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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 08.04.2008
Aktenzeichen: 6 B 05.1276
Rechtsgebiete: BauGB


Vorschriften:

BauGB § 131 Abs. 3
Bestimmt eine Erschließungsbeitragssatzung, dass ein einheitlicher Artzuschlag auch bei gemischt genutzten Grundstücken unabhängig vom Umfang der gewerblichen Nutzung zu erheben ist, verstößt die Verteilungsregelung gegen das Differenzierungsgebot des Art. 5 a KAG i.V.m. § 131 Abs. 3 BauGB.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

6 B 05.1276

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Erschließungsbeitrags (**********);

hier: Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 24. Februar 2005,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 6. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Maunz, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Traxler, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Rickelmann

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 3. April 2008

am 8. April 2008

folgendes Urteil:

Tenor:

I. Das Berufungsverfahren wird wegen der Beschränkung des Rechtsmittels in der mündlichen Verhandlung vom 3. April 2008 hinsichtlich eines Beitragsteils in Höhe von 10.029,18 € eingestellt.

II. Im Übrigen wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 24. Februar 2005 abgeändert.

III. Der Erschließungsbeitragsbescheid des Beklagten vom 5. November 2001 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 22. Januar 2002 und vom 11. August 2004 sowie des Widerspruchsbescheids vom 19. Februar 2003 wird aufgehoben, soweit ein Beitrag von mehr als 10.029,18 € festgesetzt worden ist.

IV. Von den Kosten des Verfahrens im ersten Rechtszug trägt der Beklagte 5/11. Im Übrigen verbleibt es bei der Kostenentscheidung im Urteil des Verwaltungsgerichts vom 24. Februar 2005. Von den Kosten des Berufungsverfahrens bis zur Teilrücknahme des Rechtsmittels tragen die Klägerin 6/11, der Beklagte 5/11, ab diesem Zeitpunkt der Beklagte die gesamten Kosten.

V. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kostenschuldner kann eine Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern nicht der Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in derselben Höhe leistet.

VI. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen ihre Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag. Sie ist Eigentümerin des Grundstücks Fl.Nr. **** der Gemarkung H**********, das mit seiner Nordseite an den D******weg und mit der Ostseite an die Straße A* B*** angrenzt. Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans "A* B***" Nr. III/1 A, der ein allgemeines Wohngebiet festsetzt.

Mit Bescheid vom 5. November 2001, berichtigt durch Bescheid vom 22. Januar 2002, setzte der Beklagte für die endgültige Herstellung des D******wegs einen Erschließungsbeitrag in Höhe von 18.068,58 Euro fest. Eine Grundabtretungsentschädigung und eine gezahlte Vorausleistung in Höhe von insg. 8.661,22 Euro wurden bei der Zahlungsaufforderung angerechnet. Den von der Klägerin erhobenen Widerspruch wies das Landratsamt Erlangen-Höchstadt mit Widerspruchsbescheid vom 19. Februar 2003 zurück.

Die Klägerin erhob daraufhin Klage und beantragte zunächst (sinngemäß), den Beitragsbescheid insoweit aufzuheben, als ein Gewerbezuschlag festgesetzt und die Eckgrundstücksvergünstigung nicht gewährt wurde. Im weiteren Verlauf des Verfahrens nach Ablauf der Klagefrist beantragte sie die Aufhebung sämtlicher Bescheide mit folgender Begründung: In ihrem Wohnhaus werde lediglich ein einziger Raum von ihrem Sohn gelegentlich für Büroarbeiten im Rahmen des von ihm nebenberuflich betriebenen Wartungsdienstes für Feuerungsanlagen mit benutzt. Diese Tätigkeit führe zu keinem erhöhten Ziel- und Quellverkehr, Kundenbesuche fänden nicht statt. Nach der Erschließungsbeitragssatzung des Beklagten in der geänderten Fassung vom 4. Dezember 2000 seien für tatsächlich gewerblich genutzte Grundstücke die Nutzungsfaktoren um je 30 % zu erhöhen, die Eckgrundstücksermäßigung entfalle. Diese Satzungsbestimmungen seien nichtig, weil sie gegen das Vorteilsprinzip, den Gleichheitsgrundsatz und das Übermaßverbot verstießen. Eine völlig untergeordnete gewerbliche Nutzung, die im Verhältnis zur ansonsten vorliegenden reinen Wohnnutzung nicht ins Gewicht falle, rechtfertige weder einen Gewerbezuschlag noch dürfe deshalb die Eckgrundstücksvergünstigung verwehrt werden. Die angefochtenen Bescheide seien daher mangels wirksamer Rechtsgrundlage rechtswidrig und aufzuheben. Des Weiteren hätte den an einen Privatweg angrenzenden Grundstücken Fl.Nrn. ****/1 und ****/2 keine Vergünstigung wegen Mehrfacherschließung gewährt werden dürfen.

