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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 10.12.2003
Aktenzeichen: 1 AR 84/03
Rechtsgebiete: ZPO, GVG, BGB


Vorschriften:

ZPO § 12
ZPO § 13
ZPO § 34
ZPO § 35
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
ZPO § 281 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 281 Abs. 2 Satz 4
GVG § 23
GVG § 71
BGB § 269
BGB § 270
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluß

1 AR 84/03 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch den Richter am Oberlandesgericht ..., die Richterin am Oberlandesgericht ... und den Richter am Oberlandesgericht ... am 10. Dezember 2003

beschlossen:

Tenor:

Zuständig ist das Landgericht Potsdam.

Gründe:

I.

Die Kläger begehren von den Beklagten die Zahlung von Anwaltshonorar in Höhe von 783,27 EUR für ihre Tätigkeit als Prozeßbevollmächtigte der Beklagten in einem Rechtsstreit, der in der ersten Instanz vor dem Landgericht Potsdam (...) und in der zweiten Instanz vor dem Brandenburgischen Oberlandesgericht (...) geführt worden ist. Die Beklagten sind sämtlich in 04916 Herzberg (Bezirk des Amtsgerichts Bad Liebenwerda) wohnhaft, der Sitz der Kanzlei der Kläger befindet sich in Zossen. Nach Erlaß eines Mahnbescheides und Eingang des Widerspruchs der Beklagten hat das Amtsgericht Zossen - Mahngericht - die Sache an das im Mahnantrag als Prozeßgericht bezeichnete Amtsgericht Zossen - Prozeßabteilung - abgegeben. Mit Verfügung vom 25. August 2003 hat das Amtsgericht Zossen (Prozeßgericht) unter Hinweis auf § 34 ZPO Bedenken gegen seine sachliche Zuständigkeit mitgeteilt und die Ansicht vertreten, daß das Landgericht Potsdam sachlich zuständig sei. Hierauf haben die Kläger am 28. August 2003 die Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht Potsdam beantragt. Dem haben die Beklagten mit Anwaltsschriftsatz vom 4. September 2003 zugestimmt. Mit Beschluß vom 9. September 2003 hat das Amtsgericht Zossen den Rechtsstreit unter Hinweis auf § 34 ZPO an das Landgericht Potsdam verwiesen. Dieses hat sich mit Beschluß vom 14. Oktober 2003 seinerseits für unzuständig erklärt und die Sache dem Brandenburgischen Oberlandesgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

II.

1. Der Zuständigkeitsstreit ist gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO durch das beiden am Zuständigkeitsstreit beteiligten Gerichten gemeinsam nächst höhere Brandenburgische Oberlandesgericht zu entscheiden.

2. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Sowohl das Amtsgericht Zossen als auch das Landgericht Potsdam haben sich im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO rechtskräftig für unzuständig erklärt, ersteres durch nach § 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO unanfechtbaren Verweisungsbeschluß vom 9. September 2003 und letzteres durch die seine Zuständigkeit abschließend verneinende Entscheidung vom 14. Oktober 2003, die als solche den Anforderungen genügt, die an das Merkmal "rechtskräftig" im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu stellen sind, weil es insoweit allein darauf ankommt, daß eine den Parteien bekannt gemachte ausdrückliche beiderseitige Kompetenzleugnung vorliegt (vgl. BGHZ Bd. 102, S. 338, 340; Bd. 104, S. 363, 366; BGH NJW 2002, S. 3634, 3635; Senat, OLG-NL 2001, S. 70 und S. 214; Zöller/Vollkommer, ZPO, 24. Aufl. 2004, § 36 Rdn. 24 f.; Baumbach/Hartmann, ZPO, 62. Aufl. 2004, § 281 Rdn.48; Thomas/Putzo, ZPO, 25. Aufl. 2003, § 36 Rdn. 23).

3. Zuständig ist das Landgericht Potsdam.

Seine Zuständigkeit folgt aus der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Zossen vom 9. September 2003 gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO.

