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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 04.03.2008
Aktenzeichen: 4 BV 07.1329
Rechtsgebiete: GO, GG


Vorschriften:

GO Art. 54 Abs. 3
GG Art. 5 Abs. 1
GG Art. 70 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

4 BV 07.1329

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Abschriften (Ablichtungen) von Sitzungsprotokollen;

hier: Berufung der Beteiligten gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 18. April 2007,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 4. Senat,

durch die Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgerichtshof Dr. Motyl, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Schmitz, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Greve-Decker

ohne mündliche Verhandlung am 4. März 2008

folgendes Urteil:

Tenor:

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 18. April 2007 wird aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe der vollstreckbaren Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der im Gebiet der Beklagten wohnende Kläger verlangt von der Beklagten die Überlassung von Ablichtungen der Sitzungsprotokolle der Stadtratssitzungen vom 18. März 2004 (betreffend den Haushaltsplan 2004 mit Grundsteuererhöhung) und vom 3. August 2006 (betreffend Marktplatz-Finanzierungsplan) an ihn.

Seine diesbezüglichen Anträge lehnte die Beklagte ab, bot ihm jedoch jeweils die Einsichtnahme in die Protokolle an. Damit gab sich der Kläger jedoch nicht zufrieden. Er berief sich auf das Grundrecht der Informationsfreiheit und auf § 7 Abs. 4 des Gesetzes zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes (IFG), wonach sich der Antragsteller im Falle der Einsichtnahme in amtliche Informationen Notizen machen oder Ablichtungen fertigen lassen könne. Das vom Kläger diesbezüglich angeschriebene bayerische Staatsministerium des Innern teilte ihm mit Schreiben vom 8. März 2006 mit, dass das Informationsfreiheitsgesetz nur für die Behörden des Bundes gelte, nicht aber für Behörden des Freistaates Bayern oder die Kommunen. Er wurde auf die Vorschrift des Art. 54 Abs. 3 Satz 2 der bayerischen Gemeindeordnung hingewiesen, die ein Einsichtsrecht für alle Gemeindebürger in Niederschriften über die öffentlichen Gemeinderatssitzungen normiere. Die Erteilung von Abschriften sei dagegen gesetzlich nicht geregelt. Die Einführung einer solchen gesetzlichen Pflicht sei auch weder beabsichtigt noch angezeigt.

Das Verwaltungsgericht hat der am 3. November 2006 erhobenen Klage gegen die Beklagte stattgegeben und diese verpflichtet, dem Kläger die verlangten Abschriften zu überlassen. Zur Begründung führt es aus, der Beklagten sei die Erteilung von Ablichtungen der Niederschriften über öffentliche Gemeinderatssitzungen nicht untersagt, vielmehr könne sie solche nach Ermessen gewähren. Dieses Ermessen der Beklagten sei hier auf Null reduziert. Bei der streitgegenständlichen Sitzungsniederschrift über den öffentlichen Haushaltsplan 2004 handele es sich um ein umfangreiches Zahlenwerk von großer Öffentlichkeitsrelevanz. Die Beschränkung auf die Einsichtnahme und das Fertigen von Notizen bedeute eine unzumutbare Erschwernis für den interessierten Bürger. Der Verwaltungsaufwand für die Erstellung von Ablichtungen sei dagegen nicht nennenswert.

Dasselbe gelte für die beantragte Ablichtung über die Sitzungsniederschrift vom 3. August 2006. Für den freien Meinungsaustausch, der eine der Grundfesten einer demokratischen Gesellschaft darstelle, sei es wichtig, dass man das der Diskussion zu Grunde liegende Zahlenwerk in Form einer Ablichtung zur Verfügung gestellt bekomme. Die gegen die begehrte Erteilung von Ablichtungen genannten Gründe der Beklagten seien nicht stichhaltig.

Die am Verfahren als Vertreter des öffentlichen Interesses beteiligte Landesanwaltschaft Bayern hat gegen dieses Urteil die darin wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassene Berufung eingelegt. Diese begründet sie im Wesentlichen damit, dass das Verwaltungsgericht zu Unrecht von einer Ermessensreduzierung auf Null ausgehe. Die Informationsmöglichkeit der Gemeindebürger über die getroffenen Entscheidungen des Gemeinderats sei trotz des auf Einsicht beschränkten Rechts aus Art. 54 Abs. 3 Satz 2 GO hinreichend sichergestellt. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts müsse auch der mit dem Herstellen von Ablichtungen verbundene Verwaltungsaufwand Berücksichtigung finden, wobei gerade der Umfang eines Haushaltsplanes für eine Gemeinde in der Größenordnung der Beklagten nur die Einsichtnahme zulasse. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts gehe über das vom Gesetzgeber ausdrücklich Gewollte hinaus. Dass dieser im Rahmen der Novellierungen der Gemeindeordnung in den letzten Jahrzehnten gerade keinen subjektiv-öffentlichen Anspruch aller Gemeindebürger auf Ablichtungen von Niederschriften über öffentliche Gemeinderatssitzungen normiert habe, spreche gegen die grenzenlose Ausweitung des - allein geregelten - Einsichtsrechts. Es liege auch keine inhaltliche Überholung der Norm vor, vielmehr habe der Gesetzgeber auch in Kenntnis der modernen Bürotechniken die Regelung hinsichtlich der erweiterten Informationsrechte für Gemeinderatsmitglieder einerseits und der (nur) eingeschränkten Informationsrechte der Gemeindebürger andererseits beibehalten.

