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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 24.10.2005
Aktenzeichen: 9 CS 05.1840
Rechtsgebiete: VwGO, BGB, BayNatSchG, LStVG


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2
BGB § 586 Abs. 1 Satz 2
BGB § 591 a Satz 1
BayNatSchG Art. 13 d Abs. 1 Nr. 1
BayNatSchG Art. 13 d Abs. 5 Satz 2
LStVG Art. 8 Abs. 1
LStVG Art. 8 Abs. 2
LStVG Art. 9 Abs. 2 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

9 CS 05.1840

In der Verwaltungsstreitsache

wegen naturschutzrechtlicher Duldungsanordnung (Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs);

hier: Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 16. Juni 2005,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 9. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Plathner, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Heinl, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Waltinger

ohne mündliche Verhandlung am 24. Oktober 2005

folgenden Beschluss:

Tenor:

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.333,33 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller wehrt sich als Eigentümer des von ihm verpachteten landwirtschaftlich genutzten Grundstücks Fl.Nr. *** Gemarkung B***** gegen die naturschutzrechtliche Anordnung, zu dulden, dass der Pächter, der auf dem Grundstück drei Drainagestränge erneuert hat, Anordnungen zur Wiederherstellung einer Feuchtfläche auf dem Grundstück befolgt. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist im Wesentlichen nur mehr das Begehren des Antragstellers, ihm wegen der Duldungsanordnung hinsichtlich des nach Nordosten verlaufenden Drainagestranges "a" vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren.

Der Antragsteller hatte bis 1999 das Grundstück selbst bewirtschaftet. Nach seinen Angaben hatte er es 1955 drainiert und damals als Mähwiese und für intensive Weidewirtschaft, später, und zwar bis 1991, als Maisacker genutzt. Anschließend wurde es wegen einer sich abzeichnenden Betriebsaufgabe in eine Weide umgewandelt und wenig genutzt. Die Drainageleitungen waren zu diesem Zeitpunkt weitgehend verfallen.

Im März 2000 zeigte ein benachbarter Landwirt Interesse, eine Reihe von Grundstücken zu pachten und die damals bekannten drei Drainageleitungen auf dem Grundstück Fl.Nr. *** zu erneuern. In der Folge kam es zur Verpachtung des Grundstücks. Der Pächter begann nach seinen Angaben am 28. März 2000 mit der nach wenigen Tagen abgeschlossenen Erneuerung der drei Drainagestränge.

Mit Bescheid vom 30. November 2004 ordnete das Landratsamt E******** gegenüber dem Pächter an, den ursprünglichen Zustand der Feuchtfläche wiederherzustellen und hierzu die in einem Lageplan näher beschriebenen drei Drainagestränge vollständig zu beseitigen oder wahlweise funktionsunfähig zu machen, indem auf der gesamten Länge der jeweiligen Leitungen alle 10 m eine 2 m lange Unterbrechung erfolgt (Nr. 1), das Landratsamt spätestens eine Woche vor Beginn der Maßnahmen zu unterrichten (Nr. 2), gegenüber dem Landratsamt die Durchführung der Maßnahmen durch Belege nachzuweisen (Nr. 3) sowie eine Reihe von Bewirtschaftungseinschränkungen zu beachten (Nr. 4). Gleichzeitig wurde der Antragsteller unter Androhung eines Zwangsgelds in Höhe von 2.000 Euro (Nr. 9) verpflichtet, die Anordnungen in Nrn. 1 bis 3 ab sofort zu dulden (Nr. 6). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass es sich bei dem betroffenen Grundstücksteil um eine seggen- und binsenreiche Nass- bzw. Feuchtfläche handle, die ein nach Art. 13 d BayNatSchG gesetzlich geschütztes Biotop darstelle. Der Pächter habe eine offensichtlich nicht mehr funktionsfähige Drainageanlage erneuert, um die Feuchtfläche zu entwässern.

Mit Bescheid vom 26. April 2005 erklärte das Landratsamt gegenüber dem Antragsteller die Duldungsanordnung für sofort vollziehbar.

Über den Widerspruch des Pächters und den Widerspruch und die Untätigkeitsklage des Antragstellers gegen den Bescheid vom 30. November 2004 ist noch nicht entschieden. Ein Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Duldungsanordnung wiederherzustellen, hatte zum Teil Erfolg. Mit Beschluss vom 16. Juni 2005 stellte das Verwaltungsgericht München die aufschiebende Wirkung "der Klage" (des Widerspruchs) gegen die Duldungsanordnung insoweit wieder her, als sie sich auf die Anordnung bezieht, die Drainagestränge "b" nach Norden und "c" nach Westwestnord zu beseitigen bzw. unbrauchbar zu machen; im Übrigen lehnte es den Antrag ab.

