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Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 19.02.2007
Aktenzeichen: 1 U 13/06
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, StGB, GG, TDG


Vorschriften:

ZPO § 294
ZPO § 313a Abs. 1 Satz 1
ZPO § 540 Abs. 2
ZPO § 542 Abs. 2 Satz 1
ZPO § 938
BGB § 823 Abs. 1
BGB § 1004 Abs. 1 Satz 2
StGB § 186
StGB § 193
GG Art. 5 Abs. 1
TDG § 8 Abs. 2 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

1 U 13/06 Brandenburgisches Oberlandesgericht

Anlage zum Protokoll vom 19.02.2007

verkündet am 19.02.2007

In dem Verfügungsrechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Kahl, den Richter am Oberlandesgericht Tombrink und den Richter am Amtsgericht Dr. von Selle auf die mündliche Verhandlung vom 22. Januar 2007

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das am 22. Juni 2006 verkündete Urteil des Landgerichts Potsdam - 2 O 277/05 - wird zurückgewiesen.

2. Der Tenor der einstweiligen Verfügung des Landgerichts Potsdam - 2 O 277/05 - vom 3. Mai 2005 - die durch das am 2. März 2006 verkündete Versäumnisurteil des Gerichts bestätigt wurde, das durch das angefochtene Urteil aufrecht erhalten worden ist - wird dahingehend klargestellt, dass hinter dem Wort "Schulleiterin" die Worte "in vergleichbarer Weise" eingefügt werden.

3. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Beklagten auferlegt.

4. Das Urteil ist vollstreckbar.

Von der Absetzung eines Tatbestands wird gemäß § 540 Abs. 2, § 313a Abs. 1 Satz 1, § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO abgesehen.

Gründe:

A.

Die zulässige Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg.

I. Der klagegegenständliche Verfügungsanspruch ist, soweit im zweiten Rechtszug anhängig, vom Landgericht zu Recht bejaht worden.

1. a) Das in Art. 1 und 2 GG enthaltene allgemeine Persönlichkeitsrecht gehört als sonstiges Recht im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB zu den Rechtsgütern, die gegenüber jedermann geschützt sind und deren Verletzung folglich Unterlassungsansprüche nach sich ziehen kann (§ 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB). Ihm kommt nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG die Aufgabe zu, "Elemente der Persönlichkeit zu gewährleisten, die nicht Gegenstand der besonderen Freiheitsgarantien des Grundgesetzes sind, diesen aber in ihrer Bedeutung für die Persönlichkeit nicht nachstehen" (BVerfGE, 54, 148, 153; 99, 185, 193; 101, 361, 380).

b) Die im Wortlaut zitierten Forenbeiträge griffen nachhaltig in das Persönlichkeitsrecht der Klägerin ein, indem sie ihre persönliche Ehre und sozialen und beruflichen Geltungsanspruch verletzten.

aa) Die ehrabschneidenden Misshandlungsvorwürfe sind entgegen der Auffassung der Beklagten auch dann als Tatsachenbehauptungen zu qualifizieren, wenn damit nicht zugleich die Voraussetzungen einer strafbewehrten Körperverletzung behauptet werden. Im Übrigen verkennt die Beklagte, dass ganz konkrete Körperverletzungsvorwürfe aus November 2004 den Ausgangspunkt der Internet-Diskussion bildeten. Sämtliche beanstandeten Forenbeiträge sind hierauf zeitlich und inhaltlich eindeutig bezogen. Daher stellen sich auch Äußerungen wie die zu lit. h) - "Mein Kind ... spricht über das, was ihm und anderen angetan wurde" - als Tatsachenbehauptungen dar. Diese Tatsachenbehauptungen bilden zudem das Rückgrat der wertenden Passagen in den zitierten Forenbeiträgen. Ohne die Misshandlungsvorwürfe fielen die übrigen Angriffe gegenüber der Klägerin, die streckenweise den Charakter einer regelrechten Vernichtungskampagne annahmen, sofort in sich zusammen, weswegen ihnen kein eigenständiger Bedeutungsgehalt zugebilligt werden kann (vgl. hierzu BGH, NJW-RR 1990, 752).

