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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 10.03.2004
Aktenzeichen: 1 Ss (OWi) 37 B/04
Rechtsgebiete: StVG


Vorschriften:

StVG § 24 a
StVG § 25 Abs. 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

1 Ss (OWi) 37 B/04 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In der Bußgeldsache

wegen fahrlässigen Führens eines Kraftfahrzeuges mit einer Atemalkoholkonzentration von 0,25 mg/l oder mehr

hat der 1. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts als Senat für Bußgeldsachen durch

am 10. März 2004

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Zossen vom 27. Oktober 2003 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels als unbegründet im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens, an das Amtsgericht Zossen zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässigen Führens eines Kraftfahrzeuges mit einer Atemalkoholkonzentration von mehr als 0,25 mg/l zu einer Geldbuße von 250 € verurteilt und gegen ihn ein Fahrverbot von einem Monat Dauer verhängt. Nach den Urteilsfeststellungen befuhr der Betroffene am 14. Februar 2003 gegen 23:25 Uhr mit einem Pkw die Landesstrafe 793, obwohl er 0,39 mg/l Alkohol in der Atemluft hatte. Die Messung dieses Wertes erfolgte mit dem Messgerät Dräger Alkotest 7110 Evidential Typ MK III unter Berücksichtigung zweier um 23:45 Uhr und 23:48 Uhr durchgeführter Einzelmessungen; eine bereits zuvor mit dem Atemalkoholtestgerät Dräger 7410 vorgenommene Messung hatte eine Atemalkoholkonzentration von 0,82 Promille ergeben. In der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht hat sich der Betroffene "zur Sache nicht eingelassen."

Mit seiner Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung materiellen Rechts.

II.

Das Rechtsmittel hat teilweise Erfolg.

1. Im Ergebnis zu Unrecht wendet sich die Rechtsbeschwerde allerdings gegen den Schuldspruch des Betroffenen wegen fahrlässigen Führens eines Kraftfahrzeuges mit einer Atemalkoholkonzentration von mehr als 0,25 mg/l.

Die Feststellungen des angegriffenen Urteils ergeben, dass die Atemalkoholmessung bei dem Rechtsmittelführer mit Hilfe eines Messgerätes des Typs Alkotest 7110 Evidential MK III unter Beachtung der Bedienungsvorschriften des Herstellers durchgeführt worden ist. Die Zuverlässigkeit und Präzision dieses Messverfahrens ist allgemein anerkannt (vgl. BGH NJW 2001, 1952; Senatsbeschluss vom 14. April 2003 - 1 Ss (OWi) 270 B/02 -). Insoweit handelt es sich um ein standardisiertes Messverfahren, bei dessen Anwendung im bußgeldrichterlichen Urteil keine weiteren tatsächlichen Feststellungen zur Messmethode getroffen werden müssen; es genügt - soweit nicht der Betroffene konkrete Messfehler behauptet -, dass die Messmethode selbst und das Messergebnis mitgeteilt werden (BGH a. a. O.; BayOblG zfs 2000, 313; Senatsbeschluss a. a. O.); der Mitteilung eines Toleranzwertes bedarf es nicht, da ein solcher hier nicht in Betracht kommt (BayOblG zfs 2000, 133, 136; Brandenburgisches Oberlandesgerichts, Beschluss vom 19. Juni 2001 - 2 Ss (OWi) 110/00 - m. w. N.).

