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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 21.10.2003
Aktenzeichen: 4 BV 03.671
Rechtsgebiete: GLKrWG


Vorschriften:

GLKrWG Art. 20 Abs. 3
GLKrWG Art. 50 Abs. 2 Satz 1
GLKrWG Art. 51 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

4 BV 03.671

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Wahlanfechtung (Stichwahl zum ersten Bürgermeister);

hier: Berufung der Kläger gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 29. Januar 2003,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 4. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dillmann, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Schmitz, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Kraft

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 15. Oktober 2003

am 21. Oktober 2003

folgendes Urteil:

Tenor:

I. Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 29. Januar 2003 wird abgeändert.

Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids des Landratsamtes A*****-S******* vom 23. Mai 2002 verpflichtet, die Wahl des ersten Bürgermeisters der Stadt V****** vom 3. und 17. März 2002 für ungültig zu erklären.

II. Von den Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen haben der Beklagte drei Viertel und der Beigeladene ein Viertel zu tragen.

III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, sofern nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

1. Die Beteiligten streiten über die Gültigkeit der Wahl zum ersten Bürgermeister der Stadt V******. Nachdem im ersten Wahlgang am 3. März 2002 keiner der Bewerber die erforderliche Mehrheit erhalten hatte, wurde am 17. März 2002 die Stichwahl zwischen dem Beigeladenen, dem bisherigen Bürgermeister, und dem Kläger zu 10) durchgeführt. Dabei entfielen auf ersteren 1.751, auf letzteren 1.714 Stimmen. Das Wahlergebnis wurde am 18. März 2002 verkündet.

Am 28. März 2002 fochten die Kläger die Stichwahl bei der Rechtsaufsichtsbehörde, dem Landratsamt A*****-S*******, an und machten folgende Verletzungen wahlrechtlicher Vorschriften geltend:

1) Der Beigeladene habe nach dem ersten Wahlgang durch unbefugten Einblick in die Wählerverzeichnisse in Erfahrung gebracht, wer nicht gewählt habe. Solche Nichtwähler habe er dann gezielt angesprochen und aufgefordert, an der Stichwahl teilzunehmen und ihm die Stimme zu geben. Für die Einsichtnahme könne zwar kein unmittelbarer Zeuge angeboten werden. Sie müsse aber daraus gefolgert werden, dass 20 (von den Klägern als Zeugen benannte) Personen vom Beigeladenen in entsprechender Weise angegangen worden seien.

2) Die Wählerverzeichnisse für den ersten Wahlgang seien unter Verstoß gegen § 101 Abs. 1 Gemeinde- und Landkreiswahlordnung (GLKrWO) nicht gegen die Einsichtnahme durch Unbefugte geschützt gewesen. Sie hätten zeitweise offen in den Amtsräumen des Rathauses ausgelegen.

3) Der Beigeladene habe nach dem ersten Wahlgang von Mitarbeitern der Stadtverwaltung unter Verletzung des Neutralitätsgebots "grüne Wahlbenachrichtigungskarten" (genauer: Vordrucke "Antrag auf Erteilung eines Wahlscheins für die Stichwahl") erhalten. Diese habe er dazu verwendet, um Nichtwähler zu veranlassen, für die Stichwahl Briefwahlunterlagen zu beantragen. Die Stadtverwaltung selbst habe solche Karten nur vor dem ersten Wahlgang zusammen mit den Briefwahlunterlagen denjenigen Wählern übersandt, die nicht zugleich Briefwahlunterlagen für eine etwaige Stichwahl beantragt hätten. Nach dem ersten Wahlgang seien in den Amtsräumen der Stadt noch Karten teils lose, teils verschweißt vorhanden gewesen. Der Beigeladene habe sich eine unbekannte Anzahl lose herumliegender Karten und von den verschweißten Karten mindestens 20 Stück aushändigen lassen.

4) Weiter habe der Beigeladene eine Wählerin, die ihre Briefwahlunterlagen im Rathaus habe ausfüllen wollen, in den Abstimmungsraum geführt und sei während der Stimmabgabe im Raum geblieben.

5) Schließlich habe der Beigeladene im Vorfeld der Stichwahl während seiner Dienstzeiten und in seiner Funktion als Bürgermeister bei Wahlberechtigten telefonisch nachgefragt, ob sie Briefwahlunterlagen erhalten hätten, erklärt, wie die Briefwahl durchzuführen sei, und angeboten, die Briefwahlunterlagen bei den Wählern abzuholen.

Das Landratsamt A*****-S******* wies nach Anhörung des Beigeladenen und Einvernahme der von den Klägern benannten Zeugen die Wahlanfechtungen mit Bescheid vom 23. Mai 2002 als unbegründet zurück. Die behaupteten Verstöße gegen wahlrechtliche Bestimmungen hätten nicht festgestellt werden können. Für eine Einsichtnahme des Beigeladenen in das Wählerverzeichnis hätten sich aus den Zeugenaussagen keinerlei Anhaltspunkte ergeben. Der unter Nr. 3 gerügte Geschehensablauf sei allerdings zutreffend. Der Beigeladene habe vom Wahlsachbearbeiter ca. 25 "grüne Wahlbenachrichtigungskarten", erhalten und teilweise an Nichtwähler des ersten Wahlgangs gegeben, die damit Briefwahlunterlagen für die Stichwahl beantragt hätten. Darin sei jedoch keine unzulässige Beeinflussung des Inhalts der Stimmrechtsausübung durch die mit der Durchführung der Wahl betraute Behörde oder ein Wahlorgan zu erkennen. Bei den Antragsformularen handle es sich um ein Verlagsprodukt, dass weder von der Stadt noch von den Wahlberechtigten zwingend hätte verwendet werden müssen. Prinzipiell hätte jeder Wahlbewerber die Möglichkeit gehabt, mittels eines selbst entworfenen Vordrucks oder eines formlosen Schreibens wahlberechtigten Bürgern bei der Beantragung der Briefwahlunterlagen behilflich zu sein. Dass sich durch die gerügte Form der Beantragung von Briefwahlunterlagen ein Wähler etwa einer psychologischen Zwangslage habe ausgesetzt fühlen können, sei auszuschließen.