bb) Als Tatsachenbehauptungen hängt ihre Rechtfertigung durch Wahrnehmung berechtigter Interessen einschließlich der grundrechtlich geschützten Meinungsfreiheit in erster Linie davon ab, ob sie inhaltlich zutreffen (§ 193 StGB, Art. 5 Abs. 1 GG; speziell zur Verbreitung eines unbewiesenen "Gerüchts" Senat, NJW-RR 2002, 1269, 1270, mit weiteren Nachweisen). Insoweit wäre die Beklagte, ihre Grundrechtsträgerschaft unterstellt (unten 2 a bb), entsprechend § 186 StGB für die Richtigkeit dieser Behauptungen beweisbelastet, wobei im einstweiligen Verfügungsverfahren das Beweismaß der Glaubhaftmachung gilt (§ 294 ZPO, überwiegende Wahrscheinlichkeit; vgl. statt vieler Senat, a. a. O. und NJW-RR 2002, 1127, 1128). Zu Unrecht beruft sich die Beklagte auf die Rechtsprechung des BGH (hier: NJW 1993, 525, 527), wonach sich die Beweislast ausnahmsweise umkehrt, wenn der Behauptende berechtigte Interessen für die Aufstellung unbewiesener Behauptungen geltend machen kann. Denn solche Interessen sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich und können jedenfalls nicht aus diffusen Allgemeinheitsbelangen oder unspezifizierten Gesichtspunkten der Daseinsvorsorge erwachsen (siehe auch unten 2 a bb). Den ihr hiernach obliegenden Richtigkeitsbeweis hat die Beklagte nicht geführt und wird ihn auch nicht mit den nunmehr beigebrachten Beweismitteln führen können, da sie die Beweismittel ohne weiteres im rund einjährigen Verfahren im ersten Rechtszug hätte geltend machen können (§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO). Insbesondere ist nicht nachvollziehbar, weshalb die Beklagte die Benennung der Zeugen von der Zustimmung der Erziehungsberechtigten abhängig gemacht hat. Ein eine derartige Abhängigkeit beinhaltender Rechtssatz ist dem geltenden Verfahrensrecht unbekannt. Hinsichtlich des im Schriftsatz vom 18. Januar 2007 enthaltenen Vortrags kommt hinzu, dass Vorgänge aus den Jahren 1993 oder 1996 nicht zur Stützung von Behauptungen angeführt werden können, die nach dem unwidersprochenen Klägervortrag (insoweit auch durch die aktenkundigen Ermittlungsverfahren sowie die Presseberichterstattung darüber belegt) durch Vorwürfe veranlasst wurden, die die vermeintlichen Misshandlungen auf November 2004 datieren.

cc) Bei Qualifizierung einzelner Forenbeiträge als Werturteile (vertretbar für lit. g) wären die Äußerungen jedenfalls als Schmähkritik unzulässig, da ihr keinerlei belegbare Tatsachen zu Grunde liegen und sie im Wesentlichen auf eine persönliche Diffamierung der Klägerin abzielen (vgl. zu dieser Einschränkung der Meinungsfreiheit BVerfGE 93, 266, 293 f.). Der Forenbeitrag zu lit. g) wäre darüber hinaus selbst bei Vorliegen solcher Tatsachen unzulässig, da er einen fundamentalen Angriff auf die Menschenwürde der Klägerin beinhaltet (vgl. BVerfGE 99, 185, 196 f.). Dies gilt umso mehr, als die Grundsätze der sog. Stolpe-Entscheidung (BVerfG, NJW 2006, 207, 208 f.) auch auf mehrdeutige Werturteile anzuwenden sind, mit der Folge, dass bei Unterlassungsansprüchen alle nicht fernliegenden Deutungsmöglichkeiten in die Abwägung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht einzustellen sind (BVerfG, NJW 2006, 3769, 3772 ff.; hier bzgl. lit. g also eine Morddrohung). Auch wenn das Thema "Gewalt in der Schule" die Öffentlichkeit (verständlicherweise) stark bewegt, sodass schon deshalb auch eine pointierte, überspitzte oder polemische Auseinandersetzung mit ihm erlaubt ist (vgl. dazu BVerfGE 82, 272, 282), kann darin doch keine Rechtfertigung dafür erblickt werden, die Klägerin persönlich aufgrund unbelegter Behauptungen an den (virtuellen) Pranger zu stellen.