Um dem Senat die Prüfung zu ermöglichen, ob das Instanzgericht den festgestellten Atemalkohol-mittel-wert zutreffend ermittelt hat, insbesondere die Mittelwertbildung nicht durch unzulässige Aufrundung erfolgt ist, müssen die Entscheidungsgründe des bußgeldrichterlichen Urteils darüber hinausgehend weiterhin auch Angaben zur Höhe der bei Verwendung des Analysegerätes Dräger Alkotest 7110 Evidential MK III gemessenen Einzelatemalkoholwerte enthalten. Denn auch wenn bei standardisierten Messverfahren grundsätzlich die Wiedergabe einfacher Rechenvorgänge entbehrlich ist (OLG Stuttgart VRS 99, 286 unter Hinweis auf BGH St 28, 235; Kammergericht BA 2000, 115), handelt es sich hierum bei Atemalkoholmessungen gerade nicht. In der Rechtswirklichkeit liegen nämlich Erkenntnisse vor, dass nicht in allen Fällen von den Messgeräten des Typs Alkotest 7110 Evidential MK III der Firma Dräger fehlerfreie Mittelwertbildungen vorgenommen werden (vgl. BayOblG NJW 2001, 3138; OLG Köln VRS 100, 138).

Dies gilt auch, nachdem die Software dieses Messgerätetyps verändert worden ist. Im Zeitpunkt seiner Bauartzulassung durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt am 17. Dezember 1998 waren die entsprechenden Geräte noch in der Weise programmiert, dass sie den Mittelwert der Einzelatemalkoholmessergebnisse in der zweiten Dezimale entsprechend mathematischen Regeln so bildeten, dass sie den Wert der dritten Dezimale bei einem Wert bis 4 nach unten abrundeten, bei einem Wert ab 5 aber nach oben aufrundeten. Den hiergegen erhobenen Bedenken (vgl. BGH NJW 1998, 1930) trug das Herstellerunternehmen insoweit Rechnung, als durch Änderung der Gerätesoftware die dritte Dezimale bei der Mittelwertbildung nicht mehr berücksichtigt werden sollte; die Physikalisch-Technische Bundesanstalt hat die Bauartzulassung durch einen ersten Nachtrag vom 24. September 1999 entsprechend geändert (vgl. Bode BA 2000, 137). Die in der Praxis eingesetzten Atemalkoholmessgeräte des genannten Typs sind sodann mit der geänderten Software ausgerüstet worden. Gleichwohl sind auch in der Folgezeit noch Fehler bei der (juristisch) korrekten Mittelwertbildung von Atemalkoholmessungen unter Verwendung des Gerätetyps Dräger Alkotest 7110 Evidential MK III aufgetreten. Diese basierten - nach wie vor - vor allem darauf, dass die Mittelwertbildung unter unzulässiger Berücksichtigung der dritten Dezimalstelle der Einzelmesswerte erfolgte und es in Einzelfällen deshalb zu einem um 0,01 mg/l überhöhten Mittelwert der Atemalkoholkonzentration kam.

Diese Messfehler sind nicht hinnehmbar. Bei analytischen Messvorgängen nimmt die Messgenauigkeit mit zunehmend geringer werdender Größe der Messeinheit ab. Für die Ermittlung der Blutalkoholkonzentration durch Analyse einer Blutprobe ist anerkannt, dass die dritte Dezimalstelle des Promillewertes keinen Aussagewert mehr hat (BGH St 28, 1 f). Die dritte Dezimalstelle der Messwerte ist daher außer Acht zu lassen (BGH a. a. O.), und zwar sowohl für die Einzelwerte als auch für die Berechnung des Mittelwertes. Diese Rechtsprechung ist auf die Feststellung der Atemalkoholkonzentration zu übertragen (OLG Köln, VRS 100, 138 f). Auch bei ihr hat die dritte Dezimalstelle außer Betracht zu bleiben, weil sie wegen der von Dezimale zu Dezimale zunehmenden Messungenauigkeit sowohl analytisch als auch biologisch ohne Bedeutung ist (BayOblG NJW 2001, 3138).

Da auch aufgrund der neuen Software nicht in jedem Fall eine korrekte Bestimmung des Mittelwerts der Atemalkoholkonzentration sichergestellt ist, sind die der Mittelwertbildung zugrundeliegenden Einzelmesswerte weiterhin in den Urteilsgründen aufzuführen.