2. Mit ihren Klagen haben die Kläger ihre Anfechtungsgründe wiederholt und sich gegen die tatsächliche und rechtliche Würdigung durch die Rechtsaufsichtsbehörde gewandt.

Sie haben (zuletzt) beantragt,

den Bescheid des Landratsamtes A*****-S******* vom 23. Mai 2002 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Stichwahl vom 17. März 2002 für ungültig zu erklären,

hilfsweise

das Wahlergebnis zu berichtigen.

Der Beklagte hat die Entscheidung der Rechtsaufsichtsbehörde verteidigt und beantragt,

die Klagen abzuweisen.

Der Beigeladene ist dem Vorbringen der Kläger ebenfalls entgegengetreten und hat beantragt,

die Klagen abzuweisen.

Das Verwaltungsgericht hat nach Vernehmung von vier Mitarbeitern der Stadtverwaltung als Zeugen mit Urteil vom 29. Januar 2003 die Klagen in vollem Umfang abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Die Klagen seien im Hauptantrag zulässig, aber unbegründet. Eine Wahl könne nur dann für ungültig erklärt werden, wenn Wahlvorschriften verletzt worden seien und es möglich sei, dass bei Einhaltung der Wahlvorschriften ein anderes Wahlergebnis zu Stande gekommen wäre. Zwar sei die Verletzung wahlrechtlicher Vorschriften festzustellen, doch wirke sich das auf das Wahlergebnis nicht erheblich aus.

Nicht bestätigt habe sich allerdings der Vorwurf der Kläger, dass der Beigeladene vor der Stichwahl unbefugt in das Wählerverzeichnis Einblick genommen oder erhalten habe (Rüge Nr. 1); weder die Aussagen der vom Landratsamt bzw. der Polizei als Zeugen vernommenen Wähler noch die Angaben der vom Gericht als Zeugen angehörten Mitarbeiter des Landratsamtes ergäben Anhaltspunkte für die Richtigkeit des Vorwurfs. Die Ermittlungen hätten ebenfalls nicht ergeben, dass es durch Anrufe des Beigeladenen oder das Abholen der Briefwahlanträge bei Wählern zu Verstößen gegen wahlrechtliche Bestimmungen gekommen sei (Rüge Nr. 5). Ob die Aufbewahrung der Wählerverzeichnisse in der Zeit zwischen dem ersten Wahlgang und der Durchführung der Stichwahl den Anforderungen des § 101 Abs. 1 GLKrWO genügt habe (Rüge Nr. 2), könne offen bleiben. Denn bei dieser Bestimmung handele es sich um eine bloße Ordnungsvorschrift, deren Verletzung noch keine unmittelbaren Folgewirkungen auf den Ausdruck des Wählerwillens habe. Es müsse vielmehr als weiterer Beitrag hinzukommen, dass ein Unbefugter auch tatsächlich Einsicht in die zu verwahrenden Wahlunterlagen nehme. Das aber habe gerade nicht festgestellt werden können. Bestätigt habe sich allerdings das Vorbringen der Kläger, der Beigeladene habe von Bediensteten der Stadtverwaltung "grüne Wahlbenachrichtigungskarten" erhalten und im Rahmen des Wahlkampfes bei Hausbesuchen verwendet (Rüge Nr. 3). Dadurch hätten sowohl die Stadt als auch der Beigeladene als Bürgermeister gegen die für sie bestehende Neutralitätspflicht und gegen den Grundsatz der Chancengleichheit aller Wahlbewerber verstoßen. Denn bei diesen Karten handele es sich um Sachmittel der Wahlbehörde, die zur Verwendung durch die Gemeinde für die Wahl nach den Vorschriften der Gemeinde- und Landkreiswahlordnung, nicht aber zur Verwendung im Wahlkampf durch die Wahlbewerber vorgesehen seien. Zwar dürfe ein Bürgermeister im Wahlkampf für sich werben. Die Grenze des Zulässigen sei jedoch überschritten, weil der Beigeladene sich aufgrund seines Amtes von Bediensteten der Stadtverwaltung Wahlscheinanträge für die Briefwahl habe geben lassen und diese dann bei Hausbesuchen verteilt habe. Zudem habe die Verwaltungsinspektorin Z. auf Anweisung des Beigeladenen (bis zu) sechs oder sieben dieser Wahlscheinanträge nach dessen Angaben für bestimmte Wahlberechtigte mit Schreibmaschine ausgefüllt.

