ergibt sich, dass die Klägerin bis zum 30. April 2003 Sozialleistungen in Anspruch genommen hat.

Mit Schriftsätzen vom 4. und 22. März 2004 erklärten sich die Parteien mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden.

Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 6. September 2004,

die Berufung zurückzuweisen.

Es stehe unwiderleglich fest, dass sich die Klägerin mehr als sechs Monate ununterbrochen im Ausland aufgehalten habe. Dies führe nach § 44 Abs. 1 Nr. 3 AuslG zum Erlöschen der Aufenthaltsgenehmigung, ohne dass der Grund der Ausreise von Belang sei. Daran ändere nichts, dass die Klägerin das Bundesgebiet nicht freiwillig verlassen habe. Der Begriff der "Ausreise" im Sinne des Ausländerrechts bedeute nicht, dass eine Ausreise immer auf einer freien Willensentscheidung beruhen müsse. Auch in der Gesetzesbegründung sei stets betont worden, dass der Begriff der Ausreise sowohl die freiwillige Ausreise als auch zwangsweise Rückführungen umfasse.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Behörden- sowie der Gerichtsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Streitgegenstand ist die Rechtsfrage, ob die Klägerin aufgrund ihrer Auslieferung in ihr Heimatland und die erst eineinhalb Jahre später erfolgte Wiedereinreise ihre frühere unbefristete Aufenthaltserlaubnis verloren hat.

A. Die Berufung ist zulässig. Insbesondere ist das in jedem Stadium des Verfahrens zu prüfende Rechtsschutzbedürfnis für die Klägerin gegeben.

Eine Entscheidung darüber, ob ihre frühere unbefristete Aufenthaltserlaubnis aufgrund ihrer Ausreise erloschen ist, wird nämlich nicht dadurch entbehrlich, dass Polen mittlerweile der Europäischen Union (EU) beigetreten ist und die Rechtslage für EU-Angehörige im Freizügigkeitsgesetz/EU (neu) geregelt ist. Denn der Beitritt Polens zur EU am 1. Mai 2004 erfolgte erst nach dem Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis im Februar 2000. Auf diesen Zeitpunkt ist hinsichtlich der Sach- und Rechtslage maßgeblich abzustellen. Die Klägerin kann sich deshalb nicht darauf berufen, EU-Angehörige zu sein mit der Folge, dass der bis zum 31. Dezember 2004 geltende § 44 AuslG (jetzt § 51 AufenthG) womöglich auf sie keine Anwendung finde. Dies wäre allenfalls dann der Fall, wenn die Aufenthaltserlaubnis erst während der EU-Mitgliedschaft von Polen erloschen wäre.

Auch aufgrund der Regelungen im Freizügigkeitsgesetz/EU findet sich keine Rechtsgrundlage für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, denn die Arbeitnehmerfreizügigkeit ist hinsichtlich Polen immer noch beschränkt. Ein dauerndes Aufenthaltsrecht zur Aufnahme einer unselbständigen Erwerbstätigkeit kann die Klägerin derzeit nicht erhalten (vgl. Anhang XII, Liste nach Artikel 24 der Beitrittsakte: Polen, ABl. EG vom 23.9.2003 S. 875/876 ff.). Schließlich steht der Klägerin als früherer Sozialhilfeempfängerin, die keinen Anspruch auf (deutsche) Rentenleistungen hat (vgl. Mitteilung der LVA vom 6.12.2002, Bl. 49 der VG-Akte), auch keine Aufenthaltserlaubnis als Rentnerin zu, da sie offensichtlich nicht über ausreichende Existenzmittel verfügt (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Freizügigkeitsgesetz/EU). Für sie ist es deshalb von ausschlaggebender Bedeutung, ob ihre frühere Aufenthaltserlaubnis erloschen ist oder nicht.

B. Die Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat mit dem angefochtenen Urteil vom 29. Januar 2003 die Klage zu Recht abgewiesen.

