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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 23.02.2006
Aktenzeichen: 6 B 03.371
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 60
VwGO § 70
1. Ein Rechtsanwalt darf die Berechnung der üblichen Fristen in Rechtsangelegenheiten, die in seiner Praxis häufig vorkommen und deren Berechnung keine rechtlichen Schwierigkeiten macht, gut ausgebildetem und sorgfältig überwachtem Büropersonal überlassen (hier: Berechnung der Widerspruchsfrist nach § 70 VwGO).

2. Zur Ablage der anwaltlichen Handakten in laufenden Verfahren


Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

6 B 03.371

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Erschließungsbeitrags (******weg);

hier: Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 23. Januar 2003,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 6. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Maunz, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Rickelmann, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Eder

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 23. Februar 2006

am 23. Februar 2006

folgendes Urteil:

Tenor:

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks FlNr. 1040/119 der Gemarkung N******* **** ****, das im Westen am T*****weg und im Süden am F*****weg anliegt.

Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans "Östlich der K********* Straße", bekannt gemacht am 12. Oktober 1992, der auch den T*****weg als öffentliche Verkehrsfläche festsetzt. Der T*****weg wurde 1998 endgültig hergestellt und abgerechnet, der Kläger mit Bescheid vom 17. Juni 1998 zu einem Erschließungsbeitrag herangezogen. Der F*****weg wurde im Bebauungsplan "Nördlich der S******straße", bekannt gemacht am 17. Mai 1999, als öffentliche Verkehrsfläche abzweigend vom T*****weg festgesetzt. Er verläuft in Ost-West-Richtung mit zwei nach Norden hin abzweigenden Stichstraßen. Im Bebauungsplan "Nördlich der S******straße II", bekannt gemacht am 15. Januar 2001, wird einer dieser Stiche nach Norden fortgesetzt und mündet in eine weitere Erschließungsstraße.

Der Stadtrat der Beklagten legte mit Beschluss vom 23. September 1999 die Straße im Baugebiet "Nördlich der S******straße" einschließlich der beiden Stichstraßen als selbständig abzurechnende Erschließungsanlage fest. Für das Baugebiet "Nördlich der S******straße II" wurde mit Beschluss vom 15. November 2001 festgelegt, dass die dort vorgesehenen Straßen eine Anlage darstellten und der Erschließungsaufwand insgesamt zu ermitteln und zu verteilen sei, wobei hierzu Ablöseverträge abgeschlossen werden sollten.

Mit Bescheid vom 4. April 2002 setzte die Beklagte für das Grundstück des Klägers den Erschließungsbeitrag für die erstmalige Herstellung des F*****wegs in Höhe von 5.992,16 € fest. Der Bescheid wurde am folgenden Tag zur Post gegeben.

Am 13. August 2002 legten die Bevollmächtigten des Klägers bei der Beklagten Widerspruch ein und beantragten gleichzeitig wegen Versäumung der Widerspruchsfrist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung einer Rechtsanwaltsfachangestellten trugen sie vor, der Kläger habe am 15. April 2002 den Auftrag erteilt, Widerspruch einzulegen. Daraufhin habe ein Bevollmächtigter die Unterlagen seiner Rechtsanwaltsfachangestellten zur Eintragung der Vorfrist und der Ablaufsfrist für die Einlegung des Widerspruchs übergeben. Diese habe es aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen unterlassen, beide Fristen in den Fristenkalender einzutragen, weshalb ihm die Akte nicht mehr vorgelegt worden sei. Am 2. August 2002 habe ihn der Kläger angerufen und auf eine Ankündigung einer Zwangsvollstreckung hingewiesen. In diesem Zusammenhang habe er festgestellt, dass bisher kein Widerspruch eingelegt worden sei. Diese Versäumung der Frist sei weder durch den Kläger noch seinen Bevollmächtigten verschuldet, vielmehr auf das Verschulden der sorgfältig ausgewählten und überwachten Rechtsanwaltsfachangestellten zurückzuführen. Diese habe am 12. Juli 1999 die Fachangestelltenprüfung mit der Note gut bestanden. Sie sei seit 1. Oktober 2001 als Fachangestellte bei ihm beschäftigt und habe die ihr übertragenen Aufgaben mit äußerster Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit ohne jede Beanstandung erfüllt, insbesondere habe sie bei der Eintragung von Fristen in den Kalender noch kein einziges Mal einen Fehler begangen.

