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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 10.08.2005
Aktenzeichen: 24 CS 05.2053
Rechtsgebiete: VersG, StGB


Vorschriften:

VersG § 15 Abs. 1
StGB § 130 Abs. 4
Bei Durchführung der Versammlung von Rechtsextremen zum "Gedenken an Rudolf Heß" in Wunsiedel ist mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Friedensstörung im Sinne des § 130 Abs. 4 StGB zu erwarten; dies rechtfertigt das Verbot der Versammlung.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

24 CS 05.2053

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Versammlungsrecht (Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO);

hier: Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 25. Juli 2005,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 24. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Kersten, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Simmon, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Müller

ohne mündliche Verhandlung am 10. August 2005

folgenden Beschluss:

Tenor:

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Mit Schreiben vom 19.08.2001 meldete der Antragsteller beim Landratsamt Wunsiedel i. F. eine Veranstaltung unter offenem Himmel in Wunsiedel für den 20. August 2005 in der Zeit von 10.00 Uhr bis 22.00 Uhr mit dem Thema "Gedenken an Rudolf Heß" an. Die Veranstaltung soll als Marsch durch die Innenstadt von Wunsiedel ohne Mitführen von Fanfaren oder Trommeln mit Ansprachen auf dem Festplatz sowie einem Rahmenprogramm mit Musikdarbietungen durchgeführt werden.

Mit Bescheid vom 29. Juni 2005 verbot das Landratsamt Wunsiedel i. F. unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Veranstaltung sowie jede Form von Ersatzveranstaltung am 20. August 2005 sowohl unter freiem Himmel als auch in geschlossenen Räumen im Bereich des Stadtgebiets Wunsiedel.

Bei der Durchführung einer Heß-Gedenkkundgebung in Wunsiedel bestehe die konkrete Gefahr der Verwirklichung von Straftaten gemäß § 130 Abs. 4 StGB. Sowohl der Versammlungsleiter selbst als auch der zu erwartende Teilnehmerkreis ließen angesichts des Versammlungsthemas unmittelbar den Schluss zu, dass im Rahmen dieser Versammlung eine Verherrlichung oder Billigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft erfolgen werde. Es sei in der Regel davon auszugehen, dass das Billigen, Verherrlichen oder Rechtfertigen der die NS-Gewalt- und Willkürherrschaft kennzeichnenden Menschenrechtsverletzungen den Achtungsanspruch sowie die Menschenwürde der Opfer verletze. Die Verherrlichung und Billigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft lasse eine Störung des öffentlichen Friedens erwarten.

Nach Auskunft des Antragsgegners wurde gegen den Bescheid rechtzeitig Widerspruch erhoben.

Mit Schriftsatz vom 8. Juli 2005 beantragte der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Bayreuth, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 29. Juni 2005 anzuordnen.

Mit Beschluss vom 25. Juli 2005 lehnte das Verwaltungsgericht Bayreuth den Antrag ab.