Mit seiner Beschwerde macht der Antragsteller geltend, das Landratsamt und das Verwaltungsgericht seien von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen. Das Wasser des im Beschwerdeverfahren noch streitigen Strangs Nord-Ost stamme ausschließlich aus höher gelegenen Bereichen und nicht aus der Feuchtfläche. Der Pächter habe die Reparaturarbeiten am 5. April 2000 begonnen und nur wenig später abgeschlossen. Als Grundstückseigentümer müsse er, der Antragsteller, nicht dulden, dass durch die Beseitigung des Drainagestranges Nord-Ost wesentliche Bestandteile seines Eigentums dauerhaft zerstört würden. Die Anforderungen an die sofortige Vollziehung der Duldungsanordnung entsprächen grundsätzlich den Anforderungen an die sofortige Vollziehung der zu duldenden Maßnahmen. Die Beseitigung des Stranges Nord-Ost vermöge an dem Bestand von Feuchtflächen in dem betroffenen Grundstücksteil nichts zu ändern, weil dieser Strang keine Teilbereiche der Feuchtfläche entwässere, sondern nur Durchleitungsfunktion für Feuchtflächen in anderen Teilbereichen des Grundstücks des Antragstellers habe. Es bestehe noch ein vierter Drainagestrang.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 16. Juni 2005 zu ändern und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Duldungsanordnung des Landratsamts E******** vom 30. November 2004 auch hinsichtlich des Drainagestranges "a" nach Nord-Ost wiederherzustellen.

Der Antragsgegner beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Ein vierter Drainagestrang sei vom Antragsteller nicht nachgewiesen worden und in der Natur auch nicht erkennbar. Dem Landratsamt gehe es nur um Drainagestränge innerhalb der Feuchtfläche. Es sei davon auszugehen, dass die Feuchtfläche durch das von Norden her abfließende Oberflächen- und Schichtwasser gespeist werde.

Der Antragsteller verweist wegen des möglichen Verlaufs des vierten Drainagestranges auf eine Erklärung des Pächters vom 14. September 2005.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den im Beschwerdeverfahren noch anhängigen Teil der Duldungsanordnung wieder herzustellen (vgl. § 80 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2, Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 in Verbindung mit § 68 Abs. 1 Satz 1 und § 80 b Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 sowie § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO), im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Das Vollzugsinteresse des Antragsgegners hat Vorrang vor dem Interesse des Antragstellers, die Duldungsanordnung vor dem Abschluss des Hauptsacheverfahrens nicht beachten zu müssen. Dafür spricht vor allem, dass nach summarischer Prüfung des gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein maßgebenden Beschwerdevorbringens von der Rechtmäßigkeit des verfahrensgegenständlichen Teils der Duldungsanordnung auszugehen ist.

Mit der Duldungsanordnung wird der Antragsteller verpflichtet, zu dulden, dass der Pächter die ihm in Nrn. 1 bis 3 des Bescheids vom 30. November 2004 auferlegten Pflichten erfüllt. Die Duldungsanordnung soll verhindern, dass sich der Pächter öffentlich-rechtlichen Handlungspflichten ausgesetzt sieht, die ihm zivilrechtlich verboten werden. Ohne Überwindung dieses zivilrechtlichen Verbots, auf das sich der Antragsteller beruft (vgl. Seite 4 der Antragsschrift vom 14. April 2005), ist es dem Pächter nicht zumutbar, die ihm durch den angefochtenen Bescheid öffentlich-rechtlich auferlegten Handlungspflichten zu erfüllen.

Die Duldungsanordnung hat eine Doppelnatur. Sie ist ein Gestaltungsakt, der zivilrechtliche Ansprüche des Duldungspflichtigen, die einem Vollzug der Grundverfügung durch den Handlungspflichtigen entgegenstehen, ausschließt. Sie ist zugleich eine vollstreckungsfähige Anordnung, durch die dem Duldungspflichtigen untersagt wird, den Vollzug zu behindern (BayVGH vom 11.7.2001 BayVBl 2002, 275/277). Eine fehlende Duldungsanordnung berührt nicht die Rechtmäßigkeit der Grundverfügung. Sie ist nur ein Vollstreckungshindernis (BVerwG vom 28.4.1972 BayVBl 1973, 161/162; BayVGH vom 4.11.1975 BayVBl 1976, 115).

Die Duldungspflicht des Antragstellers beruht darauf, dass er als Eigentümer des Grundstücks in gleicher Weise wie der Pächter des Grundstücks verpflichtet ist, die naturschutzrechtlichen Schranken des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG), wie sie sich hier vor allem aus Art. 13 d Abs. 1 Nr. 1 BayNatSchG ergeben können, zu beachten. Der Antragsteller ist als Eigentümer (§ 903 BGB) und mittelbarer Besitzer (§ 868 BGB) des Grundstücks öffentlich-rechtlich dafür mitverantwortlich, dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften eingehalten werden. Er ist bei einem Verstoß gegen solche Vorschriften in seiner Eigenschaft als Zustandsstörer (Art. 9 Abs. 2 Satz 2 LStVG) auch dafür mitverantwortlich, dass wieder ordnungsgemäße Zustände hergestellt werden. Diese Verantwortung bedingt die entsprechende Einschränkung seiner zivilrechtlichen Rechtsstellung als Verpächter, mittelbarer Besitzer und Eigentümer des Grundstücks.

