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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 23.10.2003
Aktenzeichen: 3 CE 03.2285
Rechtsgebiete: VwGO, BBesG


Vorschriften:

VwGO § 123
BBesG § 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

3 CE 03.2285

In der Verwaltungsstreitsache

wegen

Zahlung von Dienstbezügen

(Antrag nach § 123 VwGO);

hier: Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 12. August 2003,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 3. Senat, durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Thomas, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Appel, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Weber ohne mündliche Verhandlung am 23. Oktober 2003 folgenden

Beschluss:

Tenor:

I. Unter Abänderung der Ziff. II des Beschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 12. August 2003 wird die Antragsgegnerin vorläufig verpflichtet, der Antragstellerin 3.688,80 Euro nachzuzahlen.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

II. In Abänderung der Ziff. III des vorgenannten Beschlusses haben von den Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen die Antragstellerin je 1/3 und die Antragsgegnerin je 2/3 zu tragen.

III. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.980,18 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin steht als Verwaltungsamtsfrau im Dienst der Antragsgegnerin und bewohnt seit Mai 2002 mit ihrem Ehemann eine Wohnung der ************ *********************** (***), einer Tochtergesellschaft der Antragsgegnerin. Im August 2002 wurde ihr durch die Antragsgegnerin versehentlich ein Betrag von 2.271,55 Euro zu viel an Dienstbezügen überwiesen, den letztere mit Schreiben vom 8. August 2002 zurückforderte. Hierauf erklärte die Antragstellerin die Aufrechnung mit einem Anspruch auf Umzugskostenvergütung, dessen Erfüllung die Antragsgegnerin jedoch zunächst wegen Nichtvorlage der erforderlichen Originalunterlagen verweigerte.

Mit Schreiben vom 24. Februar 2003 trat die *** ihre Ansprüche gegen die Antragstellerin und ihren Ehegatten auf Nutzungsentgelt ab 1. April 2003 für die von ihnen bewohnte Wohnung in Höhe von monatlich 922,20 Euro an die Antragsgegnerin ab, die diese Abtretung auch annahm. Unter dem Aktenzeichen 413 C 6494/03 klagte die *** in der Folgezeit Mietzinsforderungen von Mai 2002 bis einschließlich Februar 2003 beim Amtsgericht München ein. Mit vorläufig vollstreckbarem Urteil vom 1. Juli 2003 wurde die Antragstellerin gesamtschuldnerisch zur Zahlung von Mietzinsforderungen für die Zeit von Mai 2002 bis einschließlich Februar 2003 verurteilt.

Für die Monate März bis Mai 2003 behielt die Antragsgegnerin von den Dienstbezügen der Antragstellerin insgesamt 3.193,75 Euro ein, wovon 1.000 Euro auf den Monat März, 1.271,55 Euro auf den Monat April und 922,20 Euro auf den Monat Mai entfielen. Die Antragsgegnerin erklärte hierzu, die für März und April einbehaltenen Beträge von insgesamt 2.271,55 Euro hätten der Rückführung der im August 2002 entstandenen Überzahlung gedient. Dagegen beruhe die Einbehaltung des Betrages von 922,20 Euro für Mai 2003 auf der Abtretung des Nutzungsentgelts für ihre Wohnung.

Mit einem am 30. Mai 2003 beim Bayerischen Verwaltungsgericht München eingegangenen Schriftsatz begehrte die Antragstellerin eine einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO mit dem Ziel,

die Antragsgegnerin zu verpflichten, an die Antragstellerin rückständige Dienstbezüge in Höhe von 3.193,75 Euro zuzüglich 8,62 % Zinsen seit dem 28. Mai 2003 zu bezahlen.

Dieses Verfahren wurde beim Verwaltungsgericht zunächst unter dem Aktenzeichen M 5 E 3.2484 geführt.

Für die Monate Juni bis August 2003 behielt die Antragsgegnerin aufgrund der Abtretung der *** weiter jeweils 922,20 Euro ein. Mit Schreiben vom 11. Juli 2003 gewährte sie der Antragstellerin eine Umzugskostenvergütung in Höhe von 4.201,59 Euro, die sie auf ihr Konto überwies. Sie bemerkte, sie habe lediglich die in Ziff. V des Antrags vom 19. März 2003 aufgeführten Auslagen nicht erstatten können, da insoweit nach Art. 10 BayUKG der erforderliche Antrag nicht gestellt worden sei.

Mit weiterem Schriftsatz vom 7. August 2003, eingegangen am 8. August 2003, begehrte die Antragstellerin eine weitere einstweilige Anordnung des Inhalts,

die Antragsgegnerin zu verpflichten, an die Antragstellerin rückständige Dienstbezüge in Höhe von 2.766,60 Euro zuzüglich 8,62 % Zinsen seit dem 8. August 2003 zu bezahlen.