dd) Unerheblich ist, ob die Misshandlungsvorwürfe gegen die Klägerin auch anderweitig öffentlich kolportiert werden. Die Beklagte wird kaum meinen wollen, das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin deshalb missachten zu dürfen, weil es auch andere nicht beachteten, obschon ihr Vorbringen ("Wenn dies der Fall ist, dann kann die ... Klägerin durch weitere Beiträge, die sich auf bereits 'stadtbekannte' Vorgänge beziehen, nicht mehr in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt werden") dahin verstanden werden könnte.

2. Die Beklagte ist für die dargestellten Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Klägerin verantwortlich, indem sie die Grundrechtsverletzungen durch Bereitstellung des Internet-Forums gefördert hat. Zudem hat die Beklagte mit Schreiben ihrer Bürgermeisterin vom 20. April 2005 ausdrücklich die Verantwortung für das Forum übernommen ("... da es sich um die offizielle Seite der Stadt ... handelt. Auf dieser Seite gibt es keine Zensur.").

a) Eine Haftungsfreistellung nach dem TDG kommt der Beklagten nicht zugute.

aa) Schon nach seinem Wortlaut erstreckt sich das TDG nicht auf Unterlassungsansprüche. In § 8 Abs. 2 Satz 2 TDG wird ausdrücklich klargestellt, dass Verpflichtungen zur Entfernung oder Sperrung der Nutzung von Informationen nach den allgemeinen Gesetzen auch im Falle der Nichtverantwortlichkeit des Dienstanbieters nach den §§ 9 bis 11 unberührt bleiben. Diese Einschränkung ist richtlinienkonform (Art. 14 der Richtlinie 2000/31/EG über den elektronischen Rechtsverkehr). Die Unterlassungspflicht des Diensteanbieters, die der BGH (BGHZ 158, 236, 245 ff.) anlässlich einer dem Schutzbereich des Art. 14 GG zuzurechnenden Verletzungshandlung (Markenrechtsverletzung) bekräftigt hat, gilt selbstverständlich (erst recht) für den Eingriff in unmittelbar persönlichkeitsbezogene Grundrechte wie insbesondere die Menschenwürde (so auch OLG Düsseldorf, OLGR 2006, 657, 658).

bb) Ob und gegebenenfalls welche Prüfungspflichten den gutgläubigen Betreiber eines Internetforums treffen, bevor er als verantwortlicher Störer angesehen werden kann, kann auf sich beruhen (vgl. OLG Düsseldorf, a. a. O.). Denn die Beklagte war spätestens nach der Abmahnung vom 19. April 2005 nicht mehr gutgläubig. Soweit das OLG Düsseldorf (a. a. O., mit zustimmender Anmerkung Roggenkamp, jurisPR-ITR 7/2006 Anm. 6; dagegen - in der Sache - OLG Hamburg, OLGR 2006, 718, 720 f., mit zustimmender Anmerkung Spindler, jurisPR-ITR 9/2006 Anm. 2) auch den bösgläubigen Diensteanbieter nur nach Maßgabe des ihm (wirtschaftlich) Zumutbaren für (auch schwerste) Rechtsverletzungen haften lassen will, obwohl ihm doch zumindest die Stilllegung des Forums unschwer möglich sein dürfte, selbst wenn er nicht gewerblich tätig ist, bleibt auch dies für den Streitfall letztlich ohne Relevanz. Jedenfalls eine den Grundrechten nach Art. 1 Abs. 3 GG besonders verpflichtete Gemeinde wie die Beklagte, die sich als Träger öffentlicher Gewalt bei privater Tätigkeit überdies nicht auf eigene Grundfreiheiten berufen kann (BVerfGE 61, 82, 105 ff.), die mit den Grundrechten der Klägerin gegebenenfalls in ein Verhältnis praktischer Konkordanz zu bringen wären, muss angesichts der bezeichneten schweren Grundrechtsverletzungen notfalls zu diesem Mittel greifen.

cc) Davon abgesehen ist die Beklagte dem Sachvortrag der Klägerin zur Zumutbarkeit der Forumskontrolle aber auch nicht substantiell entgegengetreten. Hiernach (weniger als drei Forumsbeiträge pro Tag) erschließt sich nicht, weshalb eine Kontrolle der bezüglich der Klägerin geführten Diskussion die tatsächlichen und wirtschaftlichen Möglichkeiten der Beklagten überschreiten sollte.

b) Verschulden ist entgegen der Auffassung der Beklagten keine Voraussetzung des Unterlassungsanspruchs.

