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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 25.05.2009
Aktenzeichen: 9 CS 08.3300
Rechtsgebiete: LFGB, VO (EG) Nr. 1935/04


Vorschriften:

LFGB § 39 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4
VO (EG) Nr. 1935/04 Art. 3 Abs. 1 Buchst. c
Die Behörde kann auf Grundlage des § 39 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 LFGB die Rücknahme von Bedarfsgegenständen anordnen, die geeignet sind, die organoleptischen Eigenschaften von Lebensmitteln zu beeinträchtigen.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

9 CS 08.3300

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Lebensmittelsrechts/Frischhaltebox (Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO);

hier: Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 21. November 2008,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 9. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Schechinger, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Bergmüller, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Krieger

ohne mündliche Verhandlung am 25. Mai 2009

folgenden Beschluss:

Tenor:

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde (§ 146 Abs. 1, 4, § 147 VwGO) ist nicht begründet.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage, mit der sich die Antragstellerin gegen die im Bescheid der Antragsgegnerin vom 29. Oktober 2008 verfügte Rücknahmeanordnung wendet, wiederherzustellen, zu Recht abgelehnt. Im Rahmen der nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen Abwägung ist dem öffentlichen Vollzugsinteresse Vorrang gegenüber dem privaten Interesse der Antragstellerin an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage einzuräumen. Der Beschwerdevortrag rechtfertigt keine andere Entscheidung.

Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Hauptsacheklage voraussichtlich erfolglos bleiben wird. Die angefochtene Anordnung, für die bereits ausgelieferten Frischhalteboxen eine Rücknahmeaktion durchzuführen, findet ihre Rechtsgrundlage in § 39 Abs. 2 Satz 1, 2 Nr. 4 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches (LFGB). Danach treffen die zuständigen Behörden die notwendigen Anordnungen und Maßnahmen, die u.a. zur Beseitigung festgestellter oder künftiger Verstöße erforderlich sind (§ 39 Abs. 2 Satz 1 LFGB). Nach § 39 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 LFGB können sie insbesondere eine Maßnahme anordnen, mit der verhindert werden soll, dass ein Erzeugnis, das den Verbraucher noch nicht erreicht hat, auch durch andere Wirtschaftsbeteiligte weiter in den Verkehr gebracht wird (Rücknahme).

Erzeugnisse im Sinne des LFGB sind auch Bedarfsgegenstände (§ 2 Abs. 1 LFGB). Bei der Frischhaltebox aus Kunststoff, die von der Antragstellerin vertrieben wird, handelt es sich um einen Bedarfsgegenstand im Sinne des Art. 1 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1935/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Oktober 2004 über Materialien und Gegenstände, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen (Abl Nr. L 338 S. 4; § 2 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 LFGB). Nach § 31 Abs. 1 LFGB ist es verboten, Materialien oder Gegenstände im Sinne des § 2 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 LFGB, die den in Artikel 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1935/2004 festgesetzten Anforderungen an ihre Herstellung nicht entsprechen, als Bedarfsgegenstände zu verwenden oder in den Verkehr zu bringen. Nach Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1935/2004 sind Materialien und Gegenstände nach guter Herstellungspraxis so herzustellen, dass sie unter den normalen oder vorhersehbaren Verwendungsbedingungen keine Bestandteile auf Lebensmittel in Mengen abgeben, die geeignet sind, die menschliche Gesundheit zu gefährden (Buchst. a) oder eine unvertretbare Veränderung der Zusammensetzung der Lebensmittel (Buchst. b) oder eine Beeinträchtigung der organoleptischen Eigenschaften der Lebensmittel herbeizuführen (Buchst. c).

