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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 25.08.2003
Aktenzeichen: 1 Ss (OWi) 166 B/03
Rechtsgebiete: StVG, BKatV, OWiG


Vorschriften:

StVG § 25 Abs. 2 a
BKatV § 1 Abs. 2
BKatV § 4 Abs. 1 Nr. 1
OWiG § 17 Abs. 3 Satz 2 1. Hs.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

1 Ss (OWi) 166 B/03 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In der Bußgeldsache

wegen vorsätzlichen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften

hat der 1. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts als Senat für Bußgeldsachen durch

die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und den Richter am Landgericht ...

am 25. August 2003

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Neuruppin vom 14. April 2003 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben. Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens, an das Amtsgericht Neuruppin zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Neuruppin hat den Betroffenen durch das angefochtene Urteil vom 14. April 2003 wegen vorsätzlichen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften zu einer Geldbuße von 375,00 € verurteilt und gegen ihn ein Fahrverbot von drei Monaten unter Einräumung der Gestaltungsmöglichkeit nach § 25 Abs. 2 a StVG verhängt.

Den Urteilsfeststellungen zufolge befuhr der Betroffene am 17. August 2002 als Führer des Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen ... die Bundesautobahn ... in Richtung ... und überschritt gegen 16:20 Uhr in Höhe des Kilometers 173,0 die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 71 km/h.

Mit seiner am 16. April 2003 eingelegten und nach Zustellung der Urteilsausfertigung am 21. Juni 2003 begründeten Rechtsbeschwerde erstrebt der Betroffene mit der Sachrüge die Aufhebung des landgerichtlichen Urteils. Der Betroffene greift insbesondere die tatrichterliche Beweiswürdigung an und erachtet das ausgeurteilte Fahrverbot für unverhältnismäßig.

II.

Die Rechtsbeschwerde hat nur im tenorierten Umfang - vorläufigen - Erfolg.

1. Die Überprüfung des amtsgerichtlichen Urteils auf die zulässig erhobene Sachrüge ergibt im Schuldspruch gegen den Betroffenen wegen eines vorsätzlichen Geschwindigkeitsverstoßes keine Rechtsfehler zu seinem Nachteil. Die Feststellungen tragen noch den Schuldspruch.

Es ist alleinige Aufgabe des Tatrichters, sich zu dem im Bußgeldbescheid erhobenen Vorwurf auf der Grundlage der vorhandenen Beweismittel eine Überzeugung vom tatsächlichen Geschehensverlauf zu verschaffen. Seine freie Beweiswürdigung hat das Rechtsbeschwerdegericht regelmäßig hinzunehmen. Die Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts ist allein auf die Frage beschränkt, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind (st. Rechtsprechung, vgl. nur BGHSt 10, S. 208; BGH NStZ 1983, S. 277). Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder wenn sie gegen Denkgesetze oder gesichertes Erfahrungswissen verstößt.

Zwar zeigen die Urteilsgründe einen Widerspruch auf, da nach dem Meßprotokoll sich die Meßstelle 1.600 m vor dem Ende der Geschwindigkeitsbegrenzung befunden habe, während die Entfernung nach dem Beschilderungsplan 400 m betragen soll. Wo sich die Meßstelle letztlich befand, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. In der Beweiswürdigung wird hierzu nichts ausgeführt; eine Aufklärung ist dem Rechtsbeschwerdegericht nicht möglich, da weder das Meßprotokoll noch der Beschilderungsplan in prozeßordnungsgemäßer Weise zum Bestandteil der Urteilsgründe gemacht wurden (vgl. dazu BGHSt 41, S. 376, 382 f.). Dennoch nötigt dieser Widerspruch nicht zur Aufhebung des Schuldspruchs, da selbst nach Einlassung des Betroffenen in der Hauptverhandlung, wonach er 200 m vor dem Aufhebungsschild sein Fahrzeug beschleunigt habe, unstreitig geblieben ist, dass er innerhalb der Geschwindigkeitsbegrenzung mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren war. Selbst bei Annahme einer Entfernung von (nur) 200 Metern zu dem die Geschwindigkeitsbegrenzung aufhebenden Verkehrsschild - was das Tatgericht ausdrücklich ausgeschlossen hat - , durfte der Betroffene sein Fahrzeug nicht in der festgestellten Weise beschleunigen und die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschreiten. Zudem wäre dann der Messabstand bis zum Aufhebungsschild, der entsprechend verwaltungsinternen Vorschriften mindestens 150 Meter betragen soll, nicht unterschritten; selbst ein Verstoß gegen diese verwaltungsinternen Richtlinien würde im Übrigen das Messergebnis nicht in Frage stellen und den Betroffenen nicht vom Schuldvorwurf befreien (vgl. OLG Oldenburg VRS 91, S. 478).

