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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 01.03.2007
Aktenzeichen: 5 BV 05.1783
Rechtsgebiete: GG, BayVwVfG, RuStAG, BGB


Vorschriften:

GG Art. 16
BayVwVfG Art. 48
RuStAG § 9
BGB § 166
Zum arglistigen Erschleichen als subjektive Voraussetzung für die Rücknahme einer Einbürgerung.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

5 BV 05.1783

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Rücknahme einer Einbürgerung;

hier: Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 23. März 2005,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 5. Senat,

durch den Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofs Hüffer, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Prof. Dr. Kraft, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Schmitz

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 28. Februar 2007

am 1. März 2007

folgendes Urteil:

Tenor:

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.

II. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, sofern nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin, eine geborene marokkanische Staatsangehörige, wendet sich gegen die Rücknahme ihrer Einbürgerung.

Die Klägerin heiratete am 30. Dezember 1997 in Marokko den deutschen Staatsangehörigen Heinz W. und reiste im Mai 1998 in das Bundesgebiet ein. Sie erhielt zuletzt am 21. Mai 2001 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis.

Am 31. Mai 2002 beantragte sie bei der Stadt Nürnberg ihre Einbürgerung. Das Antragsformular enthält unter der Rubrik "Angaben zur Person" zum Familienstand nur die anzukreuzenden Varianten: "ledig, verheiratet, verwitwet, geschieden seit.........". In dem von der Klägerin unterzeichneten Formblattantrag ist unter 6. u.a. ausgeführt:

"Richtigkeit der Angaben und Mitteilungspflichten:

Ich versichere die Richtigkeit meiner Angaben. Ich habe davon Kenntnis, dass falsche oder unvollständige Angaben zur Ablehnung oder zur Zurücknahme der Einbürgerung führen können. Ich verpflichte mich, Änderungen meiner persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse unverzüglich mitzuteilen."

Nach einem erfolglosen Versuch (21.6.2002) und dem wegen eines Krankenhausaufenthalts versäumten Termin vom 2. Oktober 2002 bestand die Klägerin im November 2002 den Sprachtest. Die Einbürgerungsurkunde der Regierung von Mittelfranken vom 11. April 2003 wurde ihr am 23. April 2003 durch die Stadt Nürnberg ausgehändigt. Die Unterlagen (Pass und Anschreiben an die Marokkanische Botschaft) betreffend den Verzicht auf die marokkanische Staatsangehörigkeit wurden nicht an die marokkanischen Behörden weitergeleitet.

Nachdem die Klägerin am 11. August 2003 bei der Stadt Nürnberg vorgesprochen hatte, um die Kopie des Bescheids des Arbeitsamtes über den Nichtbezug von Leistungen "zwecks Scheidung" zu erhalten und sie gegenüber dem Einwohneramt im Dezember 2003 erklärt hatte, seit September 2002 getrennt zu leben, hörte die Regierung von Mittelfranken sie zur beabsichtigten Rücknahme der Einbürgerung an. In der Stellungnahme ihres Verfahrensbevollmächtigten wurde ausgeführt, dass die Ehe aufgrund vorübergehender Streitigkeiten geschieden worden sei. Die Partner hätten sich jedoch wieder versöhnt und beabsichtigten kurzfristig, die Ehe wieder miteinander einzugehen; sie würden seit geraumer Zeit wieder zusammenleben. Die Klägerin habe im Einbürgerungsverfahren keine falschen Angaben gemacht; zu den Zeitpunkten, zu denen sie bei der Stadt Nürnberg vorgesprochen habe, hätten die seinerzeitigen Eheleute nicht getrennt gelebt.