Dieses Verfahren wurde beim Verwaltungsgericht München zunächst unter dem Aktenzeichen M 5 E 03.3704 geführt.

Mit Beschluss vom 12. August 2003 wurden die Verfahren M 5 E 03.2484 und M 5 E 03.3704 zur gemeinsamen Entscheidung verbunden und die Anträge abgelehnt.

Zur Begründung wurde ausgeführt, es fehle bereits an einem Anordnungsgrund. Dafür wäre Voraussetzung, dass es der Antragstellerin unzumutbar sei, eine Hauptsacheentscheidung abzuwarten. Eine Unzumutbarkeit in diesem Sinne wäre nur anzunehmen, wenn der Antragstellerin aufgrund der durch die Aufrechnung bewirkten Kürzung ihrer Dienstbezüge lediglich noch das zum Leben Notwendige verbliebe bzw. wenn ihr wirtschaftlicher Spielraum in entscheidender Weise eingeschränkt wäre. Von einer derartigen wirtschaftlichen Notlage könne bei der vorliegenden Kürzung der Dienstbezüge keine Rede sein.

Gegen diesen Beschluss hat die Antragstellerin Beschwerde eingelegt, mit der sie ihr erstinstanzliches Antragsbegehren weiterverfolgt.

Zur Begründung macht sie geltend, hinsichtlich des Anordnungsgrundes dürften die Zulässigkeitsvoraussetzungen nicht zu restriktiv interpretiert werden. Die Aufrechnung der Antragsgegnerin scheitere schon daran, dass ihr lediglich ein Anspruch auf "Nutzungsentgelt" der *** abgetreten worden sei und nicht eine Mietzinsforderung. Im Übrigen sei diese Mietzinsforderung in höchstem Maße umstritten und eine endgültige Entscheidung hierüber noch nicht absehbar. Vorsorglich werde entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts auch bestritten, dass hier angesichts der verfassungsrechtlichen Qualität der Ansprüche der Antragstellerin auf Dienstbezüge Unzumutbarkeit vorliegen müsse. Es genüge ein "wesentlicher Nachteil", der hier darin liege, dass ihr möglicherweise auf Jahre hinaus ein Anteil von 922 Euro monatlich entzogen werde. Auch ein Anordnungsanspruch, nämlich auf regelmäßige Auszahlung der ihr zustehenden Dienstbezüge könne hier nicht zweifelhaft sein.

Die Antragsgegnerin tritt der Beschwerde entgegen und macht geltend:

Es hätte nur Ansprüche auf Nutzungsentgelt abgetreten werden können, nachdem der Mietvertrag bis heute von der Antragstellerin und ihrem Ehemann nicht unterzeichnet worden sei. Da kein Mietverhältnis zu Stande gekommen sei, seien vom Vermieter Ansprüche auf Nutzungsentgelt geltend zu machen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und zum Teil unbegründet, überwiegend jedoch begründet.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts kann der Anordnungsgrund zunächst nicht ohne Rücksicht auf den geltend gemachten Anordnungsanspruch verneint werden. Vielmehr kommt es insoweit darauf an, ob die in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich zulässig und begründet erscheint. Ist dies der Fall, vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund entsprechend (Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl./2000, RdNr. 25 zu § 123). Ist dies jedoch nicht der Fall, muss also der Ausgang des Hauptsachestreits als zumindest offen bezeichnet werden, besteht grundsätzlich kein Anlass, dessen Ergebnis vorwegzunehmen.

So verhält es sich hier hinsichtlich der Einbehaltung des Teilbetrags von 2.271,55 Euro mit den Bezügen für März und April 2003. Die Antragstellerin bestreitet selbst nicht, diesen Betrag zu Unrecht erhalten zu haben. Auf die von ihr mit Schreiben vom 20. August 2002 (Bl. 17 der VG-Akte Az. M 5 E 03.2484) erklärte Aufrechnung kann sie sich nicht berufen, da seinerzeit dieser erst mit Bescheid vom 11. Juli 2003 nach Vorlage der erforderlichen Unterlagen bewilligte Anspruch noch nicht fällig war, die Aufrechnung mithin leerlief. Im Übrigen hat die Antragstellerin die Umzugsvergütung inzwischen ausgezahlt erhalten, soweit sie unstreitig ist und daher für eine Aufrechnung hätte verfügbar sein können.

