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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 07.03.2008
Aktenzeichen: 6 B 02.31583
Rechtsgebiete: AsylVfG, VwVfG


Vorschriften:

AsylVfG § 71
VwVfG § 51 Abs. 1
VwVfG § 51 Abs. 2
VwVfG § 51 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

6 B 02.31583

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Asylrechts;

hier: Berufung der Kläger gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 30. September 2002,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 6. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Maunz, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Rickelmann, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Heinl,

ohne mündliche Verhandlung am 7. März 2008

folgenden Beschluss:

Tenor:

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.

II. Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens als Gesamtschuldner.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen eine Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

V. Der Gegenstandswert bemisst sich nach § 83 b Abs. 2 Satz 1 AsylVfG a.F.. Gerichtskosten fallen nicht an (§ 83 b AsylVfG).

Gründe:

I.

Der 1964 geborene Kläger zu 1 und die 1969 geborene Klägerin zu 2 sind Eheleute und die Eltern der 1990, 1991, 1994 und 1996 geborenen Kläger zu 3 bis 6. Eigenen Angaben zufolge sind die Kläger afghanische Staatsangehörige. Die Kläger zu 1 bis 5 sind auf dem Luftweg kommend am 9. Februar 1995 in das Bundesgebiet eingereist. Am 16. Februar 1995 beantragten sie die Anerkennung als Asylberechtigte. Der Kläger zu 6 ist in Deutschland geboren.

Bei der Anhörung vor dem Bundesamt am 22. Februar 1995 gab der Kläger zu 1 an, nach dem Studium des Journalismus sei er bei Radio und Fernsehen in der Direktion für Kunst- und Dokumentarfilme beschäftigt gewesen. Nebenbei habe er sich auch als Schauspieler betätigt. Er sei verdeckter Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes gewesen und habe Berichte über Mitarbeiter, die im Fernsehen und Rundfunk mit ihm arbeiteten, gefertigt. Als die Mudjaheddin am 28. April 1992 an die Macht gekommen seien, habe er noch ein weiteres Jahr in der Direktion der "Afghan-Film" gearbeitet. In dieser Abteilung seien künstlerische Filme hergestellt worden. Weil das Wohnviertel sich zum Kriegsschauplatz verwandelt habe, hätten die Kläger zu den Eltern des Klägers zu 1 in einen anderen Stadtteil Kabuls umziehen müssen, wo sie sechs Monate lang gelebt hätten. Dann habe ein Freund, der als Offizier im Innenministerium mit den Mudjaheddin zusammengearbeitet habe, den Kläger zu 1 gewarnt, dass diese die Liste der verdeckten Mitarbeiter des Staatssicherheitsdiensts gefunden hätten. Auf dieser Liste sei der Name des Klägers zu 1 verzeichnet gewesen. Die Mudjaheddin hätten beabsichtigt, ihn zu bestrafen. Noch am selben Tag seien unbewaffnete Personen bei seinem Elternhaus erschienen und hätten nach ihm gefragt. Die Kläger hätten sich nach Mazar-i-Sharif begeben, wo sich zahlreiche Leute von Film und Fernsehen aufgehalten hätten. General Dostum habe diesen Leuten geholfen. Nach einem Gespräch mit General Dostum habe der Kläger zu 1 die Behörde für Kunst in Mazar-i-Sharif unterstützen sollen. Einige Zeit später seien Gerüchte aufgekommen, dass der Kläger zu 1 wie ein Freund geheime Kontakte zu Jamiat-i Islami unterhielten. Daraufhin seien sie nach Kabul in das Haus des Schwiegervaters zurückgekehrt. Der Vater des Klägers zu 1 sei als kommunistischer General beschimpft und bedroht worden, damit er den Aufenthalt des Sohnes bekannt gebe. Der Kläger habe sich daraufhin mit seiner Familie etwa zwei Monate lang in Jalalabad aufgehalten. Als er von seiner Mutter erfahren habe, dass sein Vater mitgenommen worden sei, habe sich die Familie wieder zurück nach Kabul begeben. Bei einer Vernehmung habe er geleugnet, für den Staatssicherheitsdienst gearbeitet zu haben. Daraufhin habe ihm der vernehmende Amtsträger zwei Fausthiebe verpasst; er sei eingesperrt und gemeinsam mit seinem Vater und zwei weiteren Personen in einer Zelle zwei Monate lang festgehalten worden. Eines Tages sei sein Vater abgeholt worden; danach habe der Kläger zu 1 einige Schüsse gehört. Nach etwa zwei weiteren Monaten Gewahrsam sei es dem Kläger zu 1 gelungen, sich durch Bestechung aus der Haft zu befreien. Man habe ihm gesagt, dass sein Vater umgebracht worden sei. Der Kläger zu 1 sei mit seiner Familie aus Afghanistan ausgereist. Bei einer Rückkehr sei sein Tod eine sichere Sache. Die Klägerin zu 2 schloss sich den Asylgründen des Klägers zu 1 an; die Kläger zu 3 bis 5 machten keine eigenen Asylgründe geltend.

