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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 27.07.2006
Aktenzeichen: 4 B 05.2832
Rechtsgebiete: VwGO, AO, ZPO


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 4 Satz 2
AO § 233
AO § 236
ZPO § 717 Abs. 2
Wird die sofortige Vollziehung eines Gewerbesteuerbescheids gegen Sicherheitsleistung ausgesetzt, sind die für die gestellte Bürgschaft angefallenen Avalzinsen von der Gemeinde nicht (anteilig) zu erstatten, wenn die festgesetzte Gewerbesteuer später aufgrund des Rechtsbehelfsverfahrens gegen den Messbescheid herabgesetzt wird.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

4 ZB 05.2832

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Erstattung von Avalzinsen;

hier: Berufung des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 28. Juli 2005,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 4. Senat,

durch die Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgerichtshof Dr. Motyl den Richter am Verwaltungsgerichtshof Schmitz, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Prof. Dr. Kraft,

ohne mündliche Verhandlung am 27. Juli 2006

folgendes Urteil:

Tenor:

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger macht die teilweise Erstattung von Avalzinsen für eine Bankbürgschaft geltend, die von der Beklagten mit Bescheid vom 2. Dezember 1991 als Sicherheitsleistung zur Aussetzung der Vollziehung des Gewerbesteuerbescheids für das Jahr 1987 gefordert worden war. Die zunächst mit Bescheid vom 20. September 1998 festgesetzte Gewerbesteuer für das Jahr 1987 i.H. von 318.397,00 DM wurde im Bescheid vom 26. April 2001 auf 197.370,00 DM reduziert. Die Herabsetzung beruhte darauf, dass der Gewerbesteuermessbetrag für das Jahr 1987 von 70.755,00 DM im Gewerbesteuermessbescheid vom 20. September 1989 durch Bescheid des Finanzamtes München I vom 4. April 2001 auf 43.860,00 DM abgesenkt worden war.

Der Kläger verlangt von der Beklagten die Zahlung von 8.353,81 Euro (nebst Prozesszinsen), hilfsweise die Verpflichtung zum Erlass eines Bescheids über den geltend gemachten Erstattungsanspruch. Der eingeklagte Teilbetrag der aufgewendeten Avalzinsen entspreche dem überschießenden, zu Unrecht festgesetzten Teil der Gewerbesteuer.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 28. Juli 2005 abgewiesen. Zur Begründung hat es darauf abgestellt, dass der geltend gemachte Folgenbeseitigungsanspruch nur auf Wiederherstellung des ursprünglichen, durch den rechtswidrigen Eingriff veränderten Zustand gerichtet sei. Die vom Kläger bezahlten Avalzinsen seien keine unmittelbare Folge der rechtswidrigen Steuerfestsetzung. Weil die Beklagte die Avalzinsen nicht erlangt habe, könne auch der allgemeine Erstattungsanspruch nicht greifen. Rechtshängigkeitszinsen gem. § 236 AO aufgrund gerichtlicher Reduzierung der festgesetzten Steuer fielen nur im Falle vorheriger Zahlung an. Eine analoge Anwendung dieser Vorschrift scheide aus, weil Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nach § 233 Satz 1 AO nur verzinst würden, soweit dies gesetzlich vorgeschrieben sei.