I. Die Klage der Klägerin auf Feststellung, dass ihre unbefristete Aufenthaltserlaubnis nicht nach § 44 Abs. 1 Nr. 3 AuslG erloschen ist, war als Feststellungsklage zulässig. Das berechtigte Interesse an der Feststellung ist gegeben, denn die Rechtslage war unklar, die zuständige Behörde war anderer Auffassung als die Klägerin und die Klägerin wollte ihr künftiges Verhalten an der Feststellung orientieren (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl. 2005, RdNr. 24 zu § 43). Eine vorrangige Anfechtungsklage scheidet aus, weil ein Verwaltungsakt hier niemals inmitten stand.

II. Das Verwaltungsgericht ist in seinem Urteil vom 29. Januar 2003 zu Recht zum Ergebnis gelangt, dass die Aufenthaltserlaubnis der Klägerin erloschen ist. Die Voraussetzungen des hier maßgeblichen § 44 Abs. 1 Nr. 3 AuslG liegen vor. Diese Vorschrift findet auf den vorliegenden Fall Anwendung, denn, wie oben bereits erwähnt, ist hinsichtlich der Sach- und Rechtslage maßgeblich auf den Zeitpunkt des Erlöschens der Aufenthaltserlaubnis abzustellen. Dies war sechs Monate nach der Ausreise der Klägerin am 11. August 1999, also am 11. Februar 2000 (vgl. Nr. 44.1.3.4 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Ausländergesetz - AuslG - VwV - v. 28.6.2000). Im Übrigen ergäbe sich auch nach Erlass des ab 1. Januar 2005 geltenden Aufenthaltsgesetzes unter dem gleichlautenden § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG keine Änderung gegenüber der früheren Rechtslage.

Nach § 44 Abs. 1 Nr. 3 AuslG erlischt die Aufenthaltsgenehmigung, wenn der Ausländer ausgereist und nicht innerhalb von sechs Monaten oder einer von der Ausländerbehörde bestimmten längeren Frist wieder eingereist ist. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall gegeben.

1. Die Klägerin ist aus dem Bundesgebiet ausgereist i.S. von § 44 Abs. 1 Nr. 3 AuslG. Entgegen ihrem Vorbringen im Berufungsverfahren ist der Senat der Auffassung, dass der Begriff Ausreise sowohl die freiwillige Ausreise als auch jede erzwungene Ausreise umfasst. Deshalb reist auch der Ausländer aus, der nicht freiwillig das Bundesgebiet verlässt, sondern abgeschoben oder ausgeliefert wird.

Dies ergibt sich bereits aus dem Begriff der Ausreise, der nichts mit "Reisen" i.S. von "verreisen" zu tun hat, sondern rein technisch zu sehen ist. Nach dem deutschen Universalwörterbuch Duden (3. Aufl. 1996) bedeutet "Ausreisen" ins Ausland reisen bzw. die Landesgrenze überschreiten. "Ausreise" ist das Verlassen eines Landes mit einem Verkehrsmittel.

Die Definition der "Ausreise" im Duden stimmt von der Zielrichtung her überein mit der Definition der "Einreise" in § 13 Abs. 2 Satz 3 AufenthG. Danach ist ein Ausländer eingereist, wenn er die Grenze überschritten hat. Auch unter diesem Blickwinkel kommt es nicht auf den Willen des Ausländers an. Deshalb ist auch ein in das Bundesgebiet zwangsweise verbrachter Ausländer bei Überschreiten der Grenze eingereist i.S. des § 13 AufenthG. Legt man diese gesetzgeberische Sichtweise auch im umgekehrten Fall zugrunde, so ist ein Ausländer im Gegenzug ausgereist, wenn er die Grenze (in anderer Richtung) überschritten hat (vgl. auch § 62 AuslG i.V. mit Nr. 62.1 AuslG-VwV v. 28.6.2000, BAnz. v. 6.10.2000 Nr. 188 a)..

