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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 09.10.2007
Aktenzeichen: 3 C 07.1903
Rechtsgebiete: VwGO, VV RVG


Vorschriften:

VwGO § 162
VwGO § 164
VV RVG Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1
VV RVG Nr. 2400
VV RVG Nr. 2401
VV RVG Nr. 3100
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

3 C 07.1903

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Antrag auf Entscheidung des Gerichts gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss;

hier: Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 02. Juli 2007,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 3. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Thomas, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Dr. Burger-Veigl, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Weber

ohne mündliche Verhandlung am 9. Oktober 2007

folgenden Beschluss:

Tenor:

Der Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 6. Dezember 2006 und der Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 2. Juli 2007 werden abgeändert.

Die dem Antragsgegner erwachsenen notwendigen Aufwendungen werden auf insgesamt 1.920,15 Euro festgesetzt.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die - mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 2.7.2007 durch Zurückweisung der Kostenerinnerung des Antragstellers bestätigte - Kostenfestsetzung auf Grund eines rechtskräftigen Urteils des Verwaltungsgerichts München, Az. M 5 K 05.2554, mit dem der damalige Beklagte und jetzige Antragsteller und Beschwerdeführer zur Kostentragung verurteilt wurde; die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren wurde durch das Gericht für notwendig erklärt. Der Bevollmächtigte des damaligen Klägers war bereits im vorangegangenen Verwaltungsverfahren und in dem weiteren, der Nachprüfung des Verwaltungsakts dienenden Verwaltungsverfahren (Widerspruchsverfahren) tätig gewesen.

Mit Antrag vom 3. August 2006 beantragte der Bevollmächtigte des Antragsgegners (und damaligen Klägers), die (bis dahin entstandenen) zu erstattenden Kosten festzusetzen. Geltend gemacht wurden unter anderem eine Verfahrensgebühr Nr. 3100 des Vergütungsverzeichnisses, Anlage 1 zum Rechtsanwaltvergütungsgesetz (VV RVG) mit einem Gebührensatz von 1,3 in Höhe von 391,30 Euro netto (alle im Folgenden genannten Beträge sind Nettobeträge, soweit nichts anderes angegeben) und eine Geschäftsgebühr Nr. 2400 VV RVG (Gebührensatz 2,0) für das Vorverfahren in Höhe von 602,00 Euro.

Mit Beschluss vom 6. Dezember 2006 setzte die Urkundsbeamtin die Kosten entsprechend diesem Antrag und einem weiteren Antrag vom 27. November 2006, der die in der Berufungsinstanz angefallenen Gebühren betraf, in Höhe von insgesamt 2.199,48 Euro (brutto) fest.

Der Antragsteller (und damalige Beklagte) beantragte mit Schriftsatz vom 8. Dezember 2006 die Entscheidung des Gerichts. Die Geschäftsgebühr für das Vorverfahren richte sich nach Nr. 2401 (VV RVG) und der Gebührensatz betrage 0,5 bis 1,3; vorliegend sei ein Satz von 1,0 wegen der umfangreichen und schwierigen Tätigkeit angemessen. Die Geschäftsgebühr nach Nr. 2401 VV RVG sei auf die Verfahrensgebühr Nr. 3100 VV RVG anzurechnen, da der Bevollmächtigte des Antragsgegners bei Erlass des angefochtenen Ausgangsbescheids und im Widerspruchsverfahren tätig gewesen sei.

Im Rahmen seiner Erwiderung änderte der Bevollmächtigte des Antragsgegners seinen ursprünglichen Kostenfestsetzungsantrag (jedenfalls sinngemäß) dahingehend, dass hinsichtlich des Widerspruchsverfahrens die Geschäftsgebühr der Nr. 2401 VV RVG anzuwenden sei, wegen der umfangreichen und schwierigen Tätigkeit mit einem Gebührensatz von 1,2, das seien 361,20 Euro. Da dem Widerspruchsverfahren aber auch ein Verwaltungsverfahren, in dem er den Antragsgegner vertreten habe, vorangegangen sei, werde nunmehr insoweit eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV RVG, Gebührensatz 2,0, Betrag 602,00 Euro geltend gemacht.

