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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 14.10.2003
Aktenzeichen: 5 C 03.2024
Rechtsgebiete: AuslG, AsylVfG, VwGO


Vorschriften:

AuslG § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6
AsylVfG § 4
AsylVfG § 73
VwGO § 75 Satz 3
VwGO § 94
Ab Erlass eines Widerrufsbescheids gem. § 73 AsylVfG liegt trotz der aufschiebenden Wirkung einer dagegen gerichteten Klage ein zureichender Grund vor, um das Verfahren einer auf Einbürgerung (unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit nach § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 AuslG) gerichteten Untätigkeitsklage gem. § 75 Satz 3 VwGO auszusetzen.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

5 C 03.2024

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Einbürgerung (Untätigkeitsklage);

hier: Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 02. Juli 2003,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 5. Senat,

durch den Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofs Hüffer, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Kraft, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Schmitz,

ohne mündliche Verhandlung am 14. Oktober 2003

folgenden Beschluss:

Tenor:

I. Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren gewährt und Rechtsanwalt Auer beigeordnet.

II. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

III. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

IV. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Kläger, der mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) vom 19. August 1993 als Asylberechtigter anerkannt und dem am 13. September 1993 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt worden war, beantragte am 15. Februar 2000 seine Einbürgerung. Am 7. Februar 2003 erteilte ihm der Beklagte eine befristete Einbürgerungszusicherung für den Fall des Nachweises des Verlustes der jugoslawische Staatsangehörigkeit.

Mit Bescheid vom 1. April 2003 wiederrief das Bundesamt die Asylanerkennung sowie die Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Absatz 1 AuslG; gegen diesen Bescheid hat der Kläger Anfechtungsklage zum Verwaltungsgericht Ansbach erhoben, über die noch nicht entschieden ist.

Am 28. April 2003 erhob der Kläger Untätigkeitsklage auf Verpflichtung des Beklagten zur Einbürgerung unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit. Mit Beschluss vom 2. Juli 2003 setzte das Verwaltungsgericht das Verfahren bis zum Ablauf eines Monats nach rechtskräftigem Abschluss des (Widerrufs)Verfahrens beim Verwaltungsgericht Ansbach aus. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Beschwerde, der sich der Beklagte widersetzt.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet, denn der angefochtene Aussetzungsbeschluss des Verwaltungsgerichts ist nicht zu beanstanden. Ab Erlass eines Widerrufsbescheids gem. § 73 AsylVfG liegt trotz der aufschiebenden Wirkung einer dagegen gerichteten Klage ein zureichender Grund vor, um das Verfahren einer auf Einbürgerung (unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit nach § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 AuslG) gerichteten Untätigkeitsklage gem. § 75 Satz 3 VwGO auszusetzen.

Zureichende Gründe gem. § 75 Satz 3 VwGO, die auf eine zulässige Untätigkeitsklage hin zu einer Aussetzung des Prozesses mit dem Ziel führen, der Behörde noch eine Entscheidung zu ermöglichen, bestimmen sich nach objektiven Gesichtspunkten und müssen mit der Rechtsordnung in Einklang stehen (BVerwG vom 23.7.1991 NVwZ 1991, 1180/1181). Typischerweise sind sie Ausdruck mangelnder Entscheidungsreife infolge noch fehlender, für die Sachverhaltsfeststellung notwendiger Informationen (z.B. ergänzender Unterlagen) sowie noch ausstehender Verfahrensschritte (z.B. erforderliche Mitwirkung anderer Stellen). Auch besondere Schwierigkeiten bei der Sachaufklärung oder die außergewöhnliche Komplexität des Falles kommen als legitime Gründe für eine Entscheidungsverzögerung in Betracht. Ist jedoch die Sache entscheidungsreif, liegt ein zureichender Grund für eine Verzögerung der behördlichen Entscheidung regelmäßig nicht vor (Brenner in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 75 Rdnr. 49; Redeker/v.Oertzen, VwGO, 12. Aufl., § 75 Rdnr. 4).

Derartige typische Umstände werden im vorliegenden Fall seitens des Beklagten nicht geltend gemacht. Dieser trägt vor - und das Verwaltungsgericht folgt ihm darin in den Gründen des angefochtenen Aussetzungsbeschlusses - , dass die Entscheidung über die am Verwaltungsgericht Ansbach anhängige Anfechtungsklage gegen den Widerrufsbescheid des Bundesamtes für die Frage der Einbürgerung unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit vorgreiflich sei und deshalb ein zureichender Grund für das Zuwarten vorliege. Der Kläger hingegen betont den gegenwärtig bestehenden Anspruch auf Einbürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit, dem eine entsprechende Handlungsverpflichtung der Behörde entspreche. Im Kern des Zwischenstreits steht also die Frage, ob ein anhängiger Prozess gegen einen Widerrufsbescheid gem. § 73 AsylVfG ein für die Frage der Einbürgerung (unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit) präjudizielles Rechtsverhältnis betrifft, das eine faktische Aussetzung des die Einbürgerung betreffenden Verwaltungsverfahrens rechtfertigt und deshalb einen zureichenden Grund i. S. des § 75 Satz 3 VwGO bildet. Das ist zu bejahen.

