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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 14.11.2001
Aktenzeichen: 1 U 12/01
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, EGBGB


Vorschriften:

ZPO § 511
ZPO § 511 a Abs. 1
ZPO § 539
ZPO § 398
ZPO § 412
ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 100 Abs. 4
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711 Satz 1
ZPO § 713
ZPO § 545 ff.
ZPO § 546 Abs. 2 Satz 1
ZPO § 287
BGB § 847
BGB § 823
BGB § 831
BGB § 249 ff.
BGB § 847 Abs. 1
BGB § 89
BGB § 31
BGB § 831 Abs. 1
BGB § 288 Abs. 1 Satz 1
BGB § 284 Abs. 1 Satz 2
BGB § 285
BGB a. F. § 291
EGBGB Art. 229 § 1 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

1 U 12/01 Brandenburgisches Oberlandesgericht

Anlage zum Protokoll vom 14.11.2001

verkündet am 14.11.2001

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 10. Oktober 2001 durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Macke, den Richter am Oberlandesgericht Tombrink und den Richter am Amtsgericht Friedrichs

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 22. März 2001 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Cottbus - 2 O 385/97 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß der Feststellungsausspruch, klarstellend wie folgt gefaßt wird:

Es wird festgestellt, daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche aus dem Schadensfall vom 14. März 1995 resultierenden künftigen materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens haben die Beklagten als Gesamtschuldner zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Wert der Beschwer beträgt 19.500,00 DM.

Tatbestand:

Der Kläger nimmt die Beklagten wegen der Behandlung einer Hodentorsion auf Ersatz des materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch.

Am 13. März 1995 erlitt der damals 13 Jahre alte Kläger gegen 19.00 Uhr bei einem Fußballspiel einen Tritt in den Unterleib. Er verspürte hierauf zunächst Schmerzen, die aber nach kurzer Zeit wieder abklangen. In der folgenden Nacht traten gegen 0.45 Uhr erhebliche Schmerzen im Bereich des rechten Hodens und der Leistengegend auf, die derart zunahmen, daß der Notarzt herbeigerufen wurde. Der Notarzt H untersuchte den Kläger und wies ihn mit der Verdachtsdiagnose "Hodentorsion" in das Krankenhaus der Beklagten zu 1) ein. Gegen 2.15 Uhr wurde der Kläger in den Klinikbereich L, in dem unter anderem die Unfallchirurgie untergebracht ist, eingeliefert. Dort wurde er von der diensthabenden Ärztin der unfallchirurgischen Abteilung S und dem diensthabenden Chirurgen Sch untersucht. Da beide Ärzte den Verdacht auf Hodentorsion angesichts der geschilderten und festgestellten Symptome nicht ausschließen konnten, veranlaßten sie die Vorbereitung eines operativen Eingriffs und verständigten den Beklagten zu 2), der zur damaligen Zeit als diensthabender Facharzt und Leiter der Abteilung für Unfallchirurgie (Rufnotdienst) eingesetzt war. Der Beklagte zu 2) traf gegen 3.00 Uhr bei dem Kläger ein. Nach Information über die bestehenden Verdachtsdiagnosen nahm er eine Untersuchung des Klägers vor, wobei er eine erkennbare Volumenvergrößerung des rechten Skrotalfaches und Druckschmerzen im Verlauf des Samenstrangs zum äußeren Leistenring, jedoch keine akute Schmerzsymptomatik beim Anheben des Hodens feststellte. Der Beklagte zu 2) gelangte nach Einsichtnahme in die vorliegenden Meß- und Laborwerte zu der Annahme, daß keine Hodentorsion vorliege, der Hoden nicht akut bedroht sei und ein operativer Eingriff daher zunächst unterbleiben könne. Er ordnete für den folgenden Morgen gegen 7.00 Uhr eine routinemäßige ärztliche Kontrolle an und verließ die Klinik gegen 3.40 Uhr. Von der Hinzuziehung eines Facharztes für Urologie sah er ab. Am Morgen wurde der Kläger gegen 7.45 Uhr von dem Chefarzt der Klinik für Chirurgie I K untersucht, der eine Schwellung und Druckempfindlichkeit des rechten Hodens feststellte, eine Hodentorsion nicht ausschließen konnte und den Urologen H als Konsiliarius hinzuzog. Hierzu mußte der Kläger vom Klinikbereich L zum Klinikbereich K transportiert werden, wo die urologische Klinik des Krankenhauses der Beklagten zu 1) untergebracht ist. Die Untersuchung durch den Urologen H erfolgte gegen 10.45 Uhr. Dieser äußerte ebenfalls den Verdacht auf Hodentorsion und empfahl eine sofortige operative Freilegung des Hodens. Da im Klinikbereich K wegen des dortigen Operationsprogramms für den Kläger keine sofortige Operationsmöglichkeit bestand, wurde er wieder in den Klinikbereich L verbracht, wo gegen 12.15 Uhr mit der Operation begonnen wurde. Hierbei stellte sich eine intravaginale Hodentorsion rechts mit makroskopisch kompletter hämorrbagischer Infarzierung heraus, welche auch nach Retorquierung und Hyperthermie nicht rückläufig war. Der rechte Hoden konnte nicht mehr gerettet und mußte entfernt werden. Am 22. März 1995 wurde der Kläger nach einem komplikationslosen postoperativen Verlauf mit reizlosen Wundverhältnissen aus der stationären Behandlung entlassen. Nach Durchführung eines Schlichtungsverfahrens vor der Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der norddeutschen Ärztekammern zahlte die Haftpflichtversicherung der Beklagten zu 1) ohne Anerkennung einer Rechtspflicht an den Kläger einen Schmerzensgeldbetrag von 10000,00 DM.