Zutreffend hat das Verwaltungsgericht hier einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung (EG) Nr. 1935/2004 angenommen. Der Antragstellerin kann zwar insoweit gefolgt werden, als sie vorträgt, dass im Gegensatz zur früheren Rechtslage (§ 31 Abs. 1 LMBG), die Migrationen nur in technisch unvermeidbaren Mengen erlaubte (Minimierungsgebot), nach nunmehr geltender Rechtslage nicht jede technisch vermeidbare Migration einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1935/2004 darstellt (vgl. Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, RdNr. 8 zu § 31 LFGB; Meyer in Meyer/Streinz, LFGB - Basis VO, RdNr. 11 zu § 31 LFGB, der insoweit von einem Paradigmenwechsel spricht). Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1935/2004 liegt daher nur dann vor, wenn eine der drei dort genannten Fallgruppen erfüllt ist. Auf die Frage der technischen Vermeidbarkeit der Migration ist dagegen nicht mehr abzustellen. Nicht überzeugend ist aber das weitere Vorbringen der Antragstellerin, die einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung (EG) Nr. 1935/2004 nur bei einem Gefährdungspotential, das einer Gesundheitsgefährdung gleichkommt, als gegeben ansieht. Die Vorschrift des Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1935/2004 beinhaltet getrennt voneinander zu prüfende Tatbestände, die jeweils bestimmte qualifizierende Merkmale aufweisen. Eine Gesundheitsgefährdung ist nur im Rahmen der Fallgruppe a, eine unvertretbare Veränderung der Zusammensetzung der Lebensmittel nur bei der Fallgruppe b relevant. Für die hier einschlägige Fallgruppe c genügt es, wenn die abgegebenen Bestandteile geeignet sind, eine Beeinträchtigung der organoleptischer Eigenschaften (d.h. Geruch, Geschmack oder Aussehen) der Lebensmittel herbeizuführen. Hingegen kommt es nicht darauf an, ob die Migration die menschliche Gesundheit gefährdet oder die Zusammensetzung der Lebensmittel unvertretbar verändert; ggf. wären mehrere Tatbestände der Vorschrift nebeneinander erfüllt.

Die Eignung zur Beeinträchtigung organoleptischer Eigenschaften ist dann gegeben, wenn der abgegebene Bestandteil geeignet ist, den typischen Geruch, Geschmack oder das Aussehen des Lebensmittels wahrnehmbar zu beeinflussen. Hiervon ist im vorliegenden Verfahren auszugehen. Im Gutachten des Thüringer Landesamtes für Lebensmittelsicherheit und Verbraucherschutz vom 28. Juli 2008 wurde eine Geruchsabweichung des Prüflebensmittels (kaltes Wasser) als deutlich mineralölhaltig und nach Bittermandel sowie eine Geschmacksabweichung als deutlich seifig und schwach nach Bittermandel charakterisiert. Im Gutachten des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit vom 14. Oktober 2008, ergänzt durch Schreiben vom 14. November 2008, wurde festgehalten, dass die Frischhaltebox unangenehm chemisch roch und das dort gelagerte Wasser einen deutlich abweichenden Geschmack aufwies. Der von der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren vorgelegte Prüfbericht der "LGA Quali Test GmbH" vom 19. April 2006 vermag diese Feststellungen nicht in Zweifel zu ziehen. Die Antragsgegnerin weist insoweit zu Recht darauf hin, dass aufgrund der fehlenden Kennzeichnung der getesteten Boxen nicht eindeutig feststellbar ist, ob sie in Material und Produktionsweise mit den beanstandeten Frischhalteboxen übereinstimmen. Ferner kommt selbst dieser Prüfbericht bei der sensorischen Prüfung (Wasser in der Mikrowelle bei 600 W für 2 Minuten pro 100 g) zum Ergebnis einer schwachen Geruchs-/Geschmacksabweichung.

