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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 21.12.2006
Aktenzeichen: 24 CS 06.2958
Rechtsgebiete: VwGO, AufenthG


Vorschriften:

VwGO § 146 Abs. 4
VwGO § 80 Abs. 5
VwGO § 114 Satz 1
AufenthG § 46 Abs. 1
AufenthG § 61 Abs. 1 Satz 2
AufenthG § 60 a
Zur Rechtmäßigkeit sofort vollziehbarer Nebenbestimmungen zu einer Duldung, wenn ein seit vielen Jahren in der Bundesrepublik lebender Ausländer nur zögerlich an der Beschaffung von Heimreisepapieren mitwirkt.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

24 CS 06.2958

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Auflagen zur Duldung (Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO);

hier: Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 17. Oktober 2006,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 24. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Kersten, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Simmon, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Müller

ohne mündliche Verhandlung am 21. Dezember 2006 folgenden

Beschluss:

Tenor:

I. Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 17. Oktober 2006 wird aufgehoben.

II. Die aufschiebende Wirkung der am 2. Oktober 2006 erhobenen Klage gegen die Ziffer 1. des Bescheids des Antragsgegners vom 18. September 2006 wird wiederhergestellt.

III. Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen hat der Antragsgegner zu tragen.

IV. Der Streitwert wird für beide Rechtszüge auf jeweils 1.250 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen sofort vollziehbare Nebenbestimmungen zu seiner Duldung.

Er ist äthiopischer Staatsangehöriger und reiste im März 1996 in die Bundesrepublik ein. Ein Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter blieb ebenso erfolglos wie ein späterer Folgeantrag. Seitdem wird der Antragsteller geduldet. Er lebt seit Ende 1996 in einer Privatwohnung und geht einer Erwerbstätigkeit nach.

Mit Bescheid vom 7. November 1997 wurde der Antragsteller aufgefordert, bei der äthiopischen Botschaft einen zur Rückkehr in sein Heimatland berechtigenden Pass zu beantragen. Dieser Verpflichtung kam der Antragsteller nach (Vorsprache am 20. November 1997). Von Februar 1998 bis Februar 2004 wurden dem Antragsteller stets Duldungen und Arbeitsgenehmigungen erteilt. Weitere Schritte zur Beschaffung von Heimreisepapieren wurden nicht ergriffen. Im Februar 2004 wurde der Antragsteller dann erneut aufgefordert, sich um die Beschaffung von Personalpapieren zu kümmern. Er beantragte daraufhin am 19. März 2004 einen Pass bzw. ein Ersatzpapier bei der äthiopischen Botschaft. Im Januar 2005 beauftragte er eine Anwaltskanzlei in Äthiopien damit, eine Geburtsurkunde von der Stadtverwaltung Addis Abeba zu beantragen und zu beschaffen. Im September 2005 erkundigte sich das Landratsamt ****** beim Antragsteller nach dem Stand des Verfahrens, im Juni 2006 forderte es ihn auf, einen Heimreiseschein bei seiner Botschaft zu beschaffen. Der Antragsteller bemühte sich daraufhin im Juli 2006 sowie im September 2006 erfolglos um den Erhalt eines äthiopischen Nationalpasses.

Mit Bescheid vom 18. September 2006 versah das Landratsamt ****** die dem Antragsteller erteilte Duldung mit folgenden Nebenbestimmungen (Ziffer 1):

a) Eine Erwerbstätigkeit ist nicht gestattet.

b) Der Wohnsitz ist unverzüglich bis zum 9.10.2006 in der folgenden Gemeinschaftsunterkunft zu nehmen (...).

c) Der Aufenthalt ist räumlich auf das Gebiet des Landkreises ****** beschränkt.

d) Die Duldung erlischt, sobald ein gültiges Reisedokument vorliegt und/oder die Abschiebung möglich ist.

Ferner wurde die sofortige Vollziehung dieser Nebenbestimmungen angeordnet (Ziffer 2).