Mit der vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Berufung vertieft der Kläger sein bisheriges Vorbringen. Entgegen der ursprünglichen Auffassung des Finanzamts seien zwei Immobilienverkäufe nicht gewerblich gewesen; die Rechtswidrigkeit des ersten Gewerbesteuermessbescheids schlage auf den Gewerbesteuerbescheid der Beklagten durch. Für die Avalzinsen, die vom Kläger aufgrund des rechtswidrigen Aussetzungsbescheids mit überhöhter Sicherheitsleistung gezahlt worden seien, sei die Beklagte entschädigungspflichtig; denn dieser Schaden sei eine unmittelbare Folge der rechtswidrigen Festsetzung des Messbetrags und der Gewerbesteuer. Damit greife sowohl der allgemeine Folgenbeseitigungsanspruch sowie der Aufopferungsanspruch. In Fällen einer zunächst überhöhten Steuerforderung sei nicht einzusehen, warum im Falle der Zahlung der überzahlte Betrag nach den Regelungen der Abgabenordnung zu verzinsen sei, bei der gesetzlich ausdrücklich vorgesehenen Alternative der Aussetzung gegen Sicherheitsleistung eine Erstattung der angefallenen Avalzinsen jedoch ausgeschlossen sein sollte. Auch in der Kommentarliteratur werde die Auffassung vertreten, dass fehlende gesetzliche Regelungen einer Erstattungsforderung nicht entgegenstünden und die Kosten der Sicherheitsleistung nicht immer zulasten des Steuerpflichtigen gingen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 28. Juli 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 8.353,81 Euro nebst 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz seit Zustellung der Klage zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Aus der Zweistufigkeit des gewerbesteuerlichen Veranlagungsverfahrens und der Bindung der Kommune an den Messbescheid folge, dass der gemeindliche Gewerbesteuerbescheid nur dann rechtswidrig sein könne, wenn die Gemeinde von den Festsetzungen im Grundlagenbescheid abweiche oder einen falschen Hebesatz zugrunde lege. Die Aussetzungsverfügung sei rechtmäßig, da sie auf der Vollziehungsaussetzung des Finanzamts beruht habe, in der eine Sicherheitsleistung nicht ausdrücklich ausgeschlossen gewesen sei. Für die Beklagte sei auch kein anderer Grund erkennbar gewesen, um auf eine Sicherheitsleistung zu verzichten. Im übrigen hätte der Kläger gegen die Aussetzungsverfügung unter Anordnung der Sicherheitsleistung mit Rechtsmitteln vorgehen können. Aus der gesetzlich angeordneten Verzinsungspflicht für überzahlte Steuern ergebe sich nicht zwingend ein Erstattungsanspruch für aufgewendete Avalzinsen; im letztgenannten Fall habe der Steuergläubiger keine Vorteile aus einer Überzahlung ziehen können. Im Übrigen stehe nach der Entscheidung des Landgerichts München I vom 30. Januar 2006 (Az.: 30 O 9033/05) im Amtshaftungsprozess fest, dass die Beklagte keine schuldhafte Amtspflichtverletzung begangen habe.

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung, über die der Verwaltungsgerichtshof gem. §§ 125 Abs. 1 Satz 1, 101 Abs. 2 VwGO im schriftlichen Verfahren entscheiden kann, bleibt ohne Erfolg. Der Verwaltungsgerichtshof legt den Berufungsantrag des Klägers zu dessen Gunsten dahingehend aus, dass über den reinen, auf unmittelbare Zahlung gerichteten Leistungsanspruch hinaus auch ein Verpflichtungsanspruch auf Festsetzung des geltend gemachten Betrags begehrt wird. Unter beiden Gesichtspunkten hat der Kläger indes keinen Anspruch auf (anteiligen) Ersatz der Avalzinsen für die Bürgschaft, die er der Beklagten als Sicherheit für die Aussetzung der Vollziehung des Gewerbesteuerbescheids vom 20. September 1998 gestellt hat.

1. Die in der Abgabenordnung geregelten Anspruchsgrundlagen greifen nicht. Das Verwaltungsgericht und die Beklagte betonen zu Recht, dass die Regelung über Prozesszinsen auf Erstattungsbeträge in § 236 AO voraussetzt, dass die festgesetzte Steuer, die später herabgesetzt wurde, tatsächlich gezahlt worden ist. Diese Anspruchsvoraussetzung ergibt sich in aller Deutlichkeit aus Abs. 1 Satz 2 der Vorschrift, wonach die Verzinsung frühestens mit dem Tag der Zahlung beginnt. Die vom Kläger erbrachte Sicherheitsleistung äußert keine Tilgungswirkung und steht deshalb einer Zahlung zur Erfüllung der Steuerschuld nicht gleich (Klein/Rüsken, Abgabenordnung, 8. Aufl. 2003, § 236 Rdnr. 23). Dieser Auslegungsbefund wird durch die ratio legis bestätigt, weil § 236 AO dem Gläubiger eine Entschädigung für die Vorenthaltung des Kapitals und der damit verbundenen Nutzungsmöglichkeiten gewährt (BFH, U.v. 13.7.1994 - I R 38/93, BStBl. II 1995, 37).