Diese Verstöße gegen die Chancengleichheit und die Neutralitätspflicht würden sich jedoch nicht so auswirken, dass sie das Wahlergebnis zu Gunsten des Gegenkandidaten erheblich verändern könnten. Die vom Beigeladenen verwendeten Karten würden sich von denjenigen, die die Stadt vor Durchführung des ersten Wahlgangs verschickt habe, dadurch unterscheiden, dass die Spalte "Abstimmungsraum" und das Adressfeld "Wahlamt" nicht ausgefüllt seien. Das Wahlamt und die Rechtsaufsichtsbehörde hätten festgestellt, dass 17 solcher Wahlscheinanträge bei der Stadtverwaltung eingegangen seien. In den Wahlunterlagen befinde sich ein weiterer (18.) Wahlscheinantrag ohne Eintragungen des Wahlamtes. Ferner fänden sich vier mit Schreibmaschine ausgefüllte Wahlscheinanträge, möglicherweise also die von der Zeugin Z. auf Anweisung des Beigeladenen erstellten. Demnach sei es in höchstens 22 Fällen zu Wahlrechtsverstößen gekommen. Gehe man davon aus, dass diese Briefwähler den Beigeladenen gewählt hätten, so seien von dessen Wahlergebnis 22 Stimmen abzuziehen. Eine Hinzurechnung dieser Stimmen beim Gegenkandidaten sei nicht veranlasst, weil - wie bei der Verletzung des Antragsprinzips oder sonstiger Vorschriften für Wahlscheinanträge - nur davon auszugehen sei, dass der Bürgermeister lediglich solche Personen zur Stimmabgabe veranlasst habe, die sonst nicht gewählt hätten. Da der Beigeladene mit einem Vorsprung von 37 Stimmen gewählt worden sei, wirkten sich diese Verstöße nicht erheblich auf das Wahlergebnis aus.

Berechtigt sei zwar auch die Rüge Nr. 4 der Kläger. Eine Wählerin habe ihre Briefwahlunterlagen im Sitzungszimmer des Rathauses in Anwesenheit des Beigeladenen ausgefüllt. Das begründe einen Verstoß gegen das Wahlgeheimnis. In diesem Fall müsse die ungültige Stimme nicht nur vom Wahlergebnis des erfolgreichen Bewerbers abgezogen, sondern auch dem unterlegenen Bewerber zugerechnet werden. Gleichwohl verbleibe es für den Beigeladenen immer noch bei einem Vorsprung von 13 Stimmen.

Die Klagen seien auch im Hilfsantrag abzuweisen. Es bestehe für die Kläger kein Rechtsschutzbedürfnis dafür, den Beklagten zu einer Berichtigung des Wahlergebnisses zu verpflichten; denn ein verändertes Wahlergebnis habe keine Auswirkungen auf den Erfolg der Stichwahl.

Das Verwaltungsgericht hat die Berufung gegen sein Urteil wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

3. Die Kläger verfolgen mit ihren Berufungen die Klagen in vollem Umfang weiter und tragen zur Begründung vor:

Das Verwaltungsgericht habe zwar zutreffend festgestellt, dass es im Zusammenhang mit der Verwendung der "grünen Wahlbenachrichtigungskarten" durch den Beigeladenen in (bis zu) 22 Fällen zu Verstößen gegen Wahlvorschriften gekommen sei. Es sei aber zu Unrecht zur Auffassung gelangt, dass diese Verstöße sich nicht auf das Wahlergebnis ausgewirkt haben könnten. Denn die betroffenen 22 Stimmen müssten nicht nur von der Stimmenzahl des Beigeladenen abgezogen, sondern auch zur Stimmenzahl des unterlegenen Bewerbers hinzugezählt werden, weil keine Vermutungen darüber angestellt werden dürften, ob und wie die unzulässig beeinflussten Wähler ohne die Verletzung wahlrechtlicher Vorschriften gewählt hätten. Da der Beigeladene mit einem Vorsprung von nur 37 Stimmen gewonnen habe, hätte es bei ordnungsgemäßem Wahlverlauf deshalb sehr wohl zu einem anderen Wahlergebnis kommen können. Zusammen mit dem vom Verwaltungsgericht zutreffend gewürdigten Verstoß gegen das Wahlgeheimnis seien insgesamt 23 Wahlverstöße festzustellen, die das Wahlergebnis demnach verdunkelten.

Obwohl es hierauf nicht entscheidungserheblich ankomme, werde weiter daran festgehalten, dass der Beigeladene nach dem ersten Wahlgang unzulässigen Einblick in das Wählerverzeichnis erhalten oder genommen habe müsse. Das Verwaltungsgericht hätte die von ihnen, den Klägern, hierzu benannten Zeugen einvernehmen müssen und sich nicht mit der Vernehmung der städtischen Bediensteten begnügen dürfen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufungen zurückzuweisen.