Das Verwaltungsgericht wies die Erinnerung mit Beschluss vom 2. Juli 2007 als nicht begründet zurück.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs (zitiert werden VGH vom 10.7.2006 Az. 4 C 06.1129 "und nachfolgende Entscheidungen") seien die in Teil 2 der VV RVG geregelten außergerichtlichen Gebühren im gerichtlichen Kostenfestsetzungsverfahren nicht zu berücksichtigen und nicht anzurechnen. Demnach sei eine Geschäftsgebühr (nach Nrn. 2400 ff. VV RVG) auf die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG nicht anzurechnen. Nach der genannten Rechtsprechung solle nämlich eine eklatante Benachteiligung einer obsiegenden Partei, für die der Rechtsanwalt bereits außergerichtlich tätig gewesen sei, gegenüber einer obsiegenden Partei verhindert werden, für die ein Rechtsanwalt erst im gerichtlichen Verfahren tätig geworden sei, eine Situation, bei der eine Minderung der anzusetzenden Verfahrensgebühr infolge des Fehlens der Anrechenbarkeit einer - nicht angefallenen - Geschäftsgebühr ohnehin nicht in Betracht komme.

Das in dieser Rechtsprechung zum Ausdruck kommende Benachteiligungsverbot sei zudem auch hinsichtlich der Bestimmung derjenigen Gebühr, die neben der vollen Verfahrensgebühr anzusetzen sei, anzuwenden, also hinsichtlich des Verhältnisses der Nrn. 2400 und 2401 VV RVG. Eine verminderte Gebühr für das Vorverfahren nach Nr. 2401 VV RVG wegen einer vorausgegangenen Tätigkeit im Verwaltungsverfahren hätte zur Folge, dass der Kostenschuldner in schwierigen Verfahren im Gerichtsverfahren eine geringere Geschäftsgebühr für das Widerspruchsverfahren zu zahlen hätte, wenn der Bevollmächtigte bereits im Vorverfahren tätig gewesen sei. Die obsiegende Partei hätte neben den nicht nach § 164 VwGO erstattungsfähigen Gebühren für das Verwaltungsverfahren zusätzlich noch Rechtsanwaltskosten des Widerspruchsverfahrens anteilig zu tragen. Ein sachlicher Grund dafür bestehe nicht.

Der Antragsteller hat gegen diesen Beschluss mit Schriftsatz vom 24. Juli 2007 Beschwerde eingelegt. Er bekräftigt seine Auffassung, bei der Geschäftsgebühr nach Nr. 2401 VV RVG für das weitere, der Nachprüfung des Verwaltungsakts dienende Verwaltungsverfahren, dem eine Tätigkeit des Rechtsanwalts im Verwaltungsverfahren vorangegangen sei, sei ein Gebührensatz von (nur) 1,0 angemessen. Eine Anrechnung auf die Verfahrensgebühr Nr. 3100 VV RVG entspreche den tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 VV RVG und habe bei der vorliegenden Fallgestaltung, bei welcher das Gericht die Zuziehung des Bevollmächtigten im Vorverfahren gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO für notwendig erklärt habe, zu erfolgen. Dies entspreche auch der neuesten Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (Beschluss vom 14.5.2007 Az. 25 C 07.754). Eine Nichtanrechnung würde hier dazu führen, dass der Erstattungsberechtigte mehr von dem Erstattungspflichtigen verlangen könne, als dieser - unter Anwendung der Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 VV RVG - seinem Prozessbevollmächtigten im Innenverhältnis schulden würde.

Nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 2 VV RVG sei, da mehrere Geschäftsgebühren entstanden seien, für die Anrechnung die zuletzt entstandene Gebühr (hier die nach Nr. 2401 VV RVG mit einem Gebührensatz von 1,0) maßgebend.

Der Antragsteller beantragt:

Unter Aufhebung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 2. Juli 2007 wird die Nr. 1 des Kostenfestsetzungsbeschlusses der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 6. Dezember 2006 abgeändert.

Die außergerichtlichen Aufwendungen des Klägers werden auf 1.675,74 Euro festgesetzt

Der Antragsgegner vertritt - ohne Antragstellung - die Auffassung, dass eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV RVG (Gebührensatz 2,0) und eine weitere Geschäftsgebühr nach Nr. 2401 VV RVG (Gebührensatz 1,2) anzusetzen seien. Deshalb sei von Letzterer nach Vorbemerkung 3 Nr. 4 VV RVG die Hälfte (also 0,6) auf die Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV RVG) anzurechnen.

II.

