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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 16.03.2004
Aktenzeichen: 7 CS 03.3171
Rechtsgebiete: VwGO, BayMG, BayMG 1999/2002


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 5
VwGO § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
BayMG Art. 33 Abs. 4 Satz 7 BayMG
BayMG 1999/2002 Art. 33 Abs. 5 Satz 1
BayMG 1999/2002 Art. 33 Abs. 5 Satz 2
Das Teilnehmerentgelt nach dem Bayerischen Mediengesetz unterfällt nicht dem weiten Abgabenbegriff des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO. Widerspruch und Anfechtungsklage gegen das Teilnehmerentgelt einfordernde Leistungsbescheide haben deshalb aufschiebende Wirkung.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

7 CS 03.3171

In der Verwaltungsstreitsache

wegen

Teilnehmerentgelt (Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO);

hier: Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 10. November 2003,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 7. Senat, durch den Vizepräsidenten des Verwaltungsgerichtshofs Dr. Pongratz, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Kersten, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Bergmüller ohne mündliche Verhandlung am 16. März 2004 folgenden

Beschluss:

Tenor:

I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 10. November 2003 wird aufgehoben. Es wird festgestellt, dass die Klage der Antragstellerin vom 1. Dezember 2003 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 25. August 2003 und den Widerspruchsbescheid vom 20. November 2003 aufschiebende Wirkung hat.

II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

III. Der Streitwert wird für beide Rechtszüge auf jeweils 216.777,60 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragsgegnerin forderte von der Antragstellerin mit Leistungsbescheid vom 25. August 2003 für vor dem 1. Januar 1999 von der Telekom freigeschaltete Kabelanschlüsse Teilnehmerentgelte für den Zeitraum vom 1. Januar 1999 bis 31. Dezember 2003 in Höhe von insgesamt 433.555,20 Euro. In die von der Antragstellerin betriebenen Kabelanlagen würden mehrere von der Antragsgegnerin genehmigte Programme eingespeist. Sowohl die Bayerische Medienservice Gesellschaft wie auch die Antragsgegnerin hätten die Antragstellerin mehrfach erfolglos zur Zahlung aufgefordert.

Gegen diesen Bescheid erhob die Antragstellerin mit Schreiben vom 18. September 2003 Widerspruch, woraufhin die Antragsgegnerin in der Folge mehrfach darauf hinwies, dass der eingeforderte Betrag unabhängig vom erhobenen Widerspruch fällig werde und mit Vollstreckungsmaßnahmen zu rechnen sei.

Den Antrag der Antragstellerin, festzustellen, dass der Widerspruch und eine nachfolgende Klage gegen den Leistungsbescheid vom 25. August 2003 aufschiebende Wirkung haben, lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 10. November 2003 ab. Zur Begründung führte es aus, dass das Teilnehmerentgelt eine öffentliche Abgabe im Sinne des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO darstelle. Unabhängig von der finanzverfassungsrechtlichen Klassifizierung diene das Teilnehmerentgelt der Finanzierung der von der Antragsgegnerin im Rahmen ihrer Trägerschaftsverantwortung nach Art. 111 a Abs. 2 Satz 1 BV organisierten Rundfunkangebote. Das Entgeltaufkommen komme sowohl der Landeszentrale als auch den Anbietern zugute.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20. November 2003 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch zurück. Hiergegen erhob die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 1. Dezember 2003 Klage und legte mit Schriftsatz vom selben Tage Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts München ein mit dem Antrag,

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 18. September 2003 und einer nachfolgenden Klage gegen den Leistungsbescheid der Antragsgegnerin vom 25. August 2003 festzustellen,

hilfsweise,

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 18. September 2003 und der nachfolgenden Klage gegen den Leistungsbescheid der Antragsgegnerin vom 25. August 2003 anzuordnen.