Er hält das angegriffene Urteil jedenfalls im Ergebnis für richtig: Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts liege mit Blick auf die vom Beigeladenen verwendeten "grünen Wahlbenachrichtigungskarten" bereits kein beachtlicher Verstoß gegen die Neutralitätspflicht vor. Denn auch der Gegenkandidat habe die Möglichkeit gehabt, mittels eines von ihm entworfenen Vordrucks oder eines formlosen Schreibens in gleicher Weise den Bürgern bei der Beschaffung der Briefwahlunterlagen behilflich zu sein. Darüber hinaus enthielten die vom Beigeladenen verwendeten Vordrucke keinen Hinweis auf eine amtliche Ausgabe durch die Stadt V******. Die Vordrucke, ein Verlagsprodukt, würden zudem nicht ausschließlich an Kommunen abgegeben; grundsätzlich hätte sie jeder Mitbewerber vom Verlag kaufen können. Selbst wenn man aber mit dem Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang Wahlrechtsverstöße annehmen wollte, so hätten diese sich entgegen der Auffassung der Kläger nicht auf das Wahlergebnis auswirken können. Der Beigeladene habe Wähler allenfalls dazu gebracht, von ihrem Wahlrecht durch Briefwahl Gebrauch zu machen. Damit lasse sich aber nicht der Vorwurf verbinden, der Beigeladene habe auch wahlrechtswidrig das Abstimmungsverhalten der Briefwähler beeinflusst. Die von den Klägern erhobene Forderung, die betreffenden Stimmen müssten dem Gegenkandidaten zugerechnet werden, würde ihrerseits das festgestellte Wahlergebnis verfälschen. Die Möglichkeit, dass der Gegenkandidat diese Stimmen hätte erhalten können, sei ebenso spekulativ wie die Annahme, alle auf diese Weise zur Teilnahme an der Briefwahl veranlassten Wähler hätten ausschließlich für den Beigeladenen votiert. Derartige Wahrscheinlichkeitserwägungen seien unzulässig.

Der Beigeladene hat sich den Ausführungen des Beklagten angeschlossen. Er beantragt ebenfalls,

die Berufungen zurückzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in der mündlichen Verhandlung vom 15. Oktober 2003 die Verwaltungsamtsinspektorin Z. als Zeugin ergänzend zu der Frage vernommen, in welchem Umfang und in welcher Weise sie auf Anweisung des Beigeladenen "grüne Wahlbenachrichtigungskarten" ausgefüllt hat. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme und der weiteren Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift sowie die vorgelegten Behördenunterlagen und die Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufungen der Kläger sind zulässig und begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klagen zu Unrecht abgewiesen. Denn die Kläger haben einen Anspruch darauf, dass die Rechtsaufsichtsbehörde die Wahl zum ersten Bürgermeister der Stadt V****** vom 3. und 17. März 2002 für ungültig erklärt (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Die formellen und materiellen Voraussetzungen des Art. 51 Sätze 1 und 2 i.V.m. Art. 50 Abs. 2 Satz 1 GLKrWG für eine erfolgreiche Wahlanfechtung liegen vor: Die anfechtungsberechtigten Kläger haben die Stichwahl innerhalb von 14 Tagen nach Verkündung des Wahlergebnisses schriftlich angefochten. Die innerhalb der Wahlanfechtungsfrist vorgetragenen Tatsachen im Zusammenhang mit der Ausgabe der "grünen Wahlbenachrichtigungskarten" an den Beigeladenen im Vorfeld der Stichwahl und der Stimmabgabe durch eine Briefwählerin in Anwesenheit des Beigeladenen bei der Stichwahl treffen zu und stellen eine Verletzung von Wahlvorschriften dar (nachfolgend unter 1). Es ist möglich, dass bei Einhaltung der Wahlvorschriften ein anderes Wahlergebnis zustande gekommen wäre (nachfolgend unter 2). Da ein richtiges Wahlergebnis nicht durch rechnerische oder inhaltliche Berichtigung (Art. 50 Abs. 1 Sätze 1 und 2 GLKrWG) erreicht werden kann, ist die Wahl zum ersten Bürgermeister mithin von der Rechtsaufsichtsbehörde im Ganzen für ungültig zu erklären; eine Beschränkung der Ungültigerklärung auf die Stichwahl kommt nicht in Betracht, weil diese zusammen mit dem ersten Wahlgang eine rechtliche Einheit bildet. In diesem - von den Klägern mit ihren Hauptanträgen von Anfang an sinngemäß angestrebten - Umfang haben die Klagen Erfolg.

1. Bei Durchführung der Stichwahl sind folgende, von den Klägern hinreichend substantiiert gerügte Verletzungen wahlrechtlicher Vorschriften festzustellen: a) Ein Wahlverstoß liegt zunächst darin, dass der Beigeladene nach dem ersten Wahlgang von einem Wahlsachbearbeiter der Stadtverwaltung mindestens 22 "grüne Wahlbenachrichtigungskarten" erhalten und im Rahmen seines Wahlkampfs bei Hausbesuchen an Wahlberechtigte verteilt hat (Rüge Nr. 3 der Wahlanfechtung).

Nach Art. 20 Abs. 3 GLKrWG, einer wahlrechtlichen Vorschrift i.S.v. Art. 51 Satz 1 GLKrWG, ist es den mit der Durchführung der Wahl betrauten Behörden und den Wahlorganen u.a. untersagt, den Inhalt der Stimmrechtsausübung in irgendeiner Weise zu beeinflussen. Daraus folgt - in landesrechtlicher Übernahme und Ausgestaltung der bundesrechtlichen Wahlgrundsätze des Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG für den kommunalen Bereich - eine Neutralitätspflicht der genannten Stellen im Kommunalwahlkampf, mit der ein Anspruch der Wahlbewerber auf Chancengleichheit korrespondiert. Art. 20 Abs. 3 GLKrWG verbietet nicht allein die Wahlbeeinflussung im Zusammenhang mit Handlungen, die sich unmittelbar auf die Wahl beziehen, sondern fordert strikte Neutralität während des gesamten Wahlverfahrens (BayVGH vom 27.11.1991 BayVBl 1992, 272; vom 29.11.1995 BayVBl 1996, 145/146 und dazu BVerwGE 104, 323/326; vgl. auch BVerwG vom 8.4.2003 NVwZ 2003, 983/984). Eine unzulässige Wahlbeeinflussung kann aber nur bei solchen Handlungen angenommen werden, die von Amtsträgern in amtlicher Eigenschaft ausgehen und sich gezielt an die Wähler wenden (vgl. VerfGH 47, 1/20 f.). Diese Pflicht zur Neutralität gilt vor allem für die Gemeinde, und zwar sowohl für die der Gemeinde zugeordneten Wahlorgane (Art. 4 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 GLKrWG), als auch für die anderen Organe der Gemeinde und die Gemeindeverwaltung. Denn die Gemeinde ist die zentrale "mit der Durchführung der Wahl betraute Behörde". Ihr obliegen nach den allgemeinen kommunalrechtlichen Zuständigkeitsregelungen kraft staatlichen Auftrags im übertragenen Wirkungskreis wichtige Aufgaben bei der Vorbereitung, Durchführung und Abwicklung der Wahlen (vgl. Waltner/Bauer, Gemeinde- und Landkreiswahlgesetz mit Wahlordnung, 17. Aufl. 2001, RdNr. 8 zu Art. 20 und RdNrn. 1, 5 zu Art. 4 GLKrWG).