Zur Begründung ist ausgeführt, Anlass für die beschränkenden Auflagen und die Versagung der Erwerbstätigkeit sei die mangelnde Mitwirkung des Antragstellers bei der Beschaffung eines Passes oder Passersatzpapieres. Das Verbot jeglicher Erwerbstätigkeit sei erforderlich, um den Antragsteller anzuhalten, seine Verweigerungshaltung aufzugeben, bei der Beschaffung von Heimreisedokumenten mitzuwirken und seine Heimkehr ins Heimatland zu beschleunigen. Die Auflagen zur Wohnsitznahme und zur räumlichen Aufenthaltsbeschränkung rechtfertigten sich aus dem öffentlichen Interesse, dass der Antragsteller als vollziehbar ausreisepflichtige Person, die ihre Rückführung durch eine beharrliche Verweigerungshaltung bisher unmöglich gemacht habe, für ausländerrechtliche Maßnahmen im Zusammenhang mit einer Rückführung zur Verfügung stehen müsse. Die sofortige Vollziehung wurde mit der Begründung angeordnet, es sei nicht erkennbar, warum mit dem Vollzug der Maßnahmen zugewartet werden solle, bis wieder alle Rechtsmittel erschöpft seien. Dies würde der aufgezeigten ausländerpolitischen Zielsetzung einer unverzüglichen Aufenthaltsbeendigung völlig widersprechen.

Am 2. Oktober 2006 erhob der Antragsteller hiergegen Klage zum Verwaltungsgericht München. Gleichzeitig beantragte er die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage. Zur Begründung führte er aus, er habe die ihm obliegenden Verpflichtungen erfüllt. Er habe zuletzt am 12. September 2006 nochmals bei seiner Botschaft vorgesprochen und habe ausdrücklich um ein Ausreisepapier nachgesucht. In der gesamten Zeit bis Juni 2006 sei er hingegen nur aufgefordert worden, sich um die Ausstellung eines Passes zu bemühen. Auch habe er nochmals Kontakt mit dem Rechtsanwalt in seinem Heimatland aufgenommen. Er habe ein Schreiben von diesem erhalten, in welchem nochmals die Schwierigkeiten zur Erlangung der geforderten Geburtsurkunde dargelegt worden seien. Weiter führte der Kläger aus, er lebe seit November 1996 in einer Privatwohnung und arbeite seit zehn Jahren als Küchenhelfer. Er sei niemals untergetaucht gewesen, habe sich niemals seinen ausländerrechtlichen Pflichten entzogen und immer gearbeitet. Unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit sei das Vorgehen der Ausländerbehörde abzuwägen.

Das Landratsamt ****** trat dem entgegen und beantragte, den Antrag abzulehnen. Es meinte, der Antragsteller sei mehrfach aufgefordert worden, sich um die Beschaffung von notwendigen Urkunden zur Ausstellung eines Nationalpasses zu kümmern. Dies sei unter anderem bei jeder Verlängerung der Duldung zumindest mündlich erfolgt.

Mit Beschluss vom 17. Oktober 2006 lehnte das Verwaltungsgericht München den Antrag ab. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO sei zulässig, jedoch unbegründet. Es überwiege das öffentliche Interesse am Sofortvollzug des streitgegenständlichen Bescheides, da die in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage aufgrund der im vorliegenden Verfahren gebotenen aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung der Erfolgsaussichten voraussichtlich erfolglos bleiben werde.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde vom 30. Oktober 2006. Die Bevollmächtigte des Antragstellers trägt hierzu vor, der Beschwerdeführer befinde sich seit 10 Jahren in Deutschland, habe davon 10 Jahre gearbeitet und befinde sich seit 8 3/4 Jahren in einer Privatwohnung. Bei einer derartig langen Dauer sowohl des Arbeitsverhältnisses, als auch der privaten Wohnsitznahme könnten öffentliche Interessen es nicht mehr gebieten, den Sofortvollzug anzuordnen. Sie beantragte die Aufhebung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.