Die Voraussetzungen einer kraft Gesetzes bestehenden sofortigen Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO lägen nicht vor, da das Teilnehmerentgelt keine öffentliche Abgabe darstelle. Es diene nicht der Deckung des Finanzbedarfs eines Hoheitsträgers. Es stehe außerhalb des Kreises staatlicher Finanzierungsinstrumente, weil es der Finanzierung staatsfremder Aufgaben diene.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Das Teilnehmerentgelt unterfalle dem weiten Abgabenbegriff des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass das Teilnehmerentgelt seit dem 1. Januar 2002 nur noch den Anbietern zustehe, da diese in die Trägerschaftsverantwortung der Antragsgegnerin eingebunden seien.

Die Gerichts- und Behördenakten haben dem Senat vorgelegen. Hierauf wird Bezug genommen.

II.

Der zulässige Hauptantrag ist begründet, so dass über den Hilfsantrag nicht mehr zu entscheiden war.

In denjenigen Fällen, in denen eine Behörde vollstreckt oder wie hier die Vollstreckung unmittelbar androht, weil sie irrtümlich der Auffassung ist, dass der zugrundeliegende Verwaltungsakt (kraft Gesetzes) sofort vollziehbar ist, ist dem Betroffenen, der sich gegen diese sog. faktische Vollziehung zur Wehr setzt, Rechtsschutz im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO zu gewähren. Dieser ist gerichtet auf die Feststellung, dass der in der Hauptsache eingelegte Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat. Eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist in diesen Fällen nicht möglich, weil der Suspensiveffekt bereits durch die Einlegung des Rechtsbehelfs eingetreten ist (§ 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO; zusammenfassend zu diesem Fragenkreis Jörg Schmidt in Eyermann, VwGO, 11. Aufl. 2000, RdNr. 109 zu § 80).

Unter Beachtung dieser Grundsätze ist der Hauptantrag der Antragstellerin auf Feststellung, dass ihre Klage vom 1. Dezember 2003 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 25. August 2003 und den Widerspruchsbescheid vom 20. November 2003 aufschiebende Wirkung hat, begründet. Zu Unrecht gehen die Antragsgegnerin und das Verwaltungsgericht davon aus, dass es sich bei dem Teilnehmerentgelt um eine kraft Gesetzes sofort vollziehbare öffentliche Abgabe im Sinne des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO handelt. Nach dieser Vorschrift entfällt die aufschiebende Wirkung des Hauptsacherechtsbehelfs bei der Anforderung einer öffentlichen Abgabe. Hierunter sind nicht alle einem Gemeinwesen geschuldeten Leistungen zu verstehen, sondern nur die hoheitlich geltend gemachten öffentlich-rechtlichen Geldforderungen, die von allen erhoben werden, die einen normativ bestimmten Tatbestand erfüllen und zur Deckung des Finanzbedarfs des Hoheitsträgers für die Erfüllung seiner öffentlichen Aufgaben dienen. Die Ausnahme von dem das Verwaltungsrecht beherrschenden Grundsatz der aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen gegen belastende Verwaltungsakte ist von einem gewichtigen Gemeinwohlinteresse bestimmt; denn sie trägt dazu bei, die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Hand zu gewährleisten. Sie schafft dadurch, dass sie etwaigen Störungen bei der Beschaffung der Mittel vorbeugt, derer es zur effektiven Erfüllung öffentlicher Aufgaben bedarf, Voraussetzungen für eine geordnete Haushaltsführung (BVerwG vom 17.2.1992 NVwZ 1993, 1112). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entspricht es dem Sinn der mit § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO bezweckten Angleichung an das Steuerrecht, in diese Regelung alle Abgaben einzubeziehen, durch die, Steuern vergleichbar, die Befriedigung des öffentlichen Finanzbedarfs sichergestellt wird. Dabei ist es unerheblich, wie die Abgabe ihrem materiell-rechtlichen Gehalt nach zu qualifizieren ist. Entscheidend ist vielmehr, ob sie ebenso wie die Steuer, die Gebühr oder der Beitrag eine Finanzierungsfunktion erfüllt. Das ist der Fall, wenn der Hoheitsträger sich mit ihrer Hilfe eine Einnahmequelle erschließt, die es ihm ermöglicht, seine eigenen Ausgaben voll oder jedenfalls teilweise zu decken (BVerwG a.a.O.; siehe auch BayVGH vom 2.12.1999 BayVBl 2000, 724; vom 3.6.1991 NVwZ-RR 1992, 320 jeweils m.w.N.; kritisch z.B. Jörg Schmidt, a.a.O., RdNr. 19 zu § 80).