Gemessen an diesem Maßstab ist die Neutralitätspflicht in Zusammenhang mit den "grünen Wahlbenachrichtigungskarten" - wie das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen hat - in zweifacher Hinsicht verletzt worden.

Nach dem übereinstimmenden Vorbringen der Hauptbeteiligten und des Beigeladenen, den Angaben der im gerichtlichen Verfahren vernommenen Zeugen sowie den Wahlunterlagen steht folgendes fest: Das Wahlamt der Stadt V****** hat zur Vorbereitung und Durchführung der Wahl von einem Kommunalverlag zwei Arten vorgedruckter Karten bezogen und an die Wahlberechtigten versandt, zum einen weiße Karten mit der Wahlbenachrichtigung auf der Vorderseite (entsprechend dem Muster in Anlage 1, zu Nr. 29 GLKrWBek) und einem Formularantrag auf Erteilung eines Wahlscheins für die Wahl und eine etwaige Stichwahl auf der Rückseite (entsprechend dem Muster in Anlage 2, zu Nr. 29 GLKrWBek); zum anderen grüne Karten, die auf der Vorderseite allgemeine Hinweise zur Durchführung "einer notwendig werdenden Stichwahl" und Felder für die Eintragung von "Stimmbezirk/Wahlverzeichnis-Nr.", "Abstimmungsraum" und der Anschrift des Wahlamtes enthalten sowie auf der Rückseite einen Wahlscheinantrag nur für die Stichwahl. Die weißen Karten wurden (entsprechend § 19 GLKrWO) vor der Auslegung der Wählerverzeichnisse an alle Wahlberechtigten übersandt. Die grünen Karten für die Stichwahl wurden ebenfalls noch vor dem ersten Wahlgang am 3. März 2002 nur an diejenigen Wahlberechtigten verschickt, die (mit Hilfe der weißen Karten) einen Wahlscheinantrag lediglich für den ersten Wahlgang, nicht aber, wie im Formular durch Ankreuzen eines gesonderten Kästchens möglich, auch für eine etwaige Stichwahl gestellt hatten; auf diesen grünen Karten hatten Mitarbeiter des Wahlamtes vor der Versendung die Spalte "Abstimmungsraum" und das Adressfeld - teils mit Stempel, teils per Hand - ausgefüllt. Grund für die frühzeitige Übersendung der grünen Karten war die allgemeine Erwartung, dass eine Stichwahl in jedem Fall erforderlich werde. Nach dem ersten Wahlgang hat das Wahlamt vereinzelt noch weiße Karten an Wahlberechtigte ausgegeben, die dort mit der Bitte um Ausstellung von Briefwahlunterlagen für die Stichwahl vorgesprochen haben (so der Zeuge L. vor dem Verwaltungsgericht). Grüne Karten hat das Wahlamt hingegen - unstreitig - nicht mehr an Wahlberechtigte ausgehändigt. Lediglich der Beigeladene erhielt vom Wahlsachbearbeiter M. etwa 35 grüne Blankokarten, nachdem er diesem mitgeteilt hatte, dass er bei Hausbesuchen von Wahlberechtigten darauf angesprochen worden sei, dass sie keine Karten (mehr) hätten, und er ihnen daraufhin versprochen habe, solche Karten zu besorgen. Den überwiegenden Teil dieser Karten verteilte der Beigeladene dann bei (erneuten oder erstmaligen) Hausbesuchen an Wahlberechtigte; auf wenigen (bis zu 6 oder 7) Karten hatte der Beigeladene zuvor von der in seinem Vorzimmer tätigen Verwaltungsamtsinspektorin Z. die Wahlscheinanträge nach seinen Angaben mit den Daten bestimmter Wahlberechtigter ausfüllen lassen. In einigen Fällen nahm der Beigeladene die von den Wahlberechtigen unterschriebenen Anträge wieder mit und gab sie im Wahlamt ab.