Mit seiner am 22. Juli 1997 eingereichten, der Beklagten zu 1) am 25. August 1997 und dem Beklagten zu 2) am 27. September 1997 zugestellten Klage hat der Kläger die Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes von zumindest 20.000,00 DM sowie die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz zukünftiger materieller und immaterieller Schäden begehrt.

Der Kläger hat behauptet, dem Notarzt H sei von dem vorangegangenen Tritt in den Unterleib berichtet worden. Diese Information habe H an die Ärztin S und diese wiederum an den Beklagten zu 2) weitergegeben. Der Kläger hat geltend gemacht, dem Beklagten zu 2) sei ein schwerer Behandlungsfehler unterlaufen, indem er trotz der bestehenden Verdachtsmomente von der gebotenen sofortigen operativen Freilegung des Hodens abgesehen habe und hierdurch die Chance auf eine Rettung des rechten Hodens leichtfertig vertan worden sei. Bei sofortigem operativem Eingriff habe der rechte Hoden erhalten werden können. Auch aus der unterbliebenen Hinzuziehung eines urologischen Facharztes und den Verzögerungen in der Zeit von 7.45 Uhr bis 12.15 Uhr am Vormittag 14. März 1995 ergäben sich durchgreifende Anhaltspunkte für haftungsbegründende Fehler. Im Hinblick auf die Entfernung des rechten Hodens und die hieraus folgenden physischen und psychischen Belastungen sei ein Schmerzensgeld von insgesamt mindestens 30.000.00 DM angemessen. Der Feststellungsantrag rechtfertige sich insbesondere daraus, daß wegen der Einsetzung eines Implantats für den verlorenen rechten Hoden eine weitere Operation anstehe und der Verlust der Zeugungsfähigkeit zu befürchten sei.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein weiteres angemessenes Schmerzensgeld zuzüglich 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

2. festzustellen, daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm sämtliche aus dem Schadensfall vom 14. März 1995 resultierenden materiellen und immateriellen und zukünftigen Schäden zu bezahlen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie haben geltend gemacht, der Kläger habe bei seiner Aufnahme in das Krankenhaus den am Vortag erlittenen Tritt in den Unterleib verschwiegen und damit ein wesentliches Verdachtsmoment für das Vorliegen einer Hodentorsion vorenthalten. Aufgrund der vom Beklagten zu 2) Bei der Untersuchung gegen 3.00 Uhr festgestellten Symptome habe sich der Verdacht auf Hodentorsion nicht bestätigt. In diesem Zusammenhang liege allenfalls ein einfacher Diagnoseirrtum vor. Jedenfalls fehle es am Eintritt eines kausalen Schadens, da davon auszugehen sei, daß der rechte Hoden wegen des Zeitablaufs bis zur Einlieferung des Klägers in das Krankenhaus ohnehin nicht mehr habe gerettet werden können. Im übrigen sei der Kläger durch Zahlung eines Schmerzensgeldbetrages von 10.000.00 DM bereits hinreichend abgefunden. Schließlich bestehe für den Kläger auch kein Feststellungsinteresse, da die Behandlung abgeschlossen sei und Zukunftsschäden nicht zu erwarten seien.

Nach Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter mit Beschluß vom 1. Oktober 1997, an der trotz diesbezüglicher Verfahrensrügen der Beklagten festgehalten worden ist, hat das Landgericht aufgrund seiner Beschlüsse vom 6. November 1997, 15. Januar 1998 und 21. Dezember 1998 durch den Einzelrichter Beweis erhoben zur Frage des Vorliegens eines kausalen Behandlungs- bzw. Diagnosefehlers durch Einholung eines Sachverständigengutachtens und uneidliche Vernehmung der Zeugin S. Wegen der Einzelheiten und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der Beweisbeschlüsse, das schriftliche Gutachten des Sachverständigen L vom 10. Juli 1998 sowie die Sitzungsniederschriften vom 30. November 1998 und 8. März 1999 verwiesen. Durch am 19. April 1999 verkündetes Urteil hat das Landgericht - Einzelrichter - die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat der Senat dieses Urteil einschließlich des zugrundeliegenden erstinstanzlichen Verfahrens durch Urteil vom 9. Februar 2000 (1 U 11/99) aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht - Zivilkammer - zurückverwiesen. Hierauf hat die Zivilkammer des Landgerichts aufgrund ihres Beschlusses vom 20. Juli 2000 Beweis erhoben zur Frage der Mitteilung über den vorgängigen Tritt in den Unterleib durch uneidliche Vernehmung des Zeugen H. Wegen der Einzelheiten und des Ergebnisses des Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des Beweisbeschlusses und die Sitzungsniederschrift vom 8. Februar 2001 verwiesen.