Auch unter Zugrundelegung dieses weiten Abgabenbegriffs unterfällt das Teilnehmerentgelt nicht dem § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO, da es nicht (un)mittelbar und überwiegend der Deckung des Finanzbedarfs der Antragsgegnerin für die Erfüllung öffentlicher Aufgaben dient.

Streitgegenstand sind hier Teilnehmerentgelte für den Zeitraum vom 1. Januar 1999 bis 31. Dezember 2003. Für den Zeitraum vom 1. Januar 1999 bis 31. Dezember 2001 standen die Anteile an dem Aufkommen gemäß Art. 33 Abs. 5 Satz 1 BayMG in der Fassung vom 26.1.1999 (GVBl S. 8) den Anbietern und der Antragsgegnerin zu (vgl. hierzu auch § 8 der Teilnehmerentgeltsatzung vom 23.7.1998, Staatsanzeiger Nr. 31), während nach der ab 1. Januar 2002 geltenden Neufassung des Bayerischen Mediengesetzes vom 14. März 2002 (GVBl S. 154) gemäß dessen Art. 33 Abs. 5 Satz 1 BayMG das Teilnehmerentgelt nunmehr ausschließlich den Anbietern zusteht. Obwohl das Teilnehmerentgelt im Zeitraum vom 1. Januar 1999 bis 31. Dezember 2001 auch der Antragsgegnerin zugeflossen ist, diente es vornehmlich der Anschubfinanzierung privater lokaler Rundfunkanbieter, wie bereits aus Art. 33 Abs. 5 Satz 2 BayMG 1999 zu entnehmen ist, wonach das Teilnehmerentgelt in erster Linie den weiteren Aufbau einer möglichst flächendeckenden Versorgung der Teilnehmer mit lokalen und regionalen Fernsehangeboten bezweckt. Bereits im Gesetzentwurf der Bayerischen Staatsregierung eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bayerischen Mediengesetzes (LT-Drs. 13/8440 vom 20.6.1997) heißt es dementsprechend:

"Dieses Teilnehmerentgelt, das bisher ausschließlich in Bayern und nur von Kabelteilnehmern erhoben wird, hat in der Vergangenheit wesentlich zur Entwicklung der vielfältigen Rundfunklandschaft in Bayern beigetragen. Für die Aufbauphase des lokalen Rundfunks war das Teilnehmerentgelt wichtig und sinnvoll.

Inzwischen ist die Aufbauphase im Bereich des lokalen Hörfunks weitgehend abgeschlossen. Die dauerhafte Subventionierung des aus Beiträgen privater Anbieter organisierten Rundfunks mit öffentlichen Geldern widerspricht dem ordnungspolitischen Grundsatz, dass es grundlegendes Kennzeichen privaten Rundfunks ist, dass dieser sich aus selbst erwirtschafteten Einnahmen finanziert. Eine dauerhafte Finanzierung von privatem lokalen Rundfunk und Fernsehen würde die Grenzen zwischen öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk in nicht vertretbarem Maße verwischen."