Zur Sache wurde vorgetragen, der Erschließungsbeitrag sei zu Lasten des Klägers zu hoch angesetzt worden. Das Grundstück grenze an zwei unterschiedliche Erschließungsanlagen an. Für jede der beiden Erschließungsanlagen habe dem Kläger eine Vergünstigung wegen Mehrfacherschließung eingeräumt werden müssen. Dies sei für die Erschließungsanlage T*****weg jedoch nicht erfolgt, die noch zu gewährende Vergünstigung sei im Beitragsbescheid für den F*****weg zu berücksichtigen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 6. September 2002 wies das Landratsamt S********* den Widerspruch zurück. Der Widerspruch sei verfristet und deshalb unzulässig. Der Beitragsbescheid sei am 8. Mai 2002 bestandskräftig geworden. Die mit Schreiben vom 13. August 2002 beantragte Wiedereinsetzung werde nicht gewährt. Hinsichtlich der Fristüberwachung liege beim Bevollmächtigten ein Organisationsmangel vor. Die Frist sei nicht lediglich um ein paar Tage, sondern um mehr als drei Monate versäumt worden. Bei einer ordnungsgemäßen Büroorganisation müsse der noch nicht erledigte Aktenbestand innerhalb dreier Monate öfter durchgesehen werden. Dies sei nicht erfolgt, erst auf den Anruf des Klägers wegen der angekündigten Zwangsvollstreckung habe der Bevollmächtigte die Akte durchgesehen. Auch der Kläger selbst müsse sich ein Verschulden anrechnen lassen, da er weder auf eine Zahlungserinnerung vom 6. noch vom 26. Juni 2002 reagiert habe. Somit liege ein Verschulden hinsichtlich der Versäumung der Widerspruchsfrist vor.

Ein Nachweis über die Zustellung des Widerspruchsbescheids liegt nicht vor.

Mit am gleichen Tage eingegangenem Schriftsatz vom 9. Oktober 2002 erhob der Kläger gegen die Beitragsfestsetzung Klage mit dem Ziel, wegen einer weiteren Eckgrundstücksvergünstigung die Beitragsforderung auf 3.041,18 € herabzusetzen. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei vom Landratsamt zu Unrecht abgelehnt worden. Dem Bevollmächtigten würden in der Kanzlei nur bei konkretem Anlass Akten vorgelegt. Ein solcher Anlass bestehe dann, wenn Fristen einzuhalten seien. Die Fristeinhaltung werde durch den Einsatz fachlich ausgebildeter und auf ihre Zuverlässigkeit überprüfter Fachkräfte gewährleistet. Die Nichtvorlage der Akte bei Ablauf der Widerspruchsfrist beruhe auf dem versehentlichen Unterlassen des Eintrags der Fristen für die Widerspruchseinlegung in den Fristenkalender. Auch der Kläger selbst müsse sich kein Verschulden anrechnen lassen. Aus einer Zahlungserinnerung könne nicht gefolgert werden, dass kein Widerspruch eingelegt worden sei.