Ein Verstoß gegen Art. 20 Abs. 3 GLKrWG ist zunächst darin zu erblicken, dass das Wahlamt (durch den Sachbearbeiter M. mit Einwilligung des Beigeladenen in seiner Eigenschaft als erster Bürgermeister) grüne Karten an nur einen der beiden Stichwahlbewerber zur Verwendung im Wahlkampf, also gezielt mit Außenwirkung, herausgegeben hat. Es liegt auf der Hand, dass dem so bevorzugten Bewerber mit dem "Rückenwind" der amtlich verwendeten und den Wahlberechtigten deshalb bekannten Vordrucke die Wahlwerbung bei potentiellen Briefwählern spürbar erleichtert wurde. Sein Vorteil liegt weniger in der - geringen - Kostenersparnis gegenüber der Anschaffung eigener Formulare, als vielmehr in der "werbewirksamen" Möglichkeit, sich mit Hilfe von Sachmitteln des Wahlamtes als der aktivere und kompetentere, mit der Gemeindeverwaltung zum Nutzen der Wahlberechtigten zusammenarbeitende Bürgermeisterkandidat präsentieren zu können. Deshalb ist es entgegen der Ansicht der Rechtsaufsichtsbehörde unerheblich, dass auf den dem Beigeladenen ausgehändigten Karten im Gegensatz zu den vom Wahlamt verschickten keine amtlichen Eintragungen zum Abstimmungsraum und zur Anschrift des Wahlamtes angebracht waren. Der Verstoß gegen die Neutralitätspflicht kann auch nicht mit der Erwägung als unbeachtlich angesehen werden, dass der Mitbewerber durch die Ausgabe selbst entworfener Vordrucke hätte "gleichziehen" können, weil Wahlscheinanträge keiner besonderen Form bedürfen (vgl. § 26 Abs. 1 GLKrWO); denn damit wäre der besondere Vorteil aus der Verwendung der "offiziellen" Formulare nicht ausgeglichen worden. Auch die nachträgliche Erklärung seitens der Wahlbehörde, sie hätte dem Mitbewerber auf entsprechende Anfrage ebenfalls grüne Karten ausgehändigt, hebt den Wahlrechtsverstoß nicht auf. Die Chancengleichheit wäre allenfalls dann gewahrt gewesen, wenn dieses Angebot rechtzeitig vor der Stichwahl erfolgt wäre. Schließlich kann auch das Argument nicht überzeugen, der Mitbewerber hätte den Wahlrechtsverstoß aus eigener Kraft durch den Erwerb grüner Karten bei dem Verlag abwehren können. Selbst wenn dem Mitbewerber die Ausgabe grüner Karten an den Beigeladenen vor der Stichwahl bekannt geworden sein sollte, so wäre eine solche "Selbsthilfe" schon mit Blick auf die verbleibende kurze Zeitspanne von wenigen Tagen bis zur Stichwahl nicht zumutbar gewesen.

Hinzu tritt ein weiterer (selbstständiger) Verstoß gegen die Neutralitätspflicht durch den Beigeladenen. Die Grenzen für die zulässige Betätigung eines Bürgermeisters im kommunalen Wahlkampf sind überschritten, wenn ein Bürgermeister das ihm aufgrund seiner amtlichen Tätigkeit zufallende Gewicht und die ihm kraft seines Amtes gegebenen Einflussmöglichkeiten in einer Weise nutzt, die mit seiner der Allgemeinheit verpflichteten Aufgabe unvereinbar ist (vgl. BVerwGE 104, 323/327). Mit diesem Inhalt ist Art. 20 Abs. 3 GLKrWG insbesondere auch auf den Bürgermeister anwendbar, der sich - wie der Beigeladene - erneut zur Wahl stellt. Er wird dadurch nicht daran gehindert, überhaupt Wahlkampf zu betreiben. Art. 20 Abs. 3 GLKrWG verbietet lediglich die Ausnützung einer obrigkeitlichen Stellung zur Einflussnahme auf die Wahlberechtigten, nicht aber eine allgemeine Betätigung, wie sie jedem Bürger erlaubt ist (BayVGH vom 27.11.1991 a.a.O.). Der Beigeladene hat durch das Verteilen der grünen Karten die ihm als Bürgermeister gezogenen Grenzen bei Wahlkampfaktivitäten überschritten. Freilich stellt der bloße Hinweis auf die rechtlichen Möglichkeiten einer Briefwahl keine verbotene Beeinflussung dar; ebenso wenig ist es zu beanstanden, wenn ein sich zur Wiederwahl stellender Bürgermeister als Bote der Gemeinde bei der Verteilung von Wahlbenachrichtigungskarten oder Wahlscheinanträgen mitwirkt (vgl. BayVGH vom 7.10.1992 Az. 4 B 92.606 und 4 C 92.1455). Der Beigeladene hat sich aber gerade nicht auf solche Hinweise oder eine Botentätigkeit beschränkt. Er hat vielmehr die grünen Karten gezielt bei Hausbesuchen ausgegeben, um "zögernde" Wahlberechtigte mit solchen die Wahlausübung spürbar vereinfachenden Hilfsdiensten für sich zu gewinnen. Er ist dabei schon durch die Verwendung der "amtlichen" Karten aus der Sicht der Wahlberechtigten erkennbar in seiner Eigenschaft als Bürgermeister aufgetreten und hat augenfällig seine ihm kraft Amtes eröffnete "Zugriffsmöglichkeit" auf die Stadtverwaltung zum Ausdruck gebracht. Das stellt eine unzulässige Einflussnahme unter Ausnutzung des Amtes als Bürgermeister dar.

b) Eine weitere Verletzung von Wahlvorschriften ist darin zu erblicken, dass der Beigeladene bei Ausübung der Briefwahl durch eine Wählerin im Rathaus zugegen war (Rüge Nr. 4 der Wahlanfechtung).