1. Die (faktische) Aussetzung eines gemäß Art. 10 Satz 2 BayVwVfG zügig durchzuführenden Verwaltungsverfahrens analog § 94 Satz 1 VwGO (Ule-Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, 4. Aufl., § 20 Rdnr. 8), die das Vorgehen des Verwaltungsgerichts gem. § 75 Satz 3 VwGO gebietet, kommt in Betracht, wenn die zu treffende Entscheidung (hier: Einbürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit) von dem "Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist." Die Aussetzung rechtfertigt sich in derartigen Fällen im Hinblick auf die Zweifel über den Bestand des anderen Rechtsverhältnisses, weil bei Inanspruchnahme der eigenen Beurteilungskompetenz für Vorfragen die Gefahr divergierender Entscheidungen bestünde. Realisierte sich diese Gefahr, erwiese sich die eigene Entscheidung als fehlerhaft, weil eine später ergehende Entscheidung der anderen Stelle mit ex tunc Wirkung auf eine bereits getroffene eigene Beurteilung der Vorfrage durchschlagen würde. Unsicherheiten bei Vorfragen, die wegen ihrer Rückwirkung auf den relevanten Beurteilungszeitpunkt die Richtigkeit der anstehenden eigenen Entscheidung unmittelbar beeinflussen, rechtfertigen ein Zuwarten und stellen die Entscheidungsreife der Sache infrage.

2. Die Beurteilung, ob der Gegenstand eines anderen Verfahrens oder Rechtsstreits als vorgreiflich anzusehen ist, kann nur aus der Blickrichtung des materiellen Rechts beantwortet werden. Die Vorschrift des § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 AuslG knüpft als gesetzliches Regelbeispiel die Hinnahme der Mehrstaatigkeit an die Feststellung politisch motivierten Abschiebungsschutzes, die gem. § 51 Abs. 2 Sätze 2 und 3 AuslG beim Bundesamt monopolisiert und einem Asylverfahren vorbehalten ist. Die Bedeutung der dort getroffenen Entscheidung macht § 4 AsylVfG deutlich, der - mit Ausnahme für das Auslieferungsverfahren - eine Tatbestandswirkung für alle Stellen anordnet, in deren Angelegenheiten sich diese Frage als rechtserheblich erweist.

Das Asylgrundrecht verleiht seinem Träger aber keinen unveränderbaren Status; sein Bestand ist vielmehr von der Fortdauer der rechtsbegründenden Umstände abhängig. Die Asylanerkennung bzw. die Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG ist daher gem. § 73 Abs. 1 und 4 AsylVfG unverzüglich durch die Spitze des Bundesamtes zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen nicht mehr vorliegen; die Entscheidung obliegt wiederum allein dem Bundesamt. Solange dieses die Rechtsposition nicht durch Widerruf der Asylanerkennung beseitigt hat, beansprucht sie allgemeine Beachtung. So wie das Asylrecht als Status grundsätzlich erst nach Erwirkung des Anerkennungsakts geltend gemacht werden kann (BVerfGE 60, 253/295), bedarf es eines erneuten Formalakts, damit der Verlust des besonderen Grundrechtsschutzes zweifelsfrei feststeht. Gem. § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG ist von einem Widerruf abzusehen, wenn sich der Betreffende auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe zu berufen vermag, um die Rückkehr in den früheren Verfolgerstaat abzulehnen. Einem Widerruf kann demzufolge durchaus auch ein individuelles Vorverfolgungsschicksal entgegenstehen; die Möglichkeit eines unabhängig von der gegenwärtigen politischen Lage im Herkunftsland greifenden individuellen Widerrufshindernisses macht den Ausgang eines Widerrufsverfahrens nicht ohne weiteres prognostizierbar.