Der Antrag sei abzulehnen, da sich der angefochtene Bescheid im Hauptsacheverfahren als rechtmäßig erweisen und der Antragsteller mit Widerspruch und Klage ohne Erfolg bleiben werde. Das Verbot der für den 20. August 2005 angemeldeten Veranstaltung sowie jeder Art von Ersatzveranstaltung am selben Tag unter freiem Himmel oder in geschlossenen Räumen im Stadtgebiet von Wunsiedel sei rechtlich nicht zu beanstanden. Das Landratsamt Wunsiedel i. F. sei zu Recht vom Vorliegen einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgegangen und habe das Versammlungsverbot in nicht zu beanstandender Weise auf § 15 Abs. 1 VersG, § 130 Abs. 4 StGB gestützt. Die Störung des öffentlichen Friedens erfolge in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch, dass die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft gebilligt, verherrlicht oder gerechtfertigt werde. Ziel der Veranstaltung sei nach der erklärten Absicht des Antragstellers, das "Gedenken an Rudolf Heß" durch Reden, einen Schweigemarsch durch die Innenstadt, sowie das Zeigen von Trauerfahnen und Musikdarbietungen zu ehren. In sublimer Art und Weise werde damit das Unrecht des Dritten Reiches insgesamt verharmlost und die nationalsozialistische Gewaltherrschaft gebilligt. Trotz der verbalen Gegenäußerungen des Antragstellers stellten er und seine Gefolgsleute eindeutig selbst Verbindungen zwischen Heß, seinem "Friedensflug" und seiner "Märtyrerrolle" und Hitler her. Es finde eine Verknüpfung von Rudolf Heß mit der Person Adolf Hitler statt, und zwar dergestalt, dass auch Adolf Hitler den Frieden gesucht und gewollt habe, was die Verharmlosung und Billigung des Dritten Reiches und damit verbunden dessen Unrechtstaten noch verstärke. Mit der Glorifizierung von Rudolf Heß als "Friedensflieger" und "Märtyrer" sei daher wenn nicht eine Verherrlichung, so doch jedenfalls eine Billigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft im Sinne des neu geschaffenen § 130 Abs. 4 StGB verbunden. Für ein Billigen der NS-Gewalt- und Willkürherrschaft reiche es aus, wenn der Täter konkludent - etwa durch Werturteile über verantwortliche Personen - eine positive Einschätzung der unter der NS-Herrschaft begangenen Menschenrechtsverletzungen abgebe. Eine Glorifizierung von Rudolf Heß könne von einem neutralen Beobachter nur als Billigung der dem NS-Regime zur Last liegenden Untaten verstanden werden. Da Rudolf Heß untrennbar mit dem Gedankengut dieses Systems verbunden sei, sei deshalb Zweck der Veranstaltung eindeutig eine Verherrlichung einer der führenden Personen und Ideologen des Nationalsozialismus, sowie damit einhergehend zumindest eine Billigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft. Durch diese Verherrlichung des Nationalsozialismus werde die Würde der Opfer verletzt. Nach den Materialien zu § 130 Abs. 4 StGB werde man in der Regel davon ausgehen können, dass das Billigen, Verherrlichen oder Rechtfertigen der die NS-Gewalt- und Willkürherrschaft kennzeichnenden Menschenrechtsverletzungen den Achtungsanspruch sowie die Menschenwürde der Opfer verletze. Nach dem Willen des Gesetzgebers seien danach keine hohen Anforderungen an dieses Tatbestandsmerkmal zu stellen. Der Veranstalter versuche, mit seinem Vorgehen unter Ignorierung objektiver historischer Erkenntnisse das Täter-/ Opferverhältnis geradezu auf den Kopf zu stellen, indem er eine der maßgeblichen Repräsentationsfiguren des Dritten Reiches selbst als Opfer und "Märtyrer" darstelle. Diese Umkehrung der Täter-/ Opferbeziehung verhöhne die wirklichen Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und beeinträchtige deren Würde in nicht hinnehmbarer Weise. Die Veranstaltung würde konkret zu einer Störung des öffentlichen Friedens führen. Der öffentliche Friede sei u.a. dann gestört, wenn das Vertrauen der Bevölkerung in die öffentliche Rechtssicherheit erschüttert werde. Das Landratsamt habe darauf hingewiesen, dass bereits in der Vergangenheit die Verherrlichung des NS-Regimes anlässlich der Heß-Gedenkkundgebungen in Wunsiedel zu einer erheblichen Beunruhigung eines Großteils der Bevölkerung geführt habe. Mittlerweile seien 113 Gegendemonstrationen für den 20. August 2005 angemeldet worden. Nach Ansicht des Antragsgegners seien diese Aktivitäten Beleg dafür, dass wegen der in den Jahren 2001 - 2004 durchgeführten Heß-Gedenkdemonstrationen kein Vertrauen der Bürger in die öffentliche Rechtssicherheit mehr bestehe, weil der Staat einer die Menschenwürde verletzenden Verherrlichung des NS-Regimes und einem Wiedererstarken nationalsozialistischen Gedankenguts nicht entgegentrete und die Opfer dieses Regimes nicht ausreichend schütze. Die Durchführung der Veranstaltung führe damit zu einer unmittelbaren Störung des öffentlichen Friedens. Es sei nachvollziehbar, wenn das Landratsamt die am 21. August 2004 in Wunsiedel herrschende Stimmung als beängstigend und einschüchternd bezeichne. Dieser Eindruck werde durch das Auftreten der Veranstaltungsteilnehmer stets in Gruppen und ihre Kleidung etc. unterstützt. Ein derartiges taktisches Verhalten der Demonstrationsteilnehmer (mit dem im Übrigen gegen Auflagen verstoßen worden sei) stelle eine Störung des öffentlichen Friedens dar, der weder durch Auflagen noch durch polizeiliches Einschreiten in ausreichendem Maß begegnet werden könne. Das Verbot der Veranstaltung verstoße auch nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die dargestellten Gefahren ließen sich nicht durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen verhindern. Abgesehen von den bereits ausgeführten Bedenken gegen die Zulässigkeit einer derartigen Veranstaltung rechtfertige eine derartige Veranstaltung nach ihrem Charakter nicht die zwangsläufig mit ihrer Durchführung verbundene Einschränkung der Grundrechte anderer (Anwohner, Verkehrsteilnehmer, Gewerbetreibende) und insbesondere nicht deren, nach vorliegenden Erkenntnissen zu befürchtende Gefährdung in ihrer körperlichen Unversehrtheit.

