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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 24.02.2006
Aktenzeichen: 7 CE 05.3199
Rechtsgebiete: GG, VwGO, GVG


Vorschriften:

GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 4 Abs. 1
GG Art. 4 Abs. 2
GG Art. 5 Abs. 1
GG Art. 14 Abs. 1
VwGO § 123
GVG § 169 Satz 1

Entscheidung wurde am 06.04.2006 korrigiert: die Entscheidung wurde wegen fehlender Anonymisierung komplett ersetzt
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

7 CE 05.3199

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Unterlassung einer Tatsachenbehauptung (Antrag nach § 123 VwGO);

hier: Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 21. November 2005,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 7. Senat,

durch den Vizepräsidenten des Verwaltungsgerichtshofs Dr. Pongratz, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Bergmüller, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Zöllner

ohne mündliche Verhandlung am 24. Februar 2006

folgenden Beschluss:

Tenor:

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Der Streitwert wird für beide Instanzen auf jeweils 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin betreibt in der Rechtsform einer GmbH eine Fachklinik für ganzheitliches Heilwesen. Die Antragsgegnerin ist eine öffentlich-rechtlich verfasste Religionsgemeinschaft. Ihr Pfarrer F. ist laut Impressum Verantwortlicher für die Webseite "www.michelrieth.de", die sich u.a. kritisch mit der Glaubensgemeinschaft "Universelles Leben" auseinandersetzt. Über einen auf der Webseite enthaltenen Link "Mailingliste" können sich Interessierte mit ihrer E-Mail-Adresse eintragen, wenn sie über Aktivitäten des "Universellen Lebens" zusätzliche Informationen erhalten wollen.

Am 8. September 2005 versandte Pfarrer F. an die Teilnehmer der Liste unter dem Betreff "UL - Behandlungsfehler in HG Naturklinik M?" eine E-Mail, in der er über einen Zivilprozess zwischen der Antragstellerin und einer früheren Patientin vor dem Landgericht Würzburg berichtete. Er teilte dabei u.a. mit, die beklagte frühere Patientin habe sich auf Schadensersatzansprüche berufen, die auf einer unzureichenden Diagnostik während eines Klinikaufenthalts beruhten. Das Gericht habe in der mündlichen Verhandlung auf zwei von ihm eingeholte Gutachten eines Prof. Dr. H, München, und eines Prof. Dr. K, Universitätsklinikum Würzburg, verwiesen, die beide zu dem Ergebnis gekommen seien, dass in der Klinik der Antragstellerin Behandlungsfehler unterlaufen seien.

Die Antragstellerin beantragte daraufhin beim Verwaltungsgericht München den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, der Antragsgegnerin vorläufig zu untersagen, unter der E-Mail-Adresse f@m.de ausdrücklich oder sinngemäß zu verbreiten oder verbreiten zu lassen, dass in einem Rechtsstreit der HG Naturklinik M vor dem Landgericht Würzburg das Gericht auf zwei Gutachten verwiesen habe, die zu dem Ergebnis gekommen seien, dass der Klinik Behandlungsfehler unterlaufen seien.

In der Bekanntgabe von Firmeninterna, die für den Ruf ihres Unternehmens nachteilig seien, liege ein rechtswidriger Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Antragstellerin. Der Antragsgegnerin gehe es lediglich darum, jede Einrichtung, die von Anhängern der Glaubensgemeinschaft "Universelles Leben" betrieben oder auch nur mitbetrieben werde, zu bekämpfen. Der in dem Zivilprozess erörterte angebliche Behandlungsfehler habe nichts mit der Lehre dieser Glaubensgemeinschaft zu tun. Die Antragsgegnerin könne sich daher nicht darauf berufen, dass Ärzte, die der Glaubensgemeinschaft nahe stünden, aufgrund dieser Nähe die Regeln ärztlicher Kunst verlassen hätten.

Mit Beschluss vom 21. November 2005 lehnte das Verwaltungsgericht München den Antrag auf einstweilige Anordnung ab.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten verwiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die im Beschwerdeverfahren dargelegten Gründe, auf die sich die Überprüfung der angegriffenen Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), können dem Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin nicht zum Erfolg verhelfen.

Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die elektronische Verbreitung der streitgegenständlichen Tatsachenäußerung, deren Wahrheitsgehalt unbestritten ist, nicht schon wegen des für mündliche Verhandlungen geltenden Öffentlichkeitsgrundsatzes (§ 169 Satz 1 GVG) generell zulässig ist, sondern einen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff sowohl in das - nach Art. 19 Abs. 3 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG in begrenztem Umfang auch Kapitalgesellschaften zustehende (BGH vom 3. 6. 1986, BGHZ 98, 94/97; vom 8. 2. 1994, NJW 1994, 1281/1282) - allgemeine Persönlichkeitsrecht der Antragstellerin als auch in deren Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (Art. 14 Abs. 1 GG) darstellt. Aufgrund einer fallbezogenen Abwägung mit den gleichfalls grundrechtlich geschützten Informationsinteressen der Antragsgegnerin (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, Art. 5 Abs. 1 GG) ist das Gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass der genannte Eingriff nicht rechtswidrig ist, so dass der Antragstellerin kein Unterlassungsanspruch zusteht. Hiergegen bestehen auch in Ansehung des Beschwerdevorbringens keine durchgreifenden Bedenken.

Zu Unrecht wirft die Antragstellerin dem Verwaltungsgericht vor, es habe bei seiner Abwägungsentscheidung außer Betracht gelassen, dass die behaupteten Behandlungsfehler mit der religiösen Einstellung der behandelnden Ärzte "nichts zu tun" gehabt hätten. Diese Bewertung des damaligen Geschehens ist entgegen der Darstellung in der Beschwerdebegründung keineswegs "unstreitig", sondern entspricht allein dem Standpunkt der Antragstellerin. Demgegenüber hat die Antragsgegnerin im Laufe des Verfahrens wiederholt dargelegt, dass aus ihrer Sicht durchaus ein ursächlicher Zusammenhang gesehen werden muss zwischen dem vom "Universellen Leben" vertretenen Krankheits- und Therapieverständnis, für das auch die Antragstellerin wirbt (s. Klinikprospekt S. 14: "Glaubensheilung"), und den von den Gutachtern festgestellten Behandlungsfehlern in Gestalt unterlassener differentialdiagnostischer Maßnahmen.

Ob eine derartige Kausalität tatsächlich vorlag, brauchte das Verwaltungsgericht nicht abschließend zu klären, da das Unterlassungsbegehren allein die Wiedergabe der Äußerung des Zivilrichters über das Ergebnis der Beweisaufnahme betraf. Die Antragstellerin hätte sich allerdings dann auf kein legitimes Interesse an der Unterrichtung Dritter über den Stand des Zivilprozesses berufen können, wenn sich der von ihr unterstellte Zusammenhang zwischen der weltanschaulich-therapeutischen Ausrichtung der Antragsgegnerin und den gutachterlich festgestellten Behandlungsfehlern bei objektiver Betrachtung als reine Spekulation ohne jeden tatsächlichen Hintergrund erweisen würde. Beruht das für die Verbreitung einer rufgefährdenden Tatsache geltend gemachte Informationsbedürfnis auf einer völlig aus der Luft gegriffenen Behauptung, so ist im Rahmen der Interessenabwägung davon auszugehen, dass die Äußerung in Wahrheit keinen sachlichen Beitrag zu einer die Öffentlichkeit berührenden Frage darstellt, sondern unmittelbar auf die wirtschaftliche oder sonstige Schädigung des Betroffenen abzielt. Von einer solchen Fallkonstellation konnte hier aber keine Rede sein. Die Annahme, dass sich das von der Antragsstellerin in Abweichung von der Schulmedizin propagierte ganzheitlich-spirituelle Verständnis ("Krankheit ist immer das Symptom innerer Disharmonie", Klinikprospekt S. 8) zumindest im Einzelfall auch auf Art und Umfang der von ihren Bediensteten eingesetzten diagnostischen Mittel auswirken und damit zu den von den Gutachtern festgestellten Behandlungsmängeln beitragen könnte, lag nicht so fern, dass von einem willkürlich konstruierten oder rein hypothetischen Zusammenhang gesprochen werden müsste.