Durch sein am 22. März 2001 verkündetes Urteil, auf das ergänzend Bezug genommen wird, hat das Landgericht - Zivilkammer - die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 17.500,00 DM nebst Zinsen zu zahlen, und den beantragten Feststellungausspruch getroffen. Im übrigen hat das Landgericht die Klage abgewiesen und die Kosten des Rechtsstreits zu 11 % dem Kläger und zu 89 % den Beklagten als Gesamtschuldnern auferlegt. Zur Begründung hat das Landgericht im wesentlichen ausgeführt: Unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles und der Ausführungen des Sachverständigen stellten sich die unterbliebene sofortige operative Freilegung des Hodens und das Unterlassen der Hinzuziehung eines urologischen Facharztes als grobe Behandlungs- bzw. Befunderhebungsfehler dar. Wegen der hieraus resultierenden Beweiserleichterungen sei zugunsten des Klägers davon auszugehen, daß der rechte Hoden bei regelgerechter Behandlung hätte erhalten werden können. Nach Lage des Falles sei ein Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 27.500.00 DM angemessen. Der Feststellungsantrag sei zulässig und begründet, da Folgeschäden möglich seien.

Gegen dieses ihnen am 27. März 2001 zugestellte Urteil haben die Beklagten mit Eingang vom 27. April 2001 Berufung eingelegt und ihr Rechtsmittel - nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 28. Juni 2001 durch Verfügung vom 30. Mai 2001 - mit Schriftsatz vom 28. Juni 2001, eingegangen am selben Tage, begründet.

Die Beklagten wiederholen und vertiefen ihr bisheriges Vorbringen und führen ergänzend aus: Für die Annahme eines groben Behandlungs- bzw. Befunderhebungsfehlers fehle es an dahingehenden nachvollziehbaren medizinischen Bewertungen. Gegen diese Annahme spreche, daß der Beklagte zu 2) bei der Untersuchung des Klägers die typischen Schmerzen einer Hodentorsion nicht habe feststellen können und von dem vorangegangenen Sportunfall nicht in Kenntnis gesetzt worden sei. Im übrigen habe das Landgericht die im Senatsurteil vom 9. Februar 2000 festgestellten Verfahrensmängel nicht behoben.

Die Beklagten beantragen,

die Klage unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils vollständig abzuweisen,

hilfsweise,

das angefochtene Urteil und das zugrundeliegende erstinstanzliche Verfahren aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt unter gleichzeitiger Klarstellung, daß sich der Feststellungsantrag allein auf die künftigen materiellen und immateriellen Schäden bezieht,

die Berufung zurückzuweisen.

Er nimmt im wesentlichen Bezug auf sein bisheriges Vorbringen sowie auf die Ausführungen der angefochtenen Entscheidung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die in beiden Rechtszügen eingereichten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.

Der Senat hat aufgrund seines Beschlusses vom 10. Oktober 2001 zur Frage des Vorliegens eines schweren Behandlungsfehlers ergänzend Beweis erhoben durch Befragung des Sachverständigen Sch, der bei der erstinstanzlichen Gutachtenerstattung durch den Sachverständigen L mitgewirkt hat. Wegen der Einzelheiten und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 10. Oktober 2001 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 511,511 a Abs. 1 ZPO an sich statthafte, form- und fristgerecht bei dem zuständigen Brandenburgischen Oberlandesgericht eingelegte und begründete und auch im übrigen zulässige Berufung (§§ 516, 518 f ZPO, § 119 Abs. 1 Nr. 3 GVG) bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das angefochtene Urteil unterliegt keinen wesentlichen Verfahrensmängeln. In der Sache selbst hat das Landgericht die Klage im zugesprochenen Umfang im Ergebnis zu Recht als zulässig und begründet angesehen.

1. Das angefochtene Urteil unterliegt keinem wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne von § 539 ZPO. Dies gilt auch insoweit, als die Zivilkammer die Ergebnisse der Beweisaufnahme vor dem Einzelrichter verwertet hat, ohne die Beweisaufnahme zu wiederholen, wenngleich in diesem Zusammenhang durchaus ein Verfahrensmangel auftreten kann: Wird das Verfahren der ersten Instanz gemäß § 539 ZPO aufgehoben, so muß es wiederholt werden und hat in jedem Falle eine erneute mündliche Verhandlung stattzufinden (s. Musielak/Ball, ZPO, 2. Aufl. 2000, § 539 Rdn. 17; Münch.Komm.-Rimmelspacher, ZPO, 2. Aufl. 2000, § 539 Rdn. 33; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl. 1997, § 539 Rdn. 20). Demzufolge muß grundsätzlich auch die erstinstanzliche Beweisaufnahme wiederholt werden (vgl. Stein/Jonas/Grunsky, aaO., § 539 Rdn. 20 und § 538 Rdn. 35). Dieser Grundsatz kann jedoch vorliegendenfalls zurücktreten. Wird in einer Arzthaftungssache - wie hier - ein Beweis fälschlich durch den Einzelrichter erhoben und das diesbezügliche Verfahren durch Urteil des Rechtsmittelsgerichts aufgehoben, ist die Zivilkammer nicht stets gezwungen, die Beweisaufnahme zu wiederholen. Der Zweck der Aufhebung und Zurückverweisung besteht in solchen Fällen vor allem darin, daß die Beweiserhebung und insbesondere die Beweiswürdigung in die Hände der Zivilkammer - und nicht des Einzelrichters - gelangen. Daher ist es ausreichend, wenn die Zivilkammer nach Zurückverweisung der Sache in Anlehnung an §§ 398, 412 ZPO berät, ob sie eine erneute Befragung des Zeugen bzw. Begutachtung durch den Sachverständigen anordnet oder die in den Akten vorliegenden Unterlagen über die bisherige Beweisaufnahme durch den Einzelrichter (Gutachten und Vernehmungsniederschriften) als Grundlage ihrer eigenen Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) für genügend erachtet. Letzterenfalls kann die Zivilkammer ihre Entscheidung auf die von dem Einzelrichter gewonnenen Beweisergebnisse (Gutachten und Vernehmungsprotokolle) stützen. Die Annahme, daß eine Verwertung der Beweisergebnisse des Einzelrichters wegen der Verfahrensaufhebung ausscheide und die Zivilkammer die Beweise stets selbst neu erheben müsse, würde zu unnötigem kostenträchtigem Aufwand führen und erschiene für nicht wenige Fälle als überflüssige Förmelei. Allerdings wird es regelmäßig geboten sein, daß die Zivilkammer ihre an §§ 412, 398 ZPO orientierten Überlegungen zur Frage einer Wiederholung der Beweisaufnahme im Urteil oder in einem Beschluß wiedergibt; ansonsten vermag das Berufungsgericht möglicherweise nicht festzustellen, ob die Zivilkammer eine solche Beratung überhaupt vorgenommen und dabei sachlich tragfähige Erwägungen angestellt hat. Für den vorliegenden - insoweit hinreichend überschaubaren - Fall sieht es der Senat indes als genügend an, daß die Zivilkammer in ihrem Urteil mit der Würdigung der Beweisaufnahme durch den Einzelrichter inzident zum Ausdruck gebracht hat, daß sie die Unterlagen über diese Beweiserhebungen für ihre eigene Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) als ausreichend ansehe und eine erneute Befragung der Zeugin und des Sachverständigen nicht für erforderlich halte.