Mit Bescheid vom 11. August 2004 erhöhte der Beklagte den festgesetzten Erschließungsbeitrag auf 18.378,65 Euro, da der Artzuschlag für ein anderes Grundstück im Abrechnungsgebiet wegen Nichtausübung des Gewerbes aufgehoben worden war.

Mit Urteil vom 24. Februar 2005 wies das Verwaltungsgericht Ansbach die Klage ab. Es führte zur Begründung aus: Der streitgegenständliche Erschließungsbeitragsbescheid finde seine Rechtsgrundlage in §§ 127 ff BauGB in Verbindung mit der Erschließungsbeitragssatzung in der maßgeblichen Fassung vom 4. Dezember 2000, weil die letzte Unternehmerrechnung am 15. Oktober 2001 eingegangen sei. Die Satzung sei wirksam. Der in § 6 Abs. 10 EBS geregelte, allein auf die tatsächliche gewerbliche Nutzung abstellende grundstücksbezogene Artzuschlag werde den Anforderungen des § 131 Abs. 3 BauGB gerecht. Er erfasse erhebliche, hinreichend abgrenzbare Unterschiede baulicher Nutzungen in typischen Fallgruppen (gewerbliche Nutzung - Wohnnutzung) nach Art und Maß dieser Nutzungen, nach zulässiger typisierender Betrachtung angemessen vorteilsgerecht und zugleich so, dass das Heranziehungsverfahren praktikabel und überschaubar bleibe. Es sei weder ein Verstoß gegen das Übermaßverbot noch gegen den Gleichheitsgrundsatz zu erkennen. Nach dem im Abgabenrecht geltenden Begriff der Typengerechtigkeit sei es dem (Orts-)Gesetzgeber gestattet, zu verallgemeinern und zu pauschalieren. Demnach genüge es, Regelfälle eines Sachbereichs zu erfassen und sie als sogenannte typische Fälle gleichartig zu behandeln. Geschehe dies, könnten Betroffene, die deswegen ungleich behandelt würden, weil die Umstände ihres Einzelfalls nicht denen der Typenfälle entsprächen, keine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes geltend machen. Demnach könne sich auch die Klägerin mit ihrem Vortrag, dass das auf ihrem Grundstück ausgeübte Gewerbe keinerlei zusätzlichen Ziel- und Quellverkehr auslöse, weil die durchgeführten Reparaturen an Heizungen jeweils im Hause der Kunden stattfänden, wegen dieser "Atypik" nicht auf eine Verletzung des Art. 3 GG berufen. Im Regelfall bedinge nämlich eine - neben der Wohnnutzung stattfindende - gewerbliche Nutzung typischerweise einen höheren Ziel- und Quellverkehr, und dies bei typisierender Betrachtung grundsätzlich unabhängig vom Verhältnis der gewerblichen Nutzung zur Wohnnutzung auf dem jeweiligen Grundstück.

§ 6 Abs. 11 EBS, der den Wegfall der Eckgrundstücksvergünstigung bei gewerblich genutzten Grundstücken regele, sei ebenfalls wirksam. Entscheide sich die Gemeinde im Rahmen ihres weiten Ermessens für die Aufnahme einer Eckgrundstücksvergünstigung, stehe es ihr frei, die Vergünstigung auf Wohnbebauung zu beschränken und damit gewerblich genutzte Grundstücke von der Vergünstigung auszuschließen. Würde die Eckgrundstücksvergünstigung auch für gewerblich genutzte Grundstücke gewährt werden, würde dies die im Hinblick auf den anzunehmenden höheren Erschließungsvorteil festgelegte Mehrbelastung durch Artzuschlag wieder mindern und damit dem Vorteilsprinzip nicht gerecht werden.

Für atypische Einzelfälle, in denen der grundsätzlich auch bei geringfügiger gewerblicher Nutzung sich ergebende Ziel- und Quellverkehr ausnahmsweise weitgehendst unterbleibe, sei sorgfältig zu prüfen, ob eine (beantragte) Billigkeitsentscheidung geboten sei (§ 135 Abs. 5 BauGB).