Erst recht gilt dies für den Zeitraum seit dem 1. Januar 2002. Nach Art. 33 Abs. 5 Satz 1 BayMG 2002 steht das Aufkommen aus dem Teilnehmerentgelt nur noch den Anbietern und nicht mehr, auch nicht teilweise, der Antragsgegnerin zu. Außerdem wurde die Zweckbestimmung des Teilnehmerentgelts dahingehend verdeutlicht, dass es in erster Linie Maßnahmen zur Erreichung der wirtschaftlichen Tragfähigkeit der lokalen und regionalen Fernsehanbieter sowie einer möglichst gleichwertigen Versorgung mit lokalen und regionalen Fernsehangeboten in Bayern dient. In Art. 33 Abs. 5 Satz 3 BayMG 2002 ist schließlich festgelegt, dass die Förderaufgaben der Antragsgegnerin nach Art. 11 Satz 2 Nrn. 9 und 10 BayMG von der nunmehr formulierten Zweckbindung des Teilnehmerentgelts unberührt bleiben (siehe hierzu im Übrigen auch die Internetseite der Antragsgegnerin zu "Fragen und Antworten" des Teilnehmerentgelts unter http://www.blm.de/blm/faq/teilnehmerentgelt4.htm).

Aus alledem folgt, dass es sich bei dem Teilnehmerentgelt nicht um Geldforderungen handelt, die ein Hoheitsträger für die Erfüllung seiner öffentlichen Aufgaben benötigt und die deshalb den ausnahmsweisen Wegfall der aufschiebenden Wirkung rechtfertigen. Daran ändert auch Art. 111 a Abs. 2 Satz 1 BV nichts, wonach in Bayern Rundfunk nur in öffentlicher Verantwortung und öffentlicher Trägerschaft betrieben werden kann. Es ist nicht erkennbar, dass ein kraft Gesetzes bestehender Sofortvollzug von ausschließlich oder doch überwiegend Privaten zukommenden Finanzmitteln von einem gewichtigen Gemeinwohlinteresse legitimiert ist, das nach der oben genannten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts darin besteht, die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Hand zu gewährleisten. Im Übrigen spricht auch die Argumentation der Antragsgegnerin selbst und die von ihr herangezogene Literatur zur Verfassungsmäßigkeit des Teilnehmerentgelts für die hier vertretene Auffassung. So führt etwa Ossenbühl (Rechtsfragen des Teilnehmerentgelts nach Bayerischem Medienrecht, BLM Schriftenreihe Band 73, 2003, S. 49) aus, dass das Teilnehmerentgelt keine verfassungsrechtlich unzulässige Sonderabgabe sei, weil sich diese Geldleistung nicht unter die Kategorien staatlicher Abgaben subsumieren lasse, "genauso wenig wie man Birnen unter die verschiedenen Apfelsorten einordnen kann". Danach soll das Teilnehmerentgelt als öffentlich-rechtliche Geldleistung ein "rundfunkspezifisches Finanzierungsmittel" sein, "welches außerhalb des Kreises staatlicher Finanzierungsinstrumente steht, weil es der Finanzierung staatsfremder Aufgaben dient", weshalb Versuche verfehlt seien, das Teilnehmerentgelt als Sonderabgabe im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einzuordnen (Ossenbühl, a.a.O., S. 51). Dann kann aber auch nicht die Ausnahmevorschrift des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO zur Anwendung kommen, so dass der Klage der Antragstellerin aufschiebende Wirkung zukommt. Eine Interessenabwägung war deshalb nicht mehr vorzunehmen, so dass die Frage, ob die Antragsgegnerin bezüglich der sämtlich vor dem 1. Januar 1999 von der Telekom freigeschalteten Kabelanschlüsse überhaupt mittels Leistungsbescheid nach dem erst zum 1. Januar 1999 in Kraft getretenen Art. 33 Abs. 4 Satz 7 BayMG 1999 geltend machen konnte, offen bleiben kann (verneinend wohl Bornemann/Kraus/Lörz, Bayerisches Mediengesetz, Stand Dezember 2003, RdNr. 83 zu Art. 33). Ebenso ist nicht entscheidungserheblich, ob das Teilnehmerentgelt verfassungsgemäß ist.

Nach alledem war der Beschwerde mit der Kostenfolge des § 155 Abs. 2 VwGO stattzugeben. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 20 Abs. 3, § 13 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).



Ende der Entscheidung

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