Auch die Urteilsausführungen zum subjektiven Tatbestand sind nicht frei von Unklarheiten. Mißverständlich heißt es hierzu lediglich: "Die getroffenen Feststellungen rechtfertigen die Annahme einer subjektiv groben Pflichtverletzung." (Bl. 3 UA). Angesichts des Ausmaßes des Geschwindigkeitsüberschreitung ist jedoch der Vorsatz indiziert, so dass jedenfalls kein Zweifel hinsichtlich eines bedingt vorsätzlichen Handelns des Betroffenen besteht. Nachdem der Betroffene ein Übersehen des die Geschwindigkeit begrenzenden Schildes nicht geltend gemacht und eingeräumt hat, noch vor Erreichen des die Aufhebung der Geschwindigkeitsbegrenzung anordnenden Verkehrsschildes sein Fahrzeug derart beschleunigt zu haben, ist gegen die Annahme der vorsätzlichen Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit nichts einzuwenden.

2. Dagegen halten die Ausführungen zum Rechtsfolgenausspruch der Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht nicht stand.

a) Dabei wirken sich die oben erwähnten Unklarheiten hinsichtlich des Standortes der Messstelle auf den Rechtsfolgenausspruch nicht aus. Denn Grundlage der Entscheidung ist die rechtsfehlerfrei getroffene Feststellung, dass der Betroffene die zulässige Geschwindigkeit von 100 km/h um mehr als 70 km/h überschritten hat. Selbst die Feststellung einer Entfernung von nur 200 Metern zum Aufhebungsschild - die der Betroffene in der Hauptverhandlung vor dem Bußgeldrichter geschätzt hat - hätte das Amtsgericht zu keiner anderen Rechtsfolgeentscheidung genötigt. Die angeordnete Geschwindigkeitsbegrenzung besteht von dem anordnenden Schild an bis zu ihrer verkehrsrechtlichen Aufhebung. Eine so genannte "Messtoleranz" wie bei der Einfahrt in eine Geschwindigkeitsbegrenzung, die ihren Grund darin findet, dass dadurch möglichen Unwägbarkeiten Rechnung getragen werden soll, besteht bei der Ausfahrt aus der geschwindigkeitsbegrenzten Zone gerade nicht (OLG Oldenburg a.a.O.).

Bei einer (nur) fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit außerorts von über 70 km/h kam die Verhängung der Regelgeldbuße von 375,00 € und eines dreimonatigen Fahrverbots gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 der Bußgeldkatalogverordnung in Verbindung mit der Tabelle 1 (Nr. 11.3.10) des Anhangs in Betracht.

b) Dennoch kann der Rechtsfolgenausspruch von Rechts wegen keinen Bestand haben; die Ausführungen zum Fahrverbot sind unzureichend.

Hierzu führt die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg in ihrer Stellungnahme vom 18. Juli 2003 zutreffend aus:

"Es entspricht der ständigen Senatsrechtsprechung, dass das berufliche Angewiesensein ein Absehen von der Verhängung des Fahrverbots nicht rechtfertigt (vgl. Beschlüsse vom 13. Mai 1997 - 1 Ss (OWi) 55 B/97 - und 24. Februar 2000 - 1 Ss (OWi) 16 B/00).

Bei einem Unternehmer, der über weitere Mitarbeiter verfügt und auch Lehrlinge ausbildet, ist die Verhängung des Fahrverbots regelmäßig in Betracht zu ziehen, wenn festgestellt ist, ob er sich für die Zeit des Fahrverbots anderer Beschäftigter des Unternehmens als Fahrer bedienen, ihnen etwa die Akquirierung von Aufträgen übertragen könnte und welche konkreten Einbußen dem Unternehmen drohen, falls dies nicht möglich ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom 3. Juni 2003 (2 Ss (OWi) 18 B/03); 2. Juni 2003 (1 Ss (OWi) 91 B/03) und 11. Juni 2003 (2 Ss (OWi) 52 B/03).

Insoweit aber sind die Erwägungen des Bußgeldrichters lückenhaft.

Sie teilen nichts zur Größe des Unternehmens, zur Anzahl der Beschäftigten oder Auszubildenden und zu den tatsächlichen Einnahmen oder Umsätzen mit, aus denen auf die Möglichkeit des Einsatzes eines Dritten als Fahrer geschlossen werden könnte. Angesichts der Dauer des in Betracht kommenden Fahrverbotes waren hieran besondere Anforderungen zu stellen.

Dabei muss der Bußgeldrichter den Ausführungen des Betroffenen nicht folgen, sich aber mit seinem Vorbringen auseinandersetzen und gegebenenfalls entsprechende weitere Beweise hierüber erheben. In Betracht kommt die Zeugenvernehmung von Mitarbeitern ebenso wie die Beiziehung von Geschäftsunterlagen oder Steuerbescheiden. Auch die Prüfung, ob Familienangehörige - etwa die Ehefrau des Betroffenen - als Fahrer helfen können, liegt bei dem Einwand schwerwiegender Folgen für das Unternehmen nicht fern.