Zu Recht hat das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf § 1 Abs. 2 LFGB angenommen, dass die Anwendung des § 39 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 LFGB nicht auf den in § 1 Abs. 1 LFGB genannten Gesetzeszweck beschränkt ist und eine Rücknahme daher nicht nur zur Vorbeugung oder Abwehr einer Gefahr für die menschliche Gesundheit oder zum Schutz vor Täuschung in Betracht kommt. § 1 Abs. 2 LFGB erweitert den Gesetzeszweck über § 1 Abs. 1 LFGB hinaus und bestimmt, dass dieses Gesetz der Umsetzung und Durchführung von Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft dient, die Sachbereiche dieses Gesetzes betreffen. Nach Art. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1935/2004 ist Zweck dieser Verordnung, das wirksame Funktionieren des Binnenmarkts in Bezug auf das Inverkehrbringen von Materialien und Gegenständen in der Gemeinschaft sicherzustellen, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln unmittelbar oder mittelbar in Berührung zu kommen, und gleichzeitig die Grundlage für ein hohes Schutzniveau für die menschliche Gesundheit und die Verbraucherinteressen zu schaffen. Die Verordnung dient damit nicht nur dem Gesundheitsschutz, sondern allgemein der Durchsetzung der durch sie geschützten Verbraucherinteressen. Der geforderte hohe Schutz von Verbraucherinteressen wäre nicht zu erreichen, wenn die zuständige Behörde - wie die Antragstellerin meint - auf bestimmte Verstöße nicht oder nur mit begrenztem Instrumentarium reagieren könnte und der Verbraucher auf zivilrechtliche Ansprüche gegen den Unternehmer verwiesen würde.

Die Anordnung der Rücknahme ist im konkreten Fall sowohl erforderlich im Sinne des § 39 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 LFGB als auch verhältnismäßig. Zutreffend weist das Verwaltungsgericht darauf hin, dass die Antragsgegnerin gegenüber der Anordnung eines nach § 39 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 LFGB grundsätzlich auch möglichen Rückrufs bereits das mildere Mittel der Rücknahme gewählt hat. Unerheblich ist dabei, dass sich nach dem Vortrag der Antragstellerin mittlerweile nur noch ca. 400 Boxen im Handel befinden. Abgesehen davon, dass auch diese Anzahl die Rücknahmeanordnung noch rechtfertigt, ist bei einer Anfechtungsklage grundsätzlich auf die Sachlage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung abzustellen. Etwas anderes ergibt sich hier weder aus der Eigenart des angefochtenen Verwaltungsakts noch aus dem für ihn maßgeblichen materiellen Recht. Eine weitere Reduzierung der noch im Handel befindlichen Bestände wird die Antragsgegnerin allerdings bei der bisher noch nicht erfolgten Entscheidung über die Androhung von Zwangsmitteln und ggf. bei deren Anwendung zu beachten haben.

Da bereits der Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung (EG) Nr. 1935/2004 den Erlass der angefochtenen Anordnung rechtfertigt, kommt es auf das Vorliegen der von der Antragsgegnerin erst im gerichtlichen Verfahren vorgetragenen Kennzeichnungsmängel nicht an.

Das Verwaltungsgericht hat seine Interessenabwägung zu Recht zu Lasten der Antragstellerin vorgenommen. Der Senat teilt insbesondere die Auffassung der ersten Instanz, dass sich aus dem gesetzlich angeordneten Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen in § 39 Abs. 6 LFGB für die dort genannten Fälle keine besonders hohen Anforderungen für die Annahme des öffentlichen Vollzugsinteresses in allen anderen Fällen ableiten lassen (so auch OVG NRW vom 8.8.2008 DVBl 2008, 1262). Im vorliegenden Fall liegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts darin begründet, dass die Verbraucher vor dem Erwerb eines Bedarfsgegenstandes geschützt werden sollen, der geeignet ist, Geruch und Geschmack von Lebensmitteln zu beeinträchtigen. Dieses Interesse ist hinreichend gewichtig, um ihm Vorrang vor dem wirtschaftlich begründeten Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage einzuräumen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 47 GKG.

Ende der Entscheidung

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