Den in dieser Weise bestehenden rechtlichen Vorgaben wird das angefochtene Urteil zwar nicht gerecht. Die Bußgeldrichterin teilt in den Entscheidungsgründen lediglich den Mittelwert der bei dem Betroffenen gemessenen Atemalkoholkonzentration mit; Darlegungen zur Höhe der um 23:45 Uhr und 23:48 Uhr (in zeitlich korrektem Abstand) gemessenen Einzelmesswerte fehlen hingegen.

Der skizzierte Rechtsfehler nötigt den Senat gleichwohl nicht zur Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils im Schuldspruch. Wegen der Besonderheiten des vorliegenden Falles erscheint es nämlich ausgeschlossen, dass sich eine etwaig fehlerhafte Atemalkoholmittelwertbildung auf die Entscheidung der Bußgeldrichterin ausgewirkt hätte. Unter Berücksichtigung der Softwareleistungen des Atemanalysegerätes Dräger Alkotest 7110 Evidential MK III können - wie bereits dargelegt - Gerätemessfehler maximal zu einem um 0,01 mg/l überhöhten Mittelwert der Atemalkoholkonzentration führen. Das bedeutet, dass die Atemalkoholkonzentration beim Betroffenen statt 0,39 mg/l - zu seinen Gunsten gerechnet - auch nur 0,38 mg/l betragen haben kann. Bei dieser geringen Differenz erscheint es aber ausgeschlossen, dass die Bußgeldrichterin eine für den Betroffenen in der Sache günstigere Entscheidung getroffen hätte. Anders als im vom Bayerischen Obersten Landesgericht entschiedenen, insoweit vergleichbaren Fall (BayOblG NJW 2001, 3138) hat das Ergebnis der Mittelwertbildung vorliegend auch keinen Einfluss auf die nach § 24 a StVG i. V. m. der Bußgeldkatalogverordnung im Regelfall auszusprechende Sanktion: § 24 a StVG differenziert nach seiner Neufassung durch das Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften (StVRÄndG) vom 19. März 2001 nicht mehr zwischen Atemalkoholmesswerten von mehr als 0,25 mg/l und solchen von mehr als 0,40 mg/l, und auch Nr. 241 des Bußgeldkataloges (Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV) sieht generell für Kraftfahrzeug-Fahrten bei einer Atemalkoholkonzentration von mehr als 0,25 mg/l im Regelfall eine festzusetzende Geldbuße von 250 € sowie ein einmonatiges Fahrverbot vor; die qualifizierten Tatbestände der Nr. 241 des BKat differenzieren nicht nach der Höhe der gemessenen Alkoholkonzentration. Bei dieser Sachlage kann ausgeschlossen werden, dass das angefochtene Urteil auf dem den Schuldspruch betreffenden Rechtsfehler beruht.

2. Keinen Bestand haben kann hingegen der Rechtsfolgenausspruch des amtsgerichtlichen Urteils. Dieser weist einen durchgreifenden Rechtsfehler auf.

Die Urteilsfeststellungen tragen nicht die Annahme des Amtsgerichts, die Verhängung eines Fahrverbotes gegen den Betroffenen sei nicht wegen eines in seiner Person begründeten außergewöhnlichen Härtefalles ausgeschlossen. Die Verwirklichung von Ordnungswidrigkeiten nach § 24 a StVG nötigt zwar bereits im Regelfall zum Ausspruch eines Fahrverbotes (§ 25 Abs. 1 Satz 2 StVG); dementsprechend sind bei solchen Regelfahrverboten die Voraussetzungen dafür, von ihnen abzusehen, enger als bei Eingreifen des indizierten Fahrverbotes nach § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG. Begründete die Verhängung eines Fahrverbotes für den Betroffenen aber eine schwere, nahezu unerträgliche Härte, so darf es gleichwohl nicht verhängt werden. Hiervon ist vor allem bei konkret drohendem Verlust des Arbeitsplatzes oder der wirtschaftlichen Existenz des Täters auszugehen; aber auch schwere bis existentielle persönliche Nachteile können es rechtfertigen, von der Verhängung eines Fahrverbotes abzusehen. Letzteres mag etwa der Fall sein bei schweren körperlichen Behinderungen, die dazu führen, dass der Betroffene zur Erfüllung seiner alltäglichen Lebensbedürfnisse auf die Benutzung eines Kraftfahrzeuges angewiesen ist. In diesem Sinne rechtfertigt eine schwere Gehbehinderung allerdings nicht allein schon ohne weiteres ein Verzicht auf das Fahrverbot (OLG Hamm, NZV 1999, 215; OLG Frankfurt am Main NZV 1994, 286), je nach Einzelfall jedoch das Vorliegen einer Querschnittslähmung (Rollstuhlfahrer: OLG Frankfurt am Main DAR 1995, 260).