Wenn eine wahlberechtigte Person die Briefwahlunterlagen bei der Gemeinde abholt und an Ort und Stelle die Briefwahl ausüben will, ist nach § 30 Abs. 2 Satz 2 GLKrWO sicherzustellen, dass der Stimmzettel unbeobachtet gekennzeichnet und in den Wahlumschlag gelegt werden kann. Gegen diese dem Schutz des Wahlgeheimnisses dienende Bestimmung ist verstoßen worden. Als eine Wählerin (Frau R.) im Rathaus ihren Stimmzettel ausfüllen wollte, sperrte der Beigeladene ihr ein Zimmer auf und blieb während des Wahlvorgangs als einzige weitere Person im Raum. Das ergibt sich aus den Angaben der im Verwaltungsverfahren als Zeugin vernommenen Wählerin (Beiakte 2 Bl. 83 f.) und wird vom Beigeladenen auch nicht bestritten. Selbst wenn der Beigeladene zum Fenster hinaus geschaut haben sollte, so war damit jedenfalls nicht hinreichend sichergestellt, dass der Stimmzettel unbeobachtet gekennzeichnet und in den Wahlumschlag gelegt werden konnte. Das Verhalten des Beigeladenen stellt zudem eine Wahlbeeinflussung und mithin zusätzlich einen Verstoß gegen § 20 Abs. 3 GLKrWG dar. Allein durch die Anwesenheit des sich zur Wiederwahl stellenden Bürgermeisters (noch dazu als einziger weiterer Person) in dem der Briefwählerin zugewiesenen Raum wird unzulässiger Einfluss auf den Inhalt der Stimmrechtsausübung genommen. Ob die Briefwählerin die Anwesenheit des Beigeladenen in dieser Weise empfunden hat, ist ebenso unbeachtlich, wie die Frage, ob es tatsächlich zu einer Beeinflussung gekommen ist (vgl. Büchner, Kommunal-Wahlrecht in Bayern, RdNr. 2 zu Art. 20 GLKrWG).

c) Die von den Klägern weiter geltend gemachten Verletzungen von Wahlvorschriften (Rügen Nrn. 1, 2 und 5) können hingegen nicht festgestellt werden. Insoweit wird auf die überzeugenden Erwägungen im angegriffenen Urteil Bezug genommen, denen die Kläger nichts Stichhaltiges entgegen halten.

2. Es besteht - abweichend von der Beurteilung durch das Verwaltungsgericht - die Möglichkeit, dass bei Einhaltung der Wahlvorschriften ein anderes Wahlergebnis zustande gekommen wäre (Art. 51 Satz 2 i.V.m. Art. 50 Abs. 2 Satz 1 GLKrWG).

Bei Prüfung der sog. Verdunkelungsmöglichkeit dürfen keine Wahrscheinlichkeitserwägungen angestellt werden (vgl. BayVGH vom 29.11.1995 a.a.O., ständige Rspr.). Entscheidend kommt es vielmehr darauf an, ob eine hinreichend konkrete, nicht nur ganz fern liegende theoretische Möglichkeit besteht, dass bei Einhaltung der Wahlvorschriften ein anderes Wahlergebnis zustande gekommen wäre. Unbeachtlich sind demnach Vermutungen, die festgestellten Wahlrechtsverstöße ließen auf weitere schließen, wie umgekehrt die Überlegung, dass die unter Beeinflussung oder unter Bruch des Wahlgeheimnisses abgegebenen Stimmen bei einwandfreiem Wahlvorgang mit dem gleichen Votum abgegeben worden wären. Ausschlaggebend ist, ob die festgestellten Wahlrechtsverstöße ohne solche Wahrscheinlichkeitsberechnungen so viele Stimmen erfassen, dass der gewählte Bewerber, wären diese Stimmen nicht auf ihn, sondern gegebenenfalls auf seinen Mitbewerber entfallen, nicht gewählt gewesen wäre (vgl. VGH n.F. 14, 47/50).

a) Von den Wahlrechtsverstößen sind 23 Stimmen betroffen, und zwar neben der einen Stimme, die in Anwesenheit des Beigeladenen abgegeben worden ist (oben 1 b), noch 22 Stimmen, die von der unzulässigen Wahlwerbung in Zusammenhang mit den grünen Karten erfasst sind (oben 1a). Beim Wahlamt sind - wie der Verwaltungsgerichtshof ergänzend aufgeklärt hat - ausweislich der vorliegenden Unterlagen 19 Wahlscheinanträge für die Stichwahl auf grünen Karten eingegangen, bei denen auf der Vorderseite die Spalte "Abstimmungsraum" und das Adressfeld "An das Wahlamt" nicht ausgefüllt sind (Wahlschein-Nrn. 300, 443, 519, 522, 523, 525, 527, 528, 529, 530, 531, 532, 534, 535, 536, 592, 615, 619 und 621). Bei diesen Karten handelt es sich um die vom Beigeladenen verteilten (Blanko-)Karten, weil das Wahlamt die Vordrucke nur mit den entsprechenden Eintragungen an die Wahlberechtigten verschickt hatte. Hinzu kommen drei weitere, mit Schreibmaschine ausgefüllte Karten (Wahlschein-Nrn. 468, 485 und 491). Diese Karten wurden von der Verwaltungsamtsinspektorin Z. bei ihrer Zeugeneinvernahme vor dem Senat als diejenigen erkannt, die sie auf Bitte des Beigeladenen nach dessen Angaben für bestimmte Wahlberechtigte vorbereitet hat; das wird durch das ersichtlich von derselben Schreibmaschine stammende Schriftbild und die "professionelle" Positionierung der Einträge im Vordruck bestätigt. Der Beigeladene hat bereits vor dem Verwaltungsgericht angegeben und in der Berufungsverhandlung wiederholt, dass er Frau Z. zum Ausfüllen nur solche grüne Karten gegeben hat, die er selbst vom Wahlsachbearbeiter M. erhalten hatte.