Ein Widerrufsbescheid wirkt ex nunc, d.h. er führt nicht zur rückwirkenden Beseitigung des zuvor erlangten Status eines Asylberechtigten bzw. der Feststellung politisch motivierten Abschiebungsschutzes (Hailbronner, Ausländerrecht, § 73 AsylVfG Rdnr. 52; vgl. auch BVerwGE 112, 80/92). Wirksam und damit gem. § 4 Satz 1 AsylVfG für andere Stellen letztlich verbindlich wird der Widerruf erst mit Eintritt der Unanfechtbarkeit, wie sich aus § 73 Abs. 6 AsylVfG ergibt. Diese Vorschrift korrespondiert mit der Regelung des § 75 AsylVfG, wonach die Klage gegen einen Widerrufsbescheid aufschiebende Wirkung besitzt. Deshalb ist der Senat bisher davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für die Einbürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit nach § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 AuslG endgültig erst mit Unanfechtbarkeit des Widerrufsbescheids entfallen (BayVGH vom 22.2.2002 Az. 5 ZB 02.114 und 8.7.2003 Az. 5 ZB 03.353; vgl. auch Berlit in: GK-StAR, § 87 AuslG Rdnr. 242).

3. Für die Auflösung der Gemengelage von parallel laufenden Einbürgerungs- und Asylwiderrufsverfahren steht im Ausgangspunkt fest, dass für die auf Einbürgerung gerichtete Verpflichtungsklage auf die gegenwärtige Sach- und Rechtslage abzustellen ist (BVerwG vom 19.8.1996 Buchholz 130 § 8 RuStAG Nr. 49). Eine durch eventuelle zukünftige Änderungen tatsächlicher Umstände motivierte Aussetzung des Verfahrens kommt nicht in Betracht. Das spricht aber nur scheinbar für die Rechtsauffassung des Klägers, der sich auf die lediglich ex nunc eintretende Wirkung des Asylwiderrufs und den durch die Anfechtungsklage ausgelösten Suspensiveffekt beruft. Denn im Falle der rechtskräftigen Abweisung seiner gegen den Widerrufsbescheid gerichteten Klage entfällt die aufschiebende Wirkung mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe des angefochtenen Bescheids (vgl. BVerwGE 24, 92/98 f.; BVerwG vom 20.3.1998 DVBl. 1998, 647 f.). Die vorläufige Sicherungswirkung des Suspensiveffekts schützt einen Betroffenen bis zu dem durch § 80b Abs. 1 VwGO festgelegten Endzeitpunkt z.B. vor einer Abschiebung unter Missachtung des (derzeit noch) als fortbestehend fingierten Status eines politisch Verfolgten, vermag aber nicht aus sich heraus rechtsbegründend zu wirken. Dieser Gedanke liegt auch der Vorschrift des § 72 Abs. 2 Satz 1 AuslG zugrunde, wonach die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen die Wirksamkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen unberührt lässt (vgl. dazu BVerwG vom 21.8.1996 InfAuslR 1997, 15 f.). Die Interimsregelung des § 80 Abs. 1 Sätze 1 und 2 VwGO fixiert nur einstweilen den status quo ante, begründet aber keine materiellen Rechtspositionen auf Dauer.

Demzufolge erweist sich der Streitgegenstand des anhängigen Prozesses gegen den Widerrufsbescheid des Bundesamtes als präjudizielles Rechtsverhältnis für die Frage der Einbürgerung unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit (weitergehend VG Hannover vom 25.6.2001 NVwZ-Beil. 2002, 63/64: Aussetzung bereits ab Einleitung des Widerrufsverfahrens; a.A. VG Ansbach vom 17.10.2001 NVwZ-RR 2002, 604). Die Voraussetzung des § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 AuslG kann - wegen des rückwirkenden Entfalls der aufschiebenden Wirkung im Falle der rechtskräftigen Abweisung der Anfechtungsklage gegen den Widerrufsbescheid - erst mit Abschluss jenes Rechtsstreits sicher beurteilt werden. Die gegenwärtig bestehenden Zweifel über die tatsächlichen Voraussetzungen dieses Tatbestandsmerkmals stellen die Entscheidungsreife des Einbürgerungsantrags (unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit) infrage und rechtfertigen ein Zuwarten der Behörde mit der abschließenden Sachentscheidung. Somit liegt ein zureichender Grund i.S. des § 75 Satz 3 VwGO vor und die Aussetzung des Verfahrens über die Untätigkeitsklage ist nicht zu beanstanden. Soweit der Senat damit von seinen Entscheidungen vom 22. Februar 2002 (Az. 5 ZB 02.114) und 8. Juli 2003 (Az. 5 ZB 03.353) abweicht, wird an diesen nicht festgehalten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 14, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG. Dem Kläger war gem. § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des von ihm bevollmächtigten Rechtsanwalts zu bewilligen, da im Zeitpunkt der Bewilligungsreife angesichts der im Beschwerdeverfahren zu klärenden schwierigen Rechtsfragen hinreichende Erfolgsaussichten bestanden.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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