Dass der Begriff Ausreise sowohl die freiwillige als auch die erzwungene Ausreise umfasst, ergibt sich noch deutlicher aus § 8 Abs. 2 Sätze 1 und 4 AuslG (praktisch gleichlautend § 11 Abs. 1 Sätze 1 und 4 AufenthG). Danach darf einem Ausländer, der ausgewiesen oder abgeschoben worden ist, kein Aufenthaltstitel erteilt werden, es sei denn, die Wirkungen von Ausweisung und Abschiebung sind befristet worden. Diese Frist beginnt mit der Ausreise. Mit der Verwendung des Begriffes Ausreise in diesem Zusammenhang macht der Gesetzgeber deutlich, dass sowohl ein freiwilliges Verlassen des Bundesgebietes nach einer Ausweisung als auch deren zwangsweise Durchsetzung durch eine Abschiebung als Ausreise zu verstehen ist. Denn der Begriff der Ausreise in § 8 Abs. 2 Satz 4 (bzw. § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG) bezieht sich gerade auch auf den Fall, dass ein Ausländer abgeschoben, also zwangsweise aus dem Bundesgebiet entfernt worden ist (vgl. auch Nr. 8.2.4.4.2 AuslG - VwV vom 28.6.2000).

Ein weiterer Hinweis auf die zutreffende Auslegung durch das Verwaltungsgericht findet sich in § 49 Abs. 2 Satz 1 AuslG. Danach bedarf die Ausreise eines Ausländers, der sich in Haft befindet, einer Überwachung. Dies bedeutet nichts anderes, als dass der Ausländer direkt aus der Haft abgeschoben werden kann, also auch in diesem Fall eine Ausreise ohne seinen freien Willen erfolgt.

Schließlich ist auch der Gesetzgeber von dieser Auslegung des Begriffs "Ausreise" ausgegangen. In der Drucksache 15/420 des Deutschen Bundestages zu § 25 AufenthG (S. 79 der Drucksache) heißt es: "Der Begriff der Ausreise umfasst sowohl die zwangsweise Rückführung, als auch die freiwillige Ausreise." Diese Begriffsdefinition hat auch das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 27. Juni 2006 (DVBl 2006, 1509/1510) übernommen: "Unter "Ausreise" im Sinne dieser Vorschrift ist sowohl die zwangsweise Abschiebung als auch die freiwillige Ausreise zu verstehen". Diese Begriffserläuterung kann aber nicht nur ausschließlich auf § 25 AufenthG bezogen werden, denn der Begriff der Ausreise zieht sich durch das ganze Ausländerrecht und ist deshalb keiner unterschiedlichen Auslegung zugänglich.

Auch in der Rechtsprechung ist die hier vertretene Auffassung vorherrschend. Sowohl das Verwaltungsgericht Hamburg (Beschluss vom 3.9.1999 Az.10 VG 3044/99), als auch das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht (Beschluss vom 12.7.2002 Az. 11 B 24/02) und das Verwaltungsgericht Frankfurt (Beschluss vom 15.1.2003 Az. 1 G 3598/02) (alle Entscheidungen in juris) sehen eine Auslieferung als einen Fall der Ausreise i.S. des § 44 Abs. 1 Nr. 3 AuslG an.