Als Ausgangspunkt der - zulässigen - Beschwerde des Antragsgegners stellt sich dem Senat folgende Situation dar:

Das Verwaltungsgericht hat (entsprechend dem ursprünglichen Kostenfestsetzungsantrag des Antragsgegners und dem ihm folgenden Kostenfestsetzungsbeschluss der Kostenbeamtin vom 6. Dezember 2006) folgende Gebühren - soweit Gegenstand des Erinnerungsverfahrens - anerkannt:

 Geb.VV Nr.SatzEuroMinderung durch Anrechnung
Verfahrensgeb.31001,3391,30keine
Geschäftsgeb. Vorverfahren 24002,0602,00

Der Antragsgegner hatte im Erinnerungsverfahren 1. Instanz zuletzt folgende Gebühren beansprucht:

 Geb.VV Nr.SatzEuroMinderung durch Anrechnung
Verfahrensgeb.31001,3391,30keine
Geschäftsgeb. 24002,0602,00 
Geschäftsgeb. Vorverfahren 24011,2361,20

Der Antragsteller beantragt - in Weiterfolgung seines Erinnerungsbegehrens - im Beschwerdeverfahren folgende Festsetzung:

 Geb.VV Nr.SatzEuroMinderung durch Anrechnung bzw. Änderung der VV Nr.Minderung um EuroFestzusetzen Euro
Verfahrensgeb.31001,3391,300,5 von VV Nr. 2401150,50240,80
Geschäftsgeb. Vorverfahren 24011,0301,00VV Nr. 2401 statt VV Nr. 2400 301,00301,00

Dies steht - bei Berücksichtigung der Erhöhung der Nettobeträge um die Umsatzsteuer - im Einklang mit dem Antrag im Beschwerdeverfahren, der eine Minderung des von der Kostenbeamtin festgesetzten Betrags von 2.199,48 Euro (brutto) auf einen Betrag von 1675,74 Euro (brutto) zum Ziel hat.

Der Senat erachtet es im Gegensatz zur Vorinstanz und dem Kostenfestsetzungsbeschluss für Rechtens, die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG durch Anrechnung eines Teils einer Geschäftsgebühr nach Nrn. 2400 bis 2403 VV RVG zu kürzen. Er folgt dabei den Erwägungen, die in dem (auch vom Antragsteller in der Beschwerdebegründung zitierten) Beschluss des BayVGH - 24. Senat - vom 14. Mai 2007 Az. 25 C 07.754 <Juris> - auf der Basis (wenn auch mit gewissen Einschränkungen) der grundlegenden Erörterung der Problematik in dem Beschluss des OVG NRW vom 25. April 2006, NJW 2006, 1991 (auf das sich auch die angefochtene Entscheidung, allerdings ohne Einschränkung, bezieht) - angestellt worden sind.

Danach ist (dem in § 162 Abs. 2 VwGO statuierten Regel-Ausnahme-Verhältnis folgend) zunächst von dem Grundsatz auszugehen, dass eine Kürzung im Verfahren nach § 164 VwGO zu unterbleiben hat. Die maßgeblichen Darlegungen im Beschluss vom 14. Mai 2007 (a.a.O.) lauten:

"Allerdings teilt der Senat die mittlerweile ganz überwiegend vertretene Auffassung, dass die Anrechnungsvorschrift in Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 VV RVG, die bestimmt, dass eine wegen desselben Gegenstandes entstandene Geschäftsgebühr nach Nrn. 2300 bis 2303 VV RVG für vorprozessuales anwaltliches Tätigwerden im Verwaltungsverfahren zur Hälfte, höchstens jedoch mit einem Gebührensatz von 0,75, auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens nach Nr. 3100 VV RVG angerechnet wird, grundsätzlich nur das Verhältnis zwischen Auftraggeber/Mandant und Rechtsanwalt betrifft, in der Kostenfestsetzung gemäß § 164 VwGO folglich nicht zu berücksichtigen ist und die Verpflichtung des kostentragungspflichtigen Beteiligten zur Erstattung der vollen Verfahrensgebühr unberührt lässt (grundlegend OVG NRW vom 25.4.2006 NJW 1006, 1991; verallgemeinernd BayVGH - 4. Senat - vom 10.7.2006 BayVBl 2007, 157/158 = NJW 2007, 170; [.....]).Für diese Rechtsauffassung spricht insbesondere die Systematik der §§ 161 ff. VwGO. Die Kostenfestsetzung gemäß § 164 VwGO kann sich nämlich nur auf Kosten erstrecken, die Gegenstand der gerichtlichen Kostengrundentscheidung (§ 161 VwGO) über die in § 162 VwGO definierten erstattungsfähigen Kosten sind. Gebühren eines Rechtsanwalts sind gemäß § 162 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 VwGO aber grundsätzlich nur erstattungsfähig, soweit diese im Gerichtsverfahren entstanden sind; Gebühren für anwaltliches Tätigwerden in einem vorprozessualen Verwaltungsverfahren sind - vom Sonderfall des § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO abgesehen, der Gebühren für anwaltliches Tätigwerden in einem Vorverfahren betrifft, für das das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für notwendig erklärt hat - demgegenüber grundsätzlich nicht erstattungsfähig und damit auch von der gerichtlichen Kostengrundentscheidung nicht umfasst. Sie sind deshalb auch im Rahmen der Kostenfestsetzung gemäß § 164 VwGO nicht zu berücksichtigen, also weder in dem auf Antrag festzusetzenden Betrag der zu erstattenden Kosten ansetzbar noch auf die ansetzbare Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens anrechenbar (OVG NRW vom 25.4.2006 a.a.O.).