Den zwischen D******weg und dem Privatweg A* B*** liegenden Grundstücken (Fl.Nrn. ****/1 und ****/2) seien zu Recht Eckgrundstücksvergünstigungen gewährt worden. Sie würden neben dem D******weg über den ca. 60 m langen Privatweg auch durch die öffentliche Straße A* B*** erschlossen.

Zur Begründung der mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 31. Mai 2007 zugelassenen Berufung vertiefte die Klägerin ihr bisheriges Vorbringen und führte ergänzend aus: Es liege ein Verstoß gegen § 131 Abs. 3 BauGB vor, wenn in der Satzung bei der Festlegung des Artzuschlags allein auf die Verschiedenheit der Nutzung nach der Nutzungsart und nicht auch auf die Verschiedenheit nach dem Nutzungsmaß abgestellt werde. Es sei zwingend geboten, in der Satzung auch eine Regelung über das Maß der gewerblichen Nutzung im Verhältnis zur Wohnnutzung zu treffen. Das Wohngebäude der Klägerin habe eine Gesamtwohnfläche von 396,79 m², das von ihrem Sohn für gewerbliche Zwecke mitgenutzte Wohnzimmer im Dachgeschoss weise eine Fläche von knapp 34 m² auf. Der gewerbliche Nutzungsanteil dieses Zimmers liege zudem weit unter dem privaten. Das angefochtene Urteil berücksichtige auch nicht, dass heutzutage Bürotätigkeiten im häuslichen Bereich unter Einsatz elektronischer Datenverarbeitung vorgenommen würden, ohne zusätzlichen Ziel- und Quellverkehr auszulösen. Die Satzung verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz, indem die Eigentümer von Wohngebäuden mit der geringsten gewerblichen Nutzung bezüglich des Artzuschlags gleichgestellt würden mit den Eigentümern der Wohngebäude mit überwiegend gewerblicher Nutzung und sogar mit den Grundstückseigentümern in Kern-, Gewerbe- und Industriegebieten. Das Bundesverwaltungsgericht habe die Gleichstellung gewerblich genutzter Grundstücke mit Grundstücken in Gewerbe- und Industriegebieten bezüglich der Festlegung eines Artzuschlags nur für gerechtfertigt angesehen, wenn es sich um "überwiegend gewerblich" genutzte Grundstücke handele. Wenn bereits die geringfügigste gewerbliche Nutzung zugleich die Eckgrundstücksvergünstigung entfallen lasse, liege eindeutig ein Verstoß gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Übermaßverbotes vor. Der Beklagte hätte die Erschließungsbeitragssatzung in der Fassung vom 24. März 1999 anwenden müssen, weil die Bauarbeiten 1998 abgeschlossen gewesen seien und die letzte Unternehmerrechnung spätestens am 1. Dezember 1999 eingegangen sei. Bei den Rechnungen des Vermessungsamts und der Landesjustizkasse hinsichtlich der Vereinigung von Straßenflächen aus dem Jahr 2001 handle es sich allenfalls um behördeninterne Verrechnungen.

Die Klägerin beantragt zuletzt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 24. Februar 2005 und die Bescheide des Beklagten vom 5. November 2001, vom 22. Januar 2002 und vom 11. August 2004 sowie den Widerspruchsbescheid vom 19. Februar 2003 insoweit aufzuheben, als ein Gewerbezuschlag festgesetzt und eine Eckgrundstücksermäßigung verweigert worden ist.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil. Die Klägerin habe mit ihrer Klage den Ausgangsbescheid nur eingeschränkt angefochten. Die Klagebegründung nach Ablauf der Klagefrist greife die Bescheide insgesamt an. Der Berichtigungsbescheid vom 11. August 2004 gebe keine neue Klagebefugnis mit Ausnahme des berichtigten Teils.

