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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 06.02.2009
Aktenzeichen: 1 W 21/08
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 42 Abs. 2
ZPO § 139
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten zu 2) wird der Beschluss des Landgerichts Cottbus vom 18. September 2008 - 3 O 124/07 - aufgehoben. Das Befangenheitsgesuch des Beklagten zu 2) vom 4. Dezember 2007 gegen den Vorsitzenden Richter am Landgericht Engels wird für begründet erklärt.

Der Gegenstandswert wird auf 1.081,79 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Kläger nimmt die Beklagten als Gesamtschuldner auf Schadenersatz wegen der Beschädigung seines auf dem Schulparkplatz des S. Gymnasiums abgestellten Fahrzeugs in Anspruch. Bei einer von einem Sportlehrer des Gymnasiums geleiteten Übung zerstörte ein von einem Schüler geworfener Schleuderball eine Scheibe des Fahrzeugs. Der Kläger begründet den Amtshaftungsanspruch vorrangig mit der fehlenden Absicherung des Parkplatzes (Organisationsverschulden) und nachrangig mit einer Pflichtverletzung des die Übung leitenden Sportlehrers.

Zunächst hat der Kläger lediglich den Beklagten zu 1) als Träger der Schule und als Dienstherr des die Übung leitenden Sportlehrers in Anspruch genommen. Mit Hinweisbeschluss vom 12. September 2007 hat der abgelehnte Richter als Einzelrichter die Parteien darauf hingewiesen,

"dass die Klage gegen den derzeitigen Beklagten (Landkreis S.) unschlüssig sein könnte, allerdings ein Amtshaftungsanspruch gegen den richtigen Beklagten, d. h. die Anstellungskörperschaft des Lehrers S., nahezu in vollständiger Höhe durchgehen dürfte."

Mit Schriftsatz vom 22. November 2007 hat der Kläger die Klage erweitert. Er nimmt nunmehr das beklagte Land als Anstellungskörperschaft gemeinsam mit dem Beklagten zu 1) in Anspruch.

Der Beklagte zu 2) hat den Einzelrichter mit Schriftsatz vom 4. Dezember 2007 wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Mit Beschluss vom 18. September 2008 hat das Landgericht Cottbus das Ablehnungsgesuch für unbegründet erklärt. Der hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerde hat das Landgericht mit Beschluss vom 23. Dezember 2008 nicht abgeholfen und diese dem Brandenburgischen Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig und in der Sache begründet. Das Ablehnungsgesuch des Beklagten zu 2) vom 4. Dezember 2007 hat Erfolg. Der das Ablehnungsgesuch zurückweisende Beschluss des Landgerichts vom 18. September 2008 war aufzuheben.

Die Besorgnis der Befangenheit ist nach § 42 Abs. 2 ZPO gegeben, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Misstrauen in die unparteiliche Amtsausübung des Richters rechtfertigen können nur objektive Gründe, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger und besonnener Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen gegenüber; rein subjektive Vorstellungen und Gedankengänge des Ablehnenden genügen nicht. Entscheidend ist, ob ein Prozessbeteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (BGH MDR 2003, S. 592; Zöller/Vollkommer, ZPO, 27. Aufl., § 42 Rdnr. 9 m.w.N.). Ein solcher Tatbestand liegt hier - aus der maßgeblichen Sicht des Beklagten zu 2) - vor. Der abgelehnte Richter hat den Anschein der Parteilichkeit erweckt, indem er darauf hingewirkt hat, die Klage auf einen - im Zeitpunkt des gerichtlichen Hinweises - nicht am Rechtsstreit beteiligten Dritten, den jetzigen Beklagten zu 2) zu erweitern.