2. Die Klage ist zulässig und in dem vom Landgericht zuerkannten Umfange begründet.

a) Gegen die Zulässigkeit der Klage bestehen keine Bedenken. Für den Antrag auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes gemäß § 847 BGB bedarf es anerkanntermaßen keiner Bezifferung, sondern - neben der Darlegung der für die Ermittlung des angemessenen Schmerzengeldsbetrages erforderlichen Tatsachen - lediglich der Angabe der ungefähren Größenordnung oder eines Mindestbetrages, um dem Bestimmtheitserfordernis nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zu genügen (s. nur BGHZ Bd. 132, S. 341, 350 f.; BGH NJW 1992, S. 311 f.; Senat, NJW-RR 2000, S. 24, 25 = OLG-NL 1999, S. 125, 128; VersR2000, S. 1283, 1284; Palandt/Thomas, BGB, 60. Aufl. 2001, § 847 Rdn. 14; Zöller/Greger, ZPO, 22. Aufl. 2001, § 253 Rdn. 14 f. m.w.Nw.). Auch der Feststellungsantrag ist zulässig. Der grundsätzlich einheitliche Schmerzensgeldanspruch kann zwar nicht auf mehrere Zeitabschnitte aufgeteilt werden, da das Schmerzensgeld auf der Grundlage sämtlicher Folgen, soweit sie bereits eingetreten oder sonst erkennbar sind, bemessen wird; möglich ist aber eine Aufteilung auf bisher eingetretene und etwaige künftige Folgen (immaterieller Vorbehalt), sofern die künftige Entwicklung nicht übersehbar ist und weitere Beeinträchtigungen in der Zukunft möglich sind (vgl. BGH NJW-RR 1989, S. 1367; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1996, S. 927; OLG Oldenburg, NJW-RR 1988, S. 615; OLG Celle, VersR 1973, S. 60, 61; OLG Karlsruhe, VersR 1971, S. 1068 [LS]; s. auch OLG Frankfurt/Main, VersR 1995, S. 1061, Palandt/Thomas, BGB, 60. Aufl. 2001, § 847 Rdn. 11). Der Kläger hat insoweit klargestellt, daß sich sein Feststellungsantrag nur auf die zukünftigen Schäden bezieht. Das für die Zulässigkeit des Feststellungsantrags erforderliche besondere Interesse (§ 256 Abs. 1 ZPO) ist schon dann gegeben, wenn die Entstehung eines (weiteren) Schadens - sei es auch nur entfernt - möglich, aber noch nicht vollständig gewiß ist und der Schaden daher noch nicht abgeschätzt und noch nicht abschließend beziffert, werden kann (s. BGH NJW 1984, S. 1552, 1554; NJW-RR 1988, S. 445; NJW 1991, S. 2707, 2708; Senat, NJW-RR 2000, S. 24, 25 = OLG-NL 1999, S. 125, 128; VersR2000, S. 1283, 1284; Baumbach/Hartmann, ZPO, 59. Aufl. 2001, § 256 Rdn. 77 ff., 79, 81; Zöller/Greger, aaO., § 256 Rdn. 7 a, 8). Dieser Voraussetzung ist hier angesichts möglicher künftiger Fertilitätsstörungen und einer bevorstehenden stationären Behandlung wegen der Einsetzung eines Implantats Genüge getan.