Die Landesanwaltschaft Bayern beantragte für den Antragsgegner, die Beschwerde zu verwerfen. Sie meint, die Beschwerde sei nicht ausreichend begründet und enthalte keinen sachgerechten Antrag.

Ergänzend wird Bezug genommen auf den Inhalt der beigezogenen Behördenakten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Sie führt unter Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung zur Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage.

1. Gegenstand der Beschwerde ist der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 17. Oktober 2006, mit welchem der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der am 2. Oktober 2006 erhobenen Klage abgelehnt wurde.

2. Die Beschwerde ist zulässig, sie wird insbesondere den Anforderungen des § 146 Abs. 4 VwGO gerecht.

Nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO muss die Beschwerdebegründung einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, dann ist die Beschwerde gemäß § 146 Abs. 4 Satz 4 VwGO als unzulässig zu verwerfen.

Die vorliegende Beschwerde enthält zunächst einen (noch) hinreichend bestimmten Antrag im Sinne von § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO. Der Antrag muss deutlich machen, inwieweit die Aufhebung bzw. Änderung des in der Beschwerde bereits bezeichneten Beschlusses erstrebt wird. Dem Erfordernis eines bestimmten Antrags wird aber bereits dann genügt, wenn ein ausdrücklicher Antrag zwar nicht gestellt wurde, sich das Rechtsschutzziel aber mittels Auslegung aus den Gründen unter Bezugnahme auf Anträge in der ersten Instanz eindeutig ergibt (VGH BW vom 1.7.2002 NVwZ 2002, 1388; vgl. auch Kopp/Schenke, Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, 14. Aufl. 2005, RdNr. 41 zu § 146 VwGO). Ausgehend hiervon kann der mit Schriftsatz vom 22. November 2006 gestellte Antrag gerade noch als ausreichend angesehen werden. Das Verwaltungsgericht München hat das Rechtsschutzbegehren in erster Instanz zutreffend und eindeutig ausgelegt. Der Antrag wurde dann in der Sache abgelehnt. Mit seiner Beschwerde begehrt der Antragsteller nunmehr zwar formal gesehen nur die Aufhebung dieses Beschlusses. Damit ist bei sachgerechter Auslegung aber eindeutig auch ausgesagt, dass die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage unter Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung begehrt wird. Es liegt also kein Fall vor, in dem sich das verfolgte Rechtsschutzziel nicht unzweifelhaft ermitteln lässt (siehe hierzu BayVGH vom 7.4.2003 NVwZ 2003, 766).

Die Beschwerde kann auch (gerade noch) als ausreichend begründet angesehen werden. Hierzu bedarf es einer Auseinandersetzung mit der angefochtenen Entscheidung, bei der die Gründe, aus denen heraus die Entscheidung nach Ansicht des Beschwerdeführers fehlerhaft ist, bezeichnet werden müssen. Als ausreichend ist es dabei bereits anzusehen, wenn sich aus der Auslegung der Darlegungen zweifelsfrei erschließen lässt, aus welchem Grund der angefochtene Beschluss beanstandet wird (Kopp/Schenke, a.a.O.). Legt man dies zugrunde, so hat die Bevollmächtigte des Antragstellers vorliegend mit Schriftsatz vom 22. November 2006 die Gründe geltend gemacht, die gegen die sofortige Vollziehung der Nebenbestimmungen sprechen. Sie hat angeführt, dass öffentliche Interessen die Nebenbestimmungen und deren sofortige Vollziehung nicht rechtfertigen könnten. Damit hat sie im Ergebnis auch den Kern der rechtlichen Problematik getroffen, nämlich die Frage, ob die Ermessensausübung durch die Ausländerbehörde fehlerfrei erfolgt ist. Bereits im erstinstanzlichen Verfahren hat der Antragsteller zugestanden, dass die streitigen Nebenbestimmungen grundsätzlich denkbar sind und auch eine Rechtsgrundlage hierfür vorhanden ist. Er war aber der Meinung, dass in seinem Fall die Entscheidung über den Erlass der Nebenbestimmungen ermessensfehlerhaft ergangen ist. Hieran hält der Antragsteller im Beschwerdeverfahren fest. Angesichts dieser Besonderheiten des Einzelfalls genügte es ausnahmsweise im vorliegenden Beschwerdeverfahren, auf die Unverhältnismäßigkeit der Auflagen bzw. das fehlende öffentliche Interesse hinzuweisen. Nachdem ausschließlich die Verhältnismäßigkeit der Nebenbestimmungen in Frage gestellt wird, konnte sich der Antragsteller darauf beschränken, das fehlende öffentliche Interesse geltend zu machen.