Gegen diesen Beschluss erhob der Antragsteller Beschwerde mit dem Antrag, unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederherzustellen.

Der öffentliche Frieden werde nicht gestört. Die Annahme sei abwegig, dass bei der Versammlung die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft verherrlicht werde. Die Ansicht, das Hervorheben eines einzelnen Verantwortungsträgers reiche aus, um sich nach § 130 Abs. 4 StGB strafbar zu machen, sei verfassungswidrig. Rudolf Heß solle dafür geehrt werden, dass er sich unter Einsatz seines Lebens für den Frieden eingesetzt habe. Es sei für das Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit gleichgültig, ob Gegenkundgebungen angekündigt seien. Im vergangenen Jahr habe es gemischte Kleidung gegeben und keinen schwarzen Block oder Einschüchterungen.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Rudolf Heß stehe mit seiner gesamten Persönlichkeit im Hinblick der Öffentlichkeit und nicht nur mit den vom Antragsteller selektiv angesprochenen Punkten. Er sei ein besonderer Repräsentant des nationalsozialistischen Unrechtsstaates. Die Ehrung von Rudolf Heß stehe unweigerlich im Zusammenhang mit seiner Position im NS-Regime. Er sei für den Personenkreis, aus dem sich auch die Teilnehmer an den bisherigen Heß-Gedenkmärschen zusammensetzten, eine besondere Symbolfigur. Der Heß-Gedenkmarsch werde seit 1987 von den Rechtsextremisten als zentrale Veranstaltung an einem symbolträchtigen Datum (Heß-Todestag) und an einem symbolträchtigen Ort (Begräbnisstätte von Rudolf Heß) angesehen. Die Auffassung des Antragsgegners werde durch die Gesetzesmaterialien bestätigt, der Gesetzgeber habe ausdrücklich auch die alljährlichen Heß-Gedenkmärsche in Wunsiedel im Auge gehabt. Es liege eine Verherrlichung, jedenfalls eine Billigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft vor. Dadurch werde der öffentliche Friede gestört und die Würde der Opfer des Nationalsozialismus verletzt.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die beigezogenen Behördenakten und die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde bleibt erfolglos, weil das Verwaltungsgericht den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO im Ergebnis zu Recht abgelehnt hat. Das verfügte Versammlungsverbot ist bei im Eilverfahren lediglich summarisch möglicher Prüfung der Sach- und Rechtslage nach § 15 VersG, § 130 Abs. 4 StGB gerechtfertigt. Der Widerspruch und eine Klage gegen den Verbotsbescheid werden voraussichtlich erfolglos bleiben. Deshalb fällt die Abwägung der beiderseitigen Interessen zu Lasten des Antragstellers aus.

Im Beschwerdeverfahren werden nur die dargelegten Gründe geprüft (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO).

1. Die Verbotsvoraussetzungen nach § 15 Abs. 1 VersG liegen - wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat - vor, weil bei der geplanten Durchführung der Veranstaltung die öffentliche Sicherheit gefährdet wird. Es droht die Störung des öffentlichen Friedens in der in § 130 Abs. 4 StGB tatbestandlich zum Ausdruck gebrachten Weise.