Die entgegengesetzte Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts München (Beschluss vom 6.7.1998 Az. M 6 E 98.2398) sowie des Verwaltungsgerichts Hannover (Beschluss vom 3.4.2003 NVwZ-Beilage I 12/2003 S. 103) sowie der hierzu ergangene Beschluss des Niedersächsischen OVG vom 11. Juni 2003 (Az. 11 ME 134/03) überzeugen nicht. So ist das Verwaltungsgericht München ohne nähere Begründung davon ausgegangen, dass eine Ausreise nur dann vorliege, wenn der Ausländer freiwillig das Bundesgebiet verlässt. Das Verwaltungsgericht Hannover leitet demgegenüber seine Rechtsmeinung aus § 62 Abs. 1 AuslG ab, wonach Ausländer frei aus dem Bundesgebiet ausreisen können. Diese Vorschrift gibt jedoch für die Auslegung des Begriffes "Ausreise" nichts her, denn sie regelt nur die freiwillige Ausreise, nicht aber die erzwungene. Auch die weitergehende Argumentation überzeugt nicht. Insbesondere kann nicht von extremen Ausnahmesituationen (z.B. der Entführung eines ausländischen Kindes) darauf geschlossen werden, dass eine Ausreise i.S. von § 44 Abs. 1 Nr. 3 AuslG stets einen freien Entschluss, das Land zu verlassen, voraussetzt, und ansonsten die gegenteilige Auffassung zu unerträglichen Ergebnissen führen würde. Denn derart atypische und außergewöhnliche Vorkommnisse können durchaus mit den hierfür vorgesehenen rechtlichen Konstruktionen (Grundsatz von Treu und Glauben, Nachsichtgewährung etc.) befriedigend gelöst werden.

2. Unstreitig ist, dass die Klägerin nach dem Verlassen des Bundesgebietes am 11. August 1999 nicht innerhalb von sechs Monaten wieder in das Bundesgebiet eingereist ist, sondern offensichtlich erst Anfang März 2001. Eine Überschreitung der sechsmonatigen Frist des § 44 Abs. 1 Nr. 3 AuslG führt zu dem grundsätzlich unwiderleglichen Schluss, dass der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grunde ausgereist ist (vgl. Kloesel/ Christ/Häußer, Deutsches Ausländerrecht, 4. Aufl., RdNr. 7 zu § 44 AuslG; ebenso Amtliche Begründung zum Gesetzentwurf BT-Drucksache 11/6321 zu § 44). Dabei kommt es weder auf die Kenntnis dieses Erlöschenstatbestandes noch auf die subjektiven Vorstellungen des Ausländers von seinem Ausreisezweck noch auf subjektive Umstände während des Auslandsaufenthalts wie auf ein etwaiges Verschulden an der verspäteten Wiedereinreise an (Hailbronner, Ausländerrecht, Stand 2006, RdNr. 23 zu § 51 AufenthG; BayVGH vom 22.11.2000 Az. 10 B 97.675; OVG Berlin vom 1. Juli 1998 Az. 8 N 32.98, <juris>).

3. Das Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis der Klägerin konnte auch nicht durch die "Zusicherung" des Ermittlungsrichters verhindert werden. Die Äußerungen des Amtsrichters, "es würde der Klägerin nichts passieren und sie könne jederzeit in die BRD zurückkehren", sind nämlich nicht als Zusicherung anzusehen, sondern lediglich als Hinweise zu einer bestimmten Rechtsfrage. Eine Zusicherung nach Art. 38 Abs. 1 BayVwVfG konnte der Richter bereits deshalb nicht abgeben, weil er für die ausländerrechtliche Beurteilung der Situation der Klägerin nicht zuständig war; zudem fehlt es an der Schriftform. Die Ausländerbehörde war an dessen Äußerungen nicht gebunden. Im Übrigen ergibt sich aus dem Vortrag der Klägerin nicht, dass der Haftrichter hinsichtlich der Wiedereinreisefrist nähere Angaben gemacht hat. Zum damaligen Zeitpunkt war offensichtlich eine Verurteilung der Klägerin in Polen noch nicht erfolgt, so dass gar nicht absehbar war, in welchem Zeitraum eine Wiedereinreise erfolgen wird. Zudem kann ein Ermittlungsrichter nicht das kraft Gesetzes eintretende Erlöschen einer Aufenthaltserlaubnis beeinflussen. Aufgrund der (noch) unklaren Situation und der pauschalen Äußerungen des Haftrichters hätte es nahe gelegen, dass sich die Klägerin - womöglich unter Vermittlung des Haftrichters - mit der für sie zuständigen Ausländerbehörde in Verbindung setzt, um die aufenthaltsrechtliche Situation abzuklären. Jedenfalls konnte sie sich nicht auf die Aussage des Ermittlungsrichters mit der Folge verlassen, dass ihre Aufenthaltserlaubnis als nicht erloschen anzusehen wäre.