3. Die Beschwerde ist auch begründet.

a) Bei der hier nach § 80 Abs. 5 VwGO zu treffenden Entscheidung hat das Gericht die Interessen der Beteiligten gegeneinander abzuwägen. Dabei kommt den Erfolgsaussichten in der Hauptsache, soweit sie bereits beurteilt werden können, zentrale Bedeutung zu. Ausgehend hiervon fällt die Abwägungsentscheidung angesichts der Umstände des vorliegenden Einzelfalls zugunsten des Antragstellers aus.

b) Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind offen bzw. können auf der Grundlage der dem Senat vorliegenden Erkenntnisse noch nicht abschließend beurteilt werden. Es bedarf im verwaltungsgerichtlichen Klageverfahren noch einer weiteren und abschließenden Klärung, ob die streitigen Nebenbestimmungen rechtmäßig - insbesondere ermessensfehlerfrei - ergangen sind und den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

(1) Die Auflage, mit welcher dem Antragsteller jede Erwerbstätigkeit verboten wurde (Ziffer 1.a) findet ihre Grundlage in § 46 Abs. 1 AufenthG. Danach kann die Ausländerbehörde gegenüber einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer Maßnahmen zur Förderung der Ausreise treffen.

Durch ein solches Erwerbstätigkeitsverbot wird der Anreiz gemindert, durch Verweigerung der erforderlichen Mithilfe beispielsweise bei der Beschaffung von Heimreisedokumenten den grundsätzlich zu beendenden Aufenthalt in Deutschland zu verlängern (Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz, RdNr. 18 zu § 46 AufenthG m.w.N.).

Die Entscheidung über eine solche Nebenbestimmung liegt im Ermessen der Behörde. Auch unter Zugrundelegung des durch § 114 Satz 1 VwGO eingeschränkten Prüfungsmaßstabs für das Gericht ist vorliegend nicht abschließend feststellbar, ob das Landratsamt ****** dieses Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt hat.