Mit Bescheid der Regierung von Mittelfranken vom 27. Mai 2004 wurde die Einbürgerung der Klägerin zurückgenommen und diese verpflichtet, ihre Einbürgungsurkunde innerhalb einer Woche ab Unanfechtbarkeit dieses Bescheids zurückzusenden. Zur Begründung wurde darauf abgestellt, dass die auf § 9 Abs. 1 StAG gestützte Einbürgerung zum Zeitpunkt ihres Wirksamwerdens rechtwidrig gewesen sei; denn die Behörde sei von einer fortbestehenden ehelichen Lebensgemeinschaft ausgegangen. Bei der Ermessensentscheidung über die Rücknahme gebe es keine Gesichtspunkte, die eine für die Klägerin positive Ausübung des Ermessens rechtfertigen könnten. Die Klägerin habe sich im Einbürgerungsantrag verpflichtet, Änderungen ihrer persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse unverzüglich mitzuteilen. Sie hätte also die Trennung mitteilen müssen und dies nicht getan. Die Wiederaufnahme der Lebensgemeinschaft habe keinen Einfluss auf diese Entscheidung. Der von der Klägerin erklärte Verzicht auf die marokkanische Staatsangehörigkeit sei bisher nicht wirksam geworden, weil die Verzichtserklärung nicht an die marokkanischen Behörden weitergeleitet worden sei

Das Verwaltungsgericht hat den Rücknahmebescheid der Regierung von Mittelfranken mit Urteil vom 23. März 2005 aufgehoben. Den Entscheidungsgründen ist zu entnehmen, dass die Rücknahmevorschrift des Art. 48 BayVwVfG nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur in den Fällen einer "erschlichenen" Einbürgerung Anwendung finden dürfe. Ein solcher Fall liege hier nicht vor; denn die Klägerin habe ihre Einbürgerung nicht durch arglistige Täuschung erwirkt. Sie habe über die Frage des Getrenntlebens keine Falschangaben gemacht. Nachdem diese Alternative in dem Formblattantrag auch nicht aufgeführt worden sei und die Verpflichtung zur Mitteilung einer Änderung der persönlichen Verhältnisse im Zusammenhang mit den möglichen Angaben des Antrags zu sehen sei, habe die Klägerin nicht auf die Idee kommen können, das Getrenntleben sei meldepflichtig. Es könne ihr auch nicht unterstellt werden, dass sie in ihrer Laiensphäre eine Vorstellung davon gehabt habe, dass ein Getrenntleben ihrer Einbürgerung entgegenstehe. Ihre Einlassung in der mündlichen Verhandlung, sie habe keine Ahnung davon gehabt, dass sie ihr Getrenntleben der Behörde melden müsse, sei mit Blick auf ihre damaligen Deutschkenntnisse und ihre soziale Isolation glaubwürdig. Zwar sprächen ihre Angaben dafür, dass sie vermutlich an einem Sozialbetrug beteiligt gewesen sei, aber darin liege darin keine arglistige Täuschung zur Erwirkung der Einbürgerung.

Mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung macht der Beklagte geltend, dass das Verwaltungsgericht zu Unrecht eine "erschlichene" Einbürgerung verneint habe. Zum Zeitpunkt der Ausfüllung des Antragsformulars habe sich die Frage nach einem Getrenntleben noch gar nicht gestellt. Diesen erst nach der Antragstellung und vor der Einbürgerung eingetretenen Umstand habe die Klägerin nach der ihr obliegenden Mitteilungspflicht von sich aus offenbaren müssen. Ihre Einlassung, sie habe keine Ahnung hinsichtlich ihrer Meldepflicht gehabt, sei als Schutzbehauptung zu werten. Neben der dadurch erfüllten arglistigen Täuschung habe die Klägerin die Einbürgerung auch durch in wesentlicher Hinsicht unrichtige oder unvollständige Angaben erwirkt. Die Annahme, die Klägerin habe nicht gewusst, dass ihr Verbleib im Bundesgebiet von der Ehe abhänge, sei lebensfremd. Schließlich habe sie entsprechende Angaben auch für die Erteilung bzw. Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis gemacht.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 23. März 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und macht darüber hinaus geltend, dass sie sich inzwischen länger als acht Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, so dass sie gemäß § 10 StAG sogleich wieder einzubürgern wäre. Die Schlussfolgerungen des Beklagten zum Vorwurf des Erschleichens der Einbürgerung seien nicht nachvollziehbar. Die Klägerin habe nicht erkannt und nicht erkennen müssen, dass es auf ein Getrenntleben ankomme; aus dem Antragsformular lasse sich nur entnehmen, dass der Familienstand des "Verheiratetseins" von Bedeutung sei. Auch führe nicht jedes Getrenntleben zu einem endgültigen Scheitern der Ehe und zu deren Scheidung. Zudem seien die Sprachdefizite der aus einem anderen Kulturkreis stammenden Klägerin zu berücksichtigen. Das spätere Verhalten der Klägerin, die ohne Not den Umstand des Getrenntlebens den Behörden offenbart habe, spreche gegen eine zuvor erfolgte vorsätzliche Täuschung. Zudem habe die Klägerin ihre marokkanische Staatsangehörigkeit verloren; das sei ihr von der marokkanischen Botschaft in Frankfurt bestätigt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten, die beigezogenen Behördenakten sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Beklagten ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den Rücknahmebescheid der Regierung von Mittelfranken vom 27. Mai 2004 zu Recht aufgehoben; denn die Klägerin hat ihre Einbürgerung weder erschlichen noch auf eine vergleichbar vorwerfbare Weise erwirkt.

1. Die Rücknahme einer Einbürgerung kann auf Art. 48 BayVwVfG als Rechtsgrundlage gestützt werden. Diese allgemeine Vorschrift des Verwaltungsverfahrensrechts ist mangels abschließender spezialgesetzlicher Regelungen im Staatsangehörigkeitsrecht zum Wegfall der Staatsangehörigkeit im Falle einer von Anfang an rechtswidrigen Einbürgerung anwendbar, wenn die Einbürgerung durch bewusste Täuschung erwirkt worden ist (BVerfG, U.v. 24.5.2005 - 2 BvR 669/04, NVwZ 2006, 807; BVerwG, U. vom 3.6. 2003 - 1 C 19.02, BVerwGE 118, 216/218 ff.; U.v. 9.9.2003 - 1 C 6.03, BVerwGE 119, 17/19 m.w.N.; BayVGH, U.v. 4.5.2005 - 5 B 03.1679, BayVBl. 2007, 117; U.v. 4.5.2005 - 5 B 03.1371; U.v. 25.10.2005 - 5 B 03.2462). Denn bei einer erschlichenen oder auf vergleichbar vorwerfbare Weise erwirkten Einbürgerung verlangt das in Art. 20 Abs. 3 GG verankerte Verfassungsprinzip der Gesetzmäßigkeit des Verwaltungshandelns eine Korrekturmöglichkeit. Der Rücknahme einer durch bewusste Täuschung erlangten Einbürgerung stehen weder das Verbot der Entziehung der deutschen Staatsangehörigkeit (Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG) noch grundsätzlich das Verbot des Verlusts der Staatsangehörigkeit gegen den Willen des Betroffenen beim Eintritt von Staatenlosigkeit (Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG) entgegen.

2. a) Ob die objektiven Rücknahmevoraussetzungen für die am 23. April 2003 wirksam gewordene Einbürgerung der Klägerin vorliegen, ist zweifelhaft.