Die Bindungswirkung nach § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO entfällt nur ausnahmsweise, namentlich bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) oder bei objektiver Willkür, die etwa auch dann gegeben sein kann, wenn die Verweisung offenbar gesetzeswidrig oder sonst grob rechtsfehlerhaft erfolgt ist (s. BGHZ Bd. 71, S. 69, 72; Bd. 102, S. 338, 341; BGH NJW 1993, S. 1273; NJW 2002, S. 3634, 3635; BayObLG, NJW-RR 2000, S. 589; Senat, aaO.; Zöller/Greger, aaO., § 281 Rdn. 17, 17 a m.w.Nw.; Baumbach/Hartmann, aaO., § 281 Rdn. 39 ff. m.w.Nw.; Thomas/Putzo/Reichold, aaO., § 281 Rdn. 12). So liegt es hier aber nicht.

Der Anspruch der Parteien auf Gewährung rechtlichen Gehörs ist beachtet worden. Daß der Verweisungsbeschluß vom 9. September 2003 keine (nähere) Begründung enthält, ist unschädlich, weil sich aus dem Akteninhalt zwanglos ergibt, daß der Rechtsstreit an das nach Ansicht des Amtsgerichts Zossen gemäß § 34 ZPO (ausschließlich) sachlich zuständige Landgericht Potsdam verwiesen werden sollte. Dem Begründungserfordernis ist genügt, wenn sich die Begründung hinreichend eindeutig dem Akteninhalt entnehmen läßt (vgl. KG, MDR 1993, S. 176; KG, MDR 1998, S. 618; Senat, OLG-NL 2001, S. 70; Zöller/Greger, aaO., § 281 Rdn. 17 m.w.Nw.; Baumbach/Hartmann, aaO., § 281 Rdn. 43; Thomas/ Putzo/Reichold, aaO., § 281 Rdn.12 m.w. Nw.). Die Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht Potsdam ist auch in der Sache selbst - noch - nicht als geradezu willkürlich anzusehen.

Im Interesse an einer baldigen Klärung der Gerichtszuständigkeit und der Vermeidung von wechselseitigen (Rück-)Verweisungen zwischen Gerichten sind an die Annahme einer objektiven Willkür im allgemeinen strenge Anforderungen zu stellen. Der Gesetzgeber hat sich für die grundsätzliche Bindungswirkung und Unanfechtbarkeit von - auch: fehlerhaften - Verweisungsbeschlüssen entschieden (§ 281 Abs. 2 Satz 2 und 4 ZPO). Deshalb kann objektive "Willkür" nur unter bestimmten - engen - Voraussetzungen bejaht werden, und zwar dann, wenn die verfassungsrechtliche Garantie des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) eine Durchbrechung der Bindungswirkung erfordert. Einfache Rechtsfehler genügen demzufolge für die Annahme der Willkür nicht (s. etwa BGH NJW-RR 1992, S. 902, 903; NJW 1993, S. 1273 und S. 2810; NJW-RR 1994, S. 126; BayObLGZ 1991, S. 387, 389; BayObLG, NJW-RR 2000, S. 589; NJW-RR 2001, S. 646, 647; Zöller/Greger, aaO., § 281 Rdn. 17; Zöller/Vollkommer, aaO., § 36 Rdn. 28; Musielak/Foerste, ZPO, 3. Aufl. 2002, § 281 Rdn. 17). Dies gilt erst recht für - im Ergebnis - vertretbare Entscheidungen (s. dazu etwa OLG Hamburg, MDR 2002, S. 1210; OLG Frankfurt/Main, NJW 2001, S. 1583; Baumbach/Hartmann, aaO., § 281 Rdn. 39; Tombrink, NJW 2003, S. 2364 ff., 2366, 2367; noch weitergehender ["Willkür" erst bei vorsätzlichem Rechtsbruch]: Endell, DRiZ 2003, S. 133, 135; strenger aber Fischer, MDR 2002, S. 1401 ff., 1405).

Danach erweist sich die Verweisungsentscheidung des Amtsgerichts Zossen - obschon fehlerhaft begründet - noch nicht als "willkürlich".