Dabei ist insbesondere offen, ob allein der Antragsteller das derzeit bestehende Ausreisehindernis zu vertreten hat. Er hat nämlich zumindest mehrere (erfolglose) Versuche unternommen, einen äthiopischen Pass bzw. ein Heimreisepapier zu erhalten. Er hat mehrfach entsprechende Anträge bei der Vertretung seines Heimatlandes gestellt und auch einen Anwalt mit der Beschaffung der hierfür notwendigen Dokumente in Addis Abeba beauftragt. Diese Bemühungen waren bisher - aus welchen Gründen kann derzeit nicht abschließend bewertet werden - noch nicht erfolgreich. Der Antragsteller hat damit aber zumindest die ihm obliegenden Mitwirkungspflichten weitgehend erfüllt. Er hat alles getan, was die Behörde von ihm verlangt hat. Er hat auch keine belegbaren Schritte unternommen, die geeignet gewesen wären, die Beschaffung von Heimreisepapieren zu boykottieren. Offen ist allerdings, ob der Antragsteller auch in ausreichendem Umfang initiativ geworden ist, um das bestehende Ausreisehindernis zu beseitigen (siehe zu den im Rahmen des § 25 Abs. 5 AufenthG bestehenden gegenseitigen Pflichten: BayVGH vom 19.12.2005 BayVBl 2006, 436). Auf der anderen Seite ist vorliegend aber auch festzustellen, dass die Behörde ihre Hinweis- und Anstoßpflichten (siehe hierzu BayVGH a.a.O.) nicht in vollem Umfang erfüllt hat. Festzustellen ist insbesondere, dass über sechs Jahre hinweg (Februar 1998 bis Februar 2004) nicht nur der Antragsteller vollkommen untätig geblieben ist, sondern auch die Ausländerbehörde keinerlei Anstrengungen unternommen hat, um den Antragsteller zur Beseitigung des Ausreisehindernisses anzuhalten oder die Beschaffung von Heimreisepapieren sonstwie zu fördern. Bloße mündliche Hinweise an den Antragsteller im Rahmen oder anlässlich der Erteilung einer Duldung können hier wohl kaum als ausreichend angesehen werden. Damit ist es zumindest offen und noch weiter abzuklären, ob der Antragsteller vorwerfbar seine Mitwirkungspflichten verletzt hat oder ob nicht eine beiderseitige langjährige Untätigkeit vorliegt.

Diese Prüfung muss dann auch bei der Frage der Rechtmäßigkeit der Ermessensausübung zu Grunde gelegt werden. Es ist insbesondere zu prüfen, ob die Ausländerbehörde einem ausreisepflichtigen Ausländer unter Hinweis auf dessen "Verweigerungshaltung" Einschränkungen auferlegen darf, wenn sie selbst über viele Jahre hinweg nichts unternommen hat, um dieser "Verweigerungshaltung" ernsthaft zu begegnen oder selbst tätig zu werden.

Weiter ist bei der Überprüfung der vorliegenden behördlichen Ermessensentscheidung zu berücksichtigen, dass der Antragsteller bereits seit zehn Jahren einer Tätigkeit nachgeht, ohne dass dies jemals zu Beanstandungen oder Schwierigkeiten geführt hätte und andere wesentliche Belange, die einer Beschäftigung widersprechen, letztlich bislang nicht angeführt werden konnten.

Zusammenfassend kann deshalb zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abschließend festgestellt werden, ob es ermessensfehlerfrei war, dem Antragsteller die Ausübung jeglicher Erwerbstätigkeit zu verbieten.

(2) Die Verpflichtung zur Wohnsitznahme in einer Gemeinschaftsunterkunft (Ziffer 1.b) findet ihre Grundlage ebenso in § 46 Abs. 1 AufenthG.

Der Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, kann verpflichtet werden, seinen Wohnsitz an einem von der Ausländerbehörde zu bestimmenden Ort zu nehmen. Bestimmter Ort im Sinne dieser Bestimmung ist nicht nur die politische Gemeinde, sondern auch die konkrete Unterkunft (Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz, a.a.O., RdNr. 13).

Auch die Entscheidung über eine solche Auflage obliegt der Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen. In gleicher Weise wie bei der Frage des Erwerbsverbots ist indes auch hier nicht abschließend feststellbar, ob dieses Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt wurde oder nicht.

Dabei ist auch in diesem Zusammenhang offen, ob (nur) der Antragsteller vorwerfbar seine Mitwirkungspflichten verletzt hat. Auf die Ausführungen oben unter (1) kann insoweit Bezug genommen werden.