Nach § 130 Abs. 4 StGB macht sich strafbar, wer den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch stört, dass er die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt. Im Eilverfahren geht der Senat von der Gültigkeit der Vorschrift aus, auch wenn in der Literatur gegen die Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift Bedenken erhoben werden (vgl. Bertram, NJW 2005, 1476). Diese Bedenken sind nicht so gravierend, dass es im vorliegenden Fall gerechtfertigt wäre, die Nichtigkeit der Norm zu bejahen. Die hierfür erforderliche Überzeugung konnte der Senat nicht gewinnen. Solange dies nicht der Fall ist, muss von der Gültigkeit des ordnungsgemäß zu Stande gekommenen Gesetzes ausgegangen werden.

a) Die im März 2005 neu geschaffene Strafnorm des § 130 Abs. 4 StGB ist als sog. Erfolgsdelikt mit drei Tatbestandsmerkmalen ausgestaltet (vgl. dazu BVerfG vom 16.4.2005 - 1 BvR 808/05) und setzt zunächst voraus, dass der öffentliche Friede gestört wird. Der öffentliche Friede ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (zu ähnlichen Formulierungen in anderen Strafvorschriften) gestört, wenn das Vertrauen der Bevölkerung in die öffentliche Rechtssicherheit erschüttert wird oder wenn potenzielle Täter durch Schaffung eines "psychischen Klimas" aufgehetzt werden (BGH vom 2.4.1987 BGHSt 34, 329 zu § 126 Abs. 1 StGB) In der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 22.12.2004 (NJW2005, 689 zu § 130 StGB a.F.), die sich mit einer Äußerung im Zusammenhang mit Auschwitz befasste, wird dargelegt:

"Gestört ist der öffentliche Frieden unter anderem dann, wenn das Vertrauen der Bevölkerung in die öffentliche Rechtssicherheit erschüttert wird, die Äußerung auf die Betroffenen als Ausdruck unerträglicher Missachtung wirkt. Geeignetheit zur Friedensstörung liegt nach dem Sinn des Gesetzes aber nur dann vor, wenn die Äußerung vernünftigerweise eine der angeführten Reaktionen erwarten lassen muss." Dies wurde in der Entscheidung unter Hinweis auf scharfe Angriffe von Journalisten in der Presse und die Reaktion einiger Versammlungsteilnehmer bejaht.

Die Beantwortung der Frage, ob diese Voraussetzung hier vorliegt (grundsätzlich kritisch hinsichtlich der Anwendbarkeit des § 130 Abs. 4 StGB auf die Aufmärsche in Wunsiedel: Poscher, NJW 2005, 1316), erfordert die Feststellung, dass eine hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass der öffentliche Frieden tatsächlich gestört werden wird. Hiervon ist nach Auffassung des Senats mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auszugehen. Auch wenn eine Prognose in die Zukunft keine Aussagen von absoluter Richtigkeitsgewähr zulässt, steht doch nach den erkennbaren Umständen hier durch die geplante Versammlung tatsächlich eine Störung des öffentlichen Friedens im Sinne des § 130 Abs. 4 StGB unmittelbar bevor.

Die angekündigten Gegendemonstrationen (hierzu allgemein: Hoffmann-Riem, NJW 2004, 2777/2780) belegen für sich genommen noch nicht, dass es zu einer Störung des öffentlichen Friedens im Sinne des Gesetzes durch die Versammlung des Antragstellers kommen wird, da sie zum Teil eine organisierte Reaktion der Öffentlichkeit auf die Veranstaltung sind. Auch die Belastung der einheimischen Bevölkerung durch den stundenlangen Aufmarsch zahlreicher Rechtsextremisten in der Stadt muss - wie in der Rechtsprechung immer wieder betont wurde - wegen der überragenden Bedeutung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit grundsätzlich hingenommen werden. An diesen Umstand kann § 130 Abs. 4 StGB in der neuen Fassung bei verfassungskonformer Auslegung nicht anknüpfen, weil sonst das Grundrecht aus Art. 8 GG bedenklich eingeschränkt wäre.

Der Aufmarsch der rechtsextremen Versammlungsteilnehmer in den vergangenen Jahren erregte jedoch in Wunsiedel deshalb öffentliche Empörung, weil es als Schwäche des freiheitlichen Rechtsstaats empfunden wurde, dass es nicht möglich war, die Versammlung von Personen zu verbieten, die in Rudolf Heß einen Repräsentanten der Naziherrschaft feiern. Diese Empörung betraf nicht nur die in der Veranstaltung zum Ausdruck kommenden und grundrechtlich geschützten Meinungsäußerungen von Personen, die sich nicht der freiheitlich demokratischen Grundordnung verpflichtet fühlen, sondern richtete sich auch gegen ein in verschiedenen gerichtlichen Entscheidungen zum Ausdruck gebrachtes Rechtsverständnis, das solche Veranstaltungen für schützenswert hielt. Es entstand - ob zu Recht oder zu Unrecht bleibt dahingestellt - der Eindruck einer Ohnmacht des Staates gegenüber Verfassungsfeinden und der Hilflosigkeit der Öffentlichkeit angesichts der Bedrohung durch die zum Ausdruck gebrachte Ideologie der Versammlungsteilnehmer. Die Einwohner von Wunsiedel und einige Politiker gaben deswegen ihrem Unmut verschiedenen Presseberichten zufolge auch öffentlich lautstark Ausdruck.