Eine Anrechnung hätte im Regelfall auch eine vom Gesetzgeber ersichtlich nicht gewollte Ungleichbehandlung zur Folge. Sie würde nämlich zu einer sinnwidrigen Benachteiligung derjenigen obsiegenden Partei führen, deren Bevollmächtigter bereits vorprozessual tätig war, weil diese Partei gegenüber dem zur Kostentragung verurteilten Gegner nur einen Erstattungsanspruch in Höhe einer hälftig geminderten Verfahrensgebühr hätte, während diejenige obsiegende Partei, die den Anwalt nur für das gerichtliche Verfahren eingeschaltet hat, die Verfahrensgebühr ungemindert ersetzt verlangen könnte (OVG NRW vom 25.4.2006 a.a.O.; ausführlich BayVGH - 4. Senat - vom 10.7.2006 a.a.O.)."

Erwägungen dieser Art und das auf sie gegründete Ergebnis werden vom 8. Zivilsenat Bundesgerichtshofs allerdings ausdrücklich abgelehnt (vgl. BGH, Urteil vom 7.3.2007 Az. VIII ZR 86/06, NJW 2007, 2049 f., unter ausdrücklicher Nennung des Beschlusses des OVG NRW vom 25.4.2006 a.a.O.). Der BGH rügt, es werde übersehen, dass der Kostenschuldner durch die gegenteilige Auffassung nicht begünstigt werde, weil er einem materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch ausgesetzt sei. Für die die vom BGH abgelehnte Auffassung (des OVG NRW) möchten zwar prozessökonomische Gründe sprechen, denn bei einer Anrechnung auf die Verfahrensgebühr werde die obsiegende Partei darauf verwiesen, die volle Geschäftsgebühr gegen die unterlegene Partei - gegebenenfalls gerichtlich - geltend zu machen, weil die Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG - anders als die Verfahrensgebühr - im Kostenfestsetzungsverfahren nach §§ 103, 104 ZPO nicht berücksichtigt werden könne. Gründe der Prozessökonomie gestatteten es jedoch nicht, ein Gesetz gegen seinen klaren Wortlaut anzuwenden.

In der Begründung seiner Entscheidung wendet sich der BGH u.a. gegen den vom OVG NRW (a.a.O.) zur Untermauerung der dort vertretenen Auslegung der Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 VV RVG herangezogenen Aspekt der Historie dieser Vorschrift. Das OVG beruft sich auf den Umstand, dass diese Vorschrift an die Stelle des § 118 Abs. 2 Satz 1 BRAGO getreten ist, wonach die in § 118 Abs. 1 Nr. 1 bestimmte Geschäftsgebühr, die für eine Tätigkeit außerhalb eines gerichtlichen oder behördlichen Verfahrens entsteht, auf die entsprechenden Gebühren für ein anschließendes gerichtliches oder behördliches Verfahren anzurechnen war. Diese Vorschrift sei in der Praxis nicht so angewandt worden, dass die für die gerichtliche Tätigkeit entstandenen Gebühren der §§ 31 ff. BRAGO um die Geschäftsgebühr gekürzt worden seien, sondern es sei die Geschäftsgebühr gekürzt worden. Dennoch habe der Gesetzgeber am auslegungsbedürftigen Begriff der Anrechnung festgehalten. Der Sinn der Neuregelung (so das OVG NRW weiter) liege nach Ansicht des BGH (Beschluss des 1. Zivilsenats vom 20. Oktober 2005 Az. I ZR 21/05, BB 2006, 127) darin, dass - anders als nach § 118 Abs. 2 Satz 1 BRAGO, der die Anrechnung der vorprozessualen entstandenen Geschäftsgebühr auf die Gebühren des anschließenden gerichtlichen Verfahrens in vollem Umfang vorgesehen habe - nunmehr (nur) eine anteilige Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr vorgesehen sei.