b) Der Anspruch auf Schmerzensgeld und Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten rechtfertigt sich hinsichtlich des materiellen Schadensersatzes nach den Grundsätzen der Haftung wegen positiver Vertragsverletzung (§§ 242, 276, 278, 249 ff. BGB) sowie aus §§ 823, 831, 249 ff. BGB und hinsichtlich des Schmerzensgeldes aus §§ 823, 831, 847 Abs. 1 BGB. Mit der Beklagten zu 1) ist ein sogenannter "totaler Krankenhausvertrag" zustandegekommen. Dabei kann es offenbleiben, ob der Vertrag zwischen dem Kläger selbst - vertreten durch seine Eltern - und der Beklagten zu 1) oder aber zwischen den Eltern des damals 13jährigen Klägers und der Beklagten zu 1) abgeschlossen worden ist. In beiden Fällen stehen dem Kläger wegen etwaiger Fehler bei seiner stationären Behandlung im Krankenhaus der Beklagten zu 1) eigene vertragliche Schadensersatzansprüche zu. Im erstgenannten Fall wäre der Kläger selbst Vertragspartner, im letztgenannten Fall wäre von einem echten Vertrag zugunsten des Klägers (§ 328 BGB) auszugehen (s. dazu BGH NJW 1984, S. 1400; Palandt/Heinrichs, BGB, 60. Aufl. 2001, § 328 Rdn. 22; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 4. Aufl. 2001, S. 36; Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 2. Aufl. 1999, S. 356). Dieses Vertragsverhältnis bestand indes allein mit der Beklagten zu 1); die behandelnden Ärzte sind nicht Vertragspartner des Klägers bzw. seiner Eltern, sondern nur Erfüllungsgehilfen und Verrichtungsgehilfen bzw. Organe des Krankenhausträgers (s. etwa BGH NJW ] 978, S. 1681; Senat, NJW-RR 2000, S. 24, 25 - MedR 2000, S. 85, 86 = OLG-NL 1999, S. 125, 128; NJW-RR 2000, S. 398, 399 = VersR2000, S. 1283, 1284; Palandt/Heinrichs, aaO., § 278 Rdn. 26; Palandt/Putzo, aaO., vor § 611 Rdn. 19; Palandt/Thomas, aaO., § 831 Rdn. 7 m.w.Nw.). Vertragliche Ansprüche kommen daher nur gegenüber der Beklagten zu 1), nicht auch gegenüber dem Beklagten zu 2) zum Zuge. Die deliktsrechtlichen Ansprüche richten sich jedoch gegen beide Beklagte als Gesamtschuldner (§ 840 Abs. 1, § 421 BGB). Während Chefärzte, die eigenverantwortlich und weitgehend weisungsfrei die ihnen unterstellte Abteilung in einem Krankenhaus leiten, als verfassungsmäßig berufene Vertreter (Organe) anzusehen bzw. haftungsrechtlich als solche zu behandeln sind, so daß der Krankenhausträger für ihr Verschulden deliktsrechtlich gemäß §§ 89, 31 BGB - ohne Möglichkeit der Exkulpation gemäß § 831 BGB - einzustehen hat (s. etwa BGHZ Bd. 77, S. 74, 75 ff.; Bd. 95, S. 63, 67; Bd. 101, S. 215, 218; BGH NJW 1972, S. 334; Senat, NJW-RR 2000, S. 24, 25 - MedR 2000, S. 85, 86 = OLG-NL 1999, S. 125, 128; NJW-RR 2000, S. 398, 399 = VersR 2000, S. 1283, 1284; Palandt/Heinrichs, aaO., § 89 Rdn. 6; Münch.Komm.-Stein, BGB, Bd. 5, 3. Aufl. 1997, § 831 Rdn. 6; Münch.Komm.-Mertens, aaO., § 823 Rdn. 463), haftet der Krankenhausträger für die übrigen angestellten Ärzte - wie hier den Beklagten zu 2) - und das sonstige Pflegepersonal deliktsrechtlich nach § 831 BGB (s. BGH NJW 1959, S. 2302, 2303; NJW 1988, S. 2298, 2300; Senat, aaO.; Palandt/Thomas, aaO., § 831 Rdn. 7; Münch.Komm.-Stein, aaO., § 831 Rdn. 33; Münch.Komm.-Mertens, aaO., § 823 Rdn. 464). Auf eine Exkulpation nach § 831 Abs. 1 BGB hat sich die Beklagte zu 1) nicht berufen.

aa) Auf der Grundlage der erstinstanzlichen Beweisaufnahme und der eigenen ergänzenden Befragung des Sachverständigen Sch hat der Senat die Überzeugung gewonnen, daß dem Beklagten zu 2) bei der Behandlung des Klägers ein schwerer ("grober") Behandlungsfehler unterlaufen ist, indem er eine sofortige operative Freilegung des Hodens unterließ.

Die Feststellung eines schweren ("groben") Behandlungsfehlers stellt eine auf tatsächliche Anhaltspunkte gestützte juristische Wertung dar, die auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung des Behandlungsgeschehens unter Berücksichtigung einer Würdigung durch einen medizinischen Sachverständigen anhand eines berufsspezifischen ärztlichen Sorgfaltsmaßstabs getroffen wird; es handelt sich um eine tatrichterliche Beurteilung, die nicht lediglich auf einer bloß eigenen Wertung des Tatrichters beruhen darf, sondern auf der Grundlage der vom medizinischen Sachverständigen mitgeteilten Fakten und medizinischen Bewertung des Behandlungsablaufs erfolgt (s. BGH NJW 2001, S. 2791; S. 2792 f.; S. 2794 f.; S. 2795, 2796; NJW 1999, S. 860, 861; S. 862, 863; NJW 1998, S. 1782. 1783; NJW 1997, S, 798 f.; NJW 1996, S. 1589,1590; NJW 1995, S. 778 f.; Steffen/Dressler, Arzthaftungsrecht, 8. Aufl. 1999, Rdn. 517 ff.; Palandt/Thomas, aaO., § 823 Rdn. 170). Ein schwerer ("grober") Behandlungsfehler ist ein eindeutiger, fundamentaler Verstoß gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse, der nach den gesamten Umständen des Einzelfalles aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint und einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (s. etwa BGHZ Bd. 85, S. 212, 215 ff; BGH NJW 1995, S. 1611, 1612 f.; NJW 1996, S. 1589, 1590 f.; S. 2428; NJW 1997, S. 796, 797; NJW 1998, S. 814, 815; S. 1782, 1783; NJW 1999, S. 860, 861; S. 862; NJW 2001, S. 2792 f.; S. 2794; S. 2795, 2796; Senat, NJW-RR 2000, S. 24, 26 - MedR 2000, S. 85, 88 = OLG-NL 1999, S. 125, 129 f.; Palandt/Thomas, aaO., § 823 Rdn. 170; Münch. Komm.-Mertens, aaO., § 823 Rdn. 409; Zöller/Greger, aaO., vor § 284 Rdn. 20 a). So liegt es unter Berücksichtigung der überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen L und Sch, der glaubhaften Aussagen der Zeugen Sch und H und der vorliegenden Patientenunterlagen hier.