Rechtsgrundlage für die Einbürgerung war § 9 StAG. Nach dieser Vorschrift sollen Ehegatten Deutscher unter den Voraussetzungen des § 8 StAG eingebürgert werden, wenn bestimmte weitere Voraussetzungen vorliegen. Nach Aktenlage waren sämtliche gesetzlichen Voraussetzungen für eine Einbürgerung der Klägerin erfüllt. Insbesondere genügte es für das Tatbestandsmerkmal "Ehegatte eines Deutschen", dass die gültig geschlossene Ehe der Klägerin mit dem Zeugen W. im Zeitpunkt der Einbürgerung rechtlich bestand. Gleichwohl wäre die Einbürgerung rechtswidrig gewesen, wenn der Beklagte bei der Ausübung des ihm durch § 9 Abs. 1 StAG eingeräumten (Rest-)Ermessens von einem in wesentlicher Hinsicht unrichtigen Sachverhalt ausgegangen wäre, nämlich davon, dass zwischen der Klägerin und dem Zeugen W. eine eheliche Lebensgemeinschaft bestand, obwohl die Ehe zu diesem Zeitpunkt tatsächlich bereits gescheitert war (vgl. BVerwG, U.v. 16.5.1983 - 1 C 28.82, DVBl. 1983, 1002/1004 f.).

Ob die Ehe der Klägerin mit dem Zeugen W. vor oder erst nach der am 23. April 2003 erfolgten Einbürgerung endgültig gescheitert ist, lässt sich zur Überzeugung des erkennenden Senats auch nach Durchführung der Beweisaufnahme nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen. Der gegenüber dem Einwohneramt der Stadt Nürnberg abgegebenen Erklärung vom 2. Januar 2002, die Ehegatten lebten seit 1. November 2001 getrennt, ist insoweit auch mit Blick auf den ungewöhnlichen Lebenszuschnitt keine allein ausschlaggebende Bedeutung zuzumessen. Diese von dem damaligen Ehemann der Klägerin veranlasste und von ihr (mit-)unterzeichnete Angabe erfolgte nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vielmehr durch ihren Ehemann, um durch die Änderung der Steuerklasse der Klägerin Sozialleistungen des Arbeitsamtes zu erhalten. Unstrittig ist, dass die Klägerin nach diesem Zeitpunkt schwanger wurde. Nach ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung spricht viel dafür, dass aus ihrer Sicht der Verlust des gemeinsamen Kindes (Krankenhausaufenthalt zum Zeitpunkt des vorgesehenen Sprachtests am 2.10.2002) eine Zäsur in der ehelichen Beziehung darstellte. Damit würde auch in etwa die Angabe zur Dauer des Getrenntlebens in dem von ihr betriebenen Scheidungsverfahren übereinstimmen. Aus der Sicht des Zeugen W. war die Ehe erst später gescheitert, nachdem er die Klägerin immer wieder zu einem gemeinsamen Leben in Marokko gedrängt hatte. Das kann hier jedoch letztlich dahinstehen.

b) Der Frage, ob die Einbürgerung der Klägerin wegen des Scheiterns der Ehe bereits vor April 2003 und einer entsprechenden Fehlvorstellung der Staatsangehörigkeitsbehörde über diesen ermessensrelevanten Umstand rechtswidrig war, braucht nicht weiter nachgegangen zu werden. Jedenfalls fehlen die o.g. notwendigen subjektiven Voraussetzungen in der Person der Klägerin, unter denen die Rücknahme einer Einbürgerung überhaupt erst in Betracht kommt.

Nach der in der mündlichen Verhandlung und der Beweisaufnahme gewonnenen Überzeugung des Senats hat die Klägerin ihre Einbürgerung weder erschlichen noch auf eine vergleichbar vorwerfbare Weise erwirkt. Sie hat die Staatsangehörigkeitsstellen weder zum Zeitpunkt der Antragstellung im Mai 2002 noch zum Zeitpunkt der Einbürgerung im April 2003 arglistig hinsichtlich des Bestehens der ehelichen Lebensgemeinschaft mit dem Zeugen W. getäuscht. Eine Falschauskunft auf eine ausdrückliche Frage nach dem (Fort-)Bestand der ehelichen Lebensgemeinschaft kann ihr schon deshalb nicht vorgeworfen werden, weil sie weder durch das Antragsformular noch auf andere Weise nach dem Status des Getrenntlebens gefragt worden ist.