Nach vorheriger Anhörung wurde die Klage mit Gerichtsbescheid vom 23. Januar 2003 abgewiesen. Das erforderliche Vorverfahren sei nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden, da die Widerspruchsfrist nicht eingehalten worden sei. Eine Wiedereinsetzung sei vom Landratsamt zu Recht versagt worden. Zwar habe sich der Kläger selbst kein Verschulden zurechnen zu lassen, da er auf die Einhaltung der Widerspruchsfrist durch seinen Bevollmächtigten habe vertrauen dürfen. Aus der Mahnung und Androhung der Zwangsvollstreckung habe er nicht auf eine Versäumung der Widerspruchsfrist schließen müssen, da der Widerspruch gegen einen Abgabenbescheid keine aufschiebende Wirkung habe. Er müsse sich jedoch das Verschulden seines Bevollmächtigten zurechnen lassen. Dessen Bürobetrieb sei mangelhaft organisiert gewesen. Akten in einem noch nicht abgeschlossenen Verfahren, in dem Fristen zu beachten seien, dürften nicht an beliebigen Plätzen innerhalb der Kanzleiräume herumliegen. Sie dürften vielmehr nur an drei möglichen Stellen liegen: a) Auf dem Schreibtisch des Rechtsanwalts zur Bearbeitung der Sache, b) auf dem Schreibtisch der Rechtsanwaltsgehilfin zur Eintragung einer Frist im Fristenkalender oder zur Fertigung eines vom Anwalt diktierten Schreibens oder c) im Wiedervorlagefach. Damit sei gewährleistet, dass unbearbeitete Akten nicht über einen Zeitraum von mehr als drei Monaten aus dem Blickfeld des Anwalts verschwänden. Lägen die Akten "ohne System mal hier, mal da herum", sei es tatsächlich unerlässlich, den gesamten Aktenbestand mindestens einmal im Monat durchzusehen. Da offensichtlich keine Vorkehrungen dagegen getroffen worden seien, dass Akten für einen längeren Zeitraum aus der Bearbeitungskette verschwänden, läge ein schuldhafter Organisationsmangel vor.

Die Berufung wurde mit Beschluss vom 14. Dezember 2005 zugelassen.

Mit Schriftsatz vom Montag, den 16. Januar 2006 beantragte der Kläger,

den Bescheid der Beklagten vom 4. April 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. September 2002 dahin abzuändern, dass der Erschließungsbeitrag für das Grundstück des Klägers auf 3.041,18 € festgesetzt wird,

hilfsweise die Streitsache an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen.

Zur Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Widerspruchsverfahren wurde auf die früheren Ausführungen Bezug genommen. Zur Sache wurde vorgetragen, die Eckgrundstücksermäßigung gemäß § 6 Nr. 11 der Erschließungsbeitragssatzung der Beklagten sei in dem früheren Beitragsbescheid vom 17. Juni 1998 für die erstmalige Herstellung der Anlage T*****weg nicht gewährt worden; der errechnete Betrag sei dem Kläger im angefochtenen Beitragsbescheid vom 4. April 2002 gutzuschreiben, wodurch sich die Beitragsschuld wie beantragt verringere.

Die Beklagte führte mit Schreiben vom 2. Februar 2006 aus, die abgerechnete Anlage F*****weg entspräche dem Bebauungsplan und der Widmung des Straßengrundstücks FlNr. 957/2. Die Anlage T*****weg sei bereits 1998 gewidmet und abgerechnet worden. Der Bebauungsplan, der den F*****weg festsetze, habe damals noch nicht bestanden.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen und der Behördenakten sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 23. Februar 2006 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht die Klage abgewiesen, da die mit dem angefochtenen Bescheid geltend gemachte Erschließungsbeitragsforderung dem Grunde nach besteht und in der festgesetzten Höhe den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

1. Die Klage ist zulässig, insbesondere wurde das nach § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO erforderliche Vorverfahren - wenn auch rechtsfehlerhaft - durchgeführt. Damit hätte das Verwaltungsgericht über die Klage in der Sache entscheiden müssen.

Wie vom Verwaltungsgericht festgestellt, lief die Frist zur Einlegung eines Widerspruchs am 7. Mai 2002 ab. Die Widerspruchseinlegung bei der Beklagten am 13. August 2002 war damit verspätet. Auf den gleichzeitig gestellten Antrag des Klägers hätte jedoch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Widerspruchsfrist gewährt werden müssen. Nach § 70 Abs. 2, § 60 Abs. 1 und 2 VwGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Dabei ist der Antrag binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen, die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind glaubhaft zu machen, und die versäumte Rechtshandlung ist innerhalb der Antragsfrist nachzuholen. Diese Voraussetzungen lagen vor.