Wie von beiden Sachverständigen bestätigt und allgemein anerkannt ist, ist bei Verdacht auf Hodentorsion eine umgehende operative Freilegung des Hodens unverzichtbar und geboten, weil keine anderen zuverlässigen Mittel zur diagnostischen Abklärung zur Verfügung stehen. Je schneller operiert wird, umso größer sind die Chancen, den Hoden zu erhalten. Der Sachverständige Sch hat vor dem Senat überzeugend ausgeführt, daß es sich hierbei auch für einen Unfallchirurgen - als Nicht-Urologen - um ärztliches Standardwissen handele. Das "Dickgedruckte" im einschlägigen Lehrbuch enthalte den prägnanten Satz: "Besser sechs Freilegungen zu viel als eine zu wenig." (vgl. dazu auch die Ausführungen des OLG Düsseldorf, NJW 1986, S. 790, 791, für einen ähnlichen Fall). Gegen diesen ärztlichen Standard hat der Beklagte zu 2) in schwerwiegender und nach den überzeugenden Darlegungen des Sachverständigen Sch nicht mehr verständlicher Weise verstoßen. Insgesamt drei voruntersuchende Ärzte hatten hier eine Verdachtsdiagnose auf Hodentorsion gestellt bzw. einen solchen Verdacht nicht ausräumen können, nämlich der Notarzt H, die Ärztin Sch und der chirurgische Facharzt Schr. Dies war dem Beklagten zu 2) auch bekanntgegeben worden. Nach den Angaben in der Erstanamnese bei der Aufnahme des Klägers und dem klinischen Befund lagen, wie der Sachverständige Sch dem Senat überzeugend vermittelt hat, konkrete Anhaltspunkte dafür vor, daß man es mit einer "frischen", d.h. erst vor wenigen Stunden aufgetretenen Hodentorsion zu tun hatte: Danach war der Kläger gegen Mitternacht mit heftigen Schmerzen erwacht, hatte unter Übelkeit gelitten und Wasser, das er zu sich nahm, sogleich wieder erbrochen. Das rechte Skrotalfach zeigte sich deutlich vergrößert, der rechte Hoden war also erkennbar geschwollen, und im Bereich des Hodens sowie im Verlauf des Samenstranges zum äußeren Leistenring waren Druckschmerzen festzustellen. Das äußere Erscheinungsbild und die vom Beklagten zu 2) eingesehenen Laborwerte gaben keinen Anhaltspunkt für die Annahme einer (Neben-) Hodenentzündung. Dementsprechend hatten die Ärzte Sch und Schr bereits die OP-Schwestern informiert, also Anstalten zur Vorbereitung einer operativen Freilegung des Hodens getroffen. Vor diesem Hintergrund hat der Sachverständige Sch es als medizinisch nicht mehr verständlich angesehen, daß der Beklagte zu 2) von einer sofortigen Freilegung des Hodens abgesehen habe, ohne eine andere Diagnose als "Hodentorsion" zu stellen oder auch nur ernsthaft in Betracht ziehen zu können. Damit hat der Beklagte in eindeutiger und schwerwiegender Abweichung vom ärztlichen Standard Vorkehrungen unterlassen, die bei dem sich aufdrängenden Verdacht einer Hodentorsion geboten waren, um den Hoden noch retten zu können. Gegen die Annahme eines schweren Behandlungsfehlers läßt sich nach Lage des Falles auch nicht anfuhren, daß der Beklagte das sogenannte "Prehn'sche Zeichen" - eine akute Schmerzzunahme bei der Anhebung des Hodens - nicht habe feststellen können. Nach der überzeugenden Darlegung des Sachverständigen Sch ist das "Prehn'sche Zeichen" unzuverlässig und kein geeigneter Maßstab für die Abklärung - Bestätigung oder Ausräumung - der Verdachtsdiagnose auf Hodentorsion. Zudem konnte der Urologe H noch bei einer Untersuchung gegen 10.45 Uhr, also gut sieben Stunden später, das "Prehn'sche Zeichen" dreifach positiv feststellen. Dies weist nach der (nicht in die Sitzungsniederschrift aufgenommenen Einschätzung) des Sachverständigen daraufhin, daß der Beklagte zu 2) das "Prehn'sche Zeichen" bei der Untersuchung des Klägers nicht richtig bewertet hat. Es kommt dem Beklagten zu 2) auch nicht entlastend zugute, daß er als Facharzt für Unfallchirurgie nicht über spezielles urologisches Fachwissen zu verfügen brauchte und die (sichere) Diagnose einer Hodentorsion mit Schwierigkeiten behaftet ist. Nach den Darlegungen des Sachverständigen Sch liegt der Fehler des Beklagten zu 2) nicht darin, daß er die Hodentorsion nicht sicher erkannt hat, sondern darin, daß er trotz konkreter Anzeichen für eine Hodentorsion den Hoden nicht umgehend operativ freigelegt hat. Dazu habe es hier nach Lage des Falles "keine Alternative" gegeben und bei dem Erfordernis, im Zweifel umgehend zu operieren und den Hoden freizulegen, handele es sich um allgemeinmedizinisches Standardwissen, das dem Chirurgen eines Klinikums geläufig sein müsse, auch wenn er kein Urologe sei. Wenn - wie hier - drei vorbehandelnde Ärzte die Verdachtsdiagnose Hodentorsion stellen oder doch zumindest nicht ausräumen können und eindeutige Symptome vorliegen, die auf eine frische Hodentorsion hindeuten, ist es, wie der Sachverständige Sch vor dem Senat zweimal formuliert hat, "unverständlich", wenn der behandelnde Arzt von einer umgehenden operativen Freilegung absieht und auf diese Weise die Chance auf Erhaltung des Hodens vergibt. Dies gilt umso mehr, als es sich bei der operativen Freilegung des Hodens nach den Ausführungen des Sachverständigen um keine anspruchsvolle Operation handelt und mit dieser Operation keine nennenswerten Risiken verbunden sind. Es handele sich um einen Eingriff - so der Sachverständige - "ohne Probleme für einen Unfallchirurgen". Vor diesem Hintergrund hat der Senat keine Veranlassung gesehen, - wie von den Beklagten angeregt - ein weiteres (allgemein-)medizinisches Sachverständigengutachten einzuholen (§ 412 ZPO).