Daher verbietet sich auch eine analoge Anwendung der Norm auf den hier vorliegenden Fall. Zwischen den Beteiligten hat keine Vermögensverschiebung stattgefunden, die der Beklagten eine - im Ergebnis ungerechtfertigte - befristete Nutzungsmöglichkeit des Kapitals ermöglicht hätte. Der Einwand des Klägers, in der Bankbürgschaft als Sicherheit liege ein Vermögensvorteil, greift nicht durch; denn die Sicherheitsleistung durch Bankbürgschaft ist akzessorischer Natur und nicht selbständig verwertbar. Die Ausführungen zum höheren Wert einer gesicherten Forderung bei Abtretung und Forderungsverkauf im allgemeinen Wirtschaftsleben verschließen sich der Einsicht, dass eine Steuerforderung nur unter sehr eingeschränkten Voraussetzungen und zudem nur zwischen Hoheitsträgern abtretbar ist (BFH, U.v. 15.6.1999 - VII R 3/97, BStBl. II 2000, 46 zur Abtretung eines Zahlungsanspruchs aus einer Steuerfestsetzung an den Rechtsträger eines anderen Finanzamts zwecks Einziehung durch Aufrechnung).

Einer analogen Anwendung des § 236 AO auf den vorliegenden Fall steht zudem die Sperrwirkung des § 233 Satz 1 AO entgegen. Nach dieser Vorschrift werden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nur verzinst, soweit dies gesetzlich vorgeschrieben ist. Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber deutlich zu erkennen gegeben, dass die im Gesetz geregelten Zinstatbestände abschließende Regelungen darstellen und nicht ohne weiteres einer erweiternden Auslegung oder Analogie zugänglich sind.

2. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass der Kläger Ersatz für die aufgewendeten Avalzinsen nicht aus dem allgemeinen Folgenbeseitigungsanspruch verlangen kann. Unabhängig von dem Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen ist dieser Anspruch auf der Rechtsfolgeseite auf die Restitution der unmittelbaren Folgen des hoheitlichen Eingriffs beschränkt. Dazu zählen außerhalb der finalen Folgen, auf die die Amtshandlung gerichtet war, nicht diejenigen rechtswidrigen Folgen, die erst infolge eines auf eigener Entschließung des Betroffenen beruhenden Verhaltens eingetreten sind (BVerwG, U.v. 19.7.1984 - 3 C 81.82, BVerwGE 69, 366/373). Das streitgegenständliche Begehren auf Ersatz der Avalzinsen würde den begrenzten Zurechnungszusammenhang eines Folgenbeseitigungsanspruchs sprengen: Der Kläger hatte die Möglichkeit, die festgesetzte Gewerbesteuer zu zahlen oder einen Aussetzungsantrag zu stellen. Auf einer zweiten Ebene hätte er gegen die festgesetzte Sicherheitsleistung gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen können (BFH, B.v. 12.5.2000 - VI B 266/98, NVwZ-RR 2001, 286/288; BayVGH, U.v. 29.11.1995 - 4 B 94.2089, NVwZ-RR 1997, 136 f.). Diese Dispositionsmöglichkeiten des Steuerpflichtigen schließen einen Ersatz der angefallenen Avalzinsen im Wege des Folgenbeseitigungsanspruchs aus.

3. Eine Ersatzpflicht der Beklagten aus dem allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch wird in den Gründen der angefochtenen Entscheidung zutreffend verneint. Die Beklagte hat die erlangte Bürgschaft zurückgegeben; darüber hinaus hat sie nichts erlangt, was zurückgegeben werden könnte. Insoweit gelten dieselben Erwägungen wie zu § 236 AO.

4. Schließlich greift auch Art. 26 Abs. 7 VwZVG i.V.m. § 717 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht; denn ein sofort vollziehbarer Verwaltungsakt stellt keine vorläufig vollstreckbare Entscheidung im Sinne dieser Regelung dar (ausführlich BayObLG, U.v. 25.11.2003 - 1Z RR 6/02, BayVBl. 2004, 280 m.w.N. zur Entwicklung der Rechtsprechung).

5. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10 und § 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 8.353,81 Euro festgesetzt (§ 47 GKG i.V.m. 52 Abs. 1 GKG).

Ende der Entscheidung

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