Mit Bescheid vom 24. November 1995 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge die Anträge auf Anerkennung als Asylberechtigte ab (Nr. 1) und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (Nr. 2) sowie Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG (Nr. 3) nicht vorliegen. Die Kläger zu 1 bis 5 wurden außerdem aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland binnen eines Monats ab Unanfechtbarkeit des Bescheids zu verlassen (Nr. 4).

Die gegen diesen Bescheid gerichtete Klage begründete der Kläger zu 1 im wesentlichen damit, er sei Schauspieler in Filmen der "Afghan-Film" gewesen, die dem afghanischen Kulturministerium angegliedert gewesen sei. Auch habe er in der Direktion dieser Firma gearbeitet. Nach einem Jahr dieser Tätigkeit habe er eine Stelle in einer geheimen Abteilung des Sicherheitsministeriums bekommen. Seine Aufgabe habe darin bestanden, über Gäste von Nadjibullah Informationen zu beschaffen. Die Treffen mit Diplomaten und Journalisten hätten in geheimen Niederlassungen des Khad stattgefunden. Beim Khad sei er verwendet worden, weil er den Beruf des Schauspielers ausgeübt habe und sich niemand habe vorstellen können, dass er für den Staatssicherheitsdienst arbeite. Im Falle der Rückkehr würde er u.a. wegen seiner Mitarbeit im Khad verfolgt. Viele ehemalige Angehörige des Staatssicherheitsdienstes würden inzwischen mit den Taliban zusammen arbeiten und ihn daher sofort verraten.

Der Kläger zu 1 legte verschiedene handschriftliche Erklärungen vor, in welchen im Bundesgebiet lebende Afghanen im wesentlichen seine geheimdienstliche Tätigkeit und eine Gefährdung für den Fall der Rückkehr bestätigten.

Mit Urteil vom 22. Mai 1998 wies das Verwaltungsgericht die Klagen ab. Ein Anspruch auf Asyl oder Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 51 Abs. 1 AuslG scheitere schon daran, dass keine staatliche oder quasi staatliche Verfolgung vorliege. Auch Abschiebungshindernisse bestünden nicht. Eine konkrete Gefährdung des Klägers zu 1 bei seiner Rückkehr sei nach seinen Darlegungen nicht zu befürchten. Das Vorbringen sei schon unglaubwürdig. Es widerspreche jeglicher Lebenserfahrung, dass jemand aufgrund eines bloßen Gerüchts im Kollegenkreis einen sicheren Aufenthaltsort ohne jeglichen Versuch einer Richtigstellung aufgebe und sich mit seiner Familie in das Gebiet begebe, aus dem er zuvor habe fliehen müssen, weil sein Leben bedroht gewesen sei. Selbst bei Wahrunterstellung der Angaben ließe sich keine konkrete Gefahr feststellen. Das Urteil ist in Rechtskraft erwachsen.

Mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 25. Oktober 2000, beim Bundesamt am folgenden Tag eingegangen, stellten die Kläger Asylfolgeanträge. Zur Begründung wurde ausgeführt, das Bundesverfassungsgericht habe in erst kürzlich bekannt gewordenen Entscheidungen die Anforderungen an das Vorliegen einer quasi-staatlichen Verfolgung durch Bürgerkriegsparteien deutlich reduziert. Nunmehr sei von einer schutz- und verfolgungsmächtigen Gebietsgewalt in Afghanistan auszugehen. Würden einzelne Personen oder Gruppen im "Kernterritorium" von den neuen Machthabern durch gezielt zugefügte Rechtsverletzungen aus der konkreten Gemeinschaft ausgeschlossen, müsse dies einen Asylanspruch auslösen. Der Kläger zu 1 sei als ehemaliger Offizier des Innenministeriums sowie als Journalist beim afghanischen Fernsehen mit Sicherheit bei einer Rückkehr nach Afghanistan Verfolgungsmaßnahmen seitens der Taliban ausgesetzt.

Über diesen Antrag hat das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge nicht entschieden.

Am 5. September 2001 erhoben die Kläger Klage mit dem Ziel, die Beklagte zu verpflichten, sie als Asylberechtigte anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen. Zur Begründung führten die Kläger aus: Die innenpolitische Situation in Afghanistan habe sich durch den Sturz des Taliban-Regimes geändert. Der Nachfolgestaat sei in keiner Weise gefestigt und könne den Territorialgewalten durch die Bürgerkriegsparteien keine funktionierende Staatsgewalt entgegensetzen. Der Kläger zu 1 habe als ehemaliger Offizier des Innenministeriums und Journalist beim afghanischen Fernsehen während des Nadjibullah-Regimes keine Verfolgungsgefahren durch die offiziell nicht mehr existierenden Taliban zu gewärtigen. Eine konkrete persönliche Gefahr resultiere jedoch daraus, dass zu seinem Aufgabenbereich als Mitarbeiter des afghanischen Innenministeriums die Umorientierung verschiedener Stämme von Seiten der Mudjaheddin zur Seite der Regierung gehört habe; u.a. seien örtlichen Kommandanten und Gewalthabern Hilfeleistungen versprochen und hohe Geldsummen gezahlt worden. Der Kläger zu 1 sei aus diesem Grunde in weiten Kreisen bekannt geworden und sei bei den militärisch-politischen Gegnern verhasst. Im Falle der Rückkehr sei sein Leben in Gefahr. Der Kläger zu 1 nahm auf Bekundungen namentlich genannter afghanischer Flüchtlinge Bezug, die im wesentlichen seine geheimdienstliche Tätigkeit und eine Gefährdung für den Fall der Rückkehr bestätigten. Diese Bezugspersonen seien seit langem als Asylberechtigte anerkannt.