Mangels tatsächlicher Feststellungen ist dem Rechtsbeschwerdegericht derzeit nicht möglich, den Einwand zu prüfen, ob mit der Verhängung des dreimonatigen Fahrverbots eine Existenzgefährdung des Betroffenen einhergehen könnte.

Wegen der bestehenden Wechselwirkung zwischen dem Fahrverbot und der Bemessung der Geldbuße ist der Rechtsfolgenausspruch insgesamt betroffen."

Diese Ausführungen macht sich der Senat zu Eigen. Sie entsprechen der Sach- und Rechtslage.

c) Ergänzend weist der Senat auf folgendes hin: Soweit die Urteilsgründe keine Ausführungen zur Höhe der erkannten Geldbuße enthalten und sich die Schilderung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen darauf beschränkt mitzuteilen, dass er verheiratet ist, keine Kinder hat und als selbständiger Unternehmer im Bereich "Trocknen nach Wasserschäden" tätig ist, ist dies fehlerhaft bzw. unzureichend.

Gem. § 17 Abs. 3 Satz 2 1. Hs. OWiG sind bei der Zumessung der Geldbuße grundsätzlich auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen zu berücksichtigen. Dies erfordert in den Feststellungen - kurze - Ausführungen zu Einkommensverhältnissen, Vermögen (ggf. Grundbesitz, Eigentum an Pkw), Schulden und Unterhaltsverpflichtungen. Lediglich bei geringfügigen Ordnungswidrigkeiten, die nach dem Willen des Gesetzgebers bei Geldbußen von bis zu 35 € gegeben sind (BT-Drucks. 10/2652, S. 12: 70 DM; ebenso allgemeine Ansicht, vgl. OLG Karlsruhe NStZ 1988, S. 137; OLG Oldenburg NZV 1991, S. 82) können die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen unberücksichtigt bleiben (§ 17 Abs. 3 Satz 2 2. Hs. OWiG).

Kurze Erörterungen der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen sind auch bei Verhängung der Regelgeldbuße und des Regelfahrverbotes grundsätzlich geboten, um das Rechtsbeschwerdegericht die Prüfung zu ermöglichen, ob der Tatrichter das ihm eingeräumte Ermessen bei der Festsetzung der Geldbuße rechtsfehlerfrei ausgeübt, er mithin die für die Bemessung der Geldbuße maßgeblichen Umstände des Einzelfalls bedacht hat, ggf. eine Abweichung von der Regelbußgeldandrohung gerechtfertigt ist. Dies gilt umso mehr, je höher die Geldbuße festgesetzt wird.

Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung aber auch die Ansicht vertreten, dass im Einzelfall, nämlich dann, wenn sich der zu beurteilende Fall von dem Normalfall nicht unterscheidet und keine Besonderheiten in der Person des Betroffenen vorliegen, die Ahndung einer Ordnungswidrigkeit mit der Regelgeldbuße durch das Rechtsbeschwerdegericht auch dann hingenommen werden kann, wenn die Urteilsgründe keine Ausführungen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen enthalten. Denn in einem solchen Fall kann das Rechtsbeschwerdegericht davon ausgehen, dass der Bußgeldrichter auch die persönlichen Verhältnisse des Betroffenen bedacht und mangels Abweichungen vom Normalfall auf die Regelgeldbuße erkannt hat.

Ein solcher "Normalfall" liegt hier aber nicht vor: Nach § 1 Abs. 2 BKatV gehen die im Bußgeldkatalog bestimmten Regelsanktionen von fahrlässiger Begehung und gewöhnlichen Tatumständen aus. Da der Bußgeldrichter jedoch vorsätzliches Handeln des Betroffenen festgestellt hat, hätte sich eine Erhöhung der sich aus Tabelle 1c Nr. 11.3.10 Anhang BKatV festgeschriebenen Regelgeldbuße von 375 € aufgedrängt. Davon kann das Tatgericht dann Abstand nehmen, wenn besondere Umstände in der Person des Betroffenen oder dessen besondere wirtschaftliche Verhältnisse dies gebieten. Dies nachzuprüfen war dem Senat aufgrund unzureichender Feststellungen nicht möglich.

Da der Betroffene durch die unterlassene Erhöhung der Regelgeldbuße, die sich hier geradezu aufdrängt, nicht beschwert ist, wirkt sich der vorgenannte Rechtsfehler allerdings nicht zu seinen Lasten aus. In der erneuten Hauptverhandlung steht das Verschlechterungsverbot einer Erhöhung der Geldbuße aus vorgenannten Gründen entgegen.

d) Das amtsgerichtliche Urteil war danach - lediglich - im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Neuruppin zurückzuweisen.

e) Der Senat sieht keine Veranlassung dafür, wie vom Rechtsmittelführer mit Schriftsatz vom 5. August 2003 angeregt, die Sache an ein anderes im Bezirk des Brandenburgischen Oberlandesgerichts gelegene Amtsgericht oder an eine andere Abteilung desselben Amtsgerichts zu verweisen.

Ende der Entscheidung

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