4. Die Klägerin ist auch nicht innerhalb einer von der Ausländerbehörde bestimmten längeren Frist wieder eingereist. Eine solche Frist ist bislang von der Ausländerbehörde nicht bestimmt worden. Zwar hat die Klägerin lange nach Ablauf der Sechsmonatsfrist am 29. Januar 2003 einen entsprechenden "Verlängerungsantrag" gestellt, hierüber liegt jedoch bis heute keine positive Entscheidung vor. Eine solche kann die Behörde auch nicht im Sinne der Klägerin treffen, denn ein nach Ablauf der sechs Monate gestellter Antrag kann das Erlöschen der Aufenthaltsgenehmigung nicht mehr rückwirkend verhindern. Dies ergibt sich daraus, dass die Aufenthaltsgenehmigung nach sechs Monaten seit der Ausreise erloschen ist, hier ab dem 11. Februar 2000. Eine "Verlängerung" einer bereits abgelaufenen Frist ist logischerweise nicht mehr denkbar. Zudem hat die nach dem Gesetz mögliche Verlängerung der Sechsmonatsfrist, mit der unbeabsichtigte Härten vermieden werden sollen, die Funktion, den gesetzlichen Erlöschenszeitpunkt hinauszuschieben (BT-Drs. 11/6321 zu § 44, S. 71). Ein Hinausschieben ist aber nur möglich, wenn die Aufenthaltsgenehmigung noch nicht erloschen ist (BayVGH vom 25.2.2004 Az. 10 ZB 03.187; HessVGH v. 16.3.1999 InfAuslR 1999, 454). Der gegenteiligen Ansicht des Verwaltungsgerichts Stuttgart (Beschluss vom 10.10.1997 InfAuslR 1998, 30) kann der Senat nicht folgen. In § 44 Abs. 3 AuslG ist nicht geregelt, wann ein entsprechender Antrag zu stellen ist, sondern lediglich, in welchen Fällen regelmäßig eine längere Frist bestimmt wird. Abzustellen ist vielmehr auf § 44 Abs. 1 Nr. 3 AuslG. Aus dessen Wortlaut ergibt sich eindeutig, dass die Fristverlängerung vor Ablauf der Sechsmonatsfrist und damit vor Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis beantragt werden muss. Denn ein Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis wird nur dann verhindert, wenn der Ausländer innerhalb von sechs Monaten oder einer bestimmten längeren Frist wieder eingereist ist. Es darf deshalb keine Lücke zwischen dem Ablauf der sechs Monate und der Fristverlängerung liegen.

5. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Frist zur Stellung des Antrags nach § 44 Abs. 3 AuslG. Eine solche kommt bei materiellen Ausschlussfristen wie hier in der Regel nicht in Betracht (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 9. Aufl. 2005, RdNr. 16 zu § 32).

Im Übrigen ist fraglich, ob die Klägerin die Frist ohne Verschulden versäumt hat, denn allein die Unkenntnis der Erlöschensvorschrift reicht nicht aus. Die Klägerin hat nämlich vor ihrer Ausreise nicht die erforderliche Sorgfalt erkennen lassen, sich bei der Ausländerbehörde über die Folgen der Auslieferung für ihre Aufenthaltsgenehmigung zu erkundigen.