Das Verwaltungsgericht verpflichtete die Beklagte mit Urteil vom 30. September 2002, bei den Klägern ein Abschiebungshindernis gemäß § 53 Abs. 6 AuslG bezüglich Afghanistans festzustellen. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen. Auf Tatbestand und Begründung dieser Entscheidung wird Bezug genommen. Nach Zerschlagung des Taliban-Regimes habe sich bisher in Afghanistan keine neue staatliche Gewalt etablieren können. Unter der Übergangsregierung Karzai werde Kabul von internationalen Sicherheitskräften geschützt, während das Land im Übrigen sich selbst überlassen bliebe und immer wieder Schauplatz kriegerischer Auseinandersetzungen sei. Die früheren Warlords und Clanchefs hätten in ihren Herrschaftsbereichen weitgehend die Macht übernommen. Es sei nicht damit zu rechnen, dass sich in nächster Zeit eine staatliche Gewalt etablieren werde.

Mit der vom Senat zugelassen Berufung (Beschluss vom 15.2.2006) verfolgen die Kläger ihr Ziel weiter. Sie beantragen,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 30. September 2002 zu verpflichten, sie (die Kläger) als Asylberechtigte anzuerkennen und das Vorliegen eines Abschiebungsverbots im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG festzustellen.

In der Rechtsprechung habe sich die Ansicht durchgesetzt, dass in Afghanistan sehr wohl eine schutz- und verfolgungsmächtige staatsähnlich strukturierte Herrschaft existiere. Der Kläger zu 1 gehöre einem Personenkreis an, dem auch unter den derzeitigen Herrschaftsverhältnissen politische Verfolgung drohe. Der Kläger zu 1 sei vor seiner Flucht aus Afghanistan an exponierter Stelle für das Nadjibullah-Regime tätig gewesen und habe wegen seiner Verhandlungen mit örtlichen Kommandanten und Gewalthabern verschiedener Mudjaheddin-Gruppen einen beträchtlichen Bekanntheitsgrad erworben.

Mit Beschluss vom 12. Juli 2006 hat das Gericht Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens; auf das Gutachten von Dr. D***** vom 15. September 2006 sowie die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 29. Januar 2007 wird Bezug genommen.

Den Beteiligten wurde angekündigt, dass die Berufung nach § 130 a VwGO zurückgewiesen werden kann. Ihnen wurde Gelegenheit zur Äußerung gegeben. Weitere Auskünfte und Berichte sachkundiger Stellen und Personen wurden zum Gegenstand des Verfahrens gemacht.

Wegen der Einzelheiten, insbesondere zum Vorbringen der Kläger vor dem Verwaltungsgericht, wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.

II.

Die vom Senat zugelassene und auch im Übrigen zulässige Berufung der Kläger ist nicht begründet. Der Senat ist einstimmig dieser Auffassung und hält eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Entscheidung kann daher nach § 130 a VwGO durch Beschluss ergehen.

Die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens sind nicht erfüllt. Gemäß § 71 AsylVfG ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Hierfür ist erforderlich, dass der Folgeantrag binnen drei Monaten nach Bekanntwerden des Grundes für das Wiederaufgreifen gestellt wird (§ 51 Abs. 3 VwVfG) und der Antragsteller ohne grobes Verschulden außer Stande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren geltend zu machen (§ 51 Abs. 2 VwVfG). Als Wiederaufgreifensgründe kommen nach § 51 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 VwVfG nur eine nachträgliche Änderung der Sach- oder Rechtslage zu Gunsten des Betroffenen, das Vorliegen neuer Beweismittel oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO in Betracht. Werden als Wiederaufnahmegründe erst nach unanfechtbarem Abschluss des früheren Verfahrens eingetretene Veränderungen geltend gemacht, sind diese substanziiert und glaubhaft darzulegen (BVerwG vom 23.6.1987- BVerwGE 77,323/325; vom 30.8.1988 - 9 C 47/87 = NwVZ 1989,161 f). Die Verwaltungsgerichte sind im Übrigen nicht befugt, andere als vom Antragsteller selbst geltend gemachte Gründe für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens der Prüfung des Folgeantrags zu Grunde zu legen (st.Rspr., vgl. z.B. BVerwG vom 21.4.1982 Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 11).