1.1 Der Wiedereinsetzungsantrag vom 13. August 2002 hielt die Zweiwochenfrist des § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO ein. Der Kläger und seine Bevollmächtigten erhielten nach unbestrittenem und glaubhaftem Vortrag am 2. August 2002 Kenntnis von der unterbliebenen Einlegung des Widerspruchs gegen den Beitragsbescheid. An diesem Tag fragte der Kläger bei seinen Bevollmächtigten zu der Widerspruchseinlegung erstmalig nach, nachdem er von der Beklagten die Ankündigung einer Zwangsvollstreckung erhalten hatte. Erst durch diese Nachfrage stellten seine Bevollmächtigten anhand der Handakten fest, dass die beabsichtigte Einlegung unterblieben war.

Die Tatsachen zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags wurden mit der vorgelegten eidesstattlichen Versicherung der Rechtsanwaltsfachangestellten der Klägerbevollmächtigten glaubhaft gemacht.

Mit dem Wiedereinsetzungsantrag wurde gleichzeitig auch die versäumte Rechtshandlung - Einlegung des Widerspruchs - nachgeholt.

1.2 Die Versäumung der Widerspruchsfrist war weder vom Kläger noch ihm zurechenbar von seinen Bevollmächtigten verschuldet.

Der Kläger selbst durfte sich, wie vom Verwaltungsgericht ausgeführt, darauf verlassen, dass seine Bevollmächtigten die Widerspruchsfrist einhalten würden. Frühere Nachfragen des Klägers bei seinen Bevollmächtigten aufgrund von Mahnungen mussten sich dem Kläger nicht aufdrängen, da der Bescheid selbst den Hinweis enthielt, ein Widerspruch habe keine aufschiebende Wirkung und der geforderte Betrag sei damit unabhängig von einem eingelegten Rechtsbehelf zu zahlen.

Die Klägerbevollmächtigten verschuldeten weder eine mangelhafte Organisation der Büroabläufe noch eine unzureichende Auswahl und Überwachung der Fachangestellten.

Nach ständiger Rechtsprechung darf ein Rechtsanwalt die Berechnung der üblichen Fristen in Rechtsangelegenheiten, die in seiner Praxis häufig vorkommen und deren Berechnung keine rechtlichen Schwierigkeiten macht, gut ausgebildetem und sorgfältig überwachtem Büropersonal überlassen (BGH vom 12.2.1965 BGHZ 63, 148; BVerwG vom 28.4.1967 BVerwGE 27, 36; vom 26.11.2004 Az. 5 B 33.04 in juris; BFH vom 16.5.1990 BFHNV 1991, 174). Die Rechtsanwaltsfachangestellte war ausweislich des vorgelegten Fachangestelltenbriefs mit der Gesamtnote gut bewertet und fachlich ausgebildet. Nach dem glaubhaften Vortrag des Klägerbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht waren und sind ihr vergleichbare Fehler hinsichtlich der Fristeneintragung nicht unterlaufen, aus denen das Erfordernis einer weitergehenden Überwachung abgeleitet werden könnte. In der Kanzlei der Klägerbevollmächtigten sind nach deren Angaben etwa 20 bis 25 % der übernommenen Verfahren verwaltungsrechtlicher Art, so dass die Widerspruchsfristberechnung für die Angestellten häufig vorkommt; diese weist auch keine besonderen rechtlichen Schwierigkeiten auf. Ein Sonderfall, bei dem der Anwalt eine Frist selbst berechnen müsste, liegt nicht vor (vgl. BVerwG vom 10.12.1991 NJW 1992, 852 für die Beschwerdebegründungsfrist nach § 133 Abs. 3 VwGO). In der Kanzlei ist nach der Äußerung des Klägerbevollmächtigten geregelt, dass Fristen neben der Notierung auf dem Schriftgut in der Handakte auch in einem zentralen handschriftlich geführten Fristenkalender ebenso wie in einem elektronischen Fristenkalender eingetragen werden, wobei die Anwälte jeweils einen Tag im Voraus über Fristabläufe in Kenntnis gesetzt werden. Dies genügt einer ordnungsgemäßen Fristüberwachung in einer Anwaltskanzlei. Demgegenüber sind die Anforderungen des Verwaltungsgerichts zu weitgehend. Eine ständige Aktenpräsenz bei allen fristgebundenen Angelegenheiten an bestimmten vorgegebenen Stellen, insbesondere in Wiedervorlagefächern, kann nicht verlangt werden. Das Führen von Fristenkalendern soll aus verfahrensökonomischen Gründen ja gerade vermeiden, Akten wegen Wiedervorlageterminen - und sei es in einem Wiedervorlagefach - ständig wiederkehrend händisch durchsehen zu müssen. Grundsätzlich reicht es aus, unter dem Vorlagedatum im Kalender einen Hinweis auf die betreffende Akte aufzuführen, um diese dann aus dem hier alphabetisch angelegten Gesamtaktenbestand der laufenden Verfahren herausziehen zu können. Vom Verwaltungsgericht wurde zu Unrecht unterstellt, dass Akten in der Kanzlei der Klägerbevollmächtigten ungeordnet herumlägen. Zudem übersieht das Verwaltungsgericht, dass auch bei seinen Anforderungen an die Aufbewahrung von Akten zur Fristüberwachung Fehler bzw. Versehen auftreten können, indem eine Akte beispielsweise irrtümlich nicht in ein Wiedervorlagefach eingeordnet wird. Fristversäumnisse wären auch bei dieser postulierten Büroorganisation nicht auszuschließen. Auch dass die Handakte für längere Zeit nicht zur Hand genommen wurde und deshalb die Fristversäumnis nicht nur Tage, sondern drei Monate betrug, ist ohne Belang. Denn ein ständiges Durchsehen des gesamten Aktenbestandes kann wie ausgeführt nicht verlangt werden, soll vielmehr gerade durch die Fristenkontrolle in einem zentralen Fristenkalender entbehrlich werden. Eine zeitliche Schranke stellt hier § 60 Abs. 3 VwGO dar, wonach ein Wiedereinsetzungsantrag jedenfalls nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist unzulässig wird.