Das Amtsgericht Zossen hat der Norm des § 34 ZPO fehlerhaft die Aussage entnommen, daß hiermit verbindlich - also nicht nur als "Wahlgerichtsstand" (§ 35 ZPO) - die sachliche Zuständigkeit des Gerichts des Hauptprozesses für Honorarklagen der Rechtsanwälte angeordnet werde, und sich für diese Interpretation auf die Kommentierung bei Zöller/Vollkommer [§ 34 Rdn. 1 und 5] bezogen. Tatsächlich kann die Formulierung der dortigen Kommentierung ("nicht nur besonderer Wahlgerichtsstand, sondern auch Regelung der sachlichen Zuständigkeit") - ähnlich wie die Kommentierung bei Musielak/Smid [ZPO, 3. Aufl. 2002, § 34 Rdn. 1 und 9] ("besonderer Gerichtsstand, darüber hinaus auch Anordnung der sachlichen Zuständigkeit") - beim Leser durchaus den Eindruck entstehen lassen, als werde die sachliche Zuständigkeit des Gerichts des Hauptprozesses, anders als die örtliche Zuständigkeit, verbindlich - also nicht nur als Wahlgerichtsstand (§ 35 ZPO) - vorgeschrieben. Dies ist freilich nicht der Fall. § 34 ZPO bestimmt zwar die örtliche und sachliche Zuständigkeit des Gerichts des Hauptprozesses, dies aber insgesamt als Wahlgerichtsstand im Sinne von § 35 ZPO (vgl. BGHZ Bd. 97, S. 79, 82, 83; BAG NJW 1998, S. 1092, 1093; Thomas/Putzo, ZPO, 25. Aufl. 2003, § 34 Rdn. 3). Daneben besteht für die klagenden Rechtsanwälte die Möglichkeit, ihre Honorarklage bei dem Gericht des Wohnsitzes des Beklagten (§§ 12, 13 ZPO) oder eines etwa davon abweichenden Erfüllungsortes (§ 29 ZPO) anzubringen, wobei für die sachliche Gerichtszuständigkeit insoweit nicht § 34 ZPO, sondern §§ 23, 71 GVG gelten. Dies ergibt sich aus der Überschrift ("besonderer Gerichtsstand des Hauptprozesses"), dem Wortlaut (Fehlen des Wortes "ausschließlich"), aus der systematischen Stellung von § 34 ZPO und aus der Gesamtschau von § 34 und § 35 ZPO. Es wäre im übrigen auch nicht interessengerecht, die Parteien der Honorarklage des Rechtsanwalts zu zwingen, über diese Klage - unabhängig von ihrem Streitwert - stets bei dem für den zugrundeliegenden Hauptprozeß erstinstanzlich sachlich zuständigen Gericht (hier: Landgericht) zu verhandeln.

Infolge seines Auslegungsfehlers hat das Amtsgericht Zossen die Regelung der sachlichen Zuständigkeit in § 34 ZPO gewissermaßen für "ausschließlich" gehalten, § 35 ZPO in Bezug auf die sachliche Zuständigkeit mithin nicht für maßgeblich betrachtet und sich daher auch durch die grundsätzliche Bindungswirkung und Unwiderruflichkeit der Ausübung des Wahlrechts des Klägers nach § 35 ZPO durch die Angabe zum Prozeßgericht für das streitige Verfahren im Mahnantrag (s. BGH NJW 1993, S. 1273; NJW 1997, S. 1154; NJW 2002, S. 3634, 3635; BayObLGZ 1993, S. 317, 318 f.; BayObLG, RPfleger 1993, S. 411; MDR 1999, S. 1461; MDR 2002, S. 661; KGR 1999, S. 165, 167; OLG Schleswig, NJW-RR 2001, S. 646; Zöller/Vollkommer, aaO., § 35 Rdn. 2, § 690 Rdn. 16 und § 696 Rdn. 9 f.; Baumbach/ Hartmann, aaO., § 690 Rdn. 11 und § 696 Rdn. 28) nicht an seiner Verweisungsentscheidung gehindert gesehen.

Dieser Fehler stellt sich unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles jedoch nur als "einfacher Rechtsfehler" dar und führt noch nicht zur Bejahung der objektiven Willkür der Verweisung. Wie gezeigt, konnte den - insoweit etwas mißverständlichen - Kommentierungen bei Zöller/Vollkommer (und Musielak/Smid) einiger Anhalt für die fehlerhafte Interpretation des Amtsgerichts Zossen entnommen werden. Der vom Amtsgericht Zossen mitgeteilten Rechtsansicht ist auch keine der Parteien entgegengetreten. Vielmehr haben beide Parteien der vorgeschlagenen Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht Potsdam zugestimmt. All dies steht der Annahme von Willkür entgegen.