Die Satzung differenziere hinreichend nach Art und Maß der baulichen und sonstigen Nutzung. Eine Differenzierung der gewerblichen Nutzung untereinander sei nicht erforderlich. Würde man speziell auf einzelne Gewerbetätigkeiten abstellen, könnte differenziert werden nach der Anzahl der Beschäftigten, der Betriebsfahrzeuge, von Außendienstmitarbeitern, Kundenkontakten etc.. Dies widerspräche dem Grundsatz der Praktikabilität und Typisierung. Der vom Sohn der Klägerin betriebene Wartungsdienst erschöpfe sich nicht in einer buchhalterischen Tätigkeit, sondern richte sich auch nach außen. Der Gewerbetreibende müsse ein Fahrzeug und Ersatzteile vorhalten, um die Wartungsarbeiten durchzuführen. Der Vorteilsgesichtspunkt sei gewahrt, da auf dem Grundstück der Klägerin eine gewerbliche Tätigkeit stattfinde und von diesem Grundstück gewerbsmäßig weggefahren und zurückgefahren werde. Ein "Wartungsservice" lebe von der Möglichkeit der Erreichbarkeit von Feuerungsanlagen, sprich von der Straße. Der Inhaber des Gewerbes erzeuge Ziel- und Quellverkehr, auch würden wohl Ersatzteile angeliefert. Die Entscheidung des Beklagten, die Eckgrundstücksvergünstigung nur der Wohnbebauung zukommen zu lassen, sei sachgerecht.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Klagepartei hat in der mündlichen Verhandlung vom 3. April 2008 ihr Aufhebungsbegehren auf die Festsetzung eines Gewerbezuschlags und die Verweigerung einer Eckgrundstücksermäßigung beschränkt. In dieser Beschränkung des Berufungsantrags ist eine teilweise Rücknahme der Berufung nach § 126 Abs. 1 Satz 1 VwGO zu sehen, weshalb das Berufungsverfahren insoweit entsprechend § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen ist (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 12. Aufl., RdNr. 1 b zu § 126). Nach der mit Schreiben des Beklagten vom 28. März 2008 vorgelegten Vergleichsberechnung ist damit das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 24. Februar 2005 in Höhe eines Beitragsteils von 10.029,18 Euro rechtskräftig geworden.

Hinsichtlich des diesen Betrag übersteigenden Beitragsteils in Höhe von 8.349,47 Euro ist die Berufung der Klägerin zulässig und begründet. Die Beitragsfestsetzung ist insoweit rechtswidrig, als sie auf der Berücksichtigung eines Gewerbezuschlags für das veranlagte Grundstück beruht und diesem keine Vergünstigung wegen Mehrfacherschließung gewährt. Unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils sind die Bescheide in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, weil sie insoweit rechtswidrig sind und die Klägerin in ihren Rechten verletzen.

II.

1. Die Erschließungsbeitragsforderung des Beklagten ist dem Grunde nach gerechtfertigt. Mit der am 4. Mai 2001 bekannt gemachten Widmungsverfügung vom 30. April 2001 ist die sachliche Beitragspflicht des klägerischen Grundstücks für den 1998 erstmals endgültig hergestellten D******weg nach §§ 127 ff. BauGB entstanden. Die planungsrechtliche Grundlage gemäß § 125 Abs. 1 BauGB bilden die Bebauungspläne "A* B***" Nrn. III/1 A und III/1 D, in Kraft gesetzt am 10. September 1982 bzw. am 26. April 1989. Zwar ist die Satzung zur Änderung der Erschließungsbeitragssatzung des Beklagten vom 4. Dezember 2000 nichtig; die Beitragspflicht konnte aber auf der Grundlage der Erschließungsbeitragssatzung vom 12. Januar 1988 i.V. mit der Satzung zur Änderung der Erschließungsbeitragssatzung vom 24. März 1999 entstehen.

Die Änderungssatzung vom 4. Dezember 2000 hat folgenden Wortlaut:

Satzung zur Änderung der Erschließungsbeitragssatzung

des Marktes H**********

"Art. 1

§ 6 Abs. 10 Satz 1 erhält folgende neue Fassung:

Werden in einem Abrechnungsgebiet (§ 5) außer

a) Grundstücken, die nach den Festsetzungen eines Bebauungsplanes in einem Kern-, Gewerbe- oder Industriegebiet liegen, oder

b) Grundstücken, welche nicht unter Ziffer a) fallen, aber tatsächlich gewerblich genutzt sind, auch andere Grundstücke erschlossen, so sind

- für die Grundstücke nach Ziffer a) die in Abs. 2 genannten Nutzungsfaktoren um je 30 v.H. und

- für die Grundstücke nach Ziffer b) die in Abs. 2 genannten Nutzungsfaktoren um je 30 v.H.

zu erhöhen.

Art. 2

Diese Satzung tritt am Tage nach ihrer Bekanntmachung in Kraft."