Das Demokratieprinzip gebiete keine Ausdehnung der Rechtsstellung des Gemeindebürgers auf einen Anspruch auf Ablichtungen. Die erforderliche Transparenz sei durch das Einsichtsrecht auf ganzer Linie gewahrt.

Die Landesanwaltschaft Bayern als Vertreter des öffentlichen Interesses beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 18. April 2007 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger, der nicht anwaltlich vertreten ist, verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Er weist insbesondere darauf hin, dass Demokratie unabdingbar Transparenz erfordere. Er sei bei den Sitzungen des Stadtrates der Beklagten anwesend gewesen, habe aber leider nur einen Teil verstehen können, da hinsichtlich der Lautstärke der Wortbeiträge keine Rücksicht auf Senioren genommen worden sei. Neben dem bayerischen Landtag stellten bereits auch mehrere Gemeinden/Städte ihre Sitzungsprotokolle ins Internet, um das Grundrecht der Informationsfreiheit sicherzustellen. Geheimniskrämerei erzeuge dagegen Misstrauen.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und auf die Prozessakten des Verwaltungsgerichts Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Entscheidung konnte ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergehen, nachdem die Beteiligten einvernehmlich darauf verzichtet haben (§ 125 Abs. 1, § 101 Abs. 2 VwGO).

Die zulässige Berufung führt zur Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts und zur Abweisung der Klage, da der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Ablichtungen gegen die Beklagte hat.

1. Ein solcher Anspruch ergibt sich nicht aus Art. 54 Abs. 3 Satz 2 GO. In dieser Vorschrift hat der für die Gesetzgebung auf dem Gebiet des Kommunalwesens zuständige bayerische Gesetzgeber (Art. 70 Abs. 1 GG) geregelt, in welcher Form und in welchem Umfang der Öffentlichkeit - über die Gestattung einer Teilnahme an öffentlichen Sitzungen der Kommunalvertretungen hinaus - Gegenstand und Ergebnis solcher Sitzungen bekannt zu machen sind und wie das Informationsbedürfnis der Gemeindebürger über die Art und Weise der Sachbehandlung einzelner Themen im Gemeinderat zu befriedigen ist.

Danach hat der Gesetzgeber allen Gemeindebürgern (nur) das Recht eingeräumt, Einsicht in die Niederschriften über öffentliche Sitzungen zu nehmen. Damit ist zugleich die Grenze des Rechts aufgezeigt. Denn in Satz 1 der genannten Vorschrift wird den Mitgliedern des Gemeinderats über das (bloße) Einsichtnahmerecht hinaus auch ein - auf die gefassten Beschlüsse - beschränktes Recht eingeräumt, sich Abschriften erteilen zu lassen. Ein Recht auf Abschriften der vollständigen Niederschriften steht somit nicht einmal den Gemeinderatsmitgliedern zu; dann kann dies erst recht nicht dem (einfachen) Gemeindebürger zustehen. Daraus ist zu folgern, dass sich das Einsichtsrecht der Gemeindebürger nach dem Willen des Gesetzgebers auf die tatsächliche Einsichtnahme beschränken sollte und eben nicht das Recht auf Erteilung von Ablichtungen umfasst.

Dieser Wille des Gesetzgebers ist auch nicht etwa überholt. Dafür gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Denn auch im Rahmen verschiedener Gesetzesänderungen in der Vergangenheit hat der bayerische Landesgesetzgeber keinen Anlass gesehen, das in Art. 54 Abs. 3 Satz 2 GO normierte Einsichtnahmerecht der Gemeindebürger um das Recht auf Ablichtungen der Niederschrift über öffentliche Ratssitzungen zu erweitern.