Die geltend gemachte Änderung der Rechtslage (zu Gunsten der Kläger) im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG, die nach deren Vorbringen in erster Linie in Betracht zu ziehen ist, liegt nicht vor. Diese setzt voraus, dass eine Änderung des materiellen Rechts nach Erlass des Verwaltungsakts eingetreten ist. Eine Neufassung der materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigte ist seit dem unanfechtbaren Abschluss des früheren Asylverfahrens nicht erfolgt. Keine Änderung der Rechtslage stellen jedoch Entscheidungen der Gerichte dar, weil sie nur zwischen den am Verfahren Beteiligten rechtsverbindliche Wirkung entfalten (vgl. § 121 VwGO). Eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung (auch des Bundesverfassungsgerichts) führt daher keine Änderung der Rechtslage herbei (vgl. BVerwG vom 24.5.1995 NVwZ 1995,1097 = InfAuslR 1995,355 m.w.N.). Der Asylfolgeantrag der Kläger kann nicht mit Erfolg darauf gestützt werden, dass das Bundesverfassungsgericht in "erst kürzlich bekannt gewordenen Entscheidungen" (gemeint ist der Kammerbeschluss vom 10.8.2000 - 2 BvR 260/98, 2 BvR 1353/98) die Anforderungen an das Vorliegen von "quasi staatlicher" Verfolgung durch Bürgerkriegsparteien im Gegensatz zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts deutlich reduziert habe. Das ist nicht der Fall, denn es handelt sich insoweit lediglich um eine Klarstellung zur Auslegung einer Rechtsnorm. Das Bundesverfassungsgericht hat in der zitierten Entscheidung ausdrücklich ausgeführt, dass das Element der Staatlichkeit oder Quasi - Staatlichkeit von Verfolgung nicht losgelöst vom verfassungsrechtlichen Tatbestandsmerkmal des "politisch" Verfolgten betrachtet und nach abstrakten staatstheoretischen Begriffsmerkmalen geprüft werden darf. Vielmehr müsse dieses Element in Beziehung gesetzt bleiben zu der Frage, ob eine Maßnahme den Charakter einer politischen Verfolgung im Sinne von Art. 16 a Abs. 1 GG aufweist, vor der dem davon Betroffenen Schutz gewährt werden solle.

Das Vorbringen des Klägers zu 1 rechtfertigt nicht die Annahme, dass sich die Sachlage nachträglich geändert hat. Eine Änderung der Sachlage im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG liegt vor, wenn sich die für die unanfechtbare Entscheidung maßgeblichen Tatsachen ändern. Maßgeblich sind hierbei nur diejenigen Tatsachen, deren Subsumtion unter die einschlägigen Rechtsnormen die Entscheidung tragen (vgl. z.B. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl. 2008, RdNr. 29 zu § 51).

Das Urteil vom 22. Mai 1998 ist im wesentlichen auf die Auffassung gestützt, das begehrte Asylrecht stehe den Klägern unabhängig von ihrem Vorbringen deshalb nicht zu, weil (seit der Machtübernahme durch die Mudjaheddin im April 1992 und) im Zeitpunkt ihrer Ausreise in Afghanistan weder eine zur politischen Verfolgung fähige Staatsgewalt noch eine staatsähnliche Herrschaftsmacht existiert habe; auch derzeit bestehe eine staatliche oder quasi-staatliche Gewalt nicht. Den Klägern drohe ferner keine hinreichend konkrete Gefahr im Sinne des § 53 Abs. 6 AuslG a.F. wegen der behaupteten Mitarbeit des Klägers zu 1 beim ehemaligen Geheimdienst Khad. Nach den verwerteten Auskünften finde eine generelle Verfolgung ehemaliger Khad-Mitarbeiter nicht statt; Repressalien durch die Taliban könnten zwar nicht ausgeschlossen werden, wenn dem Betroffenen konkrete Taten vorgeworfen werden oder er eine hervorgehobene Position bekleidet habe. Das sei aber beim Kläger zu 1 nicht der Fall.

Der Asylfolgeantrag der Kläger gründet darauf, dass der Kläger zu 1 in Afghanistan während des Nadjibullah-Regimes als Geheimdienstoffizier des Innenministeriums für den Staat und als Journalist beim afghanischen Fernsehen tätig gewesen sei. In Wahrnehmung seiner Aufgaben als Mitarbeiter des Innenministeriums habe er Verhandlungen mit den jeweiligen örtlichen Kommandanten und Gewalthabern geführt, bei denen Hilfeleistungen versprochen und hohe Geldleistungen gezahlt worden seien. Die Verhandlungen hätten dem Ziel gedient, die Umorientierung der Stämme von Seiten der Mudjaheddin zum Nadjibullah-Regime herbeizuführen. Im Falle der Rückkehr nach Afghanistan sei das Leben des Klägers zu 1 konkret in Gefahr. Viele der damaligen Verhandlungspartner der Gegenseite hätten starkes Interesse daran, ihre seinerzeitigen Verträge mit dem Nadjibullah-Regime oder Zeugen davon nicht bekannt werden zu lassen. In Afghanistan werde in solchen Fällen "kurzer Prozess" gemacht, d.h. der seinerzeitige Mitarbeiter werde erschossen. Außerdem habe der Kläger zu 1 durch seine Fernsehtätigkeit ein "in Afghanistan bekanntes Gesicht", das sicherlich nicht bei den Gebietsmachthabern vergessen sei.