Art. 1 b) dieser Änderungssatzung ist wegen Verstoßes gegen das der Regelung des Art. 5 a KAG i.V.m. § 131 Abs. 3 BauGB zu Grunde liegende Vorteilsprinzip nichtig. Dieser Fehler führt zu einer Unvollständigkeit der Verteilungsregelung und damit zu deren Unwirksamkeit insgesamt (vgl. BVerwG vom 15.11.1985 NVwZ 1986, 299/300). Nach § 131 Abs. 3 BauGB sind in Gebieten, die nach dem Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes erschlossen werden, wenn eine unterschiedliche bauliche oder sonstige Nutzung zulässig ist, die Maßstäbe nach § 131 Abs. 2 BauGB in der Weise anzuwenden, dass der Verschiedenheit dieser Nutzung nach Art und Maß entsprochen wird. Das mit dieser Vorschrift zum Ausdruck gebrachte Differenzierungsgebot zielt darauf ab, den Erschließungsaufwand jedenfalls in neu erschlossenen Gebieten gemäß dem Vorteilsprinzip angemessen zu verteilen: Grundstücke eines Abrechnungsgebiets, die größere Erschließungsvorteile haben als andere Grundstücke desselben Abrechnungsgebiets, sollen bei der Verteilung des Erschließungsaufwands stärker belastet werden als die anderen, die nur geringere Vorteile haben. Der maßgebliche Erschließungsvorteil ist der Sache nach daran zu messen, was die Erschließung für die bauliche oder gewerbliche Nutzung des betreffenden Grundstücks hergibt (BVerwG vom 26.1.1979 BVerwGE 57, 240/245, 246; vom 23.1.1998 BVerwGE 106, 147/149). Hinsichtlich der verschiedenen Arten der Nutzung muss der in der Satzung vorgesehene Verteilungsmaßstab wenigstens eine Unterscheidung zwischen gewerblicher/industrieller Nutzung und anderer Nutzung - insbesondere Wohnnutzung - vorsehen (BVerwG vom 26.1.1979, a.a.O., S. 252; vom 23.1.1998, a.a.O.).

Der sog. Artzuschlag wegen gewerblicher bzw. industrieller Nutzung resultiert ebenso wie der Nutzungsfaktor aus dem Differenzierungsgebot. Während letzterer ein unterschiedliches Maß der baulichen Nutzung berücksichtigt, trägt der Artzuschlag Verschiedenheiten in der Art der baulichen oder sonst beitragserheblichen Nutzung Rechnung (vgl. BayVGH vom 8.3.2001 BayVBl 2002, 469). Gewerbliche und dem Gewerbe vergleichbare Nutzungen schöpfen regelmäßig aufgrund des durch sie typischerweise verursachten verstärkten Ziel- und Quellverkehrs aus einer Straße einen größeren Vorteil als eine Wohnnutzung (BVerwG vom 11.12.1987 BVerwGE 78, 321/332; BayVGH vom 8.3.2001, a.a.O.). § 131 Abs. 3 BauGB schreibt zwar nicht vor, in welcher Weise die unterschiedliche Nutzungsart im Vergleich zum Nutzungsmaß beitragsrechtlich zu bewerten ist. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die Vorschrift dem örtlichen Satzungsgeber für die Berücksichtigung der Nutzungsart im Verteilungsmaßstab ein weitgehendes (Bewertungs-) Ermessen einräumt. Die Ausübung dieses Ermessens ist jedoch, abgesehen insbesondere von den aus dem Willkürverbot und aus dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit folgenden rechtlichen Grenzen, eingeschränkt durch das Vorteilsprinzip, das der Regelung des § 131 Abs. 3 BauGB zu Grunde liegt und in sie eingeschlossen ist (BVerwG vom 23.1.1998, a.a.O., S. 149, 150).