1. Es spricht viel dafür, dass die Duldungsanordnung keine Rechte des Antragstellers verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Rechtsgrundlage für die Duldungsanordnung ist eine entsprechende Anwendung des Art. 13 d Abs. 5 Satz 2 BayNatSchG. Nach dieser Vorschrift kann die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands verlangt werden, wenn Maßnahmen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften begonnen oder durchgeführt werden und wenn nicht auf andere Weise rechtmäßíge Zustände hergestellt werden können. In entsprechender Anwendung dieser Vorschrift kann einem Zustandsstörer geboten werden, einem anderen Störer auferlegte Handlungspflichten in der Weise zu dulden, dass er diesem gegenüber keine zivilrechtlichen Gegenrechte geltend macht und die Durchführung der Maßnahmen nicht behindert.

Der Antragsteller kann dem Pächter wohl schon zivilrechtlich nicht verbieten, den Drainagestrang "a" wieder zu beseitigen oder ihn zu unterbrechen, wie das von dem Pächter in Nr. 1 des Bescheids vom 30. November 2004 verlangt wird.

Bei den Maßnahmen des Pächters vom März und April 2000 zur Entwässerung der Feuchtfläche auf dem Grundstück Fl.Nr. *** handelte es sich nicht um eine gewöhnliche Ausbesserung der Pachtsache (§ 586 Abs. 1 Satz 2 BGB), sondern um Erneuerungsarbeiten, die der Pächter zu Beginn des Pachtverhältnisses durchgeführt hat, um das Grundstück landwirtschaftlich intensiver nutzen zu können als das bei dem bisherigen Zustand des Grundstücks möglich war. Das ist im Grunde auch nicht ernsthaft bestritten. Es ist vor allem durch eine Lichtbildaufnahme vom 26. März 2001 belegt. Die Erneuerungsarbeiten dürften deshalb so anzusehen sein, dass der Pächter die Pachtsache schon zu Beginn des Pachtverhältnisses mit einer Einrichtung versehen hat, die er, wenn er will, jederzeit wieder beseitigen darf, ohne dass dies der Antragsteller als Verpächter, mittelbarer Besitzer und Eigentümer der Pachtsache zivilrechtlich verhindern kann.

Unabhängig davon ist der Antragsteller wohl aber auch dann zur Duldung der Wiederherstellungsmaßnahmen verpflichtet, falls er zivilrechtlich an sich berechtigt wäre, vom Pächter zu verlangen, dass dieser die ihm durch die Anordnungen in Nr. 1 des Bescheids vom 30. November 2004 auferlegten Maßnahmen unterlässt.

Es spricht nämlich viel dafür, dass diese Anordnungen rechtmäßig sind und dass der Antragsteller deshalb öffentlich-rechtlich zur Duldung der Maßnahmen verpflichtet ist.

Bei der Feuchtfläche handelte es sich vor der Erneuerung der Drainageleitungen im März und April 2000 wohl um ein schützenswertes Biotop im Sinn des Art. 13 d Abs. 1 Nr. 1 BayNatSchG. Das Beschwerdevorbringen ist nicht geeignet, diese (nahe liegende) Auffassung des Landratsamtes und des Verwaltungsgerichts zu widerlegen. Die Beseitigung bzw. Unterbrechung der vom Pächter erneuerten Drainageleitung sind nach dem derzeitigen Stand der Erkenntnisse geeignete und erforderliche (vgl. Art. 8 Abs. 1 LStVG) sowie verhältnismäßige (vgl. Art. 8 Abs. 2 LStVG) Maßnahmen zur (teilweisen) Wiederherstellung und zum Erhalt des Biotops. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der bloßen, nicht näher belegten Behauptung des Antragstellers, der Strang "a" habe nur Durchleitungsfunktion für Feuchtflächen in anderen Teilbereichen des Grundstücks. Gleiches gilt für die Behauptungen des Antragstellers und des Pächters, es gebe einen vierten, von der Anordnung vom 30. November 2004 nicht erfassten Drainagestrang. Unerheblich ist auch, ob der Pächter die Durchführung der Erneuerungsarbeiten Ende März oder erst am 5. April 2000 begonnen hat.

Zu berücksichtigen ist auch, dass der Antragsteller durch den angefochtenen Bescheid nicht mit Kosten belastet worden ist. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass durch die Beseitigung oder Unterbrechung der Drainageleitung keine Zustände auf dem Grundstück geschaffen werden, die nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten. Das ergibt sich schon daraus, dass eine unterbrochene Leitung wieder repariert, eine beseitigte Leitung wieder neu verlegt werden kann.

2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 GKG. Sie orientiert sich an Nr. 9.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung vom Juli 2004 (NVwZ 2004, 1327). Der Wert des Gegenstandes des Beschwerdeverfahrens wurde wegen seiner Beschränkung auf eine der drei Drainageleitungen mit einem Drittel des Werts der Gegenstände des Antragsverfahrens bemessen.

Ende der Entscheidung

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