Zudem ist nicht ohne weiteres erkennbar, welchen Zweck die Auflage im konkreten Einzelfall haben sollte. Eine Wohnsitznahme durch den Antragsteller in einer Gemeinschaftsunterkunft ist nicht von vorneherein geeignet, die Mitwirkungsbereitschaft des Antragstellers zu erhöhen. Zutreffend weist dieser auch darauf hin, dass er noch zu keinem Zeitpunkt unbekannten Aufenthalts war, also noch nie untergetaucht ist. Bislang ist noch nie der Fall eingetreten, dass die Ausländerbehörde über den Aufenthalt des Antragstellers nicht Bescheid wusste. Auch die weiter im Bescheid genannten Ermessenserwägungen (Seite 5) sind nicht ohne weitere Prüfung geeignet, die Verhältnismäßigkeit der fraglichen Auflage zu begründen. Dabei muss auch hier gelten, dass die auf § 46 Abs. 1 AufenthG gestützte Maßnahme keine reine Sanktion eines (möglichen) Fehlverhaltens darstellen darf, sondern das Ziel verfolgen muss, die Ausreise zu fördern. Der Gesetzestext ist insoweit eindeutig und lässt andere Intentionen einer Nebenbestimmung zur Duldung nicht zu.

Auch insoweit bedarf es somit einer weiteren Prüfung im Hauptsacheverfahren, ob das Landratsamt sein Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt hat oder nicht.

(3) Die Auflage, mit welcher der Aufenthalt des Antragstellers räumlich auf das Gebiet des Landkreises ****** beschränkt wird (Ziffer 1.c), findet ihre Grundlage in § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG. Danach können weitere Bedingungen und Auflagen hinsichtlich des räumlichen Aufenthalts eines ausreisepflichtigen Ausländers angeordnet werden.

Solche Regelungen, die eine Duldung einschränken, müssen im Einzelfall ihre Rechtfertigung in dem Zweck des Gesetzes und der vom Gesetzgeber gewollten Ordnung der Materie finden. Sie müssen aufenthaltsrechtlich erheblichen Zwecken dienen und in diesem Sinne sachgerecht sein, also nicht im Widerspruch zum Zweck der Duldung stehen und die verfassungsrechtlichen Vorgaben wahren, was insbesondere dann nicht mehr der Fall ist, wenn sie in erster Linie Sanktionscharakter haben und sich vornehmlich als schikanös darstellen. Diese, die frühere Rechtslage betreffende Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, ist im Grundsatz nach wie vor gültig (vgl. Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz, RdNr. 20 zu § 61 AufenthG m.w.N.).

Legt man diese Überlegungen zu Grunde, so bestehen zumindest auch hier Zweifel an der Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Beschränkung.

Hinsichtlich der Frage, in welchem Umfang der Antragsteller seine Pflichten verletzt hat, ist auch insoweit eine abschließende Beurteilung noch nicht möglich.

Ferner ist nicht zwingend nachvollziehbar, warum eine Beschränkung des Aufenthalts des Antragstellers auf den Landkreis ****** geeignet sein sollte, die Beschaffung von Heimreisepapieren zu beschleunigen oder effektiver zu gestalten. Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Aufenthalt im Landkreis und der Beschaffung von Dokumenten ist nicht ohne weiteres erkennbar. Der Antragsteller war stets für die Behörde erreichbar, ist nie untergetaucht und hat auch sonst nicht gegen behördliche Auflagen verstoßen. Aufenthaltsrechtliche Gründe, welche zwingend einen Daueraufenthalt im Landkreis erfordern würden, sind nicht erkennbar. Auch ist nach Auffassung des Senats nicht zwingend davon auszugehen, dass eine weitere Integration des Antragstellers dann eher gegeben ist, wenn er sich in ganz Bayern und nicht nur im Landkreis ****** aufhalten darf. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Antragsteller, will er weiterhin seiner bisherigen Erwerbstätigkeit nachgehen, den Landkreis verlassen muss.

Zusammenfassend bedarf es damit auch vorliegend einer abschließenden Prüfung, ob die Behörde ihr Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat oder nicht.

(4) Die Nebenbestimmung, wonach die Duldung erlischt, sobald ein gültiges Reisedokument vorliegt und/oder die Abschiebung möglich ist (Ziffer 1.d) könnte ihre Grundlage allenfalls in § 60 a Abs. 5 AufenthG finden.