Ob die angemeldete Veranstaltung allerdings schon deswegen gefahrgeneigt sein wird (vgl. BGH vom 12.12.2000 - BGHSt 46, 212), könnte zweifelhaft sein, da der Durchführung der Veranstaltungen in den vergangenen Jahren jeweils ein gerichtliches Verfahren durch mehrere Instanzen vorausging, so dass eine Erschütterung des Vertrauens der Bevölkerung in die öffentliche Rechtssicherheit im Sinne der zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht notwendig zu erwarten war. Es wurde zudem auch von Politikern und in der Presse die Meinung vertreten, dass die Durchführung der Versammlungen zwar politisch nicht wünschenswert, aus verfassungsrechtlichen Gründen aber rechtmäßig nicht zu verbieten gewesen sei.

Ausschlaggebend für die Annahme des Senats, dass eine Störung des öffentlichen Friedens im Sinne des § 130 Abs. 4 StGB konkret zu erwarten ist, ist die Tatsache, dass der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Änderung des Versammlungsgesetzes und des Strafgesetzbuches die Möglichkeiten konkretisieren wollte, gegen neonazistisch ausgerichtete Versammlungen unter freiem Himmel, insbesondere gegen solche wie die Aufmärsche in Wunsiedel, vorzugehen. Die Fraktionen von SPD, Bünd-nis90/Die Grünen und CDU/CSU zielten mit der neu gefassten Bestimmung des § 130 Abs. 4 StGB gerade auch auf Veranstaltungen wie die in Wunsiedel, für deren Verbot man mit Hilfe der geänderten Vorschrift eine Handhabe schaffen wollte (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses BTDrucks 15/5051). Auch in der Bundestagsdebatte zu dem Gesetzentwurf verwiesen einige Redner auf die alljährlich wiederkehrenden Vorgänge in Wunsiedel (Plenarprotokoll 15/164 der 164. Sitzung des Deutschen Bundestags). So führte der Bayerische Staatsminister des Innern in der Debatte aus: "Ich will hier ausdrücklich festhalten, dass das gesamte Hohe Haus die Absicht hat, mit der jetzt zu treffenden Regelung gerade auch die Demonstrationen der vergangenen Jahre in Wunsiedel für verbotsfähig zu erklären" (Plenarprotokoll a.a.O. S. 15355). Damit liegt eine klare gesetzgeberische Aussage vor, wann von einer Störung des öffentlichen Friedens auszugehen ist. Es ist auch nicht zwingend erkennbar, dass einer solchen Festlegung verfassungsrechtliche Vorgaben entgegenstehen. Im Eilverfahren konnte der Senat jedenfalls nicht die Überzeugung gewinnen, dass die der gesetzgeberischen Absicht zugrunde liegende Annahme, dass durch Veranstaltungen wie die in Wunsiedel der öffentliche Frieden gestört werde, nicht zutrifft. Die Redebeiträge der Abgeordneten bei der Debatte im Bundestag zeigen vielmehr, dass der demokratische Gesetzgeber die Aufmärsche der Rechtextremen in Wunsiedel als Störung des öffentlichen Friedens ansah und deshalb sein Eingreifen für erforderlich und geboten hielt. Nach den Erklärungen des Veranstalters und den vom Landratsamt im angefochtenen Bescheid nachvollziehbar dargestellten näheren Umständen der Veranstaltung (Teilnehmerzahl, Teilnehmerkreis, konkret zu erwartende Form der Kundgebung etc.) ist auch davon auszugehen, dass die für den 20. August 2005 geplante Versammlung in Größenordnung und Gesamtgepräge der Veranstaltung des Vorjahres vergleichbar ist, die der Gesetzgeber bei seiner Änderung des § 130 StGB vor Augen hatte.