Grundsätzlich obliegt es dem Gericht nach § 139 ZPO darauf hinzuwirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären und sachdienliche Anträge stellen. Ein im Rahmen der Aufklärungspflicht gebotenes richterliches Verhalten begründet niemals einen Ablehnungsgrund, selbst wenn dadurch die Prozesschancen einer Partei verringert werden (BVerfGE 42, S. 78). Die Reichweite dieser Pflichten wird begrenzt durch das unangetastete Prinzip der Parteiherrschaft über den Prozessstoff (Zöller/Greger, a.a.O., § 139 Rdnr. 2). Bei der Bestimmung der Grenzen von prozessrechtlich gebotener Aufklärung und Belehrung einer Partei einerseits und Neutralitätspflicht andererseits ist zu berücksichtigen, dass die Zivilprozessreform die richterliche Aufklärungs-, Hinweis- und Fürsorgepflicht wesentlich verstärkt hat und das Gericht zu einer umfassenden Erörterung des Rechtsstreits in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht verpflichtet ist (Zöller/Vollkommer, a.a.O. § 42 Rdnr. 26). Weder durch den Hinweis auf eine mögliche fehlende Passivlegitimation der Beklagten zu 1) noch durch den Hinweis auf die mögliche Höhe der als begründet erachteten Forderung hat das Gericht gegen das Neutralitätsgebot verstoßen. Diese Hinweise bewegten sich im Rahmen der materiellen Prozessleitungspflicht und betrafen ausschließlich die am Prozess beteiligten Parteien. Durch den Hinweis auf den nach Ansicht des Gerichts "richtigen" Klagegegner, den jetzigen Beklagten zu 2), hat das Gericht jedoch die richterliche Hinweispflicht überdehnt und den Anschein der Parteilichkeit erweckt. Mit dem Hinweis wurde das Prozessziel des Klägers bzw. sein Prozessbegehren erweitert und dadurch zugleich die Grenze der Parteiherrschaft über den Prozessstoff unzulässigerweise überschritten. Die Frage, ob und ggf. welche Partei gerichtlich in Anspruch genommen werden soll, unterliegt ausschließlich dem Parteiwillen. Über diesen hat sich das Gericht in dem Hinweisbeschluss hinweggesetzt. Dies gilt insbesondere deshalb, weil der Kläger auf den vorhergehenden Hinweis des Beklagten zu 1), das Land Brandenburg sei als Anstellungskörperschaft richtiger Beklagter, ausdrücklich klargestellt hat, dass er seinen Anspruch in erster Linie auf das Organisationsverschulden des Beklagten zu 1) und nicht auf ein Fehlverhalten des Lehrers stützten wolle.

Durch das unzulässige Überschreiten der richterlichen Hinweispflicht durfte der Beklagte zu 2) die Unvoreingenommenheit des Richters befürchten. Der Hinweisbeschluss enthält - aus Sicht des Beklagten zu 2) - eine einseitige Empfehlung bzw. einen Rat des abgelehnten Richters an den Kläger und damit auch eine einseitige Bevorzugung von diesem.

Es kann offen bleiben, inwieweit die erteilten Hinweise rechtlich zutreffen. Es ist nicht Aufgabe des Beschwerdegerichts, in einem Ablehnungsverfahren wegen Befangenheit zu prüfen, ob die Einschätzung des erkennenden Gerichts einer rechtlichen Überprüfung standhält, da dieses Verfahren kein der Fehlerkontrolle dienendes antizipiertes Rechtsmittelverfahren ist (vgl. Senat, Beschluss vom 6. März 2007, Az. 1 W 3/07, zitiert nach juris).

III.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Die Kosten der erfolgreichen Beschwerde sind solche des Rechtsstreits, d. h. eine Kostenerstattung findet grundsätzlich nicht statt (Zöller/ Vollkommer, a.a.O. § 46 Rdnr. 20 m.w.N.). Die Festsetzung des Gegenstandswertes folgt aus §§ 45 Abs. 1, 48 Abs. 1 S. 1 GKG, § 3 ZPO. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats entspricht der Gegenstandswert für Ablehnungsgesuche dem Wert des zu Grunde liegenden Rechtsstreits (vgl. nur Senat, NJW-RR 1999, 1291, 1292).

Ende der Entscheidung

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