Die Beifügung einer auflösenden Bedingung ist zwar nicht von vornherein und generell ausgeschlossen (Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz, RdNr. 59 zu § 60 a AufenthG).

Die vorliegende Nebenbestimmung erscheint aber nicht hinreichend bestimmt. Es ist nämlich nicht konkret feststellbar, wann die Abschiebung möglich ist und die Duldung damit automatisch erlischt. Somit liegt eine auflösende Bedingung vor, deren Eintritt nicht konkret abschätzbar ist. Dem Bestimmtheitserfordernis des Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG wird damit nicht entsprochen.

Selbst eine Klausel "Erlischt mit Passausstellung" würde die Frage aufwerfen, ob eine solche konkrete Ausgestaltung der Bedingung sachgerecht, weil erforderlich ist und ob sie als ermessensfehlerfrei angesehen werden kann. Denn dieser Zeitpunkt kann, je nach dem an welchem Ort der Pass ausgestellt wird, zeitlich erheblich vor dem Zeitpunkt liegen, zu dem die Ausländerbehörde den Pass tatsächlich in Händen hält und dann die Aufenthaltsbeendigung überhaupt erst organisieren kann mit der Folge, dass ohne Not der Aufenthalt des Betroffenen über lange Zeit mit strafrechtlichen Folgen illegal wird (Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz a.a.O. RdNr. 61). Ausgehend von diesen Überlegungen ist es für den Senat nicht erkennbar, warum eine solche Bedingung, mit welcher der Aufenthalt des Antragstellers ohne Hinzutreten weiterer Schritte strafbar wurde, erforderlich sein sollte.

c) Der Antragsteller hat ein erhebliches Interesse daran, dass mit dem Vollzug der streitigen Auflagen bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, die in absehbarer Zeit ergehen kann, zugewartet wird. Dies gilt insbesondere angesichts der Tatsache, dass der Zustand, den die Behörde nunmehr ändern will, seit zehn Jahren ohne Unterbrechungen besteht. Der Antragsteller geht seit langer Zeit einer Erwerbstätigkeit nach, wohnt seit langer Zeit in einer Privatwohnung. Er hätte, müsste er die Auflagen unverzüglich erfüllen, mit erheblichen Nachteilen und Beeinträchtigungen zu rechnen. Es ist davon auszugehen, dass er seinen Arbeitsplatz, welchen er seit Jahren innehat, auf Dauer verlieren würde. Auch müsste er damit rechnen, dass er selbst bei einem Obsiegen in der Hauptsache seine jetzige Wohnung nicht mehr beziehen könnte.

Dem stehen beachtliche öffentliche Interessen nicht entgegen. Es ist nicht davon auszugehen, dass nennenswerte Nachteile dadurch auftreten könnten, dass der Antragsteller bis zu einer abschließenden Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Beschränkungen sein bisheriges Leben - wie in den letzten 10 Jahren - weiterführt. In diesem Zusammenhang war auch zu berücksichtigen, dass der Antragsteller bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist, und auch sonst sein Verhalten ausländerrechtlich - bis auf die Frage der Erfüllung der Initiativpflichten - keinen Anlass zu Beanstandungen gab. Zudem wäre der Antragsteller bei Verlust seines Arbeitsplatzes voraussichtlich auf den Bezug öffentlicher Sozialleistungen angewiesen.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Antragsgegner hat als unterlegener Teil die Kosten in beiden Rechtszügen zu tragen.

5. Der Streitwert war für beide Instanzen auf jeweils 1.250 Euro festzusetzen (§§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 2 und 47 GKG). In Rechtsstreitigkeiten über die Erteilung einer Duldung (oder über Auflagen zu einer Duldung) geht der Senat regelmäßig in der Hauptsache von der Hälfte des Auffangstreitwerts aus. Dieser war im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nochmals um die Hälfte zu reduzieren (vgl. hierzu den Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit unter 1.5).

6. Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.



Ende der Entscheidung

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