Der erkennende Senat folgt zwar (insoweit wohl entgegen OVG NRW a.a.O.) der vom 8. Zivilsenat des BGH in dessen Entscheidung vom 7. März 2007 (a.a.O.) vertretenen, an Wortlaut und ebenfalls an der Historie der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG orientierten Auffassung, dass die Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr (und somit diese mindernd) anzurechnen ist und nicht umgekehrt. Doch ist dieser Gesichtspunkt für die vorliegend zu betrachtende Fallgestaltung nicht der entscheidende.

Bedeutsamer ist der Umstand, dass der 8. Zivilsenat des BGH unter Außerachtlassung der Besonderheiten des Verwaltungsprozessrechts unzutreffend davon ausgeht, die obsiegende und kostenerstattungsberechtigte Partei sei zur Durchsetzung ihrer Ansprüche gegenüber der zur Erstattung verpflichteten Partei nicht auf das Kostenfestsetzungsverfahren nach § 164 VwGO (das der BGH offenbar auch insofern dem Verfahren nach §§ 103, 104 ZPO vergleichbar erachtet) angewiesen, sondern könne uneingeschränkt ihre Ansprüche in einem eigenen Klageverfahren geltend machen. Dies war in dem vom BGH entschiedenen zivilrechtlichen Fall unter dem Gesichtspunkt möglich, dass zu einem die Pflicht zur Leistung von Schadensersatz auslösenden Schaden auch die Aufwendungen zu einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung gehörten.

Eine entsprechende Situation ist aber bei einem Verwaltungsstreitverfahren nicht gegeben. Die Kostenfestsetzung durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle nach § 164 VwGO folgt den in § 162 VwGO aufgestellten Regeln. Nach dessen Wortlaut und Systematik umfasst sie grundsätzlich nicht die Gebühren für anwaltliches Tätigwerden in einem vorprozessualen Verwaltungsverfahren als erstattungsfähig. Etwas anderes gilt nur, wenn das Gericht nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO ausdrücklich die Zuziehung eines Bevollmächtigten für notwendig erklärt hat. Diesem Regel-Ausnahme-Verhältnis entspricht einerseits als Grundsatz die Unanwendbarkeit der Anrechnungsregel nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 VV RVG, andererseits als Ausnahme deren Anwendbarkeit, sofern das Gericht die genannte Klausel in seine Entscheidung aufgenommen hat. Im letzteren Fall nämlich muss der Gegner gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO ausnahmsweise auch die Kosten des Bevollmächtigten der obsiegenden Partei im Vorverfahren tragen. Ist somit die Geschäftsgebühr für das Vorverfahren unter den Voraussetzungen des § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO Teil der kostenrechtlichen Grundentscheidung geworden, so hat das zur Folge, dass sie im Kostenfestsetzungsbeschluss zum einen neben der Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens auf Antrag als weitere erstattungsfähige Kostenposition festzusetzen, zum anderen aber auch gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 VV RVG auf die Verfahrensgebühr diese mindernd anzurechnen ist. In beiden dargestellten Konstellationen - Grundsatz und Ausnahme - entspricht der Erstattungsanspruch den auch im Innenverhältnis geschuldeten Anwaltsgebühren für das gerichtliche Verfahren, die die obsiegende Partei im Falle ihres Unterliegens auch selbst zu tragen hätte. So werden bei dem Erstattungsberechtigten im Fall des Fehlens eines gerichtlichen Ausspruchs nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO eine ungerechtfertigte Kostenunterdeckung bei den Verfahrensgebühren, bei dessen Vorhandensein aber auch eine nicht sachgerechte Kostenüberdeckung bei diesen Gebühren vermieden.