Diesen Anforderungen wird die in Art. 1 b) der Änderungssatzung vom 4. Dezember 2000 getroffene Regelung, wonach jegliche - auch die geringfügigste - gewerbliche Nutzung einen grundstücksbezogenen Artzuschlag wegen gewerblicher Nutzung auslösen soll, nicht gerecht. Anknüpfungspunkt für den Artzuschlag ist der durch die gewerbliche Nutzung vermehrte Vorteil aufgrund der im Vergleich zur Wohnnutzung typischerweise deutlich intensiveren Inanspruchnahme einer Anbaustraße. Zwar ist nicht von Bedeutung, welchen Charakter das Gewerbe und welchen Umfang der von der Nutzung ausgelöste Verkehr im jeweiligen Einzelfall hat. Um den Typus Gewerbe von dem Typus Wohnen noch unterscheiden zu können, muss jedoch bei gemischt genutzten Gebäuden die gewerbliche Nutzung im Verhältnis zur Wohnnutzung ein gewisses Gewicht haben. Je geringer der gewerbliche Nutzungsanteil an einem Gebäude ist, desto geringer wird erfahrungsgemäß der dadurch ausgelöste Verkehr und damit der Vorteil durch die Anbaustraße sein. Wenn der gewerbliche Nutzungsanteil wie nach der Änderungssatzung des Beklagten vom 4. Dezember 2000 nahezu gegen Null gehen kann, ist ein vermehrter Vorteil im Vergleich zur Wohnnutzung nicht mehr erkennbar, die Grenzen werden verwischt. Dass der Artzuschlag die Nutzungsfaktoren erhöht, Art und Maß der baulichen Nutzung also aneinander koppelt, verstärkt den Effekt. Der einzelne Büroraum des Freiberuflers in einem großen, mehrstöckigen Wohngebäude schlägt sich bei der Inanspruchnahme der Straße nicht mehr spürbar nieder. Aus diesem Grund darf der Anteil der zum Gewerbezuschlag führenden Nutzung am Gesamtmaß der Grundstücksnutzung nicht außer Betracht bleiben. Anderenfalls wird die gebotene differenzierende Behandlung von gewerblicher Nutzung einerseits und von Wohnnutzung andererseits in einer dem Grundsatz der Vorteilsgerechtigkeit widersprechenden Weise nicht mehr erreicht. Dass nach der Änderungssatzung auch in geringstem Umfang gewerblich genutzte Grundstück gleichbehandelt werden mit den von einer intensiven gewerblichen oder industriellen Nutzung geprägten Grundstücken in Kern-, Gewerbe- und Industriegebieten, belegt aus umgekehrter Richtung das Verlassen des durch die Typengerechtigkeit gezogenen Rahmens. Die vom Beklagten als Grund für die Änderungssatzung angeführten Praktikabilitätserwägungen, die zu Gunsten einer Typisierung sprechen mögen, können ein solches Ergebnis nicht rechtfertigen.

Es gibt in der Literatur beachtliche Stimmen, wonach ein örtlicher Satzungsgeber bei gemischt genutzten Grundstücken nicht erst bei einer überwiegenden gewerblichen Nutzung eine Belastung mit dem grundstücksbezogenen Artzuschlag vorsehen darf, sondern dass er die entsprechende Grenze auch niedriger festsetzen kann. So wird eine Regelung als unbedenklich und vom Bewertungsermessen des örtlichen Satzungsgebers gedeckt angesehen, nach der die Belastung mit einem Artzuschlag schon dann einsetzt, wenn mehr als ein Drittel der vorhandenen Gebäudefläche tatsächlich gewerblich genutzt werden (Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 8. Aufl., RdNr. 66 zu § 18; Ludyga/Hesse, Erschließungsbeitrag, RdNr. 59 a zu § 131 BauGB; vgl. auch Matloch/Wiens, Erschließungsbeitragsrecht, RdNr. 922). Der Senat teilt diese Auffassung im Hinblick darauf, dass ein solcher Wert den Anteil des Gewerbes am Gesamtmaß der baulichen Nutzung berücksichtigt und vom Bewertungsspielraum der Gemeinde gedeckt ist, weil der Artzuschlag das durch die Gewerbenutzung regelmäßig erhöhte Verkehrspotential ebenfalls nur pauschal abbilden kann. Er hält deshalb die in der vorangegangenen Satzung zur Änderung der Erschließungsbeitragssatzung vom 24. März 1999 getroffene Verteilungsregelung für wirksam. Diese Änderungssatzung hat folgenden Wortlaut:

"Art. 1

§ 6 Abs. 10 Satz 1 erhält folgende neue Fassung:

Werden in einem Abrechnungsgebiet (§ 5) außer

a) Grundstücken, die nach den Festsetzungen eines Bebauungsplanes in einem Kern-, Gewerbe- oder Industriegebiet liegen, oder

b) Grundstücken, welche nicht unter Ziffer a) fallen, aber tatsächlich zu mehr als 1/3 gewerblich genutzt sind,

auch andere Grundstücke erschlossen, so sind

- für die Grundstücke nach Ziffer a) die in Abs. 2 genannten Nutzungsfaktoren um je 50 v.H. und

- für die Grundstücke nach Ziffer b) die in Abs. 2 genannten Nutzungsfaktoren um je 35 v.H.

zu erhöhen...".