Mit der eidesstattlichen Versicherung der Rechtsanwaltsfachangestellten wurde glaubhaft gemacht, dass ein Bevollmächtigter ihr den Erschließungsbeitragsbescheid vom 4. April 2002 mit dem Auftrag übergeben hatte, die Fristen im Zusammenhang mit der Widerspruchseinlegung (Vorfrist und Ablaufsfrist) in den Fristenkalender einzutragen. Sie habe die Fristeintragung vergessen und deshalb dem Klägerbevollmächtigten die Akte zur Einlegung des Widerspruchs nicht mehr vorgelegt.

Insoweit liegt ein Verschulden einer Hilfsperson an der Fristversäumung vor, welches den Klägerbevollmächtigten und damit auch dem Kläger nicht zuzurechnen ist (Eyermann/Jörg Schmidt, VwGO, 11. Aufl. 2000, RdNr. 20 zu § 60).

Da Wiedereinsetzungsgründe vorliegen und die Klage auch im Übrigen zulässig ist, hat der Senat in der Sache zu entscheiden.

2. Die Erschließungsbeitragspflicht ist mit der endgültigen erstmaligen Herstellung des F*****wegs als Erschließungsanlage entstanden (§ 133 Abs. 2 BauGB). Das Grundstück des Klägers gehört zum Kreis der durch die Anlage erschlossenen Grundstücke nach § 131 Abs. 1 Satz 1, § 133 Abs. 1 BauGB, was unter den Beteiligten auch nicht strittig ist. Der Kläger wendet vielmehr nur ein, der Erschließungsbeitrag für die Herstellung des F*****wegs sei zu hoch festgesetzt worden, da ihm eine Mehrfacherschließungsvergünstigung für die im Jahr 1998 abgerechnete erstmalige Herstellung des T*****wegs nicht angerechnet worden sei.

2.1 Ein Abschlag für die bereits früher erfolgte Herstellung des T*****wegs, an welchem das Grundstück des Klägers als Eckgrundstück ebenfalls anliegt, kann bei der Abrechnung des F*****wegs nicht gewährt werden.