Vorliegend ist demnach die Verfahrensgebühr zu kürzen, ein Teilergebnis, das der Antragsteller (auch im Beschwerdeverfahren) erreichen will und wogegen sich der Antragsgegner (im Gegensatz zu der von ihm in der 1. Instanz vertretenen Position) auch nicht mehr wendet.

Die weiter zu entscheidende Frage des Kürzungsmaßstabs steht im Zusammenhang mit der ebenfalls zu klärenden Frage, welche Geschäftsgebühr bzw. Geschäftsgebühren des Bevollmächtigten des Antragsgegners zu Gunsten des Erstattungsberechtigten festzusetzen sind.

Der Antragsgegner hat in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht zuletzt zwei Gebühren beansprucht, eine nach Nr. 2400 VV RVG (vorausgegangenes Verwaltungsverfahren) und eine nach Nr. 2401 VV RVG (der Nachprüfung des Verwaltungsakts dienendes, also Widerspruchsverfahren). Dies geht aber über den Umfang des nach § 162 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 164 VwGO durch den Kostenbeamten Festsetzbaren hinaus, das sich auf die im Widerspruchsverfahren anfallende Geschäftsgebühr zu beschränken hat.

Im Hinblick auf die Gesetzessystematik geht der Senat nicht davon aus, dass die Gebühr für ein Tätigwerden des Bevollmächtigten in dem Verwaltungsverfahren, das dem Widerspruchsverfahren vorangegangen ist, unmittelbar aus § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO festgesetzt werden kann. Ein solches Ergebnis wäre namentlich in den Fällen, in denen ein Ausspruch des Gerichts nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO unterblieben und eine Geschäftsgebühr des Bevollmächtigten für das Widerspruchsverfahren deshalb nicht erstattungsfähig ist, sachwidrig.

Somit ist davon auszugehen, dass der Antragsgegner nicht - wie es seinem Kostenfestsetzungsantrag entspricht - die Festsetzung erstattungsfähiger Geschäftsgebühren sowohl nach Nr. 2400 als auch nach Nr. 2401 VV RVG erreichen kann.

Bei der Entscheidung, welche von beiden anzusetzen ist, spricht der Wortlaut der Regelungen zunächst für Nr. 2401 VV RVG, denn dem der Nachprüfung des Verwaltungsakts dienenden Verwaltungsverfahren (also dem Widerspruchsverfahren) ist eine Tätigkeit im Verwaltungsverfahren vorausgegangen. Der Senat hält dies jedoch für unbillig und mit Sinn und Zweck der Norm nicht für vereinbar. Er sieht vielmehr die vom Verwaltungsgericht vertretene Lösung für sachgerecht an, wonach die Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 anzusetzen ist. Diese Gebühr wäre in einem Verfahren, bei welchem der Rechtsanwalt erst ab dem Widerspruchsverfahren tätig geworden ist, für dieses Vorverfahren im Binnenverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandanten angefallen und auch im gerichtlichen Kostenfestsetzungsverfahren anzusetzen gewesen. Hätte der Umstand, dass der Rechtsanwalt auch vor dem Widerspruchsverfahren tätig war, zur Folge, dass - allein aus diesem Grund - die niedrigere der beiden in Frage kommenden Gebühren nach Nr. 2401 VV RVG erstattungsfähig wäre, so wäre der Erstattungsberechtigte zugunsten des Erstattungspflichtigen benachteiligt, denn er könnte die höhere Gebühr nach Nr. 2400 VV RVG nicht festsetzen lassen. Die Absicht dieser Rechtsfolge kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden.

Die soeben dargelegte Begründung, weshalb die Geschäftsgebühr für die Tätigkeit des Rechtsanwalts im Widerspruchsverfahren nach Nr. 2400 VV RVG zu berechnen ist, lässt sich aber nicht in der Weise weiterführen, dass bei der Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 2 VV RVG ebenfalls auf die Gebühr nach Nr. 2400 VV RVG abzustellen wäre. Dies würde zu einer - ungerechtfertigten - Asymmetrie bei der Minderung der Verfahrensgebühr einerseits im Verhältnis der erstattungsfähigen Prozesspartei, also des Mandanten, zu seinem Rechtsanwalt, andererseits im Verhältnis des Erstattungsberechtigten zum Erstattungspflichtigen führen.