Die unterbliebene Freilegung des Hodens bei Verdacht auf Hodentorsion erweist sich nach Lage des Falles auch nicht etwa als ein bloßer Diagnoseirrtum, sondern - zumindest im Schwerpunkt - als ein echter Behandlungsfehler. Der Beklagte zu 2) hat den hier vorliegenden Verdacht auf eine Hodentorsion, soweit aus der Dokumentation ersichtlich, nicht auszuräumen vermocht, insbesondere auch keine anderweitige Diagnose gestellt. Bei einer solchen Sachlage liegt der ärztliche Fehler - jedenfalls im Schwerpunkt - nicht im Bereich der Diagnose, sondern im Unterlassen einer erforderlichen ärztlichen Behandlung (hier: Freilegung des Hodens) und somit im Bereich der Behandlung im engeren Sinne.

bb) Die Feststellung eines groben Behandlungsfehlers führt für den Kläger zu Beweiserleichterungen in bezug auf die - nach den Ausführungen des Sachverständigen L vorliegend nicht zu klärende - Frage, ob der rechte Hoden des Klägers bei sofortiger operativer Freilegung hätte gerettet werden können. Zugunsten des Klägers ist deshalb davon auszugehen, daß die Rettung des Hodens gelungen wäre. Die Unklarheit hinsichtlich der Kausalität des Behandlungsfehlers für den Eintritt des Körperschadens (hier: Verlust des Hodens) geht in diesem Sinne zu Lasten der Beklagten.

Die Darlegungs- und Beweislast für eine Pflichtverletzung des Arztes und deren Ursächlichkeit für den eingetretenen (Körper- bzw. Gesundheits-)Schäden trägt allerdings grundsätzlich der Geschädigte (s. etwa BGHZ Bd, 89, §§ 263, 269; Bd. 99, S. 391, 398, BGH NJW 1987, S. 705 f.; NJW 1988, S. 2949; Senat, NJW-KR 2000, S. 24, 26 - MedR 2000, S. 85, 88 = OLG-NL 1999, S. 125, 129; Palandt/Thomas, aaO., § 823 Rdn. 169; Palandt/Heinrichs, aaO., § 282 Rdn. 18; Münch.Komm.-Mertens, aaO., § 823 Rdn. 406; Zöller/Greger, aaO., vor § 284 Rdn. 20 a). Handelt es sich jedoch um einen schweren ("groben") Behandlungsfehler, führt er zu Beweiserschwerungen für den Patienten und ist er als solcher geeignet, den eingetretenen Schaden zumindest mitursächlich herbeizuführen, so ist es Sache des Anspruchsgegners des Geschädigten, d. h. regelmäßig des Arztes oder Krankenhausträgers, zu beweisen, daß es an der Kausalität zwischen der Pflichtverletzung und dem Körper- oder Gesundheitsschaden fehlt (s. etwa BGHZ Bd. 85, S. 212, 215 ff.; BGH NJW 1987, S. 705; NJW 1988, S. 2303, 2304; S. 2948; S. 2949, 2950 f.; NJW 1993, S. 2375, 2376 f.; NJW 1995, S. 1611, 1612 f.; NJW 1996, S. 1589, 1590 f.; S. 2428; NJW 1997, S. 796, 797; NJW 1998, S. 814, 815; S. 1782, 1783; NJW 1999, S. 861, 862; S. 862; Senat, NJW-RR 2000, S. 24, 26 = MedR 2000, S. 85, 88 = OLG-NL 1999, S. 125, 129 f.; Palandt/Thomas, aaO., § 823 Rdn. 170; Münch.Komm.-Mertens, aaO., § 823 Rdn. 409; Zöller/Greger, aaO., vor § 284 Rdn. 20 a). So liegt es hier. Der in der unterbliebenen operativen Freilegung des Hodens liegende schwere ("grobe") Behandlungsfehler hat dem Kläger die Beweisführung, daß der Hoden noch hätte gerettet werden können, erschwert. Die unterlassene Freilegung ist geeignet, den Hodenverlust zumindest mitursächlich herbeizuführen. Unter Zugrundelegung der Ausführungen des Sachverständigen L es ist nicht ganz unwahrscheinlich, daß der rechte Hoden des Klägers bei sofortigem operativem Eingriff hätte gerettet werden können.