Die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verhalten sich nur marginal zu Art, Umfang und Grad der Behinderung des Betroffenen, so dass das Vorliegen eines Härtefalles in dessen Person auf ihrer Grundlage nicht sicher ausgeschlossen werden kann. Die Entscheidungsgründe teilen insoweit mit, der Betroffene sei "zu 100 % schwerbehindert" und "Erwerbsunfähigkeitsrentner" bzw. schlussfolgern, ihm sei es, soweit er "seine alltäglichen Tätigkeiten regelmäßig mit seinem Fahrzeug" verrichte, zuzumuten, für die Dauer eines Monats die mit dem Fahrverbot verbundenen "Schwierigkeiten zu organisieren und entsprechende Vorkehrungen zu treffen"; insoweit bestehe unter anderem die Möglichkeit, "für die notwendigen zu erledigenden Wege die Hilfe von Freunden und Bekannten oder eines professionellen Fahrservices, der möglicherweise auf Behindertentransport spezialisiert ist, in Anspruch zu nehmen." Bei dieser Sachlage spricht zunächst der mitgeteilte Grad der Behinderung des Betroffenen indiziell dafür, dass der Rechtsmittelführer für die Bewältigung täglicher Verrichtungen auf die Nutzung eines Kraftfahrzeuges angewiesen und dieses im Zweifel auch selbst zu steuern gezwungen ist. Etwas anderes mag zwar - wovon das Amtsgericht zu Recht ausgeht - für den Fall gelten, dass er über genügend Barmittel verfügt, einen "professionellen Fahrservice" in Anspruch zu nehmen oder Verwandte, Freunde und Bekannte notwendige Fahrdienste leisten könnten. Ob der Betroffene über die entsprechenden finanziellen Mittel bzw. persönlichen Beziehungen verfügt, bleibt aber gerade offen. Die Abfassung der Entscheidungsgründe legt im Gegenteil nahe, dass die Bußgeldrichterin insoweit lediglich spekuliert und es dementsprechend unterlassen hat, die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen in der Hauptverhandlung selbst zu treffen. Ihrer Verpflichtung, den Sachverhalt in der skizzierten Weise aufzuklären, wäre die Instanzrichterin nur unter der Voraussetzung möglicherweise enthoben gewesen, dass sich der Betroffene in der Hauptverhandlung auch zu seiner Person und zu seinen persönlichen bzw. wirtschaftlichen Verhältnissen nicht eingelassen hätte. Davon kann fallbezogen aber gerade nicht ausgegangen werden, da der Rechtsmittelführer - wie die Urteilsgründe ausweisen - lediglich die Einlassung zur Sache verweigert hat.

Bei dieser Sachlage war das angegriffene Urteil im Rechtsfolgenausspruch - wegen der Wechselwirkung zwischen Geldbuße und Fahrverbot insgesamt - aufzuheben und insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Instanzgericht zurück zu verweisen. Eine eigene Sachentscheidung zu treffen, war dem Senat verwehrt, da es nicht ausgeschlossen ist, dass in der Tatsacheninstanz weitergehende Feststellungen getroffen werden können, die für die zu treffende Entscheidung von Bedeutung sind.

Ende der Entscheidung

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