2. Der bayerische Landesgesetzgeber hat dadurch, dass er es unterlassen hat, dem Bürger einen generellen Anspruch auf Ablichtungen solcher Niederschriften zu verleihen, keine verfassungsrechtlichen Gebote verletzt. Insbesondere wird dadurch nicht gegen das dem Einzelnen aus Art. 5 Abs. 1 GG zustehende Grundrecht der Informationsfreiheit verstoßen. In der freiheitlichen Demokratie ist diesem Grundrecht zwar eine besondere Bedeutung beizumessen, weil es konstituierend für die Freiheit der öffentlichen Meinung und damit wiederum grundlegend für das Existieren und Funktionieren eines demokratischen Staates ist. Jedoch gewährt Art. 5 Abs. 1 GG schon nach seinem Wortlaut nur das Recht, sich aus einer "allgemein zugänglichen Quelle" ungehindert zu unterrichten. Dabei ist das Erfordernis der Allgemeinzugänglichkeit in der Regel nur dann erfüllt, wenn die Informationsquelle technisch geeignet und bestimmt ist, der Allgemeinheit Informationen zu verschaffen (BVerfGE 27, 71/83; BVerfGE 27, 104/108). Das ist hinsichtlich der Sitzungsprotokolle einer kommunalen Bürgervertretung auch dann nicht der Fall, wenn diese öffentlich getagt hat (OVG Lüneburg NVwZ 1986, 496/498; v. Mangold/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, 5. Auflage, RdNr. 50 zu Art. 5). Deren Zweckbestimmung liegt nicht in der Unterrichtung der Allgemeinheit, sondern darin, den Mitgliedern des Gemeinderates und der Verwaltung eine zuverlässige Grundlage für ihre (weitere) Tätigkeit zu geben.

3. Zwar ist nach dem oben Dargelegten mit dem Einsichtsrecht für Gemeindebürger nicht auch deren Recht verbunden, sich Abschriften bzw. Fotokopien der Niederschriften fertigen zu lassen; die Erteilung solcher Abschriften ist den Gemeinden aber auch nicht untersagt, so dass sie bei begründetem Anlass nach Ermessen gewährt werden kann (vgl. Hölzl/Hien, Kommentar zur Bayerischen Gemeindeordnung, RdNr. 5b zu Art. 54; Widtmann/Grasser, Kommentar zur GO, RdNr. 15 zu Art. 54).

Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts ist vorliegend von einer Ermessensreduzierung auf Null nicht auszugehen. Dies wäre nur dann zu bejahen, wenn sich der Ermessensspielraum der Beklagten unter den gegebenen Umständen so verengt hätte, dass jedes andere als das geforderte Verhalten ermessensfehlerhaft erschiene, d.h. wenn die Weigerung willkürlich erfolgt wäre oder wenn einem berechtigten Interesse des Klägers ein öffentliches Interesse nicht entgegenstünde. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Der Kläger hat nach eigenen Angaben an den öffentlichen Sitzungen des Stadtrates der Beklagten vom 18. März 2004 und 3. August 2006 teilgenommen. Er konnte dort den Ausführungen folgen, auch wenn er akustisch nicht jedes Wort verstanden haben sollte. Die Beklagte gewährte ihm darüber hinaus auch Einsicht in die gefertigten Niederschriften, wodurch er die ihm möglicherweise während der Sitzung entgangene Informationen nachträglich erlangen kann. Es ist nicht erkennbar, dass der Kläger durch die Ablehnung, ihm Ablichtungen dieser Niederschriften zu überlassen, gegenüber anderen Gemeindebürgern so benachteiligt würde, dass er sein Informationsbedürfnis nicht in zumutbarer Weise befriedigen könnte. Nur dann aber könnte angesichts der klaren gesetzgeberischen Entscheidung, dem Öffentlichkeitsprinzip und der Verwaltungstransparenz durch das Einräumen (lediglich) eines Einsichtsrechts Genüge zu tun, möglicherweise die Annahme einer Ermessensreduzierung auf Null gerechtfertigt sein. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts kann daher der Umstand, dass es sich beim Haushaltsplan um ein umfangreiches Zahlenwerk handelt, keinen Anspruch auf Fertigung von Kopien rechtfertigen.

4. Die Frage, ob es sich empfiehlt, das Interesse des Bürgers an der gemeindlichen Selbstverwaltung nicht nur durch Ermöglichung der Teilnahme als Zuhörer in den öffentlichen Sitzungen sowie durch Einräumung von Einsichtsrechten in die Niederschriften, sondern auch durch allgemeine Veröffentlichung dieser Niederschriften, beispielsweise im Internet, zu fördern, liegt auf dem Gebiet der Rechtspolitik und ist nicht durch die Rechtsprechung zu entscheiden, sondern durch die Gemeinde oder die Landesgesetzgebung.

5. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Ihre vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da kein Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Beschluss:

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 5.000 Euro festgesetzt (§ 52 Abs. 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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