§ 6 Abs. 11 der Erschließungsbeitragssatzung der Beklagten vom 19. Oktober 1988 - EBS - bestimmt, dass für Grundstücke, die von mehr als einer Erschließungsanlage im Sinn des § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB erschlossen werden, die Grundstücksfläche bei Abrechnung jeder Erschließungsanlage nur mit zwei Dritteln anzusetzen ist; dies gilt nicht, (1.) wenn ein Erschließungsbeitrag nur für eine Erschließungsanlage erhoben wird und Beiträge für weitere Anlagen zu deren erstmaligen Herstellung weder nach dem geltenden Recht noch nach vergleichbaren früheren Rechtsvorschriften erhoben worden sind oder erhoben werden, (2.) für Grundstücke in Kern-, Gewerbe- und Industriegebieten, sowie für Grundstücke, die überwiegend gewerblich genutzt werden.

Die Ausnahmetatbestände des § 6 Abs. 11 Nrn. 1 und 2 EBS liegen ersichtlich nicht vor. Ein Mehrfacherschließungsabschlag dahin, dass die Grundstücksfläche nur mit zwei Dritteln angesetzt wurde, ist im streitgegenständlichen Bescheid erfolgt. Damit wurde berücksichtigt, dass das Grundstück bereits zu Erschließungsbeiträgen für die weitere Anlage T*****weg herangezogen worden war.

Ein nachträglicher Abschlag bzw. eine Mehrfacherschließungsvergünstigung hinsichtlich der früher hergestellten Anlage T*****weg, welche der Kläger nunmehr in die streitgegenständliche Abrechnung einführen möchte, scheidet aus. Beurteilungs- und Bemessungszeitpunkt für die Beitragsforderung ist immer das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht, für den T*****weg also im Jahre 1998. Zu diesem Zeitpunkt lag aber für die Abrechnung des T*****wegs die Voraussetzung des § 6 Abs. 11 EBS, dass das Grundstück des Klägers von mehr als einer Erschließungsanlage erschlossen wird, nicht vor. Denn der F*****weg war zu dieser Zeit als zum Anbau bestimmte Erschließungsanlage nicht vorhanden, so dass das Grundstück zum damaligen Zeitpunkt nur von einer Erschließungsanlage, dem T*****weg, erschlossen wurde. Eine Mehrfacherschließungsvergünstigung war zum entscheidenden Beurteilungszeitpunkt somit nicht zu gewähren. Eine nachträgliche Veränderung der Erschließungssituation, wie hier durch das Hinzukommen einer weiteren Erschließungsanlage, kann zu keiner nachträglichen Veränderung der damals entstandenen sachlichen Beitragspflicht und -höhe führen.

2.2 Allerdings hat die Beklagte der Abrechnung eine unzutreffende Anlage zugrunde gelegt. Die Erschließungsanlage, die den Ermittlungsraum bzw. das Abrechnungsgebiet festlegt, ist nach ständiger Rechtsprechung bei natürlicher Betrachtungsweise festzustellen, wobei das äußere Erscheinungsbild im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht entscheidet. Maßgebliche Kriterien hierfür sind die Straßenführung, ihre Breite, Länge und Ausstattung, nicht dagegen die Benennung des Straßenzugs, Grundstücksgrenzen sowie der zeitliche Ablauf von Planung und Bauausführung (BVerwG vom 22.3.1996 BVerwGE 101, 12; vom 7.6.1996 BVerwGE 101, 225; BayVGH vom 13.12.2001 Az. 6 B 00.755).