Diese Bekundungen sind nicht geeignet für die Annahme, die Sachlage habe sich nachträglich verändert. Aus den Unterlagen über das abgeschlossene Asylverfahren geht hervor, dass der Kläger zu 1 nach der Machtergreifung durch die Mudjaheddin am 28. April 1992 noch ein Jahr weiter gearbeitet hat und auch für die Direktion der "Afghan-Film" tätig war. Die Tätigkeit des Klägers zu 1 bei dem früheren afghanischen Geheimdienst Khad wurde im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht gleichermaßen erörtert. Die Erweiterung der Beschreibung seines früheren Aufgabenkreises stellt keine veränderte Sachlage dar. Hätte der Kläger zu 1 vor der Flucht aus Afghanistan ernsthaft damit gerechnet, dass die Mudjaheddin-Führer, die er im Auftrag des Nadjibullah-Regimes umworben hatte und denen vor allem hohe Geldzuwendungen und andere Vorteile gewährt wurden, Gefühle des "Hasses" gegen ihn in konkrete Bedrohungen umsetzen wollten, so hätte er seine Tätigkeit unverzüglich eingestellt und sich in Sicherheit gebracht. So aber hat der Kläger zu 1 seine Befürchtungen, Opfer der von den Mudjaheddin ausgehenden Übergriffe zu werden, eher auf das Schicksal seines nach dem Umsturz inhaftierten und später ermordeten Vaters, eines ehemaligen Generals unter dem kommunistischen Regime, zurückgeführt. Die Angaben des Klägers zu 1 zu den befürchteten Racheakten sind auch viel zu vage. Konkrete und vor allem detaillierte Angaben dahingehend, in welchen Regionen Afghanistans er Mudjaheddin-Gruppen und deren Kommandanten bzw. örtliche Befehlshaber und Clanchefs aufgesucht haben will, wie die Kontaktaufnahme zu Stande kam und was in den konkreten Fällen an Geldzuwendungen in Aussicht gestellt und letztendlich tatsächlich gewährt wurde, ferner, ob die gewünschten Erfolge des Wechsels an die Seite der Milizen Nadjibullahs eingetreten sind, fehlen gänzlich. Der Kläger zu 1 macht nicht einmal im Ansatz geltend, auf welche Weise die jeweiligen Kontakte hergestellt, die Gespräche eingeleitet sowie die getroffenen Vereinbarungen abgewickelt wurden. Auch ist nicht vorgetragen, inwieweit sich seine Tätigkeit vor dem Hintergrund der sich vollziehenden innenpolitischen Veränderungen durchführen ließ oder welche Hindernisse aufgetreten sind.

Einer weiteren Vertiefung der aufgezeigten Fragen bedarf es nicht, denn der Asylfolgeantrag der Kläger ist jedenfalls unzulässig. Die Kläger hätten den Grund für das Wiederaufgreifen bereits im früheren Verfahren, insbesondere im Rahmen eines Rechtsbehelfs, geltend machen können (vgl. § 51 Abs. 2 VwVfG). Nach § 15 Abs. 1 AsylVfG in der ab 1. Juli 1993 gültigen Neufassung des Asylverfahrensgesetzes (BGBl I S. 1361) war der Kläger zu 1 persönlich verpflichtet, bei der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken; er war nach Abs. 2 Nr. 1 der Vorschrift insbesondere verpflichtet, den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden die erforderlichen Angaben mündlich oder - nach Aufforderung - auch schriftlich zu machen. In § 25 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist ausdrücklich geregelt, der Ausländer müsse selbst die Tatsachen vortragen, die seine Furcht vor politischer Verfolgung begründen, und die erforderlichen Angaben machen. § 25 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG enthält den Grundsatz, dass ein späteres Vorbringen des Ausländers unberücksichtigt bleiben kann, wenn anderenfalls die Entscheidung des Bundesamts verzögert werde.

Die Kläger waren auch nicht ohne grobes Verschulden außer Stande, den Grund für das Wiederaufgreifen im früheren Verfahren geltend zu machen. Grobes Verschulden ist anzunehmen, wenn einem Betroffenen das Bestehen eines Grundes - hier der Notwendigkeit, die für die Flucht aus dem Herkunftsland maßgebenden Ursachen aufzuzeigen - bekannt war oder sich den bekannten Umständen zufolge aufdrängen musste, und er sich dennoch unter Verletzung der Mitwirkungspflicht sowie der einem ordentlichen Verfahrensbeteiligten zumutbaren Sorgfaltspflicht nicht weiter um die Angelegenheit kümmerte (vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O. RdNr. 45 zu § 51). Grobes Verschulden insbesondere des Klägers zu 1 ist gegeben, weil er u.a. in einem Merkblatt für Erstantragsteller über Mitwirkungspflichten dahingehend belehrt wurde, dass er im Rahmen der Anhörung beim Bundesamt umfassend darlegen müsse, warum er Furcht vor politischer Verfolgung habe; auch müsse er alle sonstigen Tatsachen und Umstände angeben, die seiner Rückkehr in den Heimatstaat entgegen stehen (Nr. 4 des Merkblatts). Diese Belehrung sowie die einschlägigen Gesetzestexte wurden den Klägern auch in Übersetzung übergeben. Die Ehefrau des Klägers zu 1 und die gemeinsamen Kinder machten keine eigenen Fluchtgründe geltend, so dass es maßgebend auf das Schicksal des Klägers zu 1 ankam. Ihm hätte daher bewusst sein müssen, sämtliche für seine Flucht aus dem Herkunftsland maßgebenden Umstände und Vorgänge gegenüber dem Bundesamt zu offenbaren und es hätte für ihn nahe liegen müssen, dass sich das Verschweigen wichtiger und wesentlicher Einzelheiten nur nachteilig für die Erfolgsaussichten des Asylbegehrens auswirken werde.