Die Mitteilung über den Stand des Zivilprozesses mit seinem ausschließlich vermögensrechtlichen Gegenstand betraf im Übrigen nicht die - bei juristischen Personen ohnehin nur ansatzweise vorhandene - engere Privatsphäre, sondern die schwächer geschützte Sphäre des sozialen Kontakts nach außen (vgl. BVerfG vom 26. 2. 2002, BVerfGE 105, 252/266 m.w.N.). In diesem Bereich wäre die Verbreitung einer wahren Tatsache durch die Antragsgegnerin ungeachtet ihres prinzipiell anzuerkennenden Informationsinteresses nur dann als rechtswidrig zu qualifizieren gewesen, wenn der Antragstellerin daraus ein unverhältnismäßiger persönlicher oder wirtschaftlicher Schaden entstanden wäre bzw. entstehen konnte (vgl. BVerfG vom 24. 3. 1998, BVerfGE 97, 391/403 f.; vom 10. 11. 1998, BVerfGE 99, 185/196 f.). Auch hierfür fehlt es jedoch an hinreichenden Anhaltspunkten. Dabei ist vor allem zu berücksichtigen, dass sich die Antragsgegnerin mit der strittigen Äußerung nicht an die allgemeine Öffentlichkeit, sondern an einen zahlenmäßig sehr beschränkten Kreis von E-Mail-Empfängern gewandt hat. Anders als bei klassischen Pressemitteilungen erfolgte die Informationsweitergabe zudem nicht an ein unvorbereitetes und daher durch eine Einzelmeldung leichter beeinflussbares Publikum, sondern ausschließlich an Personen, die durch ihre aktive Eintragung in die Mailingliste ihr besonderes Interesse an Informationen über alle mit dem "Universellen Leben" zusammenhängenden Ereignisse bekundet hatten. Dass diese Mitteilungsempfänger, die auf elektronischem Weg fortlaufend im Sinne der Antragsgegnerin kritisch über das "Universelle Leben" und die ihm verbundenen Unternehmen unterrichtet wurden, durch die Meldung über den (vorläufigen) Stand des Zivilprozesses so wesentlich in ihrer Meinung über die Antragsgegnerin beeinflusst worden sein könnten, dass für diese ein ganz gravierender Ansehensverlust oder ein unzumutbarer wirtschaftlicher Schaden entstehen konnte, erscheint objektiv ausgeschlossen und wird auch im vorliegenden Verfahren nicht substantiiert behauptet.

Die Antragsgegnerin ist auch in der Art und Weise der Weiterverbreitung nicht über das zur Erreichung ihres Informationsziels erforderliche Maß hinausgegangen. Auf die Nennung des Namens der Antragstellerin als der einzigen Klinik ihrer Art konnte dabei nicht verzichtet werden, da es der Antragsgegnerin gerade darauf ankam, die festgestellten Behandlungsfehler in einen zumindest für den vorinformierten E-Mail-Empfänger erschließbaren Zusammenhang mit den medizinischen Grundvorstellungen des "Universellen Lebens" zu bringen. Die zitierte Äußerung des Zivilrichters wurde auch nicht in sinnentstellender Weise als Beleg für eine weitergehende eigene Tatsachenbehauptung der Antragsgegnerin verwendet. Soweit sich die Antragstellerin in diesem Sinne gegen die das E-Mail einleitende Betreffzeile wendet, missversteht sie deren Syntax. Die Antragsgegnerin hat dort nicht etwa den Bindestrich-Begriff "UL-Behandlungsfehler" als polemische Bezeichnung für eine spezielle Art ärztlicher Kunstfehler gebildet, sondern nach dem allgemeinen Stichwort "UL" zunächst einen Gedankenstrich (mit den entsprechenden Abständen) eingefügt und dann die Frage "Behandlungsfehler in HG-Naturklinik M?" aufgeworfen. Die Überschrift stellt damit nur in ganz allgemeiner Form einen sachlichen Zusammenhang zwischen dem "Universellen Leben" und dem Rechtsstreit der Antragstellerin her. Dass die strittigen Behandlungsfehler UL-typisch und damit bei der Antragstellerin eher als bei anderen Kliniken zu erwarten gewesen seien, kommt auch an keiner anderen Stelle des E-Mails zum Ausdruck, sondern wird erst in den späteren Schriftsätzen der Antragsgegnerin zur Begründung ihres Interesses an einer Informationsverbreitung vorgetragen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung zum Streitwert aus § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 1, § 63 Abs. 3 GKG.

Ende der Entscheidung

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