Der vorgelegte Straßenausbauplan, der den tatsächlichen Ausbau darstellt, bezeichnet den östlichen Ast des F*****wegs ab der nach Norden abzweigenden später fortgeführten Stichstraße als "Anliegerstraße", wogegen der westliche Ast und die nach Norden abzweigende Stichstraße als "Sammelstraße" bezeichnet werden. Die östliche "Anliegerstraße" hat einschließlich Gehweg eine Ausbaubreite von 6 m. Der westliche Ast und die Stichstraße haben dagegen eine Breite von 6,5 m für Fahrbahn und einseitigen Gehsteig auf der nördlichen bzw. westlichen Fahrbahnseite, wobei auf der gegenüberliegenden südlichen Fahrbahnseite des westlichen Astes weiterhin Fahrzeugparkflächen in Rasengittersteinausführung abschnittsweise wechselnd mit Gehwegflächen vorhanden sind; für den nördlichen Stich ist auf der dem Gehweg gegenüberliegenden Seite ein 2 m breiter Streifen als öffentliche Grünfläche angelegt. Vom zeichnerischen Verlauf drängt sich der Eindruck auf, der vom T*****weg abzweigende westliche Teil des F*****wegs setze sich kurvenförmig mit großem Radius gebogen in den nördlichen Stich fort, da der östliche schmälere Ast nicht die unmittelbare durchgehende Fortführung des westlichen Astes ist, vielmehr etwas nördlich des Scheitelpunkts versetzt in die Kurve einmündet. Zudem ist die Einmündung auf einer Länge von etwa 12 m aufgepflastert und vom Kurvenverlauf der west-nördlichen Fahrbahn durch eine Dreizeilermuldenrinne bautechnisch abgegrenzt. Dieser Eindruck wird auch durch die von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Fotos des fraglichen Bereichs bestätigt. Danach hat ein Verkehrsteilnehmer von Westen kommend den Eindruck, die Straße führe in einer Kurve nach Norden hin fort, da der östliche versetzte Ast des F*****wegs eine geringere Breite aufweist und die Aufpflasterung seiner Einmündung den Kurvenverlauf nach Norden hin vorgibt. Von Norden her kommend drängt sich der Eindruck auf, man würde der Straße nach Westen abbiegend folgen, während man in den östlichen Arm des F*****wegs nach links abbiegen müsste.

Somit handelt es sich bei natürlicher Betrachtungsweise nach dem äußeren Erscheinungsbild um zwei Anlagen. Dies sind der westliche Ast des F*****wegs, der sich nach Norden hin fortsetzt, sowie der östliche Ast von der beschriebenen Kurveneinmündung bis zu der östlichen Einmündung A* N******** Weg.

Eine Zusammenfassung der beiden Anlagen zu einer Erschließungseinheit, wie mit Stadtratsbeschluss vom 23. September 1999 beabsichtigt, ist jedoch nicht möglich. Nach ständiger Rechtsprechung setzt die auf die Bildung einer Erschließungseinheit gerichtete Ermessensentscheidung zunächst voraus, dass zwischen den beiden oder mehreren Anlagen eine enge funktionelle Abhängigkeit besteht. Diese ist ausnahmsweise dann gegeben, wenn mehrere Anlagen derart voneinander abhängen, dass die Grundstücke erst durch die Gesamtheit dieser Anlagen erschlossen werden. Daran fehlt es, wenn der Anschluss an das weiterführende Straßennetz der Gemeinde nicht ausschließlich über eine einzige der Anbaustraßen des betreffenden Gebiets erfolgt, sondern wenn zumindest zwei Möglichkeiten bestehen, das übrige Straßennetz der Gemeinde zu erreichen (zuletzt BayVGH a.a.O.). Vorliegend sind aber mehrere Anschlussstellen an das übrige Straßennetz vorhanden, so im Osten A* N******** Weg, im Westen am T*****weg und im Norden an den E****weg. Somit liegt keine isolierte Insellage des Neubaugebiets nördlich der S******straße vor.

Damit ist entgegen der vorgenommenen Abrechnung keine Zusammenfassung der zwei eigenständigen Anlagen möglich.

Zum Zeitpunkt des Eingangs der letzten Unternehmerrechnung des Ingenieurbüros W*** und Partner am 20. Juli 2001 bei der Beklagten für die hier streitgegenständliche Abrechnung, zu dem die Beklagte das Entstehen der sachlichen Beitragspflichten annimmt, endete jedoch der west-nördliche Arm des F*****wegs nicht mit dem Ende des nördlichen Stichs, da zu diesem Zeitpunkt bereits der weitere Bebauungsplan "Nördlich der S******straße II", bekannt gemacht am 15. Januar 2001, in Kraft getreten war und die Fortsetzung dieser Stichstraße zu der weiteren Erschließungsanlage E****weg festsetzte. Damit war aber das Bauprogramm vor Entstehen der Beitragspflicht um die Fortführung der Anlage ergänzt worden, wodurch es sich mangels endgültiger Herstellung der gesamten Anlage westlicher und nördlicher Teil des F*****wegs bis zum E****weg gerade um keine endgültige Herstellung handeln würde.