Die Durchsicht über die Niederschrift der Anhörung vor dem Bundesamt am 22. Februar 1995 rechtfertigt die Annahme, dass der Kläger zu 1 ausreichend Gelegenheit hatte, sämtliche fluchtauslösenden Umstände substanziiert darzulegen und aufzuzeigen, weshalb ihm und seinen Familienangehörigen die Rückkehr nach Afghanistan unzumutbar war. Zum damaligen Zeitpunkt übten die Mudjaheddin noch die Macht über weite Teile der "Islamischen Republik" Afghanistan aus, so dass es sich dem Kläger nachgerade hätte aufdrängen müssen, die ihm von Seiten einzelner oder mehrerer Kommandanten oder örtlicher Führer der Mudjaheddin-Gruppen befürchteten persönlich drohenden Verfolgungsgefahren aufzuzeigen. Die Kläger haben sodann den ablehnenden Bescheid vom 24. November 1995 angefochten und ihr Begehren auf Anerkennung als Asylberechtigte sowie auf Feststellung von Abschiebungshindernissen im Asylrechtsstreit vor dem Verwaltungsgericht weiter verfolgt. Sie waren anwaltlich vertreten und hätten erneut Gelegenheit gehabt, die von Seiten der Mudjaheddin befürchteten Sanktionen im Termin zur mündlichen Verhandlung am 22. Mai 1998 - ungeachtet des Vordringens der Taliban in Afghanistan, die im September 1996 Kabul bereits eingenommen hatten - vorzutragen. Auch hier haben es die Kläger unterlassen, den bisherigen Sachvortrag zu ergänzen bzw. zu vertiefen.

Die von den Klägern vorgebrachten Gründe für die Wiederaufnahme sind letztlich auch objektiv nicht geeignet, eine für sie günstigere Entscheidung herbeizuführen (vgl. BVerwGE 78,332; 80,313; 106,71 m.w.N.). Im Vergleich zu dem Verfahrensstand des abgeschlossenen früheren Asylverfahrens ist keine Verschärfung der individuellen Gefahrenlage zu erkennen.

Es liegen dem Senat keine Erkenntnisse darüber vor, dass die afghanische Regierung unter Präsident Karzai Anhänger und Funktionäre des ehemaligen kommunistischen Regimes gezielt verfolgt (vgl. z.B. Auswärtiges Amt Lagebericht vom 17.3.2007, S. 11). Verbreitet sind Hinweise darauf, dass einzelne Regierungsmitglieder gegen ehemalige politische Gegner gerichtete Verfolgungs- und Repressionsmaßnahmen eigener Gefolgsleute zumindest nicht unterbinden (Auswärtiges Amt an Sächsisches OVG vom 4.5.2004). Eine Gefährdung - auch an Leib und Leben - hochrangiger Repräsentanten der Demokratischen Volkspartei Afghanistans (DVPA) oder ehemaliger Geheimdienst-, Militär- und Polizeirepräsentanten durch private Racheakte kann nach Auffassung internationaler Beobachter nicht ausgeschlossen werden. Zum Teil werden diese auch durch Polizei- oder Geheimdienstmitarbeiter verübt, die als Mudjaheddin gegen das DVPA-Regime gekämpft haben (Auswärtiges Amt Lagebericht vom 17.3.2007 S. 11). Gleichwohl braucht der Kläger zu 1 weder staatliche noch quasi-staatliche Sanktionen im Falle der Rückkehr nach Afghanistan zu befürchten. Es ergeben sich schon keine Hinweise darauf, dass es sich bei ihm um ein exponiertes Mitglied des früheren kommunistischen Regimes unter der Führung Nadjibullahs gehandelt hat. Der Kläger zu 1 selbst beruft sich jedenfalls nicht auf eine herausragende Position innerhalb des afghanischen Innenministeriums oder auf besondere Machtbefugnisse als Mitarbeiter des Khad (während er auf der anderen Seite hervorgehoben hat, dass sein Vater als ehemaliger General im kommunistischen Regime von den Mudjaheddin verfolgt wurde). Es ist auch nicht anzunehmen, dass der Kläger zu 1 derzeit und in überschaubarer Zukunft ernstlich befürchten müsste, von den damaligen Verhandlungspartnern auf der Gegenseite wegen der seinerzeit abgeschlossenen Verträge mit dem Nadjibullah-Regime verfolgt oder sogar ermordet zu werden:

Es ist historisch belegt, dass in der zweiten Hälfte der 80iger Jahre des 20. Jahrhunderts in Afghanistan militärische und zivile Strukturen entstanden, die sich sowohl dem Einfluss der Regierung als auch des Widerstands entzogen. Hierzu trug die Regierung durch den Aufbau eigenständiger Milizen selbst bei. Seit Anfang der 80iger Jahre des 20. Jahrhunderts war es die Strategie Kabuls, in den paschtunischen Stammesgebieten unter Ausnutzung tribaler Rivalitäten Milizen mit Hilfe finanzieller und materieller Anreize zu gewinnen. Seit Mitte der 80iger Jahre unterstützte die Regierung massiv den Aufbau von Milizen im ganzen Land. Diese galten als zuverlässiger als die Armee und sollten die Lücken schließen, die die abziehenden sowjetischen Truppen hinterließen. Viele dieser Milizen bauten auf ethnischen oder regionalen Verbindungen auf und wurden bewusst in ortsfremden Regionen eingesetzt, um eine Rücksichtnahme auf ethnische oder regionale Loyalitäten soweit wie möglich auszuschließen. Vor allem der bekanntesten und stärksten Miliz, der jauzjan-Miliz des Usbeken Raschid Dostum, haftete ein negativer Ruf an (weshalb sie im Volksmund auch als gilam jam = Teppichdiebe bezeichnet wurde, was mit Existenzvernichter gleichzusetzen ist). Auf der Gegenseite gewannen auch viele Mudjaheddin gegenüber den Widerstandsparteien an Autonomie. Ahmed Schah Masud etablierte im Panjschirtal einen Kleinstaat mit Steuer- und Konskriptionssystem, Schul- und Gesundheitswesen und eigener Gesetzgebung; 1988 dehnte er mit Hilfe der schura-ye nazar, einer lockeren Vereinigung von Mudjaheddin, seinen Einfluss auf ganz Nordafghanistan aus. Auch Ismail Khan rief in der Provinz Herat staatsähnliche Strukturen auf regionaler Ebene ins Leben. Im Hazarajat etablierte die schiitische schura-ye engelab eine eigene Verwaltung und Gerichtsbarkeit und baute Schulen, Krankenhäuser und Straßen. Dieser Aufbau parastaatlicher Strukturen förderte das Selbstbewusstsein der Bevölkerung. Für viele Mudjaheddin und Milizen waren lokale und tribale Bindungen wichtiger als die politische Anbindung. Einige militärische Einheiten betrieben gleichsam Handel, indem sie sich in den Dienst der Regierung stellten, um nach einer gewissen Zeit ihre Loyalität den meistbietenden Widerstandsparteien zu verkaufen, nur um sich dann von der Regierung erneut kaufen zu lassen. In der Bevölkerung setzten sich allmählich auch pragmatische Überlegungen durch, so dass häufig Mitglieder einer Familie verschiedenen ideologischen Lagern angehörten, um sich alle Möglichkeiten offen zu halten.

Historisch belegt ist ferner, dass der gescheiterte Putsch in der UdSSR im Sommer 1991 und die Machtergreifung Boris Jelzins die Moskauer Afghanistanpolitik veränderte. Im September 1991 vereinbarten der russische Außenminister Boris Pankin und sein amerikanischer Kollege James Baker die Einstellung der Waffenlieferungen an die afghanischen Kriegsparteien. Da die Loyalität der Milizen gegenüber der Regierung in Kabul weitgehend auf Soldzahlungen beruhte, bestand für Nadjibullah mehr denn je die Gefahr des Abfalls der Miliz-Verbände. Um seine Macht zu sichern und den sich anbahnenden Konflikten mit den Milizen Nordafghanistans begegnen zu können, bestand das Ziel Nadjibullahs darin, die überwiegend nicht-paschtunischen Milizen und militärischen Verbände Nordafghanistans unter die Aufsicht paschtunischer Gefolgsleute zu stellen. Als Nadjibullah in der nordafghanischen Garnison Hairatan den tadschikischen General Abdul Momen durch General Rasul, einen Paschtunen und Vertreter des Khalq-Flügels der Partei, ersetzen lassen wollte, meuterte die Garnison. Daraufhin schlossen sich die nicht-paschtunischen Milizen und Militärs in Nordafghanistan dem Aufstand an. Wie wenig ideologische Grenzen noch zur Lagerbildung geeignet waren, zeigte sich, als die Aufständischen eine Allianz mit der von Masud geführten schura-ye nazar eingingen und binnen weniger Tage die gesamte Region nördlich von Kabul einnahmen. Der Zusammenbruch des Nadjibullah-Regimes vollzog sich sodann innerhalb von zwei Wochen. Am 25. April 1992 eskalierten die Spannungen in erbitterten Kämpfen um das Innenministerium und um den Präsidentenpalast. Auf der einen Seite standen die vereinten Kämpfer der Nicht-Paschtunen, auf der anderen Seite die Paschtunen von hezb-i-islami und Khalq. Nadjibullah flüchtete in die UNO-Mission in Kabul. Der Zusammenbruch der Regierung hatte zur Folge, dass Warlords und ihre Milizen das zentrale staatliche Monopol ersetzten und zahlreiche kleine Herrschaftsgebiete entstanden.