Hinzu tritt, daß sich die Verweisungsentscheidung des Amtsgerichts Zossen - aus anderen Gründen - im Ergebnis als durchaus vertretbar darstellt. Denn das Amtsgericht Zossen durfte sich vertretbar als örtlich unzuständig ansehen. Die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Zossen konnte sich hier - soweit ersichtlich - nur unter dem Gesichtspunkt des Erfüllungsortes (§ 29 Abs. 1 ZPO) ergeben. Zwar wird für die wechselseitigen Ansprüche aus dem Anwaltsvertrag nach noch überwiegender Ansicht ein einheitlicher Erfüllungsort bei dem Ort der Anwaltskanzlei angenommen (s. etwa BGHZ Bd. 97, S. 79, 82; BGH NJW 1991, S. 3095, 3096; BayObLG, NJW 2003, S. 366 f.). Diese Ansicht ist aber zunehmend umstritten; eine wachsende Gegenmeinung lehnt einen gemeinsamen Erfüllungsort ab und verweist auf die gesetzliche Regelung in §§ 269, 270 BGB, wonach Erfüllungsort für Honoraransprüche des Rechtsanwalts der Wohnsitz des Mandanten zur Zeit der Mandatierung ist (s. etwa OLG Karlsruhe, NJW 2003, S. 2174, 2175; LG Frankfurt/Main, NJW 2001, S. 2640; zum Streitstand s. etwa auch OLG Hamburg, MDR 2002, S. 1210 f.; Fischer, MDR 2002, S. 1401, 1402; Zöller/ Vollkommer, aaO., § 29 Rdn. 25; Baumbach/Hartmann, aaO., § 29 Rdn. 18; Thomas/Putzo, aaO., § 29 Rdn. 6; Palandt/Heinrichs, BGB, 63. Aufl. 2004, § 269 Rdn. 13, 14). Die Annahme, der Erfüllungsort für Honorarforderungen des Rechtsanwalts liege nicht am Sitz seiner Kanzlei, sondern am Wohnsitz des Mandanten, ist danach jedenfalls vertretbar und eine darauf gegründete Verweisung an das nach §§ 12, 13 oder § 34 ZPO zuständige Gericht nicht willkürlich (s. schon Senat, OLG-NL 2001, S. 70 f.; OLG Frankfurt/Main, NJW 2001, S. 1583; OLG Hamburg, MDR 2002, S. 1210; Fischer, MDR 2002, S. 1401, 1402).

Durfte sich das Amtsgericht Zossen danach aber ohne Willkür als örtlich unzuständig betrachten, so stand der Verweisung des Rechtsstreits an ein anderes zuständiges Gericht die grundsätzliche Bindungswirkung und Unwiderruflichkeit der Ausübung des Wahlrechts des Klägers nach § 35 ZPO durch die Angabe zum Prozeßgericht für das streitige Verfahren im Mahnantrag (s. BGH NJW 1993, S. 1273; NJW 1997, S. 1154; NJW 2002, S. 3634, 3635; BayObLGZ 1993, S. 317, 318 f.; BayObLG, RPfleger 1993, S. 411; MDR 1999, S. 1461; MDR 2002, S. 661; KGR 1999, S. 165, 167; OLG Schleswig, NJW-RR 2001, S. 646; Zöller/ Vollkommer, aaO., § 35 Rdn. 2, § 690 Rdn. 16 und § 696 Rdn. 9 f.; Baumbach/Hartmann, aaO., § 690 Rdn. 11 und § 696 Rdn. 28) nicht entgegen.

Erweist sich die Verweisung des Rechtsstreits an ein anderes Gericht im Ergebnis als vertretbar, so ist für die Annahme von Willkür regelmäßig kein Raum, weil in solchen Fällen typischerweise keine verfassungswidrige Entziehung des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) vorliegt.

Sonach verbleibt es bei der Zuständigkeit des Landgerichts Potsdam.

Ende der Entscheidung

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