Jedoch hat die Beklagte mit dem Stadtratsbeschluss vom 23. September 1999, mit dem sie die Straße im Baugebiet "Nördlich der S******straße" einschließlich der beiden Stichstraßen als selbständig abzurechnende Erschließungsanlage und damit Erschließungseinheit festlegen wollte, zugleich eine Abschnittsbildung für den westlich-nördlichen Teil des F*****wegs bis zur Grenze des Bebauungsplans vorgenommen. Auch wenn dieser Beschluss nicht ausdrücklich die Abschnittsbildung formuliert, ergibt sich doch im Wege der Auslegung, dass nur der im Geltungsbereich des Bebauungsplans liegende Teil der Straße abgerechnet werden sollte. Die zugleich vorgenommene Bildung einer Erschließungseinheit und Abschnittsbildung schlägt somit zwar hinsichtlich der Zusammenfassung der verschiedenen Anlagen fehl, entfaltet aber für die Abschnittsbildung Wirksamkeit. Nach § 130 Abs. 2 Satz 2 BauGB können Abschnitte einer Erschließungsanlage nach örtlich erkennbaren Merkmalen oder nach rechtlichen Gesichtspunkten (z. B. Grenzen von Bebauungsplangebieten u. a.) gebildet werden. Abschnittsgrenzen sind hier für den Teil des F*****wegs die Grenzen des Bebauungsplans "Nördlich der S******straße", die Abschnittsbildung ist somit rechtlich zulässig. Der Wille zur Abschnittsbildung ergibt sich im Übrigen auch aus dem weiteren Stadtratsbeschluss vom 15. November 2001, der einerseits ebenfalls eine Zusammenfassungsentscheidung für Straßen im nördlich angrenzenden Neubaugebiet trifft, damit aber zugleich die Zäsur im nördlichen F*****weg an der Bebauungsplangrenze bestätigt.

Die Beitragspflicht des Klägers für den von der Beklagten beschlossenen Abschnitt ist daher mit der letzten Unternehmerrechnung entstanden, allerdings nur für den west-nördlichen Arm des F*****wegs.

2.3 Eine Vergleichsberechnung des auf das klägerische Grundstück entfallenden Erschließungsbeitrags unter Zugrundelegung des west-nördlichen Abschnitts des F*****wegs ist entbehrlich. Es liegt auf der Hand, dass der Herstellungsaufwand für diesen Anlageabschnitt um einiges höher ist, als der von der Beklagten ursprünglich mit eingerechnete Aufwand für die Anlage östlicher Teil des F*****wegs. Der östliche Teil hat nach dem vorgelegten Ausbauplan eine geringere Breite und auch eine geringere ausgebaute Fahrbahnfläche, weniger öffentliche Grünflächen sowie Gehwege und Kfz-Parkflächen. Zudem sind für die Grundstücke FlNrn. 958/9 und 964/12 wegen der Mehrfacherschließungsvergünstigung infolge der Trennung in zwei selbständige Anlagen, an denen sie beide anliegen, geringere Grundflächen heranzuziehen. Darüber hinaus sind die dem östlichen Teil des F*****wegs anliegenden und beitragspflichtigen Grundstücke im Durchschnitt größer als die dem westlichen Ast anliegenden, so dass bei deren Herausnahme aus der Verteilungsrechnung - wenn auch bei geringerem Aufwand aufgrund der Aufteilung auf zwei Anlagen - eine größere Belastung der westlich anliegenden Grundstücke, somit auch des Grundstücks des Klägers, entsteht. Überschlägig kann somit angenommen werden, dass auf den Kläger bei einer Neuberechnung ein höherer Erschließungsbeitrag entfällt.

Der angegriffene Bescheid verletzt den Kläger somit nicht in seinen Rechten, so dass die Klage zu Recht abgewiesen wurde.

Damit war die Berufung mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO, § 708 Nr. 10, § 711 ZPO. Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.

Beschluss:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 2.950,98 € festgesetzt (§ 13 Abs. 2, § 14 Abs. 1, § 25 GKG a.F.), was der begehrten Herabsetzung des angefochtenen Bescheids entspricht.

Ende der Entscheidung

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