Es bedarf keiner Entscheidung darüber, ob ein Einbürgerungsbewerber im Rahmen seiner allgemeinen Mitwirkungspflichten (vgl. Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, 4. Aufl. 2005, § 16 StAG RdNr. 15) von sich aus alle aus seiner Sphäre stammenden Umstände mitzuteilen hat, die im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 9 StAG für die Behörde von Bedeutung sein können. Der Verwaltungsgerichtshof hat eine den Einbürgerungsbewerber treffende Offenbarungspflicht hinsichtlich des Scheiterns der Ehe allein in dem Fall bejaht, dass dieser selbst den Scheidungsantrag vor der Einbürgerung anhängig gemacht hat (BayVGH, U.v. 4.5.2005 - 5 B 03.1679, BayVBl. 2007, 117). Anders als in der jenem Urteil zugrunde liegenden Fallkonstellation ist der Scheidungsantrag (und das davor geschaltete Verfahren zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe) im vorliegenden Fall erst einige Monate nach der Einbürgerung eingeleitet worden.

Selbst wenn man aber eine derartige verfahrensrechtliche Obliegenheit grundsätzlich unterstellen wollte, hätte die Klägerin diese nicht mit Wissen und Wollen verletzt: Das "Erschleichen" einer Einbürgerung setzt eine bewusste Täuschung, d.h. eine finale Irrtumserregung im Bewusstsein einer entsprechenden Fehlvorstellung auf der Behördenseite voraus. Der Einbürgerungsbewerber braucht nicht die einzelnen Tatbestandsmerkmale der Norm zu kennen, auf deren Grundlage die Einbürgerung erstrebt wird; erforderlich ist für die Annahme einer arglistigen Täuschung jedoch eine Parallelwertung in der Laiensphäre hinsichtlich der zentralen Tatbestandsvoraussetzungen. Unter Berücksichtigung ihrer kulturellen Herkunft und Bildung, des von ihrem Ehemann auf sie ausgeübten Drucks, ihrer sozialen Isolation und Abhängigkeit von ihrem Mann, der sehr begrenzten Ausdrucksfähigkeiten in der deutschen Sprache sowie ihrer völligen Unerfahrenheit im Umgang mit Behörden, den ausschließlich ihr Ehemann - ohne Erklärungen ihr gegenüber - abwickelte, hat der Senat in dem hier vorliegenden Fall die Überzeugung gewonnen, dass die Klägerin sich der Bedeutung eines evtl. Getrenntlebens und Scheiterns der Ehe - anders als der Kläger in dem mit Urteil vom 4. Mai 2005 (a.a.O.) entschiedenen Fall - für ihre Einbürgerung nicht bewusst war. Sie mag die Bedeutung der Ehe als formalen Status für ihr Aufenthaltsrecht und ihre Einbürgerung erfasst haben; entgegen der Auffassung des Beklagten folgt daraus jedoch individuell mit Blick auf ihre Person nicht, dass dies auch hinsichtlich des Fortbestands der ehelichen Lebensgemeinschaft galt.

Nachdem wegen der Bedeutung der deutschen Staatsbürgerschaft als höchstpersönlicher Status gemäß Art. 16 Abs. 1 GG eine Rücknahme der Einbürgerung nur dann in Betracht kommt, wenn der Betroffene über die Einbürgerungsvoraussetzungen "... selbst erwiesenermaßen getäuscht hat" (so BVerfG, U.v. 24.5.2006 - 2 BvR 669/04, a.a.O. S. 811 Rdnrn. 72 und 76), bräuchte sich die Klägerin selbst ein überlegenes Wissen ihres Ehemanns (Rechtsgedanke des § 166 BGB) nicht zurechnen zu lassen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10 und § 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Beschluss:

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 10.000,00 Euro festgesetzt (§§ 47, 52 Abs. 1 GKG).

Ende der Entscheidung

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