Nach dem Sturz Nadjibullahs trat eine Desintegration Afghanistans ein. Mit dem Zerfall des Staats ging jegliche Sicherheit verloren und willkürliche Gewaltanwendung, Überfälle und Enteignungen waren an der Tagesordnung. Die militärischen Auseinandersetzungen konzentrierten sich auf Kabul, wobei die Frontstellung etwa zwischen dem Bündnis aus jamiat - i islami, Dostums jombesch-i melli und hezb-i wahdat einerseits und den hezb-i islami andererseits verlief. Nahezu alle anderen Mudjaheddin-Parteien hielten sich aus den Kämpfen um Kabul heraus, weil sie sowohl eine Herrschaft Masuds als auch Hekmatyars ablehnten. Mit der Fragmentierung Afghanistans und den kriegerischen Auseinandersetzungen verschoben sich die ideologischen Leitlinien des Konflikts. Die Berufung auf den Islam avancierte zur einzigen Legitimation für politische und militärische Handlungen. Die Mudjaheddin-Parteien begaben sich in einen Konkurrenzkampf; Kriegsfraktionen hielten sich für um so "islamischer"; je radikalere Auffassungen eines "wahren Islam" sie ihrem Selbstverständnis zugrunde legten. Schon im Hinblick auf die ständig wechselnden Allianzen versteht es sich von selbst, dass dem Kläger zu 1 wegen seiner Tätigkeit für das Innenministerium bzw. den Geheimdienst zur Umorientierung der Mudjaheddin-Gruppen von Seiten der Kommandanten und Führer der Mudjaheddin keine Gefahr droht. Seitenwechsel der Mudjaheddin-Gruppen waren an der Tagesordnung und konnten der Öffentlichkeit nicht verborgen bleiben; auch war allgemein bekannt, dass zumeist finanzielle und materielle Anreize hierfür ausschlaggebend waren. Weshalb sich der Kläger zu 1 wegen seines Engagements bei den Mudjaheddin "verhasst" gemacht haben soll, ist letztlich nicht nachvollziehbar, da mit seiner Aufgabe die Gewährung der erwähnten Vorteile verbunden war. Widerstanden die örtlichen Kommandanten und Verhandlungspartner den Verlockungen des Klägers zu 1 als Vertreter des Nadjibullah-Regimes, so bestand kein Anlass zu Sanktionen; allenfalls wäre der Kläger zu 1, sofern seine Angebote als verwerflich erachtet worden wären, sofort unmittelbaren Übergriffen ausgesetzt gewesen. Diejenigen Mudjaheddin, die den finanziellen und materiellen Anreizen erlagen, sahen offenbar in ihrem Verhalten nichts Unrechtmäßiges und verhielten sich nicht anders als andere wechselbereite Kommandanten. Es ist daher nicht ersichtlich, dass dem Kläger zu 1 nach so vielen Jahren und im Hinblick auf die durchgreifenden innenpolitischen Veränderungen in Afghanistan asylerhebliche Sanktionen wegen seines damaligen Vorgehens drohen sollten.

Nach alldem hat sich die Rechts- oder Sachlage nicht zum Vorteil der Kläger verändert.

Die von den Klägern vorgelegten Bestätigungen stellen keine neuen Beweismittel im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG dar. Unter diese Regelung fallen gänzlich neue Beweismittel, die im früheren Verfahren noch nicht zur Verfügung standen, aber auch vorhandene Beweismittel, die ohne Verschulden des Betroffenen nicht oder nicht rechtzeitig beschafft werden konnten, oder von deren Existenz der Betroffene keine Kenntnis hatte. Beweismittel für Tatsachen, die im ersten Verfahren dem Beteiligten schon bekannt waren, aber von ihm nicht vorgetragen wurden, sind zwar, wenn die allgemeinen Voraussetzungen für ihre "Neuheit" gegeben sind, an sich neue Tatsachen; ein Wiederaufnahmeantrag kann jedoch gemäß § 51 Abs. 2 VwVfG nicht darauf gestützt werden, weil der Vorwurf des nicht rechtzeitigen Vorbringens geltend gemacht werden kann. So verhält es sich hier im Hinblick auf die von den Klägern vorgelegten schriftlichen Bekundungen afghanischer Flüchtlinge. Insoweit ist überdies fraglich, ob die Antragsfrist von drei Monaten gemäß § 51 Abs. 3 VwVfG gewahrt ist.

Das Verwaltungsgericht hat demnach die Klage insoweit zu Recht abgewiesen; die nicht begründete Berufung der Kläger ist zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO, § 780 Nr. 10 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

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