b) Zur Prüfung der Verdunkelungsmöglichkeit muss die eine Briefwahlstimme, die in Anwesenheit des Beigeladenen abgegeben worden ist, mit dem Verwaltungsgericht vom Wahlergebnis des Beigeladenen abgezogen und demjenigen des Mitbewerbers hinzugerechnet werden. Entsprechendes gilt entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts auch für die 22 Stimmen, die unter dem Einfluss der unzulässigen Wahlwerbung mit den grünen Karten abgegeben worden sind.

Zunächst kann mit hinreichender Sicherheit davon ausgegangen werden, dass alle 22 Wahlberechtigten, die mit den vom Beigeladenen erhaltenen grünen Karten Wahlscheine und Briefwahlunterlagen beantragt haben, bei der Stichwahl ihre Stimme tatsächlich auch abgegeben haben. Denn sie haben alle ihre Wahlscheine mit der Versicherung an Eides statt zur Briefwahl und damit wohl auch die Wahlumschläge mit den Stimmzetteln (vgl. § 72 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 GLKrWO) an das Wahlamt zurückgeschickt; die Rechtsaufsichtsbehörde hat die entsprechenden Wahlscheine im Berufungsverfahren vorgelegt. Aus den Unterlagen ist ferner ersichtlich, dass die Wählerin, die bereits im Besitz der Briefwahlunterlagen war und mit Hilfe der vom Beigeladenen erhaltenen Karte nur einen zweiten - gegenstandslosen - Antrag gestellt hatte (Wahlschein-Nr. 300), ihren Stimmzettel mit Blick auf das auf dem Wahlschein vermerkte Datum erst nach der Einflussnahme durch den Beigeladenen ausgefüllt haben dürfte; ihre Stimme ist deshalb ebenfalls zu berücksichtigen.

Die Stimmrechtsausübung in diesen 22 Fällen kann nach allgemeiner Lebenserfahrung durchaus greifbar von der unzulässigen Wahlwerbung mit den grünen Karten beeinflusst worden sein. Eine Einflussnahme kommt dabei nicht nur insoweit in Betracht, als der Beigeladene potentielle Nichtwähler zur Stimmabgabe zu seinen Gunsten veranlasst haben könnte. Die Verletzung der Neutralitätspflicht kann ebenso auch einen bereits zur Wahl des Mitbewerber Entschlossenen umgestimmt haben. Wahrscheinlichkeitserwägungen darüber, ob und wie die Stimmen bei ordnungsgemäßem Wahlverfahren abgegeben worden wären, verbieten sich jedoch. Es bleibt vielmehr bei dem allgemeinen Grundsatz, dass die von den Wahlbeeinflussungen erfassten Stimmen vom Wahlergebnis des gewählten Bewerbers abzuziehen und dem Ergebnis des Mitbewerbers hinzuzurechnen sind. Den vom Verwaltungsgericht für seine Auffassung herangezogenen Entscheidungen des Senats vom 13. Juli 1979 (VGH n.F. 32, 106 ff) und vom 10.8.1979 (BayVBl 1980, 148) lässt sich nichts Gegenteiliges entnehmen: Sie betrafen andersartige Sachverhaltsgestaltungen, bei denen ungültige Stimmen infolge tendenzloser Wahlrechtsverstöße als wirksam gewertet worden waren, aber eine gültige Stimmabgabe auch ohne die Verletzung wahlrechtlicher Vorschriften nicht mehr möglich oder zu erwarten gewesen wäre. Dass solche Stimmen nur vom Ergebnis des gewählten Bewerbers abgezogen, beim Unterlegenen indes mangels Gültigkeit nicht hinzugerechnet werden können, liegt auf der Hand. Damit ist der vorliegende Fall einer unzulässigen Wahlbeeinflussung allerdings nicht vergleichbar.

Wären die von den Wahlrechtsverstößen erfassten 23 Stimmen nicht auf den Beigeladenen, sondern auf den Mitbewerber entfallen, so wäre letzterer gewählt gewesen; denn der Beigeladene hat die Stichwahl mit einem Vorsprung von nur 37 Stimmen gewonnen.

3. Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen hat der Beklagte als Unterlegene zu tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO). Der Beigeladene wurde an den Kosten beteiligt, weil er in beiden Rechtszügen ohne Erfolg Anträge gestellt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO). Dem Beklagten die überwiegende Kostenlast aufzubürden (§ 159 Satz 1 VwGO, § 100 Abs. 2 ZPO), beruht auf der Überlegung, dass das Wahlanfechtungsverfahren in erster Linie dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der Wahlvorschriften dient; das Interesse der Bewerber an der Erhaltung ihrer Position tritt demgegenüber zurück (BayVGH vom 19.11.1991 Az. 4 B 91.1397).

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10 und § 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Beschluss:

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 4.000 Euro festgesetzt. (§ 13 Abs. 1 Satz 2, § 14 GKG; s. auch BayVGH vom 25.7.1996 NVwZ-RR 1997, 755).

Ende der Entscheidung

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