Die Erschließungsbeitragssatzung des Beklagten vom 12. Januar 1988 i.V. mit der Änderungssatzung vom 24. März 1999 bilden damit die satzungsrechtliche Grundlage für das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht dem Grunde nach.

2. Der Höhe nach ist die festgesetzte Erschließungsbeitragsforderung um den Gewerbezuschlag zu kürzen, da zum Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht am 4. Mai 2001 (Bekanntgabe der Widmungsverfügung) das Grundstück der Klägerin nicht zu mehr als einem Drittel gewerblich genutzt worden ist. Wie der Senat u.a. im Urteil vom 8. März 2001 (a.a.O.) ausgeführt hat, sind zur Beurteilung der Frage des gewerblichen Nutzungsanteils bei einer gemischten Nutzung in erster Linie die Geschossflächen, also die Flächen zu berücksichtigen, die den in Gebäuden ausgeübten Nutzungen zuzurechnen sind. Auf "Aufträge und Umsätze", wie der Beklagte meint, oder steuerrechtliche Aspekte kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Nach dem Vortrag der Klägerin und den hierzu im Berufungsverfahren vorgelegten Unterlagen weist ihr Wohnhaus eine Gesamtgeschossfläche von 396,79 m² auf. Hiervon wurde zum maßgeblichen Zeitpunkt von ihrem Sohn lediglich das 33,92 m² große Wohnzimmer im Dachgeschoss außer zu privaten Zwecken auch gewerblich mitgenutzt. Selbst wenn man eine "gewerbliche Mitbenutzung" sonstiger Räume wie z.B. der Küche und der Toilettenanlage berücksichtigen würde, wie von Beklagtenseite eingewandt, läge der gewerblich mitgenutzte Anteil an der Gesamtwohnfläche deutlich unter einem Drittel. Hieran ändern auch die vom Beklagten in der mündlichen Verhandlung übergebenen Auszüge aus der Betriebekartei nichts. Hieraus ergibt sich lediglich, dass im maßgeblichen Jahr 2001 ein Wartungsdienst für Feuerungsanlagen sowie ein Heizungs- und Ölfeuerungsbau gewerberechtlich gemeldet waren. Welche Fläche diese gewerbliche Tätigkeit im Vergleich zur Wohnnutzung einnimmt, lässt sich daraus nicht entnehmen. Nachdem die Beklagtenseite dem von der Klägerin aufgestellten Flächenvergleich nicht substantiiert entgegengetreten ist und auch in der mündlichen Verhandlung selbst nicht behauptet hat, der gewerbliche Anteil liege über einem Drittel, sind die Voraussetzungen für einen Artzuschlag wegen gewerblicher Nutzung nach der Änderungssatzung vom 24. März 1999 nicht erfüllt.

Folglich steht dem klägerischen Grundstück nach § 6 Abs. 11 der Erschließungsbeitragssatzung 1988 i.V. mit § 6 Abs. 11 Satz 2 Nr. 2, § 6 Abs. 10 der Änderungssatzung vom 24. März 1999 eine Vergünstigung wegen Mehrfacherschließung durch den D******weg und die Straße A* B*** zu, da die Eckgrundstücksermäßigung erst bei einer gewerblichen Nutzung von mehr als einem Drittel entfällt.

Nach der vom Beklagten vorgelegten Vergleichsberechnung ist die Erschließungsbeitragsforderung deshalb um einen Betrag von 8.349,47 Euro zu kürzen. Den seitens der Klägerin ursprünglich geäußerten weiteren Beanstandungen (Eckgrundstücksermäßigung für die Grundstücke FlNrn. ****/1 und ****/2; Rechnungen des Vermessungsamtes Erlangen vom 19.9.2001 und der Landesjustizkasse Bamberg vom 10.10.2001) ist wegen der Beschränkung des Berufungsantrags nicht nachzugehen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO, deren vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO, § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.

Beschluss:

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird bis zur Beschränkung des Rechtsmittels auf 18.378,65 Euro, für die Zeit danach auf 8.349,47 Euro festgesetzt (§ 47 Abs. 1, § 52 Abs. 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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