Eine Minderung der Gebühr nach Nr. 3100 VV RVG auf der Grundlage der (im Vergleich zu Nr. 2401 VV RVG höheren) Gebühr nach Nr. 2400 VV RVG muss der Rechtsanwalt nämlich nicht hinnehmen, da er diese Gebühr bereits im Verwaltungsverfahren, das dem Widerspruchsverfahren vorangegangen war, verdient hatte; sie kann nicht aus den oben dargestellten Erwägungen zur gerichtlichen Kostenfestsetzung gemindert werden. Vielmehr ist die Verfahrensgebühr unter strikter Anwendung der materiellrechtlichen Anspruchsgrundlage nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 2 VV RVG zu mindern, d.h. nach der "zuletzt entstandene Gebühr" gemäß Nr. 2401 VV RVG.

Da diese Minderung geringer ausfällt, als dies bei der Anrechnung der Gebühr nach Nr. 2400 VV RVG der Fall wäre, muss auch die gerichtliche Kostenfestsetzung diese geringere Minderung berücksichtigen, damit vermieden wird, dass der Erstattungsberechtigte einen Teil der von ihm seinem Rechtsanwalt geschuldeten Verfahrensgebühr nicht vom Erstattungspflichtigen verlangen kann.

Somit ergibt sich als weiteres Teilergebnis, dass im gerichtlichen Kostenfestsetzungsverfahren eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV RVG sowie eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG, auf die gemäß Vorbemerkung 3 Absatz 4 VV RVG eine Verfahrensgebühr nach Nr. 2401 VV RVG anzurechnen ist, festzusetzen sind.

Da das Verwaltungsgericht eine Geschäftsgebühr - nämlich nach Nr. 2400 VV RVG - festgesetzt hat und dies auch vom Senat für Rechtens erachtet wird, bleibt das Ergebnis hinter dem Beschwerdebegehren des Antragstellers zurück. Dieser hält eine Gebühr nach Nr. 2401 VV RVG für zutreffend. Erfolg hat der Antragsteller aber insoweit, als das Verwaltungsgericht die Verfahrensgebühr ohne Anrechnung einer Geschäftsgebühr berechnen will, während der Senat eine solche Anrechnung gemäß der Gebühr nach Nr. 2401 VV RVG vornimmt.

Hinsichtlich der Gebührensätze folgt der Senat dem Kostenfestsetzungsantrag des Antragsgegners und verweist auf die zutreffende Begründung des Verwaltungsgerichts. Der Gebührensatz für das Widerspruchsverfahren (nach Nr. 2401 VV RVG) wird mit 1,0 für angemessen erachtet, da die Schwierigkeit des Verfahrens nicht die fast völlige Ausschließung des Gebührenrahmens rechtfertigt.

Daraus resultiert hinsichtlich der streitbefangenen Positionen folgendes Ergebnis:

 Geb.VV Nr.SatzEuroMinderung durch Anrechnung .Minderung um EuroFestzusetzen Euro
Verfahrensgeb.31001,3391,300,5 von VV Nr. 2401150,50240,80
Geschäftsgeb. Vorverfahren24002,0602,00  602,00

Der Senat sieht in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht die Geschäftsgebühr für das Vorverfahren nach Nr. 2400 VV RGV mit 602,00 Euro netto als richtig angesetzt. Insoweit ist die Beschwerde, die hier auf Grund einer Geschäftsgebühr nach Nr. 2401 VV RGV und einem Gebührensatz von 1,0 einen Betrag von 301,00 Euro (netto) für zutreffend hält, zurückzuweisen.

Auf die Beschwerde des Antragstellers sind hingegen die festgesetzten notwendigen Aufwendungen für eine Verfahrensgebühr in der 1. Instanz (Position 1 des Kostenfestsetzungsantrags vom 3.8.2006) von 391,30 Euro (netto) um 150,50 Euro (netto) auf 240,80 Euro (netto), d.h. auf 279,33 Euro (brutto) zu kürzen. Die notwendigen Aufwendungen insgesamt sind demnach von 2.199,48 Euro (brutto) auf 1.920,15 Euro (brutto) zu kürzen. Insoweit hat die Beschwerde des Antragstellers Erfolg; der angefochtene Beschluss des Verwaltungsgerichts ist dementsprechend abzuändern.

Das Verfahren über die Kostenerinnerung ist - unter Einschluss des Beschwerdeverfahrens - nach § 66 Abs. 8 GKG gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet. Deshalb erübrigen sich im vorliegenden Verfahren eine Kostenentscheidung und eine Streitwertfestsetzung.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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