Wesentlich anders ist jedoch der Anordnungsanspruch und mit ihm der Anordnungsgrund hinsichtlich der Einbehaltung der Dienstbezüge für Mai und Juni bis August 2003 in Höhe von jeweils 922,20 Euro aufgrund der Abtretung der zivilrechtlichen Ansprüche der *** (auf deren exakte Qualifizierung als Nutzungsentgelt oder Mietzins kommt es hierbei nicht an) gegenüber der Antragsgegnerin zu beurteilen. Denn hier ergibt sich bei Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache, dass die Klage der Antragstellerin offensichtlich begründet sein wird und sie deshalb auch vorläufig keine Minderung ihrer Dienstbezüge von annähernd einem Drittel hinzunehmen braucht. Für die Rechtmäßigkeit der Einbehaltung aufgrund der abgetretenen mietrechtlichen Ansprüche der *** ist nämlich folgendes zu beachten:

Die *** mag zwar der Antragsgegnerin als Tochtergesellschaft in besonderer Weise verbunden sein, zumal sie durch die Schaffung und Bereithaltung von Wohnungen im Gemeindebereich durchaus auch öffentlichen Interessen dient. Dies ändert jedoch nichts daran, dass sie als GmbH privatrechtlich organisiert ist und mithin ihre Ansprüche aufgrund der Nutzung ihrer Wohnungen zivilrechtlicher Natur sind. Sie kann daher derartige Ansprüche, wie teilweise auch schon geschehen, im Zivilrechtsweg geltend machen und hat nach Vorliegen eines Titels die Möglichkeit, die Dienstbezüge der Antragstellerin zu pfänden und sich überweisen zu lassen. Bei dieser Handhabung bleiben die Rechte der Antragstellerin auch insoweit gewahrt, als sie zivilrechtlich alle Einwendungen gegen den zu titulierenden Anspruch vorbringen und auch noch im Rahmen der Vollstreckung die ihr zustehenden zivilrechtlichen Rechtsmittel ausschöpfen kann. Nicht so verhält es sich jedoch dann, wenn, wie hier, die Gemeinde als Dienstherrin aufgrund der Zession ihrer Tochtergesellschaft quasi die "Vollstreckung in eigener Regie" übernimmt, indem sie den auf einem behaupteten zivilrechtlichen Anspruch beruhenden Geldbetrag schlicht von den Dienstbezügen einbehält und die Antragstellerin mit ihrem Vorbringen gegen den geltend gemachten zivilrechtlichen Anspruch in den Rechtsweg zur Verwaltungsgerichtsbarkeit zwingt. Nach Auffassung des Senats liegt darin unter den gegebenen Umständen ein Formen- und Ermessensmissbrauch, durch den die Antragsgegnerin insbesondere dadurch ihre Fürsorge- und Alimentationspflicht gegenüber der Antragstellerin verletzt, dass sie sich in zivilrechtliche Streitigkeiten zulasten ihrer Beamtin einmischt und ihr die originären zivilprozessualen Rechtsschutzmöglichkeiten abschneidet. Es ist nicht die Aufgabe der Gemeinde als Dienstherrin, Dritten bei der Durchsetzung ihrer zivilrechtlichen Ansprüche gegen ihre Beamten behilflich zu sein, mag dieser Dritte, wie hier, durch die Bereitstellung von Wohnungen inzidenter auch öffentliche Belange wahrnehmen.

Hat aber hiernach die Antragsgegnerin mit Annahme der Zession und Geltendmachung des abgetretenen Anspruchs in Wahrnehmung der Interessen eines privaten Dritten gegenüber der Antragstellerin ihr Ermessen bei der Einbehaltung eines Teils der Dienstbezüge rechts- und pflichtwidrig ausgeübt, kann sie sich nicht darauf berufen, dass nach der Neufassung des § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG die Aufrechnung auch mit bestrittenen rechtswegfremden Gegenforderungen möglich sein soll (s. Kopp, VwGO, 13. Auflage, RdNr. 45 zu § 40). Sie hat ihr daher die für Mai und Juni bis August 2003 einbehaltenen Beträge von jeweils 922,20 Euro, insgesamt mithin 3.688,80 Euro vorläufig nachzuzahlen, jedoch ohne Verzugszinsen (vgl. § 3 Abs. 6 BBesG) und auch ohne Prozesszinsen. Auf § 291 BGB analog kann sich die Antragstellerin nicht berufen, da die Einreichung des Antrags nach § 123 VwGO keiner Rechtshängigkeit im Sinne des § 90 VwGO gleichsteht (vgl. ebenso Münchner Komm. zum BGB, Band 2, Schuldrecht, Allgemeiner Teil, 4. Aufl./2001, RdNr. 8 zu § 291 mit Nachweisen).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO.

Streitwertfestsetzung: § 13 Abs. 2 GKG. Der vorläufige Charakter des Antragsverfahrens war zu berücksichtigen.



Ende der Entscheidung

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