cc) Hiernach steht dem Kläger gemäß § 847 Abs. 1 BGB ein Schmerzensgeldanspruch - zumindest - in Höhe des vom Landgericht zuerkannten Gesamtbetrages von 27.500,00 DM zu.

Die Bemessung des Schmerzensgeldes erfolgt gemäß § 287 ZPO nach billigem Ermessen des Gerichts anhand einer typisierenden Betrachtungsweise vergleichbarer Fälle unter Berücksichtigung der Genugtuungs- und Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldes, der Art und Dauer der eingetretenen Folgen, des Maßes des Verschuldens des Schädigers, eines etwaigen Mitverschuldens des Geschädigten und der wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten (s. dazu BGHZ [GrZS] Bd. 18, S. 149, 150 ff., 157 ff.; BGHZ Bd. 128, S. 117, 119, 120 f.; Senat, NJW-RR 2000, S. 24, 27 = MedR 2000. S. 85, 88 = OLG-NL 1999, S. 125, 130; Palandt/Thomas, BGB, 60. Aufl. 2001, § 847 Rdn. 4, 6 und 11; Münch.Komm.-Stein, BGB, Bd. 5, 3. Aufl. 1997, § 847 Rdn. 3 ff., 18 ff. m.w.Nw.). Vorliegend fallen neben dem Verlust des rechten Hodens als solchen auch die daraus erwachsenen psychischen Folgen für den Kläger ins Gewicht, nämlich die psychische Belastung wegen der noch ausstehenden operativen Einbringung eines Implantats, die Ungewißheit über künftige Fertilitätsstörungen und über Auswirkungen auf das Sexualleben sowie die Furcht vor dem Verlust des verbliebenen Hodens. Die Rechtsprechung hat in Entscheidungen aus 1986 bis 1997 für den Verlust eines Hodens in vergleichbaren Fällen Schmerzensgeldbeträge von 20.000,00 DM bis 25.000,00 DM zuerkannt (s. OLG Düsseldorf, NJW 1986, S. 790, 791: 20.000,00 DM; OLG Nürnberg, VersR 1998, S. 594 f.: 25.000,00 DM; LG Berlin, Urteil vom 29. September 1997 [zitiert bei Slizyk, Beck'sche Schmerzensgeld-Tabelle, 4. Aufl. 2001, S. 381]: 20.000,00 DM; LG Köln, Urteil vom 21. April 1997 [zitiert bei Slizyk, ebd.]: "ca. 25.000,00 DM"). Unter Einberechnung der seitherigen Geldentwertung und im Einklang mit einer Tendenz zu einer verhaltenen Anhebung der Schmerzensgeldbeträge hält der Senat den vom Landgericht veranschlagten Betrag in Höhe von insgesamt 27.500,00 DM ohne weiteres für gerechtfertigt.

dd) Der Zinsanspruch des Klägers findet seine Grundlage in § 288 Abs. 1 Satz 1, § 284 Abs. 1 Satz 2, § 285, § 291 BGB (a.F.), Art. 229 § 1 Abs. 1 EGBGB.

ee) Der Feststellungsantrag ist begründet, da die Möglichkeit des Eintritts weiterer - auch immaterieller - Folgeschäden nach den Ausführungen des Sachverständigen L nicht ganz fern liegt.

Die Begründetheit des Feststellungsantrags erfordert eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Eintritts künftiger Schäden (s. BGH NJW 1991, S. 2707, 2708 in.w.Nw.; NJW 1992, S. 697, 698; Senat, NJW-RR 2000, S. 24, 27 =MedR2000, S. 85, 88 - OLG-NL 1999, S. 125, 130; Stein/Jonas, ZPO, 21. Aufl., 1997, § 256 Fn.181). Dabei sind nur maßvolle Anforderungen zu stellen; es genügt die nicht eben fern liegende Möglichkeit weiterer Folgeschäden (vgl. BGH NJW-RR 1989, S. 1367; VersR 1991, S. 779, 780; NJW 1998, S. 160; Steffen/Dressler, Arzthaftungsrecht, 8. Aufl. 1999, Rdn. 632), wie sie hier gegeben erscheint.

3. Im Hinblick auf die klarstellende Mitteilung des Klägers zur Antragsfassung war der Feststellungsausspruch des angefochtenen Urteils zu ändern und deutlich zu machen, daß allein die künftigen materiellen und immateriellen Schadensfolgen erfaßt sind.

4. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf § 97 Abs. 1, § 100 Abs. 4 ZPO, auf § 708 Nr. 10, § 711 Satz 1, §§ 713, 545 ff. ZPO sowie auf § 546 Abs. 2 Satz 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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