b) Das weitere Tatbestandsmerkmal des § 130 Abs. 4 StGB der Billigung, Verherrlichung oder Rechtfertigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft sieht der Senat ebenfalls als erfüllt an, da das Gedenken an Rudolf Heß bei der angemeldeten Versammlung erkennbar nur ein Vorwand ist, um in Wirklichkeit das Gedankengut des Nationalsozialismus zu verbreiten (s. hierzu BayVGH vom 7.8.2003 - 24 CS 03.1962; Scheidler, KommunalPraxis BY 2005, 204/205; ders. BayVBl 2005, 453; vgl. dazu aber Leist, NVwZ 2005, 500/503, BayVBl 2005, 234). Wie das Verwaltungsgericht anknüpfend an die Gesetzesmaterialien ausgeführt hat, genügt es für die Erfüllung des Straftatbestands, dass einzelne Verantwortungsträger oder Symbolfiguren hervorgehoben werden. Rudolf Heß war als "Stellvertreter des Führers" ein führender Repräsentant des nationalsozialistischen Unrechtsstaates; dies ist im angefochtenen Bescheid und im Beschluss des Verwaltungsgerichts im Einzelnen ausgeführt. Mit der jährlich wiederkehrenden Verehrung der Symbolfigur Heß im Zusammenhang mit seinem Todestag (17.8.1987) und seiner Begräbnisstätte ist eine Verherrlichung oder zumindest Billigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft im Sinne des § 130 Abs. 4 StGB verbunden.

c) Das Tatbestandsmerkmal der Verletzung der Würde der Opfer wird dadurch erfüllt, dass der Nationalsozialismus und seine Repräsentanten für vielfachen Mord, willkürliche Gewaltherrschaft, Menschenverachtung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit stehen. Jede auch nur ansatzweise Verherrlichung, Billigung oder Rechtfertigung des Nationalsozialismus als historische Erscheinung bedeutet gleichzeitig mittelbar eine Missachtung der Opfer von Gewalt und Willkür.

2. Ergänzend wird zu der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts bzw. der Versammlungsbehörde noch auf Folgendes hingewiesen:

Die mit der Durchführung der Veranstaltung verbundenen Beeinträchtigungen der Anwohner, Verkehrsteilnehmer und Gewerbetreibenden können nicht ohne weiteres als unzulässige Grundrechtseinschränkungen angesehen werden und ein Versammlungsverbot rechtfertigen. Es wurde bereits früher darauf hingewiesen, dass eine unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit stehende Versammlung nicht allein deshalb verboten werden kann, weil sie mit Belästigungen Dritter verbunden ist. Störungen der öffentlichen Ordnung dieser Art müssen, sofern geeignete Auflagen nicht möglich sind, hingenommen werden (BayVGH vom 17.8.2004 - 24 CS 04.2254 und 24 CS 04.2237).

Die vom Verwaltungsgericht angenommene Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit von unbeteiligten Dritten ist nicht belegt. Gegen diese Prognose spricht bereits, dass insofern in den vergangenen Jahren im Zusammenhang mit der Durchführung der Heß-Gedenkveranstaltung keine strafbaren Handlungen bekannt geworden sind, die ein Versammlungsverbot rechtfertigen könnten (vgl. dazu BayVGH vom 16.8.2002 - 24 CS 02.1986 und 7.8.2003 - 24 CS 03.1963; BVerfG vom 14.8.2003 - NJW 2003, 3689).

Es mag sein, dass die in Wunsiedel herrschende Stimmung - wie im Vorjahr - als beängstigend und einschüchternd empfunden wird. Es liegen aber keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Veranstaltung einen wesentlich anderen Verlauf nehmen wird als in früheren Jahren. Gegen einschüchternde Gruppenbildung, Kleidung und ähnliche (vom Verwaltungsgericht nicht näher bezeichnete) Vorkommnisse kann ggf. mit Auflagen vorgegangen werden (vgl. dazu Hoffmann-Riem, NJW 2002, 257/261). Inwiefern dies nicht möglich sein sollte, wird im angefochtenen Beschluss nicht näher ausgeführt.

Das Versammlungsverbot lässt sich nicht mit einem drohenden echten oder unechten polizeilichen Notstand rechtfertigen. Zu Recht geht das Verwaltungsgericht auf diesen von der Behörde geltend gemachten Verbotsgrund nicht weiter ein (vgl. dazu BayVGH vom 16.8.2002 - 24 CS 02.1986 und 17.8.2001 - 24 CS 01.2097; Hoffmann-Riem, NJW 2002, 257/261).

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Der Streitwert ergibt sich aus § 47, § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG.

Ende der Entscheidung

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