3. Die nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB für einen (vorbeugenden) Unterlassungsanspruch erforderliche (Erstbegehungs-) Wiederholungsgefahr ist gegeben. Diese Gefahr wird durch die massiven Persönlichkeitsrechtsverletzungen, die die Klägerin in der Vergangenheit zu beklagen hatte, hinreichend indiziert.

a) Die "Diffamierungsalternative" ist zwar recht weit gefasst und hierunter könnten gegebenenfalls, betrachtet man den Beschlusstenor isoliert, auch Äußerungen subsumiert werden, die mit den Misshandlungsvorwürfen nichts zu tun haben. In einem solchen Falle fehlte es, wenn es sich um gänzlich anders gelagerte "Diffamierungen" handelt, tatsächlich an einer Wiederholungsgefahr, u. U. auch an einer Erstbegehungsgefahr. Auf der anderen Seite muss die Untersagungsverfügung angesichts der unübersehbar großen Möglichkeiten, Äußerungen ehrverletzend zu formulieren (zutreffend OLG Düsseldorf, a. a. O., 659), zwangsläufig weit gefasst sein, um der Klägerin den ihr von Verfassungs wegen zustehenden effektiven Rechtsschutz gewährleisten zu können. Die an sich gebotene Bestimmtheit des Unterlassungsbegehrens stößt hier an natürliche Grenzen, sodass keine zu strengen Anforderungen gestellt werden dürfen (vgl. OLGR München 1993, 268; OLG Stuttgart, NJW-RR 1997, 521 Zöller/Vollkommer, ZPO, 27. Aufl. 2007, § 938 Rdnr. 2). Im hiernach verbleibenden Rahmen lässt sich der Inhalt der "Diffamierungsalternative" anhand der zuvor im Wortlaut zitierten Äußerungen konkretisieren, was der Senat, ohne das sachliche Begehren der Klägerin zu beschneiden, gemäß § 938 ZPO durch Einfügung der Worte "in vergleichbarer Weise" klargestellt hat.

b) Zu Unrecht meint die Beklagte, dass die (Erstbegehungs-) Wiederholungsgefahr nachträglich entfallen sei. Ein Unterlassungsanspruch erledigt sich nicht dadurch, dass das geschuldete Verhalten zu einem bestimmten Zeitpunkt erbracht wird; die Unterlassungsverpflichtung ist vielmehr fortwährend zu "erfüllen" (grundlegend Borck, WRP 1987, 9 ff.). Zur Abgabe einer hinreichend strafbewehrten Unterlassungserklärung, die eine Erledigung durch Wegfall der Wiederholungsgefahr hätte herbeiführen können, hat sich die Beklagte indes nicht verstehen können. Weiter mag der Umstand, dass die Klägerin derzeit erkrankungsbedingt an der Ausübung ihres Berufs gehindert ist, rein faktisch zu einer Beruhigung der Situation beitragen; ihr Anspruch geht jedoch gerade dahin, bei Wiederaufnahme ihrer Lehrtätigkeit nicht mittels des Forums der Beklagten in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt zu werden.

II. Aus den zuletzt genannten Gründen erweist sich die einstweilige Verfügung zur Abwendung wesentlicher Nachteile für die Klägerin als nötig (§ 940 ZPO).

B.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung ist formell rechtskräftig und damit vollstreckbar, was der Senat klarstellend ausgesprochen hat (§ 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird, entsprechend der unstreitigen Wertfestsetzung im ersten Rechtszug, auf 7.000,00 € festgesetzt (§ 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 1 Nr. 1 GKG, § 3 ZPO).

Ende der Entscheidung

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