Hinzu kommt, dass der Antrag auf Wiedereinsetzung offensichtlich verspätet gestellt worden ist. Nach § 32 Abs. 2 Satz 1 VwVfG ist der Antrag innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Das mögliche Hindernis, nämlich die Inhaftierung in Polen endete im Februar 2001; die Kenntnis davon, dass die Aufenthaltserlaubnis kraft Gesetzes erloschen ist, hatte die Klägerin spätestens im Februar des Jahres 2002, der Wiedereinsetzungsantrag ist aber erst im Januar 2003 gestellt worden.

6. Das Verwaltungsgericht hat auch zu Recht ausgeführt, dass eine gegebenenfalls mögliche "Nachsichtgewährung" auf der Grundlage von Treu und Glauben (§ 242 BGB) allenfalls zum Ausgleich besonderer Härten nach geringfügiger Fristunterschreitung oder in einem Fall höherer Gewalt bei außergewöhnlichen Ereignissen in Betracht kommt, die nach den Umständen des Falles auch durch die äußerste dem Betroffenen zuzumutende Sorgfalt weder abgewehrt noch in ihren schädlichen Folgen verhindert werden könnten (vgl. BayVGH vom 25.2.2004 Az. 10 ZB 03.187; OVG Koblenz v. 20.10.1988 NVwZ 1989, 381 m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Insoweit kann auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts verwiesen werden. Auch der Senat sieht keine Anhaltspunkte dafür, dass derart außergewöhnliche Umstände im Fall der Klägerin anzunehmen sind, die eine völlig von der Regel abweichende Beurteilung erforderlich machen. Insbesondere ist der vorliegende Fall nicht mit dem vom Verwaltungsgericht Bremen entschiedenen (Urteil vom 30.11.2005 InfAuslR 2006, 198) vergleichbar, in dem der dortige Kläger ohne die Möglichkeit der Kontaktaufnahme für längere Zeit inhaftiert war. Eine solche Sachlage ist hier gerade nicht gegeben. Die Klägerin hätte sich sowohl vor ihrer Ausreise mit der für sie zuständigen Ausländerbehörde in Verbindung setzen als auch während ihrer Inhaftierung in Polen über ihren dortigen Anwalt an die deutsche Ausländerbehörde herantreten können. Im Gegensatz zu dem vom Verwaltungsgericht Bremen entschiedenen Fall wusste die Klägerin zumindest seit ihrer Verurteilung in Polen sehr wohl, dass sie für längere Zeit im Ausland verbleiben würde. Ihr Fall unterscheidet sich nicht von anderen Fällen, in denen Ausländer eine Freiheitsstrafe in ihrem Heimatland verbüßen müssen und bei denen ebenfalls nach Ablauf von sechs Monaten die erteilte Aufenthaltsgenehmigung erlischt (vgl. BayVGH vom 4.5.1998 Az. 10 ZE 98.986).

7. Soweit sich die Klägerin auf eine analoge Anwendung von § 6 Abs. 2 AuslG beruft, ist ein Zusammenhang mit dem vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Hier geht es weder um die Erteilung noch um die Verlängerung einer Aufenthaltsgenehmigung. Es ist auch nicht auf die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts oder des Besitzes einer Aufenthaltsgenehmigung abzustellen. Die Frage des Erlöschens einer bereits erteilten unbefristeten Aufenthaltserlaubnis steht mit dem Regelungsinhalt des § 6 Abs. 2 AuslG in keinerlei Zusammenhang.

C. Die Kostenentscheidung für das Berufungsverfahren folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Klägerin hat die Kosten ihrer erfolglos eingelegten Berufung zu tragen.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V. mit §§ 708 ff ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da Revisionsgründe nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen. Die Auslegung des Begriffes "Ausreise" hat bereits deshalb keine grundsätzliche Bedeutung, weil sie sich direkt aus dem Gesetz ergibt, wie der Senat ausgeführt hat.

Beschluss:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 4.000 Euro festgesetzt (§ 13 Abs. 1 Satz 2, § 14 Abs. 1 und 3 GKG a.F. [Art. 1 § 72 Nr. 1